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Leitsatz:
Klafft beim Anlegen eines Fahrgastschiffs zwischen Schiff und Ponton ein Spalt, kann es die Verkehrssicherungspflicht gebieten, die aussteigenden Passagiere ausdrücklich auf die gefährliche Stelle durch eine eigens hierzu abgestellte Person hinzuweisen, die ggf. auch tatkräftige Unterstützung für unsicher oder unaufmerksam erscheinende Passagiere anbietet.
Urteil vom Oberlandesgerichts Köln
vom 12.6.1992
3 U 23/92
(Landgericht Köln)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin ist, als sie von Bord eines Fahrgastschiffs der Beklagten ging, in den Spalt zwischen Schiff und Ponton gerutscht. Dabei hat sie sich eine schmerzhafte Beinverletzung zugezogen. Das Landgericht hat die Klage auf Feststellung der Haftung der Beklagten für die materiellen und immateriellen Folgen des Unfalls abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte teilweise Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Die Beklagte ist der Klägerin zur Schadensersatzleistung verpflichtet, weil sie den Unfall der Klägerin schuldhaft verursacht hat; jedoch muss die Klägerin sich wegen Verletzung eigener Sorgfaltsobliegenheiten ein Mitverschulden in Höhe von einem Drittel anrechnen lassen.
I.
1. Die Körperverletzung der Klägerin ist auf einer Reise passiert - der Überstieg vom Schiff auf den Steiger zur Beendigung der Rundfahrt gehört noch zur Reise selbst -, die für die Beklagte eine geschäftsmäßige Personenbeförderung darstellt. Damit sind als Anspruchsgrundlage für den Schadensersatzanspruch der Klägerin die Vorschriften der §§ 77. 4a BSchG, 664 HGB, 857 BGB heranzuziehen. Nach diesen Vorschriften haftet die Beklagte als Beförderer auch für das Verschulden der Besatzung, und zwar ohne die Möglichkeit eines Entlastungsbeweises, wie er etwa in der Regelung des § 831 BGB vorgesehen ist.
2. Die Klägerin ist beim Aussteigen in den Spalt zwischen Schiff und Ponton gerutscht und hat sich hierbei nicht unerheblich verletzt. Dies steht nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme zweifelsfrei fest.
3. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist der Beklagten bzw. der Besatzung des Schiffes eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten anzulasten. Dabei kann die unter den Parteien umstrittene Frage unentschieden bleiben, ob zur Verringerung der Gefahren für die Passagiere beim Ein- und Aussteigen ein Schleppblech - wie bei größeren Schiffen üblich - hätte verwendet werden müssen, oder ob durch die Bauart des Schiffes bedingt hierdurch die Stolpergefahren eher noch erhöht worden wären, wie die Beklagte meint. Wurde der Spalt nämlich wie vorliegend geschehen offengelassen, so musste zum Unfallzeitpunkt jedenfalls eine andere geeignete Maßnahme zur Gefahrenabwehr getroffen werden. Angesichts der konkreten Beleuchtungsverhältnisse stellte der Spalt zwischen Schiff und Ponton eine zu wenig ins Auge springende und damit eine Gefahrenstelle für die Passagiere dar.
Das Tageslicht reichte zur Ausleuchtung nicht mehr aus (Unfallzeit: 22.30 Uhr am 27. Juli). Wie die Zeugin K. anschaulich geschildert hat, kam ihr die Unfallstelle relativ dunkel vor; als sie diese später in Augenschein nahm, musste sie dabei sogar, wie sie erklärt hat, „sehr genau hinsehen". Die vom Matrosen G. angegebenen zwei Strahler, von denen einer auch den Ausgang des Schiffs beleuchtet habe, reichten unter den gegebenen Umständen nicht aus, auch die eigentliche Gefahrenstelle genügend auszuleuchten. Hinzu kommt, dass die Passagiere, die aus dem erleuchteten Innern des Schiffs ins Dunkle traten, das Schiff gruppenweise verlassen haben, so dass die von hinten und vorne kommenden Lichtquellen durch ebenfalls aussteigende Personen zumindest teilweise verdeckt wurden. Unter diesen Umständen hätte nur ein in unmittelbarer Nähe und insbesondere seitlich von der Gefahrenstelle angebrachter Strahler genügend Sicherheit bieten können.
Die Beklagte bzw. die Besatzung hätten wenigstens dafür Sorge tragen müssen, dass - wie beim Einstieg der Passagiere am Nachmittag - zur Gefahrenabwehr eine eigens hierzu abgestellte Person ausdrücklich auf die gefährliche Stelle hinwies, die ggf. auch tatkräftige Unterstützung für unsicher oder unaufmerksam erscheinende Passagiere beim Aussteigen hätte anbieten können. Die Beklagte konnte und durfte sich hingegen nicht darauf verlassen, dass sämtlichen Passagieren auch am Ende der Rundfahrt noch gegenwärtig war, was ihnen an Gefahrhinweisen beim Einsteigen gegeben worden war.
Il.
Die Klägerin muss sich gemäß § 254 Abs. 1 BGB allerdings ein Mitverschulden anrechnen lassen, weil sie es ihrerseits an der nötigen Aufmerksamkeit hat fehlen lassen und dadurch zur Entstehung des Unfalls beigetragen hat.
Es ist auch ohne besonderen Hinweis jedem Schiffsreisenden geläufig, dass beim Verlassen eines Schiffs, das über kein Schleppblech beim Ausstieg verfügt, Stolpergefahren bestehen. Das gilt erst recht, wenn die Ausstiegsstelle, wie die Klägerin selbst vorträgt, nicht hinreichend ausgeleuchtet war. Hinzu kommt, dass die Klägerin wie alle übrigen Passagiere auch am Beginn der Reise beim Betreten des Schiffs eigens auf den Spalt hingewiesen worden ist, der zwischen Ponton und Schiff klaffte.
Nach Auffassung des Senats kommt der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte jedoch das größere Gewicht zu. Sie hat hierdurch die eigentliche Ursache des Unfalls gesetzt, und sie musste damit rechnen, dass das Fehlen des Schleppblechs Passagieren nach Abschluss der Rundfahrt nicht mehr ohne weiteres gegenwärtig war und dass infolge der unzureichenden Beleuchtung die gefährliche Stelle von diesen nicht rechtzeitig entdeckt wurde. Unter Berücksichtigung aller Umstände hält der Senat eine Mitverschuldensquote der Klägerin in Höhe von einem Drittel für angemessen."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1993 - Nr.12 (Sammlung Seite 1428 f.); ZfB 1993, 1428 f.