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3 U 45/95 BSch - Oberlandesgericht (Schiffahrtsobergericht)
Entscheidungsdatum: 23.12.1997
Aktenzeichen: 3 U 45/95 BSch
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Köln
Abteilung: Schiffahrtsobergericht

Leitsatz:

Ist ein im Hafen stilliegendes Schiff infolge Wassereinbruchs gesunken, der auf eine Tage vorher stattgefundene Grundberührung zurückzuführen ist, werden die Leistungen aus Versicherungsverträgen geschuldet, wenn das Schiff bei Antritt der Reise ladungsund fahrtüchtig war und dem Schiffsführer keine Obliegenheitsverletzungen gemäß den Versicherungsbedingungen anzulasten sind.

Urteil des Oberlandesgerichts (Schiffahrtsobergerichts) Köln

vom 23.12.1997

3 U 45/95 BSch

(Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)

Zum Tatbestand:

Am 1.1.1994 sank im Neusser Hafen das dem Kläger gehörende MS „W". Die Beklagten sind Schiffsversicherer, die der Kläger auf Ersatz des ihm entstandenen Schadens in Anspruch nimmt.

Mit dem Beklagten zu 1) hatte der Kläger eine Schiffsversicherung zu einem Wert von 430.000 DM abgeschlossen. Gegenstand des Versicherungsvertrages war auch eine Hypothekenklausel B, nach welcher der Beklagte zu 1) sich unter anderem verpflichtete, hinsichtlich der zugunsten der Bank in H im Schiffsregister eingetragenen Schiffshypothek in Höhe von derzeit 209.000 DM Einwendungen wegen einer Fahruntüchtigkeit des Schiffs nicht zu erheben. In § 1 der zum Vertragsinhalt gehörenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten zu 1) heißt es unter anderem: „Der Verein versichert ein Schiff nur dann, wenn es sich in einem guten und fahrtüchtigen Zustand... befindet".

Bei der Beklagten zu 2) hatte der Kläger eine Transport- und Haftpflichtversicherung geschlossen, die unter anderem das Risiko der Beschädigung und des Verlustes der Ladung, der Wrackbeseitigungskosten und der Gewässerhaftpflicht beinhaltet. In Nr. 2 der zum Gegenstand des Vertrages gewordenen „Besonderen Bedingungen" der Beklagten zu 2) sowie § 1, 1, Nr. 3 der „Allgemeinen Bedingungen" (TuHAVB) heißt es, daß der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei ist, wenn ein Schaden durch Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit entstanden ist.

Nachdem der Kläger verschiedene Investitionen in bezug auf sein aus dem Jahre 1943 stammendes Schiff, welches eine Tragfähigkeit von 898 Tonnen besitzt und mit einem 324 PS starken Motor, Baujahr 1952 ausgestattet ist, vorgenommen hatte, taxierte ein Schiffssachverständiger 1993 den Wert des Schiffes auf 350.000 DM.
Am 30.12.1993 übernahm der Kläger mit MS „W" in Voerde eine Partie von ca. 840 Tonnen Gips und trat gegen 14 Uhr die Reise zum Hafen Neuss an. Infolge der bis zur maximalen Tragfähigkeit fehlenden ca. 50 Tonnen war das Schiff leicht achterlastig. Gegen 17 Uhr stoppte der Kläger in Höhe der Kupferhütte in Duisburg-Rheinhausen die Maschine, um zusammen mit seinem an Bord befindlichen Matrosen B eine im Wasser treibende Person zu retten, was jedoch nicht gelang. Der Kläger hat behauptet, bei dem Rettungsmanöver sei das linksrheinisch fahrende Schiff nach Steuerbord verfallen und habe beim Aufstrecken eine Grundberührung im Bereich der infolge des herrschenden Hochwassers überschwemmten linksrheinischen Kribben gehabt. Gegen 22 Uhr suchte der Kläger bei Düsseldorf einen Ankerplatz auf und setzte die Fahrt am nächsten Morgen etwa um 8.30 Uhr fort. Gegen 10 Uhr erreichte das Schiff den Neusser Hafen und machte längsseits des dort bereits liegenden MS „R" fest. Etwa um 12 Uhr verließen der Kläger und sein Matrose, die bis zum 2.1.1994 an Land bleiben wollten, MS „W", dessen Löschung für den 3.1.1994 vorgesehen war. Der Kläger sprach sich mit dem Steuermann des MS „R" und seinem Matrosen ab, daß diese bei Veränderung der Wasserstände vorzeitig zurückzukommen sollten, um die Drähte zu versetzen.

