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3 U 45/93 - Oberlandesgericht (Rheinschiffahrtsgericht)
Entscheidungsdatum: 29.10.1993
Aktenzeichen: 3 U 45/93
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Köln
Abteilung: Rheinschiffahrtsgericht

Leitsatz:

Die Anforderungen, die nach den §§ 1.02 Nr. 1, 6.32 Nr. 2 RheinSchPVO an die Schiffsführung bei der Radarfahrt gestellt werden, gebieten Füh­rung des Schiffs und Auswertung des Radarbildes durch eine Person, die sowohl das Rheinschifferpatent als auch das Radarschifferzeugnis besitzt. Eine Verteilung der Schiffsführung und der Radarbeobachtung auf zwei Personen birgt zu viele Gefahren in sich.

Urteil des Oberlandesgerichts (Rheinschiffahrtsobergerichts) Köln

vom 29.10.1993 

  3 U 45/93

(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)

 

Zum Tatbestand: 

Am 6.12.1990 kollidierte das TMS "Arbon", dessen Versicherer die Klägerin ist, bei Rhein-km 726 (Stürzelberg) bei unsichtigem Wetter auf der Bergfahrt mit dem Koppelverband "Heester II" des Beklagten zu 1, dessen Schiffsführer der Beklagte zu 2 war. Beide Schiffe fuhren mit Radar. DerBeklagte zu 2 besaß kein Radarschifferzeugnis.

Die Klägerin hat behauptet, TMS "Arbon" sei in einer Kette mit sechs weiteren Bergfahrern linksrheinisch gefahren und es sei jeweils von der Talfahrt die Begegnung Backbord an Backbord verlangt worden. Als "Heester II" ins Radarbild gekommen sei, habe man von diesem ebenfalls eineBegegnung Backbord an Backbord gefordert. Eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord sei angesichts eines Abstands von 40 - 50 m des TMS "Arbon" zum linksrheinischen Ufer auch nicht in Frage gekommen. Gleichwohl sei "Heester II" linksrheinisch geblieben und habe diesen Kurs auch im Laufe der weiteren Annäherung nicht geändert. Daraufhin habe man auf TMS "Arbon" mit der Maschine vollan zurückgeschlagen und versucht, nach Backbord auszuweichen. Ein Ausweichen zum linksrheinischen Ufer hin sei nicht möglich gewesen, da TMS "Arbon" bereits dicht am Ufer gewesen sei.

Die Beklagten haben behauptet, der Koppelverband "Heester II" sei ordnungsgemäß rechtsrheinisch gefahren. Der Beklagte zu 2) habe den Verband nach Weisung des das Radar beobachtenden Beklagten zu 1) gesteuert. An der Verladestelle Stürzelberg hätten sich linksrheinisch drei bis vier Anker- bzw. Stillieger befunden. Eine Kursanweisung auf UKW-Funk sei durch TMS "Arbon" nicht gegeben worden, angesichts der klaren Kurse auch nicht erforderlich gewesen. Als beide Schiffe noch etwa 400 m voneinander entfernt gewesen seien, habe sich TMS "Arbon" auf Höhe der Stillieger befunden und etwas Backbordkurs genommen. Man sei auf "Heester II" davon ausgegangen, TMS "Arbon" wolle lediglich die Stillieger freifahren. Dann sei TMS "Arbon" aber immer weiter in das Fahrwasser der Talfahrt nach Backbord ausgeschert. "Heester II" sei noch etwas weiter nach Steuerbord ausgewichen. Schließlich sei es etwa in Rheinmitte oder etwas mehr rechtsrheinisch zur Kollision gekommen.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat der Schadensersatzklage dem Grunde nach stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:

„…Den Beklagten zu 2) als Schiffsführer ohne Radarpatent trifft ein Verschulden. Er kann sich nicht erfolgreich darauf berufen, auf Anweisungen des Beklagten zu 1) gefahren und deshalb nicht verantwortlich gewesen zu sein. Auch ohne Radarpatent ist er doch der verantwortliche Schiffsführer gewesen, der das Schiff nach Radarsicht selbständig gesteuert hat, wie sich auch aus seiner Aussage in dem Bußgeldverfahren ergibt. Daß sein Sohn, der Beklagte zu 1), ihn insbesondere im zeitlichen Zusammenhang mit der Kollision im einzelnen angewiesen hat, läßt sich dem Klägervortrag nicht entnehmen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es erwiesen, daß auch "Heester II" von TMS "Arbon" über Kanal 10 auf den Backbordkurs hingewiesen worden ist...

Geht man von der Richtigkeit des übrigen Klägervortrags aus, so kommt es letztlich auf die Meldung des TMS "Arbon" über Funk ohnehin nicht an. Die Beklagten wollen ja TMS "Arbon" im Radar geortet haben und von einer - ohne ausdrücklichen abweichenden Wunsch des Bergfahrers normalen - Backbordbegegnung ausgegangen sein.

Was hinsichtlich des von TMS "Arbon" gefahrenen Kurses die Schätzungen des Zeugen N zum Uferabstand des TMS "Arbon" betrifft, die mit 15 bis 20 m bedeutend geringer ausfällt als die des Zeugen V mit etwa 50 m, so lassen sich aus den Unterschieden keine der Glaubwürdigkeit dieser Zeugen abträgliche Schlußfolgerungen ziehen. Entfernungsschätzungen dieser Art fallen naturgemäß unterschiedlich aus.

