Rechtsprechungsdatenbank

3 U 220/00 BSch - Oberlandesgericht (-)
Entscheidungsdatum: 03.07.2001
Aktenzeichen: 3 U 220/00 BSch
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Köln
Abteilung: -

Leitsatz:

Ist ein Bergfahrer bereits in eine Engstelle eingefahren, verstößt ein Talfahrer gegen die Vorschrift des § 6.07 Nr. 1 d zweiter Halbsatz BSchStrO, wenn er dem zu Berg fahrenden Fahrzeug nicht den Vorrang lässt.

Urteil des Oberlandesgerichts (Schifffahrtsobergerichts) Köln

von 3.7.2001

- 3 U 220/00 BSch -

(Schifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)

Zum Tatbestand:

Die Kläger sind Eigentümer des TMS „Perseus", das am 19.4.1999 auf dem Wesel-Datteln-Kanal zu Berg fuhr. Vor TMS „Perseus" fuhr mit einem Abstand von ca. 200 m das MS „Falcon". Dem TMS „Perseus" folgte das MS „Alea Jacta Est" nach. Bei kam 16 war aus der Sicht der Bergfahrt die linke Fahrwasserhälfte unter der dortigen Brücke wegen Bauarbeiten gesperrt. Es bestand Begegnungsverbot. In der Talfahrt entgegen kam das dem Beklagten gehörende und von ihm geführte MS „Heimatland". 
MS „Falcon" durchfuhr als erstes der drei zu Berg fahrenden Schiffe die Engstelle unter der Brücke und begegnete etwas oberhalb dem MS „Heimatland" Backbord an Backbord. Kurze Zeit später kam es im Bereich der Engstelle zur Kollision des TMS „Perseus" mit dem MS „Heimatland" Bug auf Bug.

Die Kläger verlangen von dem Beklagten Ersatz des ihnen entstandenen Schadens. Sie tragen vor, die drei hintereinander zu Berg fahrenden Schiffe hätten sich vor Erreichen der Engstelle über Funk, Kanal 10, gemeldet. Eine Antwort von MS „Heimatland" sei aber nicht gekommen. MS „Heimatland" sei wegen des Bogens, den der Kanal oberhalb der Engstelle macht, auch nicht zu sehen gewesen. TMS „Perseus" habe dann nach MS „Falcon" die Engstelle durchfahren wollen. Als es bereits mit dem Bug in der Engstelle gewesen sei, habe sich überraschend das MS „Heimatland" über Funk gemeldet und verlangt, als erster die Engstelle zu durchfahren. Dazu sei es jedoch zu spät gewesen. TMS „Perseus" habe keine Möglichkeit zum Ausweichen gehabt und habe auch durch ein Maschinenmanöver voll zurück die Kollision nicht mehr verhindern können. Der Beklagte habe den Schiffsunfall verschuldet, weil er nicht oberhalb der Engstelle abgestoppt habe, obwohl bereits ein Bergfahrer in die Engstelle eingefahren gewesen sei.

Der Beklagte trägt vor, der Kläger zu 2) habe als Schiffsführer des TMS „Perseus" den Schiffsunfall verschuldet. MS „Heimatland" habe sich etwa 500 m vor der Engstelle über Funk, Kanal 10, gemeldet und den Bergfahrern mitgeteilt, dass er sich talwärts fahrend oberhalb der Gartroper Brücke befinde. Es habe sich dann zunächst der erste Berg- fahrer, MS „Falcon", gemeldet, mit dem die Begegnung etwa 250 m oberhalb der Brücke problemlos stattgefunden habe. Als MS „Heimatland" ca. 30 m bis 40 m vor der Engstelle gewesen sei, habe sich das TMS „Perseus" gemeldet und verlangt, dass MS „Heimatland" abstoppe, um TMS „Perseus" die Durchfahrt zu ermöglichen. Zu diesem Zeitpunkt sei TMS „Perseus" noch wesentlich weiter von der Engstelle weg gewesen als MS „Heimatland". Als der Beklagte bemerkt habe, dass TMS „Perseus" ihm die Vorfahrt nicht belassen würde, habe er mit seiner Maschine voll zurück gemacht, habe jedoch den Zusammenstoß beider Schiffe unterhalb der Gartroper Brücke nicht mehr verhindern können. 
Das Schifffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung hatte keinen Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

