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Leitsatz:
Bleibt ein Unfall ungeklärt und kann keinem der Unfallbeteiligten Schiffsführer ein schuldhaftes nautisches Fehlverhalten nachgewiesen werden, muss, wenn kein Anlass zur Abweichung von der allgemeinen Beweislastregel gegeben ist, die Schadensersatzklage der beweisfälligen Partei abgewiesen werden.
Urteil des Oberlandesgerichts (Moselschifffahrtsobergerichts) Köln
vom 20.11.2001
- 3 U 58/01 BSchMO -
(Moselschifffahrtsgericht St. Goar)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin ist Versicherer des TMS S (77,93 m lang, 8,20 m breit, 1103 t groß), das am 11. November 1999 gegen 6.00 Uhr auf der Mosel leer zu Tal fuhr. Bei Mosel-km 71,250 kam es bei der Begegnung mit dem in Spargelformation, der Beklagten zu 1. gehörenden und von dem Beklagten zu 2. gesteuerten, beladen zu Berg fahrenden Koppelverband MS K (110 m lang, 11,45 m breit und 2700 t groß)/SL P (62 m lang, 11,40 m breit und 1600 t groß) zu einer Anfahrung. Die Köpfe beider Fahrzeuge berührten sich auf der Backbordseite. TMS S wurde beschädigt, während der Schubleichter keine sichtbaren Schäden davon trug. Die Klägerin hat den Eigentümern des TMS S Deckung gewährt und macht den in Zusammenhang mit dem Unfall entstandenen Schaden gegen die Beklagten als Gesamtschuldner geltend.
Die Klägerin behauptet, TMS S sei gemeinsam mit GMS E aus der Schleuse St. Aldegund, in deren Oberwasser man Nachtruhe gehalten habe, ausgefahren. Das vorausfahrende GMS habe sich sofort nach der Ausfahrt, dann aber immer wieder an den auf der Mosel üblichen Meldestellen über Funk als Talfahrer gemeldet, wobei sein Schiffsführer jeweils angegeben habe, dass zwei Talfahrer unterwegs seien. Auf keinen Ruf habe sich ein Bergfahrer gemeldet. Als die Schiffe dann die Flussbiegung in Höhe Ediger bei Mosel-km 71,5 hätten umfahren wollen, hätten sie plötzlich den Koppelverband quer im Strom liegend gesehen. MS E sei es gerade noch gelungen, den Koppelverband zu passieren. Dabei habe dieser sein Heck aber nach Steuerbord lenken müssen und sei dadurch mit dem Vorschiff so weit in dem Kurs von TMS S gefahren, dass dessen Schiffsführer keine Möglichkeit mehr gehabt habe, den Verband ohne Berührung zu passieren.
An TMS S sei ein Schaden in Höhe von insgesamt 41.176,50 DM entstanden.
Die Beklagten bestreiten, mit dem Vorschiff in den Kurs von TMS S geraten zu sein. Der Beklagte zu 2. habe sich über Kanal 10 seit der Ausfahrt aus der Schleuse Fankel an den üblichen Orten als bergfahrender Koppelverband gemeldet. Auch sei die Begegnung mit dem entgegenkommenden TMS E Backbord an Backbord abgesprochen gewesen. Diese sei aber problemlos verlaufen. Schon deshalb könne die Behauptung der Klägerin, der Koppelverband habe quer im Strom gelegen, nicht zutreffend sein. Für den Beklagten zu 2., der fast ausschließlich die Mosel befahre, sei es kein Problem gewesen, mit einer Geschwindigkeit von vielleicht 2 km/h den Koppelverband an den grünen Tonnen entlang zu fahren. Deshalb habe er bei der Passage von GMS E keinerlei Manöver fahren müssen. Vor der Anfahrung habe ihn das TMS auch nicht um mehr Platz gebeten, den er zudem nicht habe geben können. Erst nach der Kollision habe sich TMS S über Funk gemeldet. Der Unfall sei offenbar darauf zurückzuführen, dass der Schiffsführer von TMS S, den er noch nie auf der Mosel gesehen habe, die örtlichen Bedingungen nicht gekannt habe.