Am Vormittag des 1.1.1994 sank MS „W" infolge Wassereinbruchs. In der Schadensmeldung für die Beklagte zu 1) gab der Kläger als mögliche Erklärung des Wassereinbruchs die von ihm behauptete Grundberührung im Bereich der Duisburger Kupferhütte an, bewertete diese Möglichkeit aber als sehr unwahrscheinlich.

In dem zur Ursachenermittlung des Sinkens eingeleiteten Verklarungsverfahren bekundete der Matrose B als Zeuge, von einer Grundberührung bei Duisburg nichts zu wissen, wohl habe es eine solche am 31.12.1993 bei Düsseldorf unterhalb der Neusser Brücke gegeben. Auf Vorhalt dieser Angaben ergänzte der Kläger seine zuvor aufgenommenen eigenen Aussage dahin, es habe sich bei Düsseldorf, anders als bei Duisburg, nicht um eine regelrechte Grundberührung, sondern nur um ein leichtes Touchieren im Kies gehandelt.

Die Beklagten lehnten jegliche Deckung ab und beriefen sich auf „in der Verklarung festgestellte grobe Sorgfaltspflichtverstöße" sowie „unrichtige bzw. unvollständige Angaben nach dem Unfall".

Mit der Klage nimmt der Kläger unter Berücksichtigung, daß der Beklagte zu 1) an die Bank in H 209.000 DM und an ihn 13.000 DM gezahlt hat, beide auf Ersatz der ihm entstandenen und noch entstehenden Schäden in Anspruch. Demgegenüber verlangt der Beklagte zu 1) die Rückerstattung des von ihm an die Hypothekenbank gezahlten Betrages über 209.000 DM und die bereits vorab an den Kläger ausgezahlten 13.000 DM, ferner vorprozessual angefallene Rechtsanwaltskosten in Höhe von 4.031,10 DM, abzüglich des für das Wrack von MS „W` erzielten Verwertungserlöses, so wie er in Höhe von 20.000 DM an den Beklagten zu 1) abgeführt worden ist.

Der Kläger hat behauptet, bei Antritt der Fahrt sei MS „W" in einem ladungs- und fahrtüchtigen Zustand und vor der Grundberührung in Duisburg dicht gewesen. Er habe in seiner Schadensmeldung und zunächst auch im Verklarungsverfahren das leichte Touchieren über Kies bei Düsseldorf nicht erwähnt, weil er diesem Vorfall keinerlei Bedeutung für das spätere Sinken des Schiffs beigemessen habe.

Der Kläger hat beantragt,

1. den Beklagten zu 1) zu verurteilen, an ihn 221.000 DM nebst Zinsen von.... zu zahlen,

2. den Beklagten zu 1) und die Beklagte zu 2) gesamtschuldnerisch haftend zu verurteilen, den Kläger von allen Schäden freizustellen, die diesem daraus erwachsen sind und noch erwachsen werden, daß er für die Kosten der Bergung und die Entstehung von Hafengeld für das gehobene Wrack des MS „W" in Anspruch genommen wird,

3. festzustellen, daß dein Beklagten zu 1) keine Rückzahlungsansprüche gegen den Kläger zustehen mit der Behauptung, lediglich aufgrund der in den Versicherungsbedingungen vereinbarten Hypothekenklausel B an die Bank in H einen Betrag in Höhe von 209.000 DM gezahlt zu haben,

4. die Beklagte zu 2) zu verurteilen, den Kläger von allen Schäden freizustellen, die diesem daraus erwachsen werden, daß er für die Kosten der infolge des Sinkens des MS „W" entstandenen Gewässerverunreinigungen und der in diesem Zusammenhang seitens der Feuerwehr getroffenen Maßnahmen in Anspruch genommen wird,

5. die Beklagte zu 2) zu verurteilen, den Kläger von allen Schäden freizustellen, die diesem daraus erwachsen sind und noch erwachsen werden daß er von den Ladungsinteressenten der zum Zeitpunkt des Sinkens in MS „W" befindlichen Ladung Gips in Anspruch genommen wird,

6. den Beklagten zu 1) zu verurteilen, an den Kläger weitere 20.000 DM nebst Zinsen ... zu zahlen.