„Den Klägern steht gegen den Beklagten aus dem Schiffsunfall vom 19.04.1999 auf dem Wesel-Datteln-Kanal gern. §§ 92 ff. BSchG, 823, 398 BGB ein Anspruch auf Ersatz des ihnen an ihrem TMS „Perseus" durch die Kollision mit dem MS „Heimatland" des Beklagten entstandenen Schadens zu; denn der Beklagte hat die Kollision unter Verstoß gegen § 6.07 Nr. 1 d B Sch- StrO schuldhaft verursacht. Allerdings folgt dies nicht bereits aus § 6.07 Nr. 1 d 1. Halbsatz BSchStrO, wonach Talfahrer soweit möglich oberhalb der Enge verbleiben müssen, wenn ein Ver- band bereits zu Berg in eine Fahrwasserenge hineingefahren ist. Unstreitig war MS „Falcon" zwar schon durch die Engstelle hindurchgefahren. Es bildete aber nicht zusammen mit TMS „Perseus" und dem nachfolgenden MS „Alea Jacta Est" einen Verband. Nach § 1.01 Nr. 3 BSchStr0 ist ein „Verband" im Sinne der Verordnung nur ein Schleppverband, ein Zugverband oder gekuppelte Fahrzeuge. Es reicht also nicht, dass die drei Bergfahrer „im Verbund" mit geringem Abstand hintereinander hergefahren sind.

Der Beklagte hat aber gegen § 6.07 Nr. 1 d zweiter Halbsatz BSchStrO verstoßen. Grundsätzlich hat die Bergfahrt der Talfahrt zwar gern. § 6.04 Nr. 1 BSchStrO beim Begegnen einen geeigneten Weg freizulassen. Für die Begegnung im engen Fahrwasser trifft § 6.07 BSchStrO aber eine Sonderregelung. Nach Nr. 1 c müssen Bergfahrer unterhalb der Enge anhalten, wenn sie Feststellen, dass ein Talfahrer im Begriff ist, in eine Fahrwasserenge hineinzufahren. Nach Nr. 1 d müssen Talfahrer zu Berg fahrenden Fahrzeugen, die bereits in die Fahrwasserenge hineingefahren sind, den Vorrang lassen. Ist hingegen wegen eines sonstigen Hindernisses - etwa eines Stillliegers - kein hinreichender Raum für die Vorbeifahrt vorhanden, so ist auf Kanälen demjenigen Fahrzeug die Vorfahrt zu gewähren, dessen Fahrwasserhälfte nicht versperrt ist (vgl. Bemm-von Waldstein RSchPVO., 3. Auflage, § 6.04 Rn. 20; BGH VersR 66,57). 
Im vorliegenden Fall war das Fahrwasser durch die Baustelle an der Gartroper Brücke, also durch ein feststehendes künstliches Hindernis, verengt. Zudem bestand unstreitig Begegnungsverbot nach § 6.08 Nr. 1 BSchStrO. Es unterliegt daher keinem Zweifel, dass sich die Begegnung zwischen TMS „Perseus" und MS „Heimatland" nach § 6.07 BSchStrO richtete.

