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Oberlandesgericht Köln
Urteil vom 20. Dezember 2005
Gründe:
I.
Die Klägerin ist Versicherer des Schubleichters, der am 16.11.2001, voll abgeladen mit Eisenerz von dem Seehafen Rotterdam kommend, auf dem Rhein zu Berg fahrend bei Rheinkilometer 538 gesunken ist. Die Klägerin hat den Interessenten des Schiffes Ersatz für den bei der Havarie entstandenen Schaden geleistet und nimmt die Beklagten aus übergegangenem und abgetretenem Recht auf Ersatz in Anspruch.
Die Beklagte zu 1) ist Eignerin, jedenfalls Ausrüsterin von MS „P", das zum Unfallzeitpunkt als Vorspann des Koppelverbandes, bestehend aus MS "E" und SL „ER", eingesetzt war. Der Beklagte zu 2) war der Schiffsführer von MS "P".
Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (BI. 229 ff. GA) Bezug genommen.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen K. im Verklarungsverfahren sowie eines schriftlichen Gutachtens des Europäischen Entwicklungszentrums für Binnen- und Küstenschifffahrt (Dipl.-Ing. B.) in diesem Rechtsstreit und Anhörung beider Sachverständiger durch Grundurteil vom 06.09.2004 den auf Zahlung gerichteten Klageantrag zu 40 % für gerechtfertigt erachtet und der Klage auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten in Bezug auf alle weiteren aus der Havarie entstandenen Schäden ebenfalls zu 40 % stattgegeben. Wegen der Begründung wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Beide Parteien haben in zulässiger Weise gegen dieses Urteil Berufung eingelegt.
Die Klägerin stützt ihren Vortrag auf das Gutachten des Sachverständigen B. und behauptet, Ursache für das Versinken des SL „ER" sei eine zu hohe Geschwindigkeit für das relativ flache Wasser bei Rheinkilometer 538 gewesen. Sie meint, damit beruhe das Versinken auf dem alleinigen Verschulden des Schiffsführers des Vorspannbootes, der allein die detaillierte Revierkenntnis gehabt habe, die zum Erkennen der „Schwelle" bei Rheinkilometer 538 und der daraus resultierenden Gefahr für den Schubverband erforderlich sei. Der Beklagte zu 2) habe für die Reduzierung der Geschwindigkeit sorgen müssen und nicht darauf vertrauen dürfen, dass der Schiffsführer von SL "ER" die Geschwindigkeit des Koppelverbandes reduzieren würde. Dem Schiffsführer J. sei das Phänomen der „Schwelle" nicht bekannt gewesen. Er komme von der Donau und habe erst relativ spät Rheinreisen durchgeführt; es sei seine zweite Rheinreise auf einem Schubverband der Größe des havarierten Verbandes gewesen.
Die Klägerin trägt ferner vor, der Beklagte zu 2) sei völlig übernächtigt und übermüdet gewesen, was einer Fahrzeitüberschreitung gleichkomme. Im Übrigen sei das Vorspannboot in Unterbesatzung gefahren.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Grundurteils die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 178.488,86 € nebst 5 % Zinsen seit dem 16.11.2001, die Beklagte zu 1) zusätzlich dinglich mit dem am 16.11.2001 entstandenen Schiffsgläubigerrecht an SP „P" haftend, zu verurteilen,
festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, für alle aus der Havarie entstandenen Schäden auf Seiten des Schiffseigners von SL „ER" aufzukommen,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Sie wiederholen ihre Einwendungen gegen das Gutachten des Sachverständigen B. rügen die Verletzung rechtlichen Gehörs im Hinblick auf die Einholung eines Obergutachtens, ohne die das Rheinschifffahrtsgericht dem Gutachten des Sachverständigen B. nicht habe folgen dürfen, weil der Sachverständige die Ursache für die Wasseraufnahme und das Versinken des SL „ER" in der mangelhaften Ausstattung des Schubverbandes gesehen habe. Sie sind der Ansicht, nicht der Beklagte zu 2), sondern der Koppelverband sei für die gefahrene Geschwindigkeit verantwortlich.
Wegen des Berufungsvorbringens im Einzelnen wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Sachverständigen K, und B. haben ihre schriftlichen Gutachten vor dem Senat erläutert. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll vom 11.11.2005 (BI. 415 ff. d.A.) verwiesen.
Die Verklarungsakte 4 II 2/01 BSch AG St. Goar sowie die Strafakte
2040 Js 59758/01 StA Koblenz waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
II.
Die Berufungen beider Parteien sind zulässig, in der Sache hat nur das Rechtsmittel der Beklagten Erfolg.
Die Klage ist nicht begründet. Die Beklagten haften weder aus dem Gesichtspunkt der positiven Vertragsverletzung noch nach §§ 823 BGB, 3, 4 Binnenschifffahrtsgesetz in Verbindung mit §§ 92 Abs. 2, 92 b, 92 c, 92 e Binnenschifffahrtsgesetz für den durch das Versinken des SL „ER" entstandenen Schaden.
Das Versinken des Schiffes beruht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht auf einem Verschulden des Beklagten zu 2) als Schiffsführer des Vorspannbootes.
Ihren Vortrag in der Klageschrift, der Beklagte zu 2) habe den Kopf des Schubverbandes nicht ordnungsgemäß freigefahren, vielmehr sei er so gefahren, dass der starke Strahl der Düse des Vorspannbootes unmittelbar auf den Kopf des Schubverbandes aufgetroffen sei, dass Wasser schwallweise über das Vordeck gelaufen und in den Laderaum des SL „ER " eingedrungen sei, hat die Klägerin nicht aufrecht erhalten, nachdem der Sachverständige B. in seinem schriftlichen Gutachten vom 21.10.2003 eine falsche Kursführung des Beklagten zu 2). vor dem Unfall auf der Grundlage der Aussage des Schiffsführers vom Schleppverband „E" ausgeschlossen hat (vgl