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3 U 216/89 - Oberlandesgericht (Schiffahrtsobergericht)
Entscheidungsdatum: 28.02.1992
Aktenzeichen: 3 U 216/89
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Köln
Abteilung: Schiffahrtsobergericht

Leitsatz:

Von einem Schiffsführer, der ständig Ladestellen unterschiedlichster Art anläuft, kann nicht erwartet werden, daß er sich an die örtlichen Gegebenheiten jeder einzelnen Stelle erinnert.
Es gehört zur Pflicht der Verkehrssicherung, ein heb- und senkbares Verladeband so hoch einzustellen, daß es mit einem anlegenden Schiff nicht in Berührung geraten kann.

Urteil des Oberlandesgerichts (Schiffahrtsobergerichts) Köln

vom 28.2.1992

3 U 216/89

(Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)

Zum Tatbestand:

Die Klägerin betreibt an einem alten Ruhrarm eine Verladeanlage zum Abbau einer dort befindlichen Halde. Bei der Anlage handelt es sich um ein heb- und senkbares Verladeband, das an einer Aufhängevorrichtung befestigt ist, die auf einem Doppeldalben montiert ist.

Der Beklagte ist Schiffseigner des 66,98 m langen und 8,18m breiten, mit einer Maschinenleistung von 465 PS ausgestatteten MS „G". Am 30. Dezember 1987 um 6.00 Uhr morgens sollte dieses Schiff an der Verladeanlage der Klägerin eine Ladung Haldenmaterial übernehmen. Als der Beklagte gegen 0.30 Uhr an den Dalben der Verladeanlage anlegte, geriet er mit dem Steuerhaus seines Schiffes gegen das Verladeband. Die dadurch an dem Band entstandenen Schäden, die die Klägerin mit insgesamt 167430,52 DM beziffert, sind Gegenstand des Rechtsstreits.

Die Klägerin hat behauptet, zur Unfallzeit sei das Verladeband auf seine höchste Stufe angehoben gewesen. Sie hält dem Beklagten vor, er habe beim Anfahren der Anlage nicht hinreichende Sorgfalt walten lassen. Die örtlichen Verhältnisse hätten ihm bekannt sein müssen, da er - unstreitig - vor dem Unfall bereits zweimal an der Verladeanlage Haldenmaterial übernommen gehabt habe. Deshalb hätte er die Anlage langsam seitlich anfahren und vermeiden müssen, sie mit dem Steuerhaus zu unterfahren. Im übrigen sei das Schiff nicht ausreichend bemannt gewesen.

Der Beklagte hat behauptet, zur Unfallzeit sei das Band auf seinen tiefsten Punkt abgesenkt gewesen. Er hält der Klägerin vor, dadurch habe sie ihrer Pflicht zur Verkehrssicherung nicht Rechnung getragen. Außerdem behauptet er, während des Anfahrens sei sein leeres Schiff von plötzlich auftretenden seitlichen Windböen erfaßt und mit dem Steuerhaus gegen das äußere Ende des Verladebandes gedrückt worden. Dessen Zustand zur Nachtzeit habe er entgegen der Auffassung der Klägerin nicht kennen müssen. Vorher habe er nämlich tagsüber angelegt.
Das Schiffahrtsgericht hat die Klage dem Grund nach zu %3 für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung des Beklagten hatte Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

„... Der Annahme des Schiffahrtsgerichts, der Unfall vom 30. Dezember 1987 beruhe - neben der Klägerin anzulastenden Umständen - auch auf einem schuldhaften Fahrfehler des Beklagten, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Ursache des Unfalls ist nach Auffassung des Senats vielmehr ausschließlich die mangelnde Verkehrssicherheit der Anlage gewesen. Zu Gunsten der Klägerin mag unterstellt werden, daß sich das Verladeband zur Unfallzeit in seiner höchsten Stellung befunden hat. Eine solche Konstruktion der Anlage war dann aber, wie die Klägerin hätte erkennen müssen, nicht hinreichend verkehrssicher. Ein schuldhaftes Fehlverhalten des Beklagten vermag der Senat dagegen entgegen der Auffassung der Klägerin nicht zu erkennen.

