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3 U 254/89 - Oberlandesgericht (Rheinschiffahrtsobergericht)
Entscheidungsdatum: 04.05.1990
Aktenzeichen: 3 U 254/89
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Köln
Abteilung: Rheinschiffahrtsobergericht

Leitsatz:

Zur Anwendung des Schubabkommens von 1970 (der„Allgemeinen Bedingungen für Verträge über die Mitnahme fremder Schubleichter durch Schubboote") - Verschuldungsprinzip und Präzisierung der Beweislast.

Urteil des Oberlandesgerichts (Rheinschiffahrtsobergerichts) Köln

vom 4. Mai 1990

3 U 254/89

 (Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)

Zum Tatbestand:

Der Schubleichter „L" der Klägerin hat durch Bruch des Ankerwirbels einen Anker verloren. Sie verlangt von der Beklagten zu 1, der Ausrüsterin des Schubboots „H", Schadensersatz, ferner die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten zu 1 für alle weiteren Schäden und Ansprüche Dritter, die im Zuammenhang mit dem Ankerverlust stehen. Beide Parteien hatten das Schubabkommen von 1970 gezeichnet.
Unter Abänderung des von der Klägerin angefochtenen Urteils hat das Rheinschifffahrtsobergericht der Klage stattgegeben.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Beklagte zu 1. ist die Klägerin nach § 1 des Schubabkommens. §§2, 3, 4. 114 BSchG, 823 BGB zur Zahlung von 10719,51 DM nebst 4 % Verzugszinsen seit dem 1.3. 1987 verpflichtet.
Ferner ist festzustellen, daß die Beklagte zu 1. verpflichtet ist, die Klägerin von allen weiteren Schäden und Ansprüchen Dritter im Zusammenhang mit dem Ankerverlust des Schubleichters „L" am 18.12.1986 bei RhStrkm 497,4 freizustellen... .
Wie das Rheinschiffahrtsgericht zutreffend festgestellt hat, sind die Ursachen des Ankerverlustes des Schubleichters „L" nicht sicher feststellbar. Unter diesen Umständen richtet sich die Beweislast nach den Vorschriften des Schubabkommens vom 16. 6. 1970 (abgedruckt bei Bemm/Kortendick, Rheinschifffahrtpolizeiverordnung 1970, S. 513). Danach muß der Eigentümer des Leichters beweisen, daß der Leichter in unbeschädigtem Zustande in die Obhut des Schubbootes gelangt ist (§ § 1 Satz 2, 3 des Schubabkommens). Nach der Eingliederung des Leichters in den Schubverband muß sich der Eigner des Schubbootes dahin entlasten, daß der Schaden weder auf seinem Verschulden noch dem der Besatzung des Schubbootes beruht. Denn § 1 ist nach § 3 des Abkommen auch auf Schäden außerhalb der Streckenfahrt entsprechend anzuwenden. Aus dem Akteninhalt geht hervor, daß beide Parteien das Schubabkommen gezeichnet haben, so daß die Vorschriften dieses Schubabkommen auf den zwischen ihnen bestehenden Vertrag über die Mitnahme des Leichters Anwendung findet.
Den ihr zunächst dafür obliegenden Nachweis, daß der Leichter in unbeschädigtem Zustande in die Obhut der Schubbootbesatzung gelangt ist, hat die Klägerin erbracht. Aufgrund des erstinstanzlichen Beweisergebnisses sieht der Senat als erwiesen an, daß sich der Anker des Schubleichters in einem einwandfreien Zustande befunden hat, als das Schubboot den Leichter übernahm. Die Zeugen „S", „M" und „Z", die die stilliegenden Leichter betreut bzw. die Anker eingeholt haben, haben nichts darüber bekundet, daß vor der Aufnahme der Anker des Leichters „L" irgendwelche Besonderheiten feststellbar waren. Da es sich bei diesen Zeugen um schiffahrtskundige Männer handelt, wäre ihnen mit Sicherheit aufgefallen, wenn sich der in Rede stehende Anker bereits von der Kette gelöst hätte. Denn in einem solchen Fall wäre durch die ständigen Bewegungen der Schiffe