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Leitsatz:
Im Geltungsbereich der „geregelten Begegnung" ist der nach § 9.02 Nr. 2 RheinSchPVO gebotene „Steuerbordkurs" konsequent beizubehalten. Besonderer Absprache der „Backbordbegegnung" bedarf es nicht.
Urteil des Oberlandesgerichts (Rheinschiffahrtsobergerichts) Köln
vom 21.12.1990
3 U 66/89
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin ist Ausrüster des MTS „G" und des Leichters „G3". Diese Fahrzeuge fuhren am 12. Januar 1985 auf dem Niederrhein leer zu Tal, wobei der Tankleichter längsseits der Backbordseite des MTS „G" gekuppelt war. Infolge dichten Nebels und Schneetreibens herrschte unsichtiges Wetter. Der Führer des Koppelverbandes fuhr deshalb mit Radar. Gegen 8.00 Uhr kam es zur Begegnung mit dem zu Berg fahrenden MTS „C", dessen Eigner die Beklagte zu 1.) ist und das vom Beklagten zu 2.), der nicht im Besitz eines Radarschifferzeugnisses war, verantwortlich geführt wurde. Während der Begegnung gerieten der Tankleichter und der Bergfahrer auf Höhe von Rheinkm 810,5 mit den Backbordseiten gegeneinander, wobei beide Fahrzeuge Schäden erlitten.
Die Klägerin verlangt von den Beklagten den Unfallschaden ersetzt. Sie wirft dem Beklagten zu 2.) vor, durch eine fehlerhafte Fahrweise mit dem von ihm geführten MTS „C" die Kollision verschuldet zu haben. Entgegen der abgesprochenen Backbordbegegnung habe sein Fahrzeug bei einem Längsabstand von 150 m zu dem Koppelverband plötzlich einen Hauer zum rechten Ufer hin gemacht, so daß es in Strommitte im normalen Weg der Talfahrt zu dem Zusammenstoß gekommen sei.
Die Beklagten räumen ein hälftiges Mitverschulden ein, weil der Beklagte zu 2) kein Radarschifferzeugnis besessen hat. Gegen den danach der Klägerin zustehenden Schadensersatzanspruch haben sie mit einer eigenen Schadensersatzforderung aus der Beschädigung des MTS „C" aufgerechnet. Sie sind der Ansicht, daß der Führer des Koppelverbandes die Kollision mit verschuldet habe. Er habe sich entgegen der ihm erteilten Kursweisung und der für den Unfallbereich vorgeschriebenen „geregelten Begegnung" nicht rechtsrheinisch gehalten, sondern sei nach linksrheinisch in den Kurs des nahe den Kribben fahrenden MTS „C" geraten; ferner habe er weder das Dreitonzeichen oder ein anderes akustisches Zeichen gegeben noch die Durchsagen des Bergfahrers über Sprechfunk erwidert.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Das Rheinschiffahrtsobergericht hat die Berufung zurückgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat der Bundesgerichtshof das Urteil des Rheinschiffahrtsobergerichts aufgehoben und die Sache zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zurückverwiesen. Danach hat das Rheinschiffahrtsobergericht die Berufung gegen das Grundurteil des Rheinschiffahrtsgerichts erneut zurückgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Rheinschiffahrtsgericht hat mit Recht der Klage dem Grunde nach stattgegeben. Die Beklagten haften der Klägerin aus §§ 92, 92b, 92f BSchG auf Ersatz des durch den Schiffsunfall vom 12. Januar 1985 entstandenen Schadens, weil der beklagte Schiffsführer die Kollision schuldhaft verursacht hat.
Die Unfalldarstellung des beklagten Schiffsführers, wonach der Koppelverband von der Strommitte aus Kurs auf MTS „C" genommen habe, während sich der beklagte Schiffsführer mit seinem Schiff hart linksrheinisch gehalten und noch ein so starkes Ausweichmanöver nach Steuerbord gemacht haben will, daß er „hinterher sogar an einer Kribbe gerakt" habe, ist durch das Ergebnis der Beweisaufnahme widerlegt worden. Der Senat sieht es in Übereinstimmung mit dem Rheinschiffahrtsgericht vielmehr als erwiesen an, daß sich der Zusammenstoß im Bereich der Strommitte ereignet hat und daß die Unfallursache in einem Hauer von MTS „C" liegt, wodurch der Bergfahrer in den auf gefahrlose Begegnung angelegten Kurs von MTS „G" geraten ist.