1. Die Klägerin meint, der Beklagte sei zu schnell gefahren, was sich aus den an der Anlage entstandenen Schäden ergebe. Für eine solche Annahme besteht aber entgegen ihrer Auffassung keine hinreichende Grundlage. Denn der Beklagte hält dem Argument der Klägerin überzeugend entgegen, daß in einem Fall wie hier die entscheidende Kraft von der Masse des Schiffes ausgeht und nicht von seiner Geschwindigkeit.

2. Zu Unrecht hält die Klägerin dem Beklagten vor, er hätte die Örtlichkeit kennen müssen, weil er vor der zum Unfall führenden Anfahrt schon zweimal dort gewesen sei. Wie der Beklagte unbestritten geltend macht, hat es sich bei diesen früheren Anfahrungen um Tagesfahrten gehandelt. Damals war die Einstellung der Anlage für den Beklagten ohne Schwierigkeiten zu erkennen und mußte für ihn nicht besonders auffällig sein. Insbesondere konnte er aus der zu den damaligen Zeitpunkten vorhandenen Einstellung des Verladebandes nicht den Schluß ziehen, in gleicher Höhe werde das Band auch zur Nachtzeit eingestellt sein. Hinzu kommt das zutreffende Argument des Schiffahrtsgerichts, daß von einem Schiffer, der ständig Ladestellen unterschiedlichster Art anfährt, nicht erwartet werden kann, daß er sich an die örtlichen Gegebenheiten jeder einzelnen Stelle erinnert.

3. Nicht zu folgen vermag der Senat auch dem weiteren Argument der Klägerin, für den Beklagten habe offensichtlich sein müssen, daß die Anlage nicht geeignet gewesen sei, mit dem Steuerhaus durchfahren zu werden. Für eine solche Annahme bestehen nach dem Gutachten des Sachverständigen K. keine hinreichenden Anhaltspunkte. Denn der Sachverständige stellt fest, das Verladeband hätte nur 30 bis 35 cm höher angebracht sein müssen, um die Durchfahrt des Schiffes auch mit dem Steuerhaus zu gewährleisten. Eine so geringe Höhendifferenz kann man nach Auffassung des Senats bei Dunkelheit nicht rechtzeitig erkennen.
Soweit der Sachverständige ausgeführt hat, der Beklagte hätte die Verladeanlage ableuchten müssen, vermag ihm der Senat dagegen nicht beizutreten. Denn der Beklagte durfte darauf vertrauen, daß die Klägerin als Inhaberin der Verladeanlage ihre Pflicht zur Verkehrssicherung erfüllt hatte (BGH ZfB 68, 25). Dazu gehörte es, daß das Verladeband so hoch angebracht war, daß es nicht mit einem anlegenden Schiff in Berührung geraten konnte. Dies gilt umso mehr, als Verladearbeiten bei der Klägerin um 6.00 Uhr morgens begannen, die Klägerin also damit rechnen mußte, daß Schiffe die Anlage zur Nachtzeit anfuhren. Zumindest hätte aber die Anlage, wie das auch der Sachverständige meint, hinreichend beleuchtet sein müssen, um die Führer anfahrender Schiffe auf die sich aus ihrem Zustand ergebende Gefahr aufmerksam zu machen. War die Anlage wie hier nicht beleuchtet, dann mußte ein Schiffsführer in der Situation des Beklagten nicht von sich aus auf die Idee kommen, bei der Anfahrung bestehe die Gefahr eines Unfalls.

4. Soweit die Klägerin schließlich geltend macht, das Schiff des Beklagten sei unterbemannt gewesen, ist nicht ersichtlich, inwiefern dieser Umstand für den Unfall kausal gewesen sein soll. Jedenfalls fehlt der erforderliche Zurechnungszusammenhang. Denn wenn der Beklagte bei der Anfahrung der Anlage keine Gefahr gewärtigen mußte, dann brauchte er auch keinen Schiffsjungen dabeizuhaben und ihn etwa als Wahrschauposten aufzustellen ..."


Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1992- Nr.20 (Sammlung Seite 1394); ZfB 1992, 1394