infolge der Beeinflussung durch die durchgehende Schiffahrt Lose in die Kette gekommen und die Kette ohne Anker nicht mehr so voraus gestanden, wie es bei einem gesunden Anker der Fall ist. Wäre es hier so gewesen, hätten das mit Sicherheit die beiden Matrosen, die die Anker aufnehmen sollten, wahrgenommen. Hätte der Anker vor dem Ankermanöver bereits erkennbar gefehlt, hätten darauf die beiden Matrosen „M" und „Z" mit Sicherheit sofort hingewiesen, weil dann ihr Ankermanöver nicht ursächlich für den Ankerverlust sein konnte, also ein für sie entlastender Umstand bestanden hätte.
Unter diesen Umständen muß als erwiesen erachtet werden, daß der Anker nebst Ankerwirbel bei Beginn des Ankermanövers noch gesund gewesen ist, der Anker also weder durch Beeinflussungen anderer Schiffe abgerissen sein konnte noch bereits vor dem Ankermanöver ein Bruch des Ankerwirbels durch einen Materialfehler oder Materialermüdung eingetreten war.
Damit hat die Klägerin ihrer Beweislast genügt.
Zu Unrecht berufen sich die Beklagten darauf, der Leichter sei noch nicht in der Obhut des Schubbootes gewesen, als das Ankermanöver begann.
Es kann dahingestellt bleiben, ob sich der Leichter der Klägerin bereits vor der Herstellung der Schubverbindung in der Obhut der Beklagten zu 1. befunden hat, worauf hindeuten könnte, daß die Beklagte zu 1. während des Stilliegens die Nachtbeleuchtung auf den Leichtern gesetzt hat. Jedenfalls aber ist durch die Herstellung einer starren Verbindung zwischen dem Schubboot und dem Leichter die Obhutspflicht im Sinne des Schubabkommens entstanden. Denn in § 3 des Schubabkommens werden verschiedene Manöver genannt, die sämtlich eine starre Verbindung von Leichter und Schubboot voraussetzen. Auch wird beim Ausscheiden des Leichters aus dem Schubverband auf die tatsächliche Gewalt (Obhut) hingewiesen. Eine solche starre Verbindung muß unter den hier gegebenen Umständen vorgelegen haben. Denn die Aufnahme der Anker setzt eine starre Verbindung des Verbandes voraus. Auch hätte man ohne eine starre Verbindung nicht zugleich mit der Aufnahme der Anker Fahrt voraus aufnehmen können, wie das die Zeugen bekundet haben. Der Senat ist unter diesen Umständen der Überzeugung, daß das Schubboot mit der Herstellung der Schubverbindung die tatsächliche Gewalt über den Leichter erlangt hatte, die nach dem Schubabkommen der Obhut über den Leichter entspricht.
Den ihnen nach obigen Ausführungen obliegenden Entlastungsbeweis haben die Beklagten nicht erbracht.
Soweit die Beklagten angeführt haben, der Bruch des Ankerwirbels könne auf einem Materialfehler oder einer Materialermüdung beruhen, entlastet sie eine solche Möglichkeit nicht.
Selbst wenn ein solcher Fehler bereits vor der Aufnahme des Leichters in den Schubverband bestanden und sich erst bei Beginn des Ankermanövers ausgewirkt hätte, ist das unerheblich. Denn in den Erläuterungen zum Schubabkommen zu § 1 Nr. 1 ist ausdrücklich als Beispiel für den Fall einer Schadenshaftung ein nicht mehr funktionstüchtiger angerissener Poller genannt, der dann während der Fahrt abgerissen ist. Auch ist das Sinken eines fahruntauglichen Leichters genannt. Diese Beispiele weisen darauf hin, daß sich der Eigner des Schubboots nicht nachträglich auf eine Funktionsuntüchtigkeit des Leichters und seines Zubehörs berufen kann, wenn nicht bei der Übernahme ein Mangel gerügt worden ist.
Nach dem Beweisergebnis kann allerdings nicht angenommen werden, daß der Schubbootbesatzung bei der Bedienung der Ankerwinde ein Fehler unterlaufen ist. Dafür haben sich keine Anhaltspunkte ergeben.
