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Leitsatz:
Besteht wegen der Ungewissheit über die Ursachen eines Schiffszusammenstoßes nach § 92 a BinSchG kein Anspruch auf Schadensersatz und kommt dem Geschädigten ein Anscheinsbeweis nicht zugute, hilft auch nicht eine Beweislastumkehr, weil es diese für das Verschulden bei objektiven Verstößen gegen Normen im Binnenschifffahrtsrecht nicht gibt.
Urteil des Oberlandesgerichts (Schifffahrtsobergerichts) Köln
vom 27.8.1999
-3 U 211/98 BSch -
(Schifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin ist Versicherer des MS "Ellery", das sich am 17.12.1995 auf dem Dortmund-Ems-Kanal (DEK) in der Talfahrt befand, als es gegen 7.00 Uhr zwischen km 88,7 und 88,9 mit dem Backbordvorschiff gegen das Backbordvorschiff des der Beklagten zu 1) gehörenden zu Berg fahrenden MS "Rostock" stieß, dessen Schiffsführer der Beklage zu 2) war. Zum Zeitpunkt des Unfalls wurde MS "Rostock" von dem Beklagten zu 3) als Steuermann geführt.
Im Kollisionsbereich hat der DEK eine Fahrwasserbreite von 32,50 m. Etwa 200 m unterhalb der Schulze-Farwick- Brücke (km 88,75), bei km 88,93, beginnt eine Verbreiterung des Kanals Im Bereich der Unfallstelle befand sich auf der Steuerbordseite des MS "Ellery" eine schräge Böschung, auf der Steuerbordseite des MS "Rostock" eine Spundwand.
Die Klägerin hat vorgetragen, MS "Rostock" habe sich noch im verbreiterten Teil des Kanals befunden, als es mit allen Scheinwerfern das Ufer abgeleuchtet habe, ersichtlich, um die Verengung besser finden zu können. MS "Ellery" habe sich etwa 4 m aus dem rechten Ufer befunden. Wegen der dortigen Böschung habe es nicht näher an das Ufer heranfahren können. Der Schiffsführer von MS "Ellery" habe erkannt, daß MS "Rostock" nach der Einfahrt in die engere, nicht ausgebaute Kanalstrecke in die Mitte des Kanals gekommen sei. Er sei indes davon ausgegangen, MS "Rostock" werde sich noch wie üblich aufstrecken. Nur vorsorglich habe er mit seinem Scheinwerfer sein Ufer angeleuchtet, um dem entgegenkommenden Schiff anzuzeigen, dass MS "Ellery" nicht weiter nach Steuerbord ausweichen könne. Zudem habe der Schiffer die Fahrt vollständig aus dem Schiff herausgenommen. Die Maschine sei nur noch so gelaufen, dass Ruderwirkung bestand. MS "Rostock" habe aber weder aufgestreckt, noch sei es zu seinem Ufer ausgewichen, obwohl dies möglich gewesen wäre. Es sei dann im Fahrwasser von MS "Ellery" zur Kollision gekommen.
Die Beklagten haben vorgetragen, der Schiffsführer habe wegen der Verjüngung des Kanals die Fahrt verlangsamt, sei in den schmaleren Bereich des Kanals eingefahren und dort mit einem Abstand von ca. 2 bis 3 m von der Spundwand weitergefahren, so dass eine problemlose Begegnung mit dem Talfahrer zu erwarten gewesen sei. Als MS "Rostock" mit dem Steuerhaus die Brücke passiert habe, habe der Talfahrer plötzlich einen Bugscheinwerfer eingeschaltet. In diesem Moment habe der Schiffsführer von MS "Rostock" bemerkt, dass der Talfahrer zu weit in die Fahrwasserhälfte von MS "Rostock" geraten sei. Er habe deshalb sofort das Ruder nach Steuerbord gelegt. Die Kollision habe sich jedoch nicht mehr verhindern lassen. Seine Scheinwerfer habe MS "Rostock" bereits ausgeschaltet, als MS "Ellery" noch ca. 1 km entfernt war.
Das Schifffahrtsgericht hat die Schadensersatzklage abgewiesen. Die Berufung hatte keinen Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Schifffahrtsgericht hat zu Recht Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten gemäß §§ 3, 4, 92 ff., 114 BSchG, 823 BGB aus dem Schiffsunfall vom 17.12.1995 auf dem Dortmund- Ems-Kanal zwischen MS "Ellery" und MS "Rostock" verneint.... Das Berufungsvorbringen der Klägerin gibt keine Veranlassung zu einer abweichenden Beurteilung. Insbesondere hat der Senat übereinstimmend mit dem Schifffahrtsgericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht die für eine Verurteilung der Beklagten erforderliche sichere Überzeugung gewonnen, dass MS "Rostock" in den Kurs des entgegen kommenden MS "Ellery" gefahren wäre.... Es liegt somit "non liquet" vor, bei dem Ersatzansprüche des Beschädigten aus dem Zusammenstoß der Schiffe gegen den angeblichen Schädiger ausgeschlossen sind (vgl. Vortisch/Bemm, Binnenschifffahrtsrecht, 4. Aufl., § 92 a Rdnr 7 f.).
