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3 U 29/70 - Oberlandesgericht (Schiffahrtsobergericht)
Entscheidungsdatum: 07.12.1971
Aktenzeichen: 3 U 29/70
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Abteilung: Schiffahrtsobergericht

Leitsatz:

Hafenböschungen, die vor dem unteren Teil später errichteter senkrechter Spundwände belassen werden, stellen für die Schiffahrt im Hafen eine Gefahrenquelle dar, auf welche die für den Hafen verantwortlichen Stellen (Bund, Land, Stadt usw.) eindeutig und unmißverständlich hinweisen müssen.

Urteil des Oberlandesgerichts - Schiffahrtsobergericht Karlsruhe

vom 7. Dezember 1971

3 U 29/70

(Schiffahrtsgericht Mainz)


Zum Tatbestand:

Die Beklagte hatte den ihr gehörenden Binnenhafen modernisiert und dabei die Ufer an der Nord- und Südseite des Hafens, die früher mit schrägen Böschungen ausgestattet waren, mit senkrechten Spundwänden in der Weise versehen, daß diese unter Wasser etwa in mittlerer Höhe auf die alte Böschung aufgesetzt wurden. Im Bereich von 1-2 m entlang der senkrechten Spundwände verminderte sich infolgedessen die sonst vorhandene Tiefe des Hafenfahrwassers von mindestens 2,50 m auf 2,30 bis 2,10 m. Am südlichen Ufer (Beginn der Hafeneinfahrt) war von der Beklagten ein Schild mit der Aufschrift: „Achtung Unterwasserböschung - Abstand halten" angebracht worden. Ein Motorschiff mit einem Tiefgang von 2,30 m lief in der dort üblichen Art mit Rückwärtsgang über Steuer in den Hafen zur Anlegestelle der dort ansässigen Schiffseignerin ein und näherte sich dabei der nördlichen Spundwand auf etwa 2 m.

Die Klägerin verlangt als Versicherin dieses Schiffes Ersatz eines Schadens von ca. 17 300,- DM, den es am Steuerbordruder, dem Mittelruder und der Schraube bei diesem Manöver durch Aufkommen auf die Böschung erlitten haben will. Die Beklagte habe ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt, weil sie nicht auf die vor der nördlichen Spundwand verbliebene Unterwasserböschung hingewiesen habe.
Die Beklagte bestreitet, daß überhaupt in dem Hafen ein Schaden an dem Schiff entstanden sei. Das am Hafeneingang aufgestellte Hinweisschild gelte für den gesamten Hafenbereich. Dem Schiffsführer sei dies erkennbar gewesen, der die Hafenverhältnisse auch genau gekannt habe.
Das Schiffahrtsgericht hat die Klage zu 2/3 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, das Schiffahrtsobergericht hat ihr in vollem Umfang stattgegeben.

Aus den Entscheidungsgründen:

Für Wasserstraßen und Hafenanlagen gilt wie für Wege und Plätze der Grundsatz, daß derjenige, der dort einen Verkehr eröffnet hat oder andauern läßt, nach § 823 BGB für eine Gefahrenlage verantwortlich ist, die sich aus dem Zustand der Verkehrsanlage ergibt. Er hat dafür zu sorgen, daß sich die Anlagen in verkehrssicherem Zustand befinden, so daß sich die dort zugelassene Schiffahrt gefahrlos bewegen kann. Gefahrenquellen hat er zu beheben. Wo dies zeitweise oder auf Dauer nicht geschieht, hat er den Verkehr warnend auf die Gefahr hinzuweisen (vgl. BGHVersR 61, 218; 62, 513). Dabei muß er in jedem Fall Zeichen wählen oder Vorkehrungen treffen, die für jeden Verkehrsteilnehmer eindeutig und unmißverständlich die Art und Lage der nicht ohne weiteres erkennbaren Gefahrenquelle klarstellen (vgl. BGH Betrieb 56, 743). Das hat die Beklagte verabsäumt.

