Rechtsprechungsdatenbank

3 U 6/98 RhSch - Oberlandesgericht (Rheinschiffahrtsobergericht)
Entscheidungsdatum: 22.06.1999
Aktenzeichen: 3 U 6/98 RhSch
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Abteilung: Rheinschiffahrtsobergericht

Urteil des Oberlandesgerichts – Rheinschiffahrtsobergericht – Karlsruhe

vom 22.06.1999

– 3 U 6/98 RhSch –

Tatbestand

Die Klägerin ist Versicherer des MS K (70 m lang, 10 m breit, 1285 to Tragfähigkeit, Maschinenleistung 456 kW). Sie begehrt von dem Beklagten Ziffer 1 als Schiffsführer und der Beklagten Ziffer 2 als Eignerin des TMS B aufgrund abgetretenen bzw. übergegangenen Rechts Ersatz von Reparaturkosten und Aufwendungen, die infolge einer Festfahrung von MS K am 01.04.1997 auf dem Rhein angefallen sind. MS K befand sich an diesem Tag, beladen mit 1155 to Kies, auf der Talfahrt, als es in einer Untiefe bei Strom-km 364,0 festfuhr.
An der selben Stelle war kurze Zeit zuvor TMS B festgefahren. Die Schiffsführung von TMS B unterließ es, das Festfahren und die Turnmanöver der zuständigen Behörde zu melden. Gegen den Beklagten Ziffer 1 erging deshalb ein rechtskräftiger Bußgeldbescheid der WSD Südwest (beigezogene OWi-Akte 416/97).
Die Klägerin vertritt die Auffassung, daß das Unterlassen der gebotenen Meldung durch den Erstbeklagten ursächlich geworden sei für die Festfahrung von MS K.

Die Klägerin hat im ersten Rechtszug beantragt, die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Klägerin DM 15.466,40 nebst 5 % Zinsen hieraus seit Klagzustellung zu bezahlen, die Beklagte Ziffer 2 dinglich mit TMS „RP Basel" aufgrund eines am 01.04.1997 entstandenen Schiffsgläubigerrechts mit dem Rang des § 102 Nr. 5 BinSchG wie auch persönlich im Rahmen von § 114 BinSchG haftend, der Beklagte Ziffer 1 unbeschränkt persönlich haftend.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie haben im wesentlichen vorgetragen: Das Freiturnen von TMS B sei etwa 15 Minuten vor der Festfahrung von MS K erfolgt. Auch wenn die Schiffsführung sobald wie möglich die Festfahrung den Behörden gemeldet hätte, hätte MS K nicht mehr rechtzeitig gewarnt werden können und wäre ebenfalls festgekommen.

Mit am 20.08.1998 verkündetem Urteil, auf das wegen aller Einzelheiten Bezug genommen wird, hat das Rheinschiffahrtsgericht Mannheim die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung.

Sie wiederholt und vertieft im wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen und trägt ergänzend vor:
Ihres Erachtens sei die Schiffsführung von TMS B verpflichtet gewesen, unmittelbar nach der Festfahrung die Revierzentrale in Oberwesel zu informieren. Selbst wenn sie dies erst nach dem Abturnen getan hätte, so hätte noch immer ein weiteres Festfahren anderer Schiffe verhindert werden können. Zweifel hinsichtlich der Ursächlichkeit der unterlassenen Meldung gingen zu Lasten der Beklagten.

Die Klägerin beantragt, auf ihre Berufung hin das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts aufzuheben und nach den erstinstanzlich gestellten Anträgen zu erkennen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Sie wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen, machen sich die Gründe des angefochtenen Urteils zu eigen und tragen ergänzend vor:
Die Klage sei unzulässig, weil kein Dispache-Verfahren zu einer Havariegrosse durchgeführt worden sei.

Die Festfahrung von MS K sei so bald nach der Festfahrung von TMS B erfolgt, daß eine Meldung an den NIF und eine Warnung der Schiffer den zweiten Unfall nicht hätten verhindern können. Im übrigen sei § 1.17 Nr. 1 RhSchPV kein Schutzgesetz.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Dem Senat lagen ebenso wie dem Rheinschiffahrtsgericht die Bußgeldakten 416/97 der WSD Südwest vor.