Die Beklagten haben widerklagend beantragt, den Kläger zu verurteilen, an den Beklagten zu 1) 206.03 DM nebst Zinsen.... zu zahlen. Sie haben vorgetragen, das Schiff sei schon bei Reiseantritt in einem fahr- und ladungsuntüchtigen Zustand gewesen; am 31.12.1993 habe MS „W" bei Düsseldorf eine deutliche Grundberührung gehabt.

Das Schiffahrtsgericht hat der Klage im wesentlichen bis auf den Antrag zu 6. stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Nur die Berufung der Beklagten zu 1) hatte teilweise Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

„Die Beklagten schulden die sich aus den Versicherungsverträgen abzuleitenden Leistungen wegen des Untergangs von MS „W", weil dem Kläger keine Obliegenheitsverletzungen gemäß §§ 26 Ziff. 2, 28 Ziff. 1 u. 3. 29 Ziff. 3 AVB Flußkasko sowie § 1 Ziff. 3 Tu HAVB anzulasten sind, die eine Befreiung von der Leistungspflicht zu begründen vermögen.

1. Der Senat folgt der Einschätzung des Schiffahrtsgerichts, daß MS „W" bei Antritt der Reise am 30.12.1993 ladungsund fahrtüchtig war.
Auch der Umstand daß das Schiff überhaupt gesunken ist, deutet nicht auf eine Fahruntüchtigkeit hin, denn der Wassereintritt erfolgte über ein frisches Leck, welches sich MS „W" auf der Fahrt zugezogen haben muß.

2. Relevante vorsätzlich oder grob fahrlässig begangene nautische Fehler lassen sich aus dem Parteienvortrag nicht ableiten.

3. Schließlich können dem Kläger auch keine für das Sinken des Schiffs signifikanten Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit dem Verlassen des Schiffs vorgeworfen werden.

a) Es kann dahinstehen, ob das Verschließen der Ventile in der Küchenspüle und der Duschtasse bei jedem Verlassen des Schiffs grundsätzlich aus Gründen allgemeiner Vorsicht angezeigt erscheint. Das Sinken des Schiffs wäre dadurch jedenfalls nicht zu verhindern gewesen, denn das Wasser konnte durch das Wohnungsschott in den Store- und Laderaum eindringen. War das Schiff dann so weit eingetaucht, daß das Wasser durch die nicht verschlossenen Abflüsse eindringen konnte, war gleichzeitig ein Stadium erreicht, in dem das Wasser bereits durch die Eingangstür der Wohnung und später die Fenster seinen Weg ins Innere fand.

b) Das Verlassen des Schiffs, ohne eine Aufsichtsperson zurückzulassen, stellt grundsätzlich keine Pflichtverletzung im Rahmen der Versicherungsverhältnisse dar. Hinsichtlich der Bestimmung des § 18 Abs. 2 der Allgemeinen Hafenordnung - NW, die bestimmt, daß der Schiffsführer für die Zeit seiner Abwesenheit einen schiffahrtskundigen Vertreter einzusetzen hat, der kurzfristig erreichbar sein und über das Fahrzeug und seine Ladung Auskunft geben kann, wird auf die entsprechenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen, denen sich der Senat vollinhaltlich anschließt.
Auch § 7.08 RhSchPolV0 bestimmt nur die Beaufsichtigung eines Stilliegers, wenn die örtlichen Verhältnisse dies erfordern. MS „W" wurde jedoch an eine geschützte Stelle des Hafens gelegt. Zudem war der Schiffer von M S „R", an dem MS „W" festgemacht war, unterrichtet.

c) der Senat teilt auch die Einschätzung des Schiffahrtsgerichts, daß bei einer alleinigen Grundberührung bei Duisburg für den Kläger keine Veranlassung bestand, eine ständige Wache auf dem Schiff abzustellen, um einem etwaigen Wassereintritt infolge eines Lecks begegnen zu können. Nachdem sich bis zum Erreichen des Neusser Hafens kein Wassereintritt gezeigt hatte, was aber bei einer am Vortag bereits erlittenen Leckage bei Duisburg hätte erwartet werden können, brauchte der Kläger mit einem solchen auch nicht mehr zu rechnen.