Nach der anschaulichen Schilderung des Schiffsführers „G" von TMS „P" fuhr dieser selbst etwa 50-60m aus dem rechtsrheinischen Ufer zu Tal, während vor ihm der Koppelverband etwa eine Schiffsbreite „weiter raus Richtung Strommitte", aber noch im rechtsrheinischen Fahrwasser fuhr. Da sich nach seinen Beobachtungen MTS „C" normal linksrheinisch hielt, sah er kein Problem für eine normale Begegnung. Auf den plötzlichen Warnruf des Schiffsführers des Koppelverbandes hat Schiffsführer „G" ins Radargerät geblickt und gesehen, „daß der Bergfahrer in einer ziemlichen Schräglage auf den Koppelverband zufuhr". Diese Bekundungen werden durch die Radarbeobachtungen des Schiffsführers „C" vom Schubboot „L" insoweit unterstützt, als dieser bemerkt hatte, daß sich das Echo der beteiligten Schiffe auf dem Radarschirm nicht aufgelöst hat und daß die Schiffe sich zu diesem Zeitpunkt in Strommitte befunden haben.
Haben sich aber die beteiligten Schiffe nach der Kollision in der Strommitte befunden, dann ist die Unfalldarstellung des beklagten Schiffsführers im Kern als unwahr widerlegt. Wie nämlich der Sachverständige „K" schon in der mündlichen Verhandlung vom 6. 11.1987 überzeugend ausgeführt hatte und wie er in seinem ergänzenden Gutachten vom 3. 2. 1990 bestätigt hat, ist es unter Berücksichtigung der Strömung und des wie immer gearteten Aufpralls der Schiffe aufeinander ausgeschlossen, daß sich der Zusammenstoß linksrheinisch ereignet hat. Da der Stromverlauf zwischen km 810,0 und 810,7 talwärts gesehen eine leichte Rechtsbiegung aufweist, ist nach der zutreffenden Ansicht des Sachverständigen allenfalls eine leichte Versetzung der Schiffe zum linksrheinischen Ufer hin, keinesfalls aber eine solche zur Strommitte hin möglich.
Der Senat hält die Beobachtungen der beiden unbeteiligten Zeugen „G" und „C" für zuverlässig. Für einen Schiffsführer mit Radarschifferzeugnis ist es unschwer auszumachen, ob ein Echo der Strommitte zuzuordnen ist oder nicht. Hinzu kommt, daß Schiffsführer „G" nur etwa eine Schiffslänge hinter dem Koppelverband hergefahren war und damit eine günstige Position für seine Wahrnehmung der Unfallsituation hatte.
Soweit die Entfernungsschätzungen der Schiffsführer „B" und „G" mit den Feststellungen des Sachverständigen „K", daß der Mindestabstand 350 m betragen haben müsse, nicht in Übereinstimmung zu bringen sind, mißt der Senat der Divergenz keine maßgebliche Bedeutung bei. Die Zuordnungen eines Radarechos zum Bereich der Strommitte und die Beobachtung des Zeugen „G" über die deutliche Kursabweichung des MTS „C" in den Kurs des Koppelverbandes sind einfache, klare und zuverlässig zu treffende Beobachtungen, deren Wert durch die vorgenannten Irrtümer bei der Entfernungsschätzung in dem vorliegenden Umfang nicht entscheidend beeinträchtigt wird. Dabei ist in Rechnung zu stellen, daß die Zeugen angesichts des zunächst problemlosen Begegnungskurses bis zum Zeitpunkt des plötzlichen Auftauchens der Gefahr nicht darauf aus waren, die genauen Längsabstände zu schätzen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß der Zeuge „G" seine Entfernungsschätzung auf einen Zeitpunkt bezieht, als MTS „C" die Schräglage bereits hatte.
