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Oberlandesgericht - Rheinschiffahrtsobergericht - Köln
vom 01.08.1995
3 U 179/94 BschRh
Entscheidungsgründe:
Die in formeller Hinsicht nicht zu beanstandende Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage zu Recht dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt; denn der Schiffsunfall beruht allein auf dem schuldhaften nautischen Fehlverhalten des Beklagten zu 2).
Diesem ist zunächst vorzuwerfen, daß er das Radarbild falsch ausgewertet hat. Nach seinen eigenen Angaben im Verklarungsverfahren hat er den Bergfahrer durch den rechtsrheinischen Brückenbogen kommen sehen. Tatsächlich hat MS "O" jedoch den linken Bogen der P-Brücke genommen, wie der unbeteiligte Zeuge W bestätigt hat und die Beklagten selbst nicht mehr in Abrede stellen. Des weiteren hat der Beklagte zu 2) angeblich statt "P" "K" verstanden und deshalb die Kursweisung nicht auf sich bezogen. Falls es sich hierbei nicht um eine reine Schutzbehauptung handelt, ist das behauptete Mißverständnis jedenfalls auf einen Mangel der Streckenkenntnis zurückzuführen, über die ein Radarfahrer verfügen muß. Er selbst befuhr den Rhein in der Ortslage P, was die Vermutung hätte nahelegen müssen, dass dieses gemeint war. Am Rhein gibt es kein "K", insbesondere nicht im Koblenzer Revier. Die Reichweite von Kanal 10 beträgt im allgemeinen nur 1,5 km, max. 2,5 km, so daß die Kursweisung von einem Schiff in diesem Bereich stammen mußte. Wenn der Beklagte zu 2) die Ortsbezeichnung nicht richtig verstanden hatte, hätte er nachfragen müssen. Schließlich sah er den Bergfahrer ja auf seinem Radarschirm und es war unstreitig kein anderes Schiff zu sehen. Ferner muß sich der Beklagte zu 2) vorwerfen lassen, daß er trotz der von ihm erkannten Gefahrenlage nicht die gemäß § 6.32 Nr./3 Rheinschiffahrtspolizeiverordnung vorgeschriebenen Maßnahmen - Abgabe des Dreitonzeichens und Verminderung der Geschwindigkeit bis hin zum Anhalten - ergriffen hat und selbst bei der letzten Durchsage des Schiffsführers von MS "O" in einer Entfernung von ca. 400 m der Kursweisung zur Begegnung Backbord/Backbord nicht Folge geleistet, sondern weiter nach backbord gelenkt hat, um die von ihm gewünschte Begegnung steuerbord/steuerbord zu erzwingen. Die Kollision der beiden schiffe ist somit maßgeblich durch den gravierenden Verstoß des Beklagten zu 2) gegen § 6.04 Nr. 5 Rheinschiffahrtspolizeiverordnung - nämlich die Nichtbefolgung der Kursweisung des Bergfahrers - verursacht worden.
Schiffsführer H trifft demgegenüber an dem Schiffsunfall kein Verschulden. Ihm kann nicht vorgeworfen werden, durch eine fehlerhafte Aussprache des Ortsnamens "P" zu dem Mißverständnis des Talfahrers beigetragen zu haben. Zwar hat der Beklagte zu 2) angeblich "K" verstanden. Selbst wenn dies der Wahrheit entsprechen sollte, folgt hieraus jedoch nicht zwingend, daß Schiffsführer H den Ortsnamen tatsächlich falsch ausgesprochen hat. Nach seiner Aussage im Verklarungsverfahren hat er "P" gesagt. Der Beklagte zu 2) kann sich auch in Folge von Unaufmerksamkeit oder aufgrund von Nebengeräuschen im Kanal 10 verhört haben. Schließlich will er eine Frauenstimme vernommen haben, obwohl Schiffsführer H die Durchsagen gemacht hat, wie sich aus den Bekundungen der Zeugen H und W ergibt. Entgegen der Auffassung der Beklagten konnte von Schiffsführer H auch nicht verlangt werden, den jeweiligen Stromkilometer mit anzugeben. § 6.32 Nr.4 Rheinschiffahrtspolizeiverordnung fordert die Angabe des Standorts, ohne hierbei weiter zu differenzieren. Allgemein üblich ist insoweit die Benennung der Ortslage nebst den für die Schiffahrt relevanten topografischen Besonderheiten. Darüberhinaus auch noch den Stromkilometer mit anzugeben, erscheint nicht notwendig, da gute Streckenkenntnis bei einem für die Radarfahrt verantwortlichen Schiffsführer als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann.