d) Nicht anzuschießen vermag der Senat sich jedoch der Auffassung des Schiffahrtsgerichts, es hätte für den Kläger auch dann, wenn man davon ausgeht, die das Leck verursachende Grundberührung habe - entgegen den Angaben des Klägers in seiner Schadensmeldung - bei Düsseldorf stattgefunden, zur weiteren Beaufsichtigung des Schiffs keine Veranlassung bestanden. In diesem Fall stellt das Verlassen des Schiffs eine Sorgfaltsverpflichtung dar. Hatte im zeitlichen Abstand von wenigen Stunden vor dem Erreichen des Neusser Hafens eine nicht unerhebliche Grundberührung bei Düsseldorf stattgefunden, wie sie von dem Matrosen B geschildert worden ist, hätte es dem Kläger oblegen, wegen einer möglichen Beschädigung des Schiffsrumpfs noch über einen längeren Zeitraum das Schiff auf Wassereinbruch zu überprüfen. Das Verlassen des Schiffs unter diesen Umständen ohne Zurücklassen einer Aufsichtsperson würde sich deshalb als vorwerfbare Verletzung einer den Kläger als Schiffer und Eigentümer des versicherten Schiffs treffenden Sorgfaltspflicht darstellen und damit einerseits den Vorwurf der grob fahrlässigen Schadens (mit) Verursachung durch Unterlassen (§ 1 Ziff. 3 Tu HAVB), andererseits den einer Obliegenheitsverletzung infolge falscher Unfallangaben gegenüber dem Versicherer (§ 29 Ziff. 3 AVB Flußkasko) rechtfertigen.

Aufgrund der im Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme ist jedoch zur Überzeugung des Senats bewiesen, daß eine das Leck verursachende Grundberührung bei Düsseldorf nicht stattgefunden hat und das Leck - in Übereinstimmung mit den Angaben des Klägers - durch eine Grundberührung bei Duisburg entstanden ist....
Die ... Umstände belegen jedoch einerseits nicht zwingend eine Grundberührung bei Düsseldorf am 31.12.1992 und widerlegen andererseits nicht eine solche am 30.12.1992 bei Duisburg. Der Zeitpunkt des Sinkens von MS „W" läßt sich auch in Einklang bringen mit einer infolge einer Grundberührung bei Duisburg hervorgerufenen Leckage....
Kommt eine Grundberührung bei Düsseldorf, wie sie von dem Matrosen B angenommen worden ist, nicht in Betracht, erscheint auch die Erklärung des Klägers im Verklarungsverfahren verständlich, der auf Vorhalt ein „leichtes Touchieren im Kies" eingeräumt hat, später im Prozeß als Erklärung aber von einem in die Schiffsschraube geratenen Fremdkörper ausgegangen ist, der zu einer Erschütterung des Schiffs geführt habe, die der bei einer Grundberührung vergleichbar sei.
Scheidet eine Grundberührung bei Düsseldorf als Schadensverursachung somit aus, kommt mangels vorgetragener anderer Möglichkeiten nur die von dem Kläger geschilderte Grundberührung im Zusammenhang mit dem Rettungsmanöver bei Duisburg am 30.12.1992 gegenüber der Kupferhütte auf der Rheinhausener Seite in Betracht....
Nach alledem waren die Berufungen im wesentlichen als unbegründet zurückzuweisen. Hiervon ausgenommen ist teilweise die Berufung des Beklagten, soweit sie sich gegen die Zahlungsklage zu Ziff. 1 richtet. In Abzug zu bringen ist der für das Wrack erzielte weitere Erlös über - wie unstreitig ist - 45.000 DM, der nicht an den Beklagten zu 1) geflossen ist. Diesen Restwert muß sich der Kläger auf die Versicherungsleistung anrechnen lassen. Zu reduzieren war auch der Zinsanspruch....."  

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1998 - Nr.12 (Sammlung Seite 1692 ff.); ZfB 1998, 1692 ff.