Der Sachverständige „K" hat vor dem Rheinschiffahrtsgericht bei der Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens ausgeführt, daß er das Überfahren der Ankerkette durch den Schubverband als die wahrscheinlichste Ursache für den Ankerverlust durch Bruch des Ankerwirbels ansehe. Fährt ein Schubverband über die eigene Ankerkette, liegt darin ein Verschulden der Schubbootbesatzung, was keiner weiteren Ausführungen bedarf. Von dieser möglichen, auf dem Verschulden der Schubbootbesatzung beruhenden Schadensursache hat sich die Beklagte zu 1. nicht entlastet und nicht bewiesen, daß diese Möglichkeit als schadensursächlich ausscheidet.
Die Beklagten können sich demgegenüber zu ihrer Entlastung nicht auf eine Beweisvereitelung durch die Klägerin berufen.
Richtig ist, daß der an der Ankerkette verbliebene Teil des Ankerwirbels bei der Reparatur der Ankerkette und der Anbringung eines neuen Ankers entfernt und von der Klägerin nicht zur Beweissicherung aufgehoben worden ist. Zu berücksichtigen ist hier aber, daß der Leichter nebst der Kette ohne Anker sich zunächst im Gewahrsam der Beklagten zu 1. befunden hat. Auch wenn sie die vorgeschriebene Meldung des Ankerverlustes an die zuständigen Behörden vornahm und die Klägerin verständigte, enthob sie das nicht von der Pflicht, im eigenen Interesse selbst für eine Beweissicherung zu sorgen, weil seitens des Schiffseigners der Vorwurf gegen sie erhoben werden konnte, der Ankerverlust beruhe auf dem Verschulden ihrer Schiffsbesatzung. Die Beklagte zu 1. hätte deshalb entweder ein Verklarungsverfahren beantragen oder einen Sachverständigen mit der Überprüfung der Ankerkette und insbesondere des Ankerwirbels beauftragen können. Hierzu stand ausreichend Zeit zur Verfügung. Mindestens aber hätte sie die Klägerin auffordern müssen, das Bruchstück zur etwaigen späteren Begutachtung aufzuheben. Wenn die Beklagte zu 1. als beweispflichtiger Vertragspartner selbst untätig blieb, konnte sie nicht erwarten, daß nunmehr die Klägerin von sich aus im Interesse der Beklagten zu 1. Anstrengung unternahm, der Beklagten zu 1. eine spätere Beweisführung zu erleichtern. Unter diesen Umständen vermag der Senat der Klägerin nicht den Vorwurf einer schuldhaften Beweisvereitelung zu machen.
Die Beklagte zu 1. haftet daher der Klägerin für den durch den Ankerverlust entstandenen Schaden . . . Nach § 8 des Schubabkommens ist die Haftung für alle Ansprüche nach diesem Abkommen nach dem jeweils anwendbaren Recht beschränkt. Es wird hierdurch an der beschränkten Haftung nach § 4 BSchG festgehalten (vgl. auch die Erläuterungen zum Schubabkommen zu § 8, abgedruckt bei s Bemm/Kortendick, a.a.0. S.520). Die Beklagte zu 1. hat ihr Schubboot zu neuen Reisen ausgesandt. Sie haftet daher der Klägerin 1 nach den §§ 3, 4, 102, 103, 114 BSchG, 823 BGB sowohl beschränkt persönlich als auch dinglich mit dem Schubboot „H" ..

Die Klägerin hat auch ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten zu 1. für etwaige Zukunftsschäden, die durch den Ankerverlust entstehen können.
Es liegt durchaus im Bereich des Möglichen, daß andere Schiffe durch den verlorenen Anker beschädigt werden oder weitere Suchkosten entstehen. Für diesen Schaden muß die Beklagte aus den oben geschilderten Rechtsgründen einstehen. Die Klägerin kann daher die Freistellung von derartigen Zukunftsschäden im Rahmen der Vorschriften des Binnenschiffahrtsgesetzes verlangen..... .“

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1992 - Nr.1, 2 (Sammlung Seite 1305 f.); ZfB 1992, 1305 f.