Ferner ist Schiffsführer H nicht anzulasten, einen unklaren Kurs gefahren zu sein. Allerdings hatte er seit der Durchfahrung des linksrheinischen Bogens der P-Brücke einen leichten Backbordkurs eingehalten, wie sich daraus ergibt, daß dieser Brückenbogen ausweislich der Angaben im Radaratlas eine Weite von 77 m hat und Schiffsführer H nach seinen Bekundungen im Verklarungsverfahren ca. 80 bis 100 m aus dem linksrheinischen Ufer fuhr, als die beiden Schiffe etwa 1.000 m voneinander entfernt waren. Entsprechendes ist der von Schiffsführer H gefertigten Skizze zu entnehmen. Auch in der Radarfahrt ist der Bergfahrer aber nicht verpflichtet, sich hart am linksrheinischen Ufer zu halten, um etwaigen Fehlinterpretationen anderer Schiffsführer über den von ihm gefahrenen Kurs vorzubeugen; denn die Verständigung über die Art der Begegnung erfolgt über Sprechfunk, wie dies gemäß § 6.32 Nr. 4 Rheinschifffahrtspolizeiverordnung vorgeschrieben ist. Der Bergfahrer braucht, gemäß § 6.04 Nr. 1 Rheinschiffahrtspolizeiverordnung nur einen geeigneten Fahrweg freizulassen, nicht aber einen günstigen oder gar den als den am günstigsten angesehenen Fahrweg zu ermöglichen (vgl. Bemm-Kortendick, Rheinschiffahrtspolizeiverordnung § 6.04 Rdn. 13 ff, 16; BGH VersR 71, 435). Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß Schiffsführer H MTS "Ot" hinreichenden Raum für die von ihm geforderte Begegnung Backbord/Backbord gelassen hat. Die Fahrrinne ist im Unfallbereich ca. 150 bis 200 m breit. Wenn MS "O" 80 bis 100 m aus dem linksrheinischen Ufer fuhr, war backbord genügend Platz für die Vorbeifahrt. Es kommt daher nicht darauf an, ob Schiffsführer H entsprechend seinen Angaben im Verklarungsverfahren schon nach seiner ersten Aufforderung zur Begegnung Backbord/Backbord nach steuerbord gelenkt hat, oder ob dies erst nach dem letzten Funkkontakt der Fall war, wie er im Ermittlungsverfahren ausgesagt hat.
Soweit die Beklagten geltend machen, Schiffsführer H habe mit dem von ihm gefahrenen Kurs den Eindruck erweckt, er wolle den in diesem Bereich üblichen Übergang der Bergfahrt nach rechtsrheinisch machen, weswegen sich der Beklagte zu 2) auf eine Begegnung Steuerbord/Steuerbord eingestellt habe, kann ihnen schon deshalb nicht gefolgt werden, weil der Beklagte zu 2) den Bergfahrer seinen Angaben zufolge durch den rechtsrheinischen Brückenbogen hat kommen sehen. Wenn er aber den Bergfahrer infolge einer fehlerhaften Auswertung des Radarbilds bereits auf der rechtsrheinischen Seite gesehen hat, kann er nicht angenommen haben, dieser wolle vom linksrheinischen zum rechtsrheinischen Ufer überwechseln. Für den Beklagten zu 2) bestand jedenfalls keinerlei Veranlassung, seinen Kurs weiter nach linksrheinisch zu verlegen, da er als Talfahrer den mittleren Bogen der P-Brücke zu nehmen hatte. Ein Mitverschulden des Bergfahrers an der Kollision kann auch nicht darauf gestützt werden, daß er bei einer Entfernung von ca. 400 m auf seiner Kursweisung zur Begegnung Backbord/Backbord beharrt und noch weiter zum linksrheinischen Ufer hin gelenkt hat. Durch Kursweisung festgelegte gefahrlose Kurse dürfen grundsätzlich nicht mehr abgeändert werden. Gerade ein Abweichen von dem festgelegten Kurs auf eine kurze Entfernung erhöht die Gefahr des Zusammenstoßes erheblich (Bemm/Kortendick Rheinschiffahrtspolizeiverordnung § 6.03 Rdn. 31, 36 m. w. N.). Wenn der Bergfahrer erkennt, daß seine Kursweisung von dem Talfahrer nicht beachtet wird, kann es allerdings seine nautische Sorgfaltspflicht gebieten, einen von der Weisung abweichenden Kurs zu wählen, um eine Kollision zu vermeiden (Bemm/Kortendick Rheinschiffahrtspolizeiverordnung § 6.03 Rdn. 37; BGH VersR 72, 875). Im vorliegenden Fall war Schiffsführer H aber nicht gehalten, noch den Versuch zu unternehmen, die von dem Talfahrer gewünschte Begegnung Steuerbord/Steuerbord durchzuführen. Nachdem die zuvor gefahrenen Kurse eine problemlose Begegnung Backbord/Backbord entsprechend der von Schiffsführer H erteilten Kursweisung ermöglicht hatten - MTS "Ot" stand mehr als die Hälfte des Fahrwassers nach rechtsrheinisch hin zur Verfügung - und die Schiffe nun wie aus der von Schiffsführer H gefertigten Skizze ersichtlich mit den Köpfen aufeinander zufuhren, wäre es Sache des Beklagten zu 2) gewesen, der Kursweisung des Bergfahrers endlich Folge zu leisten und seinerseits nach steuerbord auszuweichen, statt in Richtung auf das linksrheinische Ufer zu rudern. Die Beklagten behaupten selbst nicht, daß sich MS "O" mit dem von ihm gefahrenen Kurs zum Zeitpunkt des letzten Funkkontakts etwa steuerbord von MTS "Ot" befunden hätte. Schiffsführer H hat auch nicht durch die Unterlassung der Abgabe von Schallsignalen zu dem Schiffsunfall beigetragen. Allerdings lagen die Voraussetzungen für die Abgabe sowohl des Kursweisungssignals gem. § 6.04 Nr. 4 Rheinschiffahrtspolizeiverordnung als auch des Nebelsignals gemäß § 6.32 Nr.4 Rheinschifffahrtspolizeiverordnung vor. Ggfls. sind bei der Radarfahrt beide Signale abzugeben (vgl. Straßburg, Urteil vom 21.6.1995 - 336 Z-7/95 -). Im Hinblick darauf, daß der Talfahrer den ihm gewiesenen Weg entgegen der ihm obliegenden Verpflichtung nicht bestätigt hatte (vgl. Bemm/Kortendick Rheinschiffahrtspolizeiverordnung § 6.32 Rdn.17), stand zu befürchten, daß er die Kursweisung des Bergfahrers nicht verstanden hatte. Auch war eine Gefahrenlage im Sinne von § 6.32 Nr. 5 Rheinschiffahrtspolizeiverordnung anzunehmen, da Schiffsführer nach seinen eigenen Angaben schon auf eine Entfernung von 1.000 m bemerkt hatte, daß der Talfahrer anfing, einen Übergang zu machen, so wie wenn er sich auf eine Begegnung Steuerbord/Steuerbord einrichtete. Die Kurse der beiden Schiffe konnten sich aus der Sicht von Schiffsführer H somit kreuzen und zu einer Kollision führen. Grundsätzlich hätte er daher zu dem Zeitpunkt, als sich der Talfahrer auch auf seine zweite Kursweisung in einer Entfernung von ca. 800 m nicht meldete und seinen Kurs beibehielt, die vorgeschriebenen Schallsignale gem. §§ 6.04 Nr. 4 und 6.32 Nr.5 Rheinschiffahrtspolizeiverordnung geben müssen. Sein Verstoß gegen diese Verpflichtung hat sich aber nicht unfallursächlich ausgewirkt, so daß er keine Mithaftung der Klägerseite zu begründen vermag (vgl. Bemm/Kortendick Rheinschiffahrtspolizeiverordnung § 6.32 Rdn. 19; Straßburg ZfB 93, 1431 ff und 94, 1459 sowie Urteil vom 21.06.1995 - 336 Z-7/95 -). Nach den vom Senat anläßlich einer Bereisung durchgeführten Versuchen mit Schallsignalen sind diese selbst bei klarem Wetter und leicht geöffnetem Fenster auf eine Entfernung von 400 m nicht hörbar. Erst recht muß dies bei unsichtigem Wetter und geschlossenen Fenstern gelten, da Nebel den Schall schluckt und die in Steuerhäusern moderner Schiffe übliche Thermopane-Verglasung von außen kommende Geräusche dämpft. Im Winter bei niedrigen Temperaturen - wie dies hier der Fall war - kann dem Radarfahrer auch nicht zugemutet werden, die Fenster ständig geöffnet zu halten, um etwaige Schallsignale anderer Schiffe besser hören zu können. Es ist somit davon auszugehen, daß der Beklagte zu 2) dann, wenn Schiffsführer H die vorgeschriebenen Schallsignale nach seinem zweiten unbeantwortet gebliebenen Ruf über Kanal 10 gegeben hätte, als sich die beiden Schiffe von 800 m auf 400 m annäherten, diese nicht wahrgenommen und demgemäß die Kursweisung ebenfalls nicht befolgt hätte. Daß Schiffsführer H nach dem letzten Funkkontakt in einer Entfernung von 400 m keine Schallsignale gegeben hat, kann sich auf keinen Fall mehr unfallursächlich ausgewirkt haben, weil der Beklagte zu 2) zu diesem Zeitpunkt MS "O" in seiner richtigen Position auf dem Radarschirm sah, die Kursweisung über Kanal 10 zur Begegnung Backbord/Backbord verstanden hatte und ihr gleichwohl nicht nachkam. Zusätzliche Schallsignale hätten somit an seinem Verhalten nichts mehr geändert und die Kollision daher auch nicht verhindert.
Nach alledem war die Berufung der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Streitwert für das Berufungsverfahren und Beschwer der Beklagten: 37.557,80 DM.