Das Moselschifffahrtsgericht hat die Schadensersatzklage abgewiesen. Die Berufung hatte keinen Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Die Beklagten zu 1) und 2) haften der Klägerin nicht als Gesamtschuldner aus übergegangenem Recht gemäß §§ 3, 4, 7. 102 Nr. 4, 114 BSchG, 1.04, 6.03 Ziffer 3, 6.04 MoSchPVO in Höhe von 41.177,50 DM. Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass der Beklagte zu 2) durch ein nautisches Fehlverhalten die Kollision schuldhaft herbeigeführt hat. Der Unfallhergang ist nicht weiter aufklärbar und den Beklagten ist auch im übrigen kein nautisches Fehlverhalten, welches schadensursächlich hätte werden können, vorzuwerfen.
Darlegungs- und beweispflichtig für eine schuldhafte Unfallverursachung ist die Klägerin als Anspruchsstellerin.
Grundsätzlich hat nämlich jede Partei die tatbestandlichen Voraussetzungen einer von ihr in Anspruch genommenen Norm zu beweisen. Das gilt auch im Kollisionsprozess der Binnenschifffahrt (vgl. BGH VersR 1975, 639, 640). Allerdings kann bei besonders liegenden Fällen in derartigen Streitsachen es notwendig erscheinen, von der allgemeinen Beweislastregel abzuweichen, um auch insoweit zu einer billigen und gerechten Entscheidung zu gelangen. So hat der BGH die Beweislast für die Zulässigkeit von solchen Manövern, die nach allgemeiner Erfahrung den durchgehenden - durch zahlreiche schifffahrtspolizeilichen Vorschriften ausdrücklich bevorrechtigten - Verkehr behindern, gefährden oder ihm Schaden zufügen können, demjenigen Fahrzeug auferlegt, das ein solches Manöver ausführt. Dadurch wird auch dem Gedanken Rechnung getragen, dass ein Fahrzeug, das sich über die Zulässigkeitsvoraussetzungen solcher Manöver rücksichtslos hinwegsetzt, nicht noch dadurch begünstigt wird, dass die Beweislage in Kollisionsstreitigkeiten ohnehin oftmals besonders schwierig ist (vgl. BGH a.a.0.).
Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben. Streit herrscht zwischen den Parteien darüber, ob dem Beklagten zu 2) oder dem Schiffsführer des TMS S ein nautischer Fehler mit der Folge unterlaufen ist, dass der Kopf der jeweils von ihm geführten Schiffseinheit nach Backbord in den Kurs des Begegners verfallen ist. Zwischen den Parteien ist gerade nicht unstreitig, dass der Beklagte zu 2) ein gefährliches Fahrmanöver entgegen den Vorschriften des MoSchPVO oder sonstiger Binnenschifffahrtsvorschriften unternommen hatte, welches schadensursächlich für die Havarie geworden wäre. Nur in diesem Fall hätte sich der Beklagte zu 2) zu entlasten. Aufgrund der vorgefundenen Sachlage ist die Klägerin als Versicherer des Talfahrers beweisbelastet. Bei einer Begegnungskollision hat nämlich der Talfahrer zu beweisen, dass ihm der Bergfahrer keinen geeigneten Weg gewiesen hat (vgl. Bemm, RhSchPVO, 3. Aufl. § 6.03 Rdnr. 50). Die Klägerin ist beweisfällig geblieben.
Zwar ist zwischen den Parteien streitig, ob der Beklagte zu 2) dem Schiffsführer von TMS S für die Backbordbegegnung den Weg gewiesen hat. Allerdings steht auch zur Überzeugung des Senates aufgrund der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme fest, dass der Beklagte zu 2) als Schiffsführer des in Spargelformation fahrenden Schiffsverbandes rechtzeitig Kontakt zu dem TMS S vorausfahrenden MS E aufgenommen hatte und die Backbordbegegnung abgesprochen hatte. Dies muss auch der Schiffsführer von TMS S mitgehört haben. Er wählte nämlich den gleichen Begegnungskurs wie MS E. Von daher ist es nach Auffassung des Senates auch ohne Belang, ob zuvor zwischen dem Schiffsführer des Schiffsverbandes, dem Beklagten zu 2), und dem Schiffsführer von TMS S Funkkontakt bestand. Jedenfalls hatte der Beklagte zu 2) per Funk den Schiffsführer von MS E, den Zeugen H über seine Bergfahrt informiert und die Begegnung Backbord an Backbord abgesprochen. Hatte dann aber, wie die Klägerin vorträgt, der Schiffsführer von TMS S den Funk auf Kanal 10 mitgehört, hätte er diese Absprache mitbekommen müssen. Tatsächlich hat er sich auch wie der Schiffsführer von MS E verhalten. Behauptet dann aber der Talfahrer, der Bergfahrer habe ihm keinen geeigneten Weg freigelassen, muss er diese Behauptung nach den allgemeinen - oben genannten - Grundsätzen beweisen (vgl. BGH VersR 1961, 1132 ff.). Dabei ist einem Schubverband zur Meidung von Schwierigkeiten ein möglichst breiter Begegnungsraum einzuräumen (vgl. Bemm a.a.O., § 6.04 Rdnr. 15).