Der Kläger hätte dem Beklagten demnach nur dann die Vorfahrt lassen müssen, wenn dieser bereits im Begriff gewesen wäre, in die Fahrwasserenge einzufahren. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme war dies nicht der Fall. Dem Kläger war bis kurz vor der Kollision nicht einmal bekannt, dass sich überhaupt ein Talfahrer näherte. Die Zeugen Fr, Fe und D haben übereinstimmend bekundet, dass sie sich als Bergfahrer vor der Engstelle mehrmals über Funk gemeldet, aber keine Antwort bekommen haben. Nach Aussage des Zeugen D hat er einen Funkspruch von MS „Heimatland" erst empfangen, als er bereits aus der Engstelle herausgefahren war und den Talfahrer ca. 200 m voraus sehen konnte. Demgegenüber kann den Angaben des Zeugen Z, der zur Besatzung von MS „Heimatland" gehörte, nicht gefolgt werden. Sie sind in sich widersprüchlich und stehen auch in Widerspruch zu den übereinstimmenden Bekundungen der unbeteiligten Zeugen Fr und D. Der Zeuge Z hatte zunächst bekundet, sie hätten sich über Funk gemeldet, als sie vielleicht noch 200 - 300 m oberhalb der Brücke gewesen seien. Zu diesem Zeitpunkt sei das holländische Schiff noch ca. 100 m unterhalb der Brücke gewesen. Später hat er seine Aussage dahin korrigiert, dass sie schon etwa 500 m vor der Brücke eine erste Funkdurchsage gemacht hätten, auf die sich der Holländer gemeldet habe. Demgegenüber ist aufgrund der glaubhaften Aussage des Zeugen D davon auszugehen, dass sich der Beklagte erst zu einem späten Zeitpunkt gemeldet hat, als MS „Falcon" schon unter der Brücke durchgefahren war und Sichtkontakt bestand, also bei einem Abstand von ca. 200 - 300 m von der Brücke, wie dies der Zeuge Z auch zunächst bekundet hatte. Im übrigen hat der Beklagte eingeräumt, dass er die Bezeichnung der Brücke verwechselt und sich mit „Schermbecker Brücke" gemeldet hatte. Falls der Kläger zu 2.) diesen Funkspruch hat hören können, brauchte er jedenfalls vor dem Einfahren in die Engstelle an der Gartroper Brücke nicht damit zu rechnen, dass sich dort ein Talfahrer näherte. Kenntnis von dem Entgegenkommer erlangte er nach den Bekundungen der Zeugen Fr und Fe erst durch die Funkmitteilung von MS „Falcon", dass Talfahrt komme. Zu diesem Zeitpunkt befand sich MS „Perseus" aber nach den übereinstimmenden Bekundungen aller Zeugen - abgesehen von dem Zeugen Z - bereits unmittelbar vor der Brücke und konnte nicht mehr ausweiche. 
Dafür, dass der Kläger zu 2.) als erster in die Engstelle eingefahren ist, spricht auch zwingend der Umstand, dass sich die Kollision Bug auf Bug nach Aussage sämtlicher Zeugen - auch des Zeugen Z - oberhalb der Brücke ereignet hat. Der völlig unbeteiligte Zeuge P, der seinen Bekundungen zufolge etwas seitlich oberhalb der Brücke stand und von dort eine gute Sicht auf das Geschehen hatte, hat ausgesagt, im Moment der Kollision habe sich der Bug des Bergfahrers etwa 60 - 80 m oberhalb der Brücke befunden, sein Steuerhaus habe gerade das Ende der Brücke erreicht gehabt. Dies steht in Einklang mit der Aussage der Zeugin Fe, das Steuerhaus ihres 86 m langen Schiffes habe sich bei der Kollision nahezu unter der Brücke befunden. Selbst der Beklagte hatte in seiner am Unfalltag gefertigten Handskizze den Kollisionsort oberhalb der Brücke eingezeichnet. 
Zudem haben die Zeugen Fr, Fe, B und P übereinstimmend bekundet, der Talfahrer sei sehr schnell, jedenfalls schneller als der Bergfahrer gefahren. Der Zeuge D hat zwar bekundet, der Kläger sei vor der Engstelle etwas schneller gefahren, um kurz hinter ihm durchzufahren. Da der Zeuge aber selbst seine Fahrt zuvor verlangsamt hatte, besagt dies nicht, dass der Kläger entgegen den Angaben der vorgenannten Zeugen sich der Unfallstelle schneller als der Beklagte genähert hätte. Wenn die Beobachtung des Zeugen D überhaupt zutreffen sollte, kann dem Kläger jedenfalls wegen der etwaigen Beschleunigung vor der Engstelle kein Vorwurf gemacht werden; Denn er hatte von der entgegenkommenden Talfahrt noch keine Kenntnis und war gern. § 6.07 Abs. 1 a BSchStrO verpflichtet, die Fahrwasserenge zügig zu durchfahren.

Nach alledem steht aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats fest, dass der Beklagte schuldhaft gegen § 6.07 Abs. 1 d BSchStrO verstoßen und hierdurch die Kollision verursacht hat. Dem Kläger zu 2.) kann nur vorgeworfen werden, dass er entgegen § 6.07 Abs. 1 b BSchStrO vor der Einfahrt in die Engstelle kein Schallsignal gegeben hat. Dafür, dass der Unfall noch hätte verhindert werden können, wenn der Kläger „einen langen Ton" abgegeben hätte, ist aber nichts dargetan. Im übrigen hat auch der Beklagte kein Schallzeichen gegeben.


Den Beklagten trifft somit das alleinige Verschulden an der Kollision. Demzufolge sind auch die von ihm mit der Widerklage gegen den Kläger zu 2.) geltend gemachten Schadensersatzansprüche unbegründet."

 

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2001 - Nr.11 (Sammlung Seite 1841 f.); ZfB 2001, 1841 f.