Eine Beweislastumkehr oder ein Anscheinsbeweis kommt der Klägerin entgegen ihrer Auffassung nicht zugute. Nach neuerer Auffassung gibt es im Binnenschifffahrtsrecht keine Beweislastumkehr für das Verschulden bei objektiven Verstößen gegen Normen (vgl. Wassermeyer aaO. S. 90; Vortisch/Bemm aaO. § 92 b Rdnr. 33 f.). Auch ein Anscheinsbeweis streitet nicht für die Klägerin. Es ist bereits kein Verstoß der Beklagten gegen § 3.05 und § 3.07 BSchStrO zu erkennen. Grundsätzlich ist das Fahren mit Scheinwerfern nicht verboten, es sei denn, dass sie blenden und dadurch die Schifffahrt oder den Verkehr an Land gefährden und behindern, § 3.07 Abs. 2 BSchStrO.
Die Klägerin behauptet selbst nicht, dass Schiffsführer B durch die Scheinwerfer von MS "Rostock" geblendet worden wäre. Dieser hat selbst bekundet, der Bergfahrer habe bei einer Entfernung von ca. 200 m von Bug zu Bug alle Scheinwerfer ausgemacht. Dass die Scheinwerfer hiervon abweichend erst unmittelbar vor der Kollision ausgestellt werden wären, kann der Aussage des Zeugen G nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnommen werden.
Soweit die Klägerin darauf abstellt, der Beklagte zu 3) habe durch das vorangegangene Fahren mit Scheinwerfern seine eigene Sehfähigkeit nach dem Abstellen beeinträchtigt, fällt dies nicht in den Schutzbereich von § 3.07 Abs. 2 BSchStrO. Durch diese Norm sollen nur die anderen Verkehrsteilnehmer zu Wasser und zu Land vor Blendung geschützt werden. Zudem ist es eine bloße Vermutung der Klägerin, dass der Beklagte zu 3) zum Zeitpunkt der Kollision "blind wie ein Maulwurf' gefahren wäre. Seine Au- gen können sich nach dem Abschalten der Scheinwerfer auch wieder an die Dunkelheit angepasst haben.... Zudem war MS "Ellery" mit den vorgeschriebenen Positionslampen ausgestattet, die mit Sicherheit erkennbar waren.
Selbst wenn man aber annehmen wollte, dass das Sehvermögen des Beklagten zu 3) infolge des vorangegangenen Fahrens mit Scheinwerfern noch eingeschränkt war, kann daraus nicht prima facie geschlossen werden, er habe einen Hauer nach backbord gemacht. Der Beklagte zu 3) musste lediglich bei der Kanalverengung im Bereich zwischen Kilometer 88,9 und 89,0 etwas nach backbord ziehen, da dort das linke Ufer mit der Spundwand um 10 m vorspringt. Nach der Aussage des Zeugen B vor dem Schifffahrtsgericht soll die Kollision auch in diesem Bereich stattgefunden haben. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden; denn der Zeuge hat - wie auch die übrigen Beteiligten - gegenüber der Wasserschutzpolizei angegeben, der Unfall habe sich bei Kilometer 88,7 ereignet. Im Hinblick auf die zeitliche Nähe - die Vernehmung durch die Wasserschutzpolizei ist noch am Unfalltag erfolgt - ist davon auszugehen, dass die damaligen Aussagen der Beteiligten zum Kollisionsort zutreffen. Bei einem Zusammenstoß bei Kilometer 88,7, also aus Sicht des Beklagten zu 3) hinter der Schulze-Farwick-Brücke, musste MS "Rostock" aber schon über 200 m in dem verengten Kanalbereich geradeaus gefahren sein. Das durch die Kanalverengung bedingte Steuermanöver war demnach längst beendet. Der Unfall kann ebenso gut dadurch passiert sein, dass der Zeuge B vor dem Zusammenstoß, als kein Gegenverkehr herrschte, in der Kanalmitte gefahren ist, zumal sich auf seiner Seite die Böschung befand, und sodann dem Bergfahrer nicht genug Platz gemacht hat.
Aus dem Umstand, dass der Beklagte zu 3) das Schiff gesteuert hat, ergibt sich kein Verstoß gegen § 1.09 BSch- StrO. Der Beklagte zu 3) war im Sinne von § 1.09 Abs. 1 BSchStrO zum Führen des Schiffs geeignet. Er besaß auch die erforderliche Streckenkenntnis, da er die Unfallstelle unstreitig als Steuermann bereits mehr als hundertmal passiert hatte. Das Fahren mit Scheinwerfern lässt keinen zwingenden Schluss auf mangelnde Streckenkenntnis zu ..."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2000 - Nr.5 (Sammlung Seite 1783 f.); ZfB 2000, 1783 f.