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3 U 63/ 80 - Oberlandesgericht (Rheinschiffahrtsobergericht)
Entscheidungsdatum: 29.07.1980
Aktenzeichen: 3 U 63/ 80
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Köln
Abteilung: Rheinschiffahrtsobergericht

Leitsatz:

Soweit es in der Allgemeinen Hafenverordnung (AHVO) keine eigenen Vorschriften für Fahrten im Hafen gibt, gelten die Bestimmungen der Rheinschiffahrtspolizeiverordnung, so z. B. über das Begegnen.

Urteil des Oberlandesgerichts - Rheinschiffahrtsobergerichts in Köln

vom 29. Juli 1980

3 U 63/ 80

(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)

Zum Tatbestand:

Am Eingang des Hafens Rheinhausen lagen am östlichen Ufer SL S mit dem bei der Klägerin versicherten MS T auf Seite und weiter in Richtung Hafeninneres MS L. Als das ganz innen im Hafen leer gewordene, der Beklagten zu 1) gehörende und vom Beklagten zu 2) geführte MS O über Steuer Richtung Rhein befuhr, machte das mit dem Kopf hafeneinwärts liegende T los, um zu der mehr im Hafeninnern, hinter MS L gelegenen Verladestelle der Firma R. zu fahren. In Höhe des MS L stieß MS O mit seinem Backbordachterschiff gegen das Steuerbordvorschiff von MS T, das darauf gegen MS L geriet. Die Klägerin hat die an MS L entstandenen Schäden von 11522,- DM gegen Abtretung der Schadensersatzansprüche mit 10000,- DM erstattet.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Beklagten zurZahlung von 10000,- DM verurteilt. Das Rheinschiffahrtsobergericht hat auf Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:

„...

Der Klägerin stehen gegen die Beklagten keine Schadensersatzansprüche nach §§ 3,4, 114 BSchG, 823, 249, 398, 426 BGB, 1.04, 6.03, 6.04 RhSchPVO, 2, 7 AHVO zu, „denn der Unfall vom 7. März 1977 im Hafen Rheinhausen beruht nicht auf einem Verschulden der Besatzung des MS O.
Entgegen der vom Vorderrichter vertretenen Auffassung rechtfertigt der nahe dem östlichen Ufer verlaufende Kurs des MS O jedoch keinen Schuldvorwurf, insbesondere nicht die Annahme eines Verstoßes gegen § 7 AHVO. Denn nicht etwa MS O, sondern MS T hat dem Gegenfahrer keinen geeigneten Weg für die Begegnung freigelassen.
Der Verkehr in den Häfen des Landes Nordrhein-Westfalen, zu denen auch der Hafen Rheinhausen gehört, richtet sich nach den Vorschriften der „Verordnung über den Verkehr und den Güterumschlag in Häfen - Allgemeine Hafenverordnung (AHVO) - vom 31.10.1973 (GVBI. NRW 1973 S. 516). Soweit in der AHVO nichts Abweichendes bestimmt ist, sind andere, in § 2 AHVO näher bestimmte Vorschriften anwendbar. Zu diesen Vorschriften gehört nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AHVO die Rheinschiffahrtspolizeiverordnung. Zwar enthält die Allgemeine Hafenverordnung eigene Vorschriften über das Verhalten bei Fahrten im Hafen, das Begegnen von Fahrzeugen im Hafenwasser ist jedoch nicht besonders geregelt. Insoweit sind daher die Vorschriften der Rheinschiffahrtspolizeiverordnung über die Begegnung §§ 6.03 f RhSchPVO anzuwenden. Entsprechend anwendbar ist ferner § 6.01 RhSchPVO. Beim Begegnen ist danach von der Grundregel des § 6.04 Nr. 1 RhSchPVO auszugehen, daß die Bergfahrer den Talfahrern einen unter Berücksichtigung der örtlichen Umstände und des übrigen Verkehrs geeigneten Weg freilassen müssen. Wer Bergfahrer und wer Talfahrer ist, bestimmt sich nach § 6.01 RhSchPVO. Nach dieser Vorschrift bedeutet der Ausdruck „zu Berg" auf der Wasserstraße die Richtung zu den Quellen des Rheins. Entsprechend muß bei der Fahrt in einem Hafen derjenige als Bergfahrer angesehen werden, der sich von der Hafeneinfahrt hafeneinwärts zum Ende des Hafens hin bewegt. Das aber war hier MS T, das von seiner Liegestelle neben SL S hafeneinwärts fahren wollte, um an der Verladeanlage der Firma R. vorzulegen. Dabei ist es nach der Überzeugung des Senats ohne Bedeutung, daß MS T nur ein kleineres Verholmanöver unternahm. Denn in allen Fällen, in denen der Kurs eines in Fahrt befindlichen Fahrzeuges für den Kurs eines anderen in Bewegung befindlichen Fahrzeugs von Bedeutung ist, und es innerhalb des Hafenwassers zu einer Begegnung der Fahrzeuge kommt, sind die Vorschriften der Rheinschiffahrtspolizeiverordnung über das „Begegnen und Überholen" (§§ 6.03 f RhSchPVO) anzuwenden.
MS T hat als Bergfahrer dem MS O kein Zeichen zur Kursweisung gegeben. Unter diesen Umständen mußte nach § 6.04 Nr. 2 RhSchPVO die Begegnung Backbord/Backbord durchgeführt werden. Entsprechend der eigenen Kursweisung hätte MS T nicht nach Backbord halten, sondern in die westliche Hälfte des Hafenwassers ausweichen müssen, wo genügend Raum war, um ungefährdet vorbeizufahren. Es war deshalb nautisch fehlerhaft, wenn MS T Backbordkurs nahm, um zwischen L und O durchzufahren, wo kein ausreichender Raum vorhanden war. Mithin hat T dem MS O keinen geeigneten Weg freigelassen. Darauf beruht der Unfall. Die hier gegebenen Umstände zwangen den Beklagten zu 2) auch nicht zu Maßnahmen, deren Unterlassung ihm zum Verschulden gereichen. Der Kurs des zu Berg fahrenden MS T nahe dem östlichen Hafenufer in Verbindung mit der unterbliebenen Zeichengebung zur Kursweisung schuf für das zu Tal fahrende MS O sicherlich eine unklare Lage. Mit Rücksicht darauf, daß die Risiken einer durch eine verfehlte Kursweisung des Bergfahrers eingetretene unklare Lage grundsätzlich zu Lasten des Bergfahrers gehen müssen, kommt ein Mitverschulden des Talfahrers nur in Betracht, wenn er Fehler begeht, die trotz der Besonderheit dieser Lage unentschuldbar sind (vgl. dazu auch BGH, VersR 1973, 816). Für eine solche Annahme bestehen hier keine ausreichenden Anhaltspunkte. Denn einerseits waren die von beiden Schiffen bis zu ihrem Zusammenstoß durchfahrenen Strecken relativ gering. Andererseits machte MS O, das zunächst über Steuer fuhr, nach den Bekundungen des Zeugen E. wieder voraus, als der Anprall erfolgt. Daraus folgt, daß die Besatzung des MS O versucht hat, durch Maschinenmanöver den Zusammenstoß zu vermeiden.
...“