Der Senat hat - durch den Einzelrichter - gemäß Gerichts- und Beweisbeschluß vom 16.04.1999 (II, 89) Beweis erhoben durch Einholung einer amtlichen Auskunft, die die WSD Südwest am 23.04.1997 erteilt hat (II, 95).

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.

I.

Die Klage ist zulässig.

Entgegen der Auffassung der Beklagten waren die Klägerin bzw. deren Rechtsvorgänger nicht gehalten, zunächst in einem Dispache-Bestätigungsverfahren abzuklären, ob und in welcher Höhe ein dispachierungsfähiger Schaden der Ladung gegenüber geltend gemacht werden kann.

Es gibt keine Rechtsnorm, die einen Beteiligten - z.B. den Schiffseigner - zwingen würde, vor der Inanspruchnahme eines Dritten zunächst im Wege der großen Haverei einen Teil des Schadens zu liquidieren und nur wegen des unbeglichenen Teils gegen den Schädiger vorzugehen.

Dispache ist die Rechnung über die große Haverei, § 84 Satz 2 BinSchG, d.h. die Berechnung, weiche die Verteilung der Beitragspflicht zum Ersatz der durch große Haverei entstandenen Schäden unter den Beteiligten festlegt (vgl. Keidel/Winkler FGG 14. Aufl. § 149 Rdnr. 1), oder anders ausgedrückt, eine Aufstellung sämtlicher als Haverie-grosse in Betracht kommender Schäden und Kosten sowie deren Verteilung auf Schiff und Ladung unter Berücksichtigung der zu ermittelnden oder abzuschätzenden Beitragswerte (vgl. Vortisch/Bemm Binnenschiffahrtsrecht 4. Aufl. § 84 BinSchG Rdnr. 4).
Große Haverei (oder auch Haverie-grosse genannt) sind gemäß § 78 Abs. 1 BinSchG alle Schäden, welche einem Schiff oder der Ladung desselben oder beiden zum Zweck der Errettung beider aus einer gemeinsamen Gefahr von dem Schiffer oder auf dessen Geheiß vorsätzlich zugefügt werden. Diese Kosten sollen aus dem Gesichtspunkt der Gefahrengemeinschaft gemeinschaftlich von Schiff und Ladung getragen werden. Gemäß § 153 FGG ist jeder Beteiligte befugt, bei dem Gericht eine Verhandlung über die von dem Dispacheur aufgemachte Dispache zu beantragen. §§ 153 - 158 FGG regeln ein gerichtliches Verfahren, in dem eine von einem Dispacheur aufgemachte Dispache durch das (gemäß § 149 FGG zuständige) Amtsgericht bestätigt und hierdurch mit der Wirkung der Vollstreckbarkeit ausgestattet wird. Neben dem Zweck, einen Vollstreckungstitel zu schaffen, dient das Verfahren auch dazu, durch Widerspruch gegen die Dispache möglichst unter Vermeidung eines Prozesses eine Änderung der Dispache herbeizuführen; Aufgabe des Gerichts ist es, auf eine Einigung über einen erhobenen Widerspruch hinzuwirken (vgl. dazu Monse, Die gerichtliche Verhandlung über die Dispache, 1ff).

Auch dann, wenn eine Dispache aufgemacht und geprüft wurde, hat das Gericht im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit über die Bestätigung einer Dispache zu prüfen, ob überhaupt ein Fall der großen Haverei vorlag oder deren Voraussetzungen offensichtlich fehlten; eine Havarieverteilung kommt nicht in Frage, wenn eine Gefahr nur für das Schiff, nicht aber für die Ladung bestand (Schiffahrtsobergericht Karlsruhe Beschluß vom 25.03.1994 - W 1/94 BSch -). So kommt insbesondere bei Turnmanövern in Betracht, daß diese lediglich dem Zweck dienen, das Schiff wieder freizubekommen, nicht aber der Rettung der Ladung aus einer echten Gefahrenlage.
Zwar wird die Anwendung der Bestimmungen über große Haverei nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Gefahr infolge des Verschuldens eines Dritten oder auch eines Beteiligten herbeigeführt ist. Das Verschulden eines Dritten ändert also an einer möglichen Schadensverteilung nichts, andererseits bleibt die Haftung des Dritten für den von ihm verschuldeten Schaden unberührt (vgl. Vortisch/Bemm Binnenschiffahrtsrecht 4. Aufl. § 79 BinSchG Rdnr. 1). Dies bedeutet, daß es der Klägerin bzw. ihren Rechtsvorgängern unbenommen ist, die Beklagten als (potentielle) Schädiger im streitigen Zivilverfahren auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, selbst wenn die Voraussetzungen einer großen Haverei vorgelegen haben sollten.