Im übrigen geht es nur darum, daß die von TMS "Arbon" angeführte Reihe der Bergfahrer auf der linksrheinischen Seite in angemessenem Abstand zum Ufer fuhr. Das wird aber letztlich auch von den Beklagten bestätigt. Danach war der Kurs von TMS "Arbon" eindeutig als Backbordbegegnungskurs erkennbar. Erst bei einem Abstand von 400 m soll TMS "Arbon" nach Backbord ausgeschert sein, was der Zeuge V bei einer geringeren Abstandsentfernung von etwa 200 m als sein Ausweichmanöver beschreibt. Dessen Erklärung ist auch naheliegend, denn es ist keine andere Veranlassung für dieses Manöver ersichtlich als eben die, eine Kopf auf Kopf Kollision mit "Heester II" vermeiden zu wollen.

Das TMS an dieser Stelle Ankerlieger freifahren wollte, erklärt nicht den extremen Backbordkurs bei Gegenverkehr. Soweit in diesem Bereich Schiffe an dem Verladekai gelegen haben, ergab sich hierdurch für die linksrheinische Bergfahrt, wie man nicht nur der Aussage des Zeugen V, sondern auch der des Zeugen N entnehmen kann, keine Probleme für die Vorbeifahrt, die eine wesentliche Kursabweichung erforderten.

Spricht das Ergebnis der Zeugenvernehmungen schon eindeutig für die Klägerdarstellung, so fällt darüber hinaus noch zu Lasten der Beklagten ins Gewicht, daß "Heester II" für die Nebelfahrt nicht ordnungsgemäß besetzt war, denn keiner der Beklagten hatte sowohl das Rheinschifffahrts- als auch das Radarpatent (** 1.02, 1.09, 4.06 Nr. 1 d, 6.32 Nr. 2 RheinSchPVO). Der von den Beklagten vertretenen Ansicht, es genüge, wenn sich im Steuerhaus eine Person nur mit Rheinschiffer- Zeugnis und eine weitere nur mit Radarschifferzeugnis aufhalte, kann nicht gefolgt werden.

Die Rheinschiffahrtspolizeiverordnung normiert nach ihrem Sinn und Zweck Anforderungen an die Schiffsführung, die die sichere Fahrt unter Radar bei unsichtigem Wetter sicherstellen sollen. Diesen Anforderungen kann die Schiffsführung bei Radarfahrt nur gerecht werden, wenn die Ortskenntnisse, die durch das Rheinschifferpatent nachgewiesen werden, und Kenntnisse in der Auswertung des Radarbildes, die durch das Radarschifferzeugnis nachzuweisen sind, in einer Person zusammentreffen (vgl. OLG Hamm VersR 1974, 1200, 1201; Bemm/Kortendick Anm. 8 zu § 1.09 Rhein- SchPVO). Die Komplexität der zu verarbeitenden Informationen bei der Schiffsführung unter Radar erfordert, daß zu deren sicheren Verarbeitung und sofortigen Umsetzung dies in einer Person erfolgt. Die Verteilung der Radarbeobachtung und der Schiffsführung auf zwei Personen birgt zu viele Gefahren in sich, weil Mißverständnisse und Fehler bei der wechselseitigen Verarbeitung und dem Austausch von Informationen zu befürchten sind.

Diese an den generandauselarügen Anforderungen an eine geeignete Schiffsführung in den §§ 1.02 Nr. 1 und 1.09 Nr. 3 RheinSchPVO orientierte Auslegung der §§ 4.06 Nr. 1 d und 6.32 Nr. 2 RheinSchPVO wird im Ergebnis auch gestützt durch § 1 der Verordnung über die Erteilung von Radarschiffer- Zeugnissen für den Rhein, der bestimmt, daß derjenige, der auf dem Rhein zur Führung eines Fahrzeugs ein Radargerät benutzt, ein nach dieser Vorschrift erteiltes Radarschiffer-Zeugnis für den Rhein besitzen muß (VO RadarSZ Rhein, BGBL II 1964, 2012).

War somit "Heester II" für die Nebelfahrt nicht ordnungsgemäß besetzt, rechtfertigt dies bereits die Annahme eines Beweises des ersten Anscheins für das Verschulden der Beklagten (vgl. Bemm/Kortendick Anm. 8 zu § 1.09 RheinSchPVO).

Zu folgen ist schließlich auch der Wertung des Rheinschiffahrtsgerichts, daß das unterlassene Schallzeichen (§ 6.32 Nr. 5 RheinSchPVO) für die Kollision nicht mitursächlich gewesen ist, so daß auch kein Mitverschulden der Schiffsführung von TMS "Arbon" anzunehmen ist. Die Schall-signale sollen lediglich andere Schiffe aufmerksam machen. Da beide Schiffsführer das jeweils andere Fahrzeug auf dem Radarschirm sahen und ein Schallsignal keine Standortbestimmung des Signal gebenden Schiffs erlaubt, war ein Schallsignal an sich überflüssig (in diesem Sinne auch Bemm-Kortendick, Anm. 19 zu § 6.32). Zu einer anderen Wertung könnte man lediglich dann gelangen, wenn man unterstellt, durch Schallsignale hätten die Beklagten rechtzeitig ihre falsche Radarsicht und ihren falschen Kurs erkannt und entsprechend korrigiert. Daß die Beklagten so reagiert hätten, kann aber nicht angenommen werden, gingen sie doch offensichtlich infolge falscher Auswertung des Radars davon aus, rechtsrheinisch zu fahren. Im übrigen hätte ein erfolgversprechendes Signal zu einem Zeitpunkt erfolgen müssen, als TMS "Arbon" noch davon ausgehen durfte, daß "Heester II" ordnungsgemäß aus dem Hang herausfahren würde. Stellt man aber solche engen Anforderungen, müßten Schallsignale bei dem dichten Verkehr auf dem Rhein sehr häufig gegeben werden, wodurch eher eine allgemeine Konfusion hervorgerufen werden könnte …" 

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1995 - Nr.2 (Sammlung Seite 1512 ff.); ZfB 1995, 1512 ff.