Entgegen der Auffassung der Klägerin hat das Moselschifffahrtsgericht die erhobenen Beweise richtig gewürdigt. Es kann nicht als bewiesen angesehen werden, dass sich bei der Begegnung der Koppelverband mit dem Bug am Ufer festsaugte und dadurch mit dem Kopf nach Backbord in die Fahrlinie von TMS S verfiel. Diesen Sachverhalt konnten die vom Moselschifffahrtsgericht gehörten Zeugen nicht bestätigen. Ein unmittelbarer Kollisionszeuge steht nicht zur Verfügung. Vielmehr haben die Zeugen He (Schiffsführer von TMS S) und Ha (zweiter Schiffsführer von TMS S) die Schiffskollision erst durch den Anstoßruck tatsächlich bemerkt. Ihren Aussagen kann nicht entnommen werden, dass sie sich vor der Kollision einer ganz konkreten Havariegefahr bewusst gewesen wären.
Aufgrund der herrschenden Dunkelheit war es auch für die beiden genannten Zeugen sehr schwierig, ihren genauen Kurs zu erkennen. Allein die Tatsache, dass sie sich kurz vor der Kollision hart am Ufer hielten, sagt nichts dazu aus, dass TMS S nicht doch im Augenblick der Kollision leicht nach Backbord mit dem Kopf verfiel und so den Zusammenstoß herbeiführte. An der Kollisionsstelle ist die Mosel relativ eng, so dass schon ein leichtes Verfallen des Schiffes schadensursächlich werden konnte. Jedenfalls steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht fest, dass die klägerischen Behauptungen zum Unfallhergang zutreffen. Dieser kann als ungeklärt angesehen werden.
Nicht beanstandet werden kann, dass das Moselschifffahrtsgericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 287 ZPO bei den zu würdigenden erhobenen Beweise auch das Ergebnis der informatorischen Anhörung des Beklagten zu 2) zum Unfallhergang mitberücksichtigt hat. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat das Moselschifffahrtsgericht den Beklagten zu 2) nicht als Partei vernommen. Vielmehr hat es im Rahmen der Abwägung der erhobenen Beweise - insbesondere der Würdigung der Zeugenaussagen - die Einlassung des Beklagten zu 2) auf ihre Plausibilität hin überprüft und zur Beweiswürdigung mit herangezogen. Das kann nicht beanstandet werden. Das Gericht hat sich aus der Gesamtheit der Verhandlung eine Überzeugung zu bilden. Hierzu gehört auch das Ergebnis der informatorischen Anhörung des Beklagten zu 2).
Dies gilt umso mehr, als auch der Zeuge H den Vortrag der Klägerin nicht bestätigen konnte. Seine Aussage zu einem möglichen Verfallen des Kopfes des Koppelverbandes ist so vage, dass diese Aussage den Beweis eines schuldhaften nautischen Fehlverhaltens des Beklagten zu 2) nicht rechtfertigt. Blieb demnach der Unfall ungeklärt und kann keinem der unfallbeteiligten Schiffsführer ein schuldhaftes nautisches Fehlverhalten nachgewiesen werden, so musste die Klage abgewiesen werden.
Eine Schadensquotelung kam nicht in Betracht, da im Binnenschifffahrtsrecht eine Gefährdungshaftung nicht gegeben ist. Gehaftet wird nur für schuldhaftes Fehlverhalten...."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2002 - Nr.3 (Sammlung Seite 1857 f.); ZfB 2002, 1857 f.