Der Klage entbehrt daher nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Die Klage ist begründet.

Die Beklagten haben der Klägerin den durch die Festfahrung von MS K am 01.04.1997 bei Rhein-km 364,0 entstandenen Schaden zu ersetzen.

Auf den vorliegenden Fall sind die Vorschriften des Binnenschiffahrtsgesetzes in der bis zum 31.08.1998 geltenden Fassung anzuwenden, da die Festfahrung am 01.04.1997 erfolgte (vgl. dazu Schiffahrtsobergericht Karlsruhe Urteil vom 22.09.1998 - U 2/98 BSch - = OLG-Report 1999, 49 = NZV 1998, 504 = VersR 1998, 1534 = ZfB 1998, 1715). Der Klägerin steht aufgrund übergegangenen Rechts gegen die Beklagten gemäß § 823 Abs. 1 und 2 BGB i.V.m. § 1.17 RhSchPV, § 92 Abs. 2, 92 b BinSchG der geltend gemachte Schadensersatzanspruch zu. Die Beklagte Ziffer 2 haftet, da sie ihr Schiff in Kenntnis der erhobenen Ansprüche auf neue Reise ausgesandt hat, nicht nur dinglich mit TMS B gemäß §§ 3, 4 BinSchG, sondern auch persönlich im Rahmen von § 114 BinSchG.

1. Der erstbeklagte Schiffsführer hatte TMS B in der Bergfahrt bei Rhein-km 364,0 festgefahren. Er führte anschließend längere Zeit Eigenversuche zum Freikommen durch und wurde schließlich durch ein anderes Motorschiff frei geturnt. Weder die Festfahrung noch das Turnen hat er als verantwortlicher Schriftführer der zuständigen Behörde gemeldet. Er hat damit gegen § 1.17 Abs. 1 RhSchPV verstoßen und wurde deswegen auch mit einem rechtskräftigen Bußgeld belegt . (beigezogene Akte 416/97 WSD Südwest).

Die Vorschrift des § 1.17 Nr. 1 RhSchPV, wonach der Schiffsführer eines festgefahrenen (oder gesunkenen) Fahrzeuges sobald wie möglich für die Benachrichtigung der nächsten zuständigen Behörde sorgen muß, ist eine Schutzvorschrift i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB. Sie soll typische Gefahrenlagen verhindern (vgl. BGH VersR 1964, 43, 44 zu anderen Normen der BinSchStrO als Schutzgesetze) und ist - auch - als eine „Rechtsnorm zugunsten des einzelnen" (vgl. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht 2. Aufl. Rdnr 62) oder einzelner Personenkreise - nämlich der anderen Schiffsverkehrsteilnehmer - anzusehen (vgl. z. B. zur vergleichbaren Schutzgesetz-Qualität des § 17 Abs. 4 StVO - Sicherung liegengebliebener Fahrzeuge - : BGH VersR 1969, 895; OLG Karlsruhe VersR 1983, 90). Sowie die Regeln des Straßenverkehrsrechts die Ordnung und Sicherheit des Straßenverkehrs und den Individualschutz der Verkehrsteilnehmer bezwecken (vgl. Steffen in RGRK BGB 12.Aufl § 823 Rdnr 541), ist auch Schutzzweck der Normen der RhSchPolVO und der BinSchStrO die Sicherheit des Schiffsverkehrs und damit auch der einzelnen anderen Verkehrsteilnehmer. Die Sicherungspflichten des Schiffsführers umfassen auch die Vermeidung von Gefahren, die sich für die Schutzgüter erst mittelbar durch Dazwischentreten weiterer Ursachen aktualisieren. Gerade im Schiffsverkehr hat die Fernschädigung besondere Bedeutung (vgl. dazu § 92 Abs. 2 BinSchG sowie Steffen in RGRK BGB 12.Aufl § 823 Rdnr 342).