Insofern können auch die Wahrscheinlichkeitserwägungen, die der Sachverständige „K" in seinem Gutachten vom 3. 2.1990 gerade an die Entfernungsangabe von 150m des Schiffsführers „B" anknüpft, auf sich beruhen. Ebensowenig bieten die hypothetischen Erwägungen zur Vorbeifahrt von TMS „P" an dem Havaristen hinreichenden Anlaß, einen Irrtum der Zeugen „G" oder „C" bei ihrer Zuordnung des Unfallbereichs zur Strommitte anzunehmen.
Selbst wenn man aber davon ausgehen wollte, daß der Kurs des Koppelverbandes einige Meter über die Strommitte hinaus zum linksrheinischen verlaufen wäre, würde sich unter Berücksichtigung des zuverlässigen Kerns der Aussagen der Schiffsführer „G" und „C" nichts Entscheidendes an der Konstellation ändern: Auch dann wäre der Begegnungskurs entsprechend der geregelten Begegnung normal und problemlos backbord an Backbord verlaufen, wenn nicht MTS „C" einen Hauer in den Kurs von MTS „G" gemacht hätte; die Darstellung des beklagten Schiffsführers bliebe im Kern widerlegt, wonach dieser hart linksrheinisch ausgewichen sein und dabei sogar eine Kribbe gerakt haben will, da eine so weit linksrheinisch liegende Stelle nach den Radarbeobachtungen der Zeugen „G" und „C" ohne Zweifel ausgeschlossen werden kann.
Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände zwingt auch die Schräglage beider Schiffe im Augenblick der Kollision nicht zu dem Schluß, daß etwa MTS „G" den Hauer gemacht oder überhaupt eine Kursabweichung in Richtung auf das linksrheinische Ufer unternommen hätte. Vielmehr hat Schiffsführer „B" die Backbordschräglage seines Verbandes zwanglos mit der Umfahrung des dort vorhandenen Grundes erklärt. Dem Schiffsführer des Koppelverbandes kann ein Mitverschuldensvorwurf nicht gemacht werden:
Ihm kann nicht vorgeworfen werden, daß er durch Zurückschlagen mit der Maschine versucht hat, seine Einheit nach Steuerbord herumzudrücken, statt durch ein Rudermanöver mit der Einheit herumzukommen. Bei letzterem Manöver hätte zwar die Möglichkeit bestanden, daß die Kollision nicht mit dem Backbordvorschiff, sondern mit der Backbordaußenhaut erfolgt wäre, sofern auch dieses Manöver nicht sogar zum vollen Erfolg geführt hätte. Dabei hätte sich nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen „K" ein geringerer Anfahrungsschaden an MTS „C" ergeben; dieses Manöver verbot sich nach Auffassung des Sachverständigen jedoch, weil bei dieser Art der Anfahrung verheerende Folgen hätten entstehen können, da der Koppelverband zuvor mit Benzin beladen gewesen und seit der letzten Reise noch nicht entgast war.
Die Nichtabgabe des Dreitonzeichens hat nach Auffassung des Sachverständigen, die der Senat teilt, keinen Einfluß auf den Kollisionsverlauf gehabt. Schiffsführer „0" hat, wie er bei seiner Vernehmung im Verklarungsverfahren bereits eingeräumt hatte, die entgegenkommende Talfahrt rechtzeitig erkannt. Auch die Gefahr der Kurskollision hat er gesehen. Ein Dreitonzeichen hätte seine Reaktionen nicht anders ausfallen lassen.
Ein rechtzeitiges Aufstoppen des Verbandes war angesichts der kurzen Distanz nicht mehr möglich. Der Sachverständige „K" hat zur Begründung überzeugend ausgeführt, daß zwar auf MTS „G" durch bloßen Knopfdruck der Heckanker habe gesetzt werden können, daß zum Setzen des Heckankers von „G" ein Besatzungsmitglied aber erst habe hinüberlaufen müssen."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1992- Nr.1/2 (Sammlung Seite 1354 f.); ZfB 1992, 1354 f.