Die Böschungen, die vor dem unteren Teil der später errichteten Spundwände belassen worden sind, stellen für die Schiffahrt im Hafen der Beklagten eine Gefahrenquelle dar.
Wenn die Beklagte an senkrecht ins Wasser eintauchenden Wänden noch eine Unterwasserböschung bestehen ließ, bedurfte es eindeutiger und unmißverständlicher Hinweise für die Schiffahrt, daß von der Wand Abstand gehalten werden muß. Derartige Hinweise waren am Unfalltag nicht im erforderlichen Umfang vorhanden. Die Beklagte hatte nur auf dem Südufer am Beginn der Hafeneinfahrt, wo ebenfalls über der alten Böschung eine Spundwand errichtet wurde, ein Schild angebracht mit der Aufschrift: „Achtung Unterwasserböschung - Abstand halten." Dieser an einem Ufer stehende, in der Einzahl („Böschung") abgefaßte Hinweis besagt nicht eindeutig und verlangt auch nicht die Deutung, daß die Beklagte an beiden Ufern ihrer Hafeneinfahrt oder noch anderweitig im Hafenbecken Spundwände mit davorliegenden Unterwasserböschungen gebaut habe. Der Hinweis war in dieser Form nicht auch auf den Zustand des Nordufers des Hafenbeckens zu beziehen. Es ist den Schiffern auch nicht zuzumuten, die bauliche Gestaltung des Ufers, an dem das Hinweisschild steht, mit der Gestaltung des anderen Ufers zu vergleichen, um damit erst zu einer Ausdeutung des in der Einzahl abgefaßten Hinweises zu gelangen.
Die Beschädigung der Ruderanlage und Schraube des Schiffes durch das Anfahren an die Böschung hat die Klägerin bewiesen (wird ausgeführt).
Dem Schiffsführer kann keine Verursachung des Schadens durch ein Verschulden bei der Navigation zur Last gelegt werden, wenn er - wie festgestellt - nicht unmißverständlich darauf hingewiesen war, daß die nördlichen Spundwände teilweise nicht dicht angehalten werden können. In diesem Fall hatte er die Freiheit, die Wasserfläche des Hafens außer an der besonders gekennzeichneten Südseite voll bis an die senkrecht abfallende Spundwand für sein Manövrieren zu nutzen. Die Art, wie er das Schiff über Steuer in den Hafen manövrierte, würde einen Schuldvorwurf nur begründen, wenn für ihn voraussehbar gewesen wäre, daß es einen Schaden zur Folge haben könnte, wenn er das Schiff bis dicht an die Spundwand laufen ließ. Das war aber ohne Kenntnis von einem Hindernis unter Wasser nicht der Fall. Nach seiner Aussage als Zeuge ließ sich das Schiff über Steuer nicht auf gradlinigem Kurs halten. Er mußte deshalb jeweils, wenn eine gewisse Abweichung nach Steuerbord eingetreten war, durch Vorausgehen mit Steuerbordruder das Schiff wieder gestreckt legen. Wenn er dieses Manöver nicht unnötig oft wiederholen wollte, ist es begreiflich, daß er den Rückwärtskurs jeweils möglichst bis zum Fahrwasserrand gehen lassen wollte.
Schließlich kann auch nicht angenommen werden, daß das schräg und nur noch mit geringer Fahrt gegen die Wand gehende Schiff bei einem bloßen Anstoßen gegen die Spundwand beschädigt worden wäre. Es ist unwahrscheinlich, daß Ruder und Schraube dabei die Wand berührt hätten und der Schaden, wie die Grundberührung ihn zur Folge hatte, ebenfalls entstanden wäre.

Das Vorbringen der Beklagten schließlich, der Schiffsführer habe die bauliche Gestaltung des Hafens deshalb genau gekannt, daß er auch während der seinerzeitigen Bauarbeiten zur Errichtung der Spundwände den Hafen häufig angelaufen hat, ist nicht bewiesen.