2. Entgegen der Auffassung des Rheinschiffahrtsgerichts ist der erstbeklagte Schiffsführer nicht deshalb von seiner Haftung entlastet, weil es ihm nach § 1.18 RhSchPV oblag, nach der Festfahrung seines Schiffes „die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um das Fahrwasser in kürzester Zeit freizumachen". Es steht außer Zweifel, daß der Erstbeklagte dieser Verpflichtung nachkam, denn zu dem Zeitpunkt, zu dem MS K den Strombereich erreichte, in dem sich TMS B festgefahren hatte, war das Fahrwasser wieder frei und die sich aus dem vorübergehenden Festliegen des Fahrzeuges im Fahrwasser für die übrige Schiffahrt entstandene Gefahr beseitigt. Dies ändert jedoch nichts an der daneben bestehenden und vom Erstbeklagten verletzten Benachrichtigungspflicht nach § 1.17 Nr. 1 RhSchPV.

3. Das Unterlassen der Benachrichtigung der nächsten zuständigen Behörde ist nach Überzeugung des Berufungsgerichts auch ursächlich geworden für die Festfahrung von MS K. Der Erstbeklagte hätte alsbald nach Festfahren von TMS B über den Nautischen Informationsfunk (NIF) Kanal 22 die Revierzentrale Oberwesel benachrichtigen können und müssen. Dieser hätte dann von sich aus unverzüglich die Schiffahrt im Bereich der Unfallstelle vor der Untiefe gewarnt. Dieser Vorgang hätte deutlich weniger als 15 Minuten in Anspruch genommen. Dies steht aufgrund der von der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Südwest erteilten amtlichen Auskunft vom 23.04.1999
fest. Eine Mitteilung des Erstbeklagten über die Festfahrung hätte unverzüglich zu einer Lagemeldung an die übrige Schiffahrt geführt. Darüber hinaus wären die Wasserschutzpolizei und der Außenbeamte des entsprechenden Amtsbezirkes informiert worden.

2. Entgegen der Auffassung des Rheinschiffahrtsgerichts ist der erstbeklagte Schiffsführer nicht deshalb von seiner Haftung entlastet, weil es ihm nach § 1.18 RhSchPV oblag, nach der Festfahrung seines Schiffes „die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um das Fahrwasser in kürzester Zeit freizumachen". Es steht außer Zweifel, daß der Erstbeklagte dieser Verpflichtung nachkam, denn zu dem Zeitpunkt, zu dem MS K den Strombereich erreichte, in dem sich TMS B festgefahren hatte, war das Fahrwasser wieder frei und die sich aus dem vorübergehenden Festliegen des Fahrzeuges im Fahrwasser für die übrige Schiffahrt entstandene Gefahr beseitigt. Dies ändert jedoch nichts an der daneben bestehenden und vom Erstbeklagten verletzten Benachrichtigungspflicht nach § 1.17 Nr. 1 RhSchPV.

3. Das Unterlassen der Benachrichtigung der nächsten zuständigen Behörde ist nach Überzeugung des Berufungsgerichts auch ursächlich geworden für die Festfahrung von MS K. Der Erstbeklagte hätte alsbald nach Festfahren von TMS B über den Nautischen Informationsfunk (NIF) Kanal 22 die Revierzentrale Oberwesel benachrichtigen können und müssen. Dieser hätte dann von sich aus unverzüglich die Schiffahrt im Bereich der Unfallstelle vor der Untiefe gewarnt. Dieser Vorgang hätte deutlich weniger als 15 Minuten in Anspruch genommen. Dies steht aufgrund der von der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Südwest erteilten amtlichen Auskunft vom 23.04.1999 fest. Eine Mitteilung des Erstbeklagten über die Festfahrung hätte unverzüglich zu einer Lagemeldung an die übrige Schiffahrt geführt. Darüber hinaus wären die Wasserschutzpolizei und der Außenbeamte des entsprechenden Amtsbezirkes informiert worden.

4. Die Gesamthöhe von DM 15.466,41 des schlüssig vorgetragenen Schadens (Reparaturkosten, Expertenkosten, Kosten der Turnhilfe, Leichterung, Telefonkosten und Interventionskosten) sowie der Zinsen wurde von den Beklagten nicht bestritten...

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Gemäß § 546 Abs. 2 ZPO war der Wert der Beschwer festzusetzen.

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2000 - Nr. 1 (Sammlung Seite 1768 f.); ZfB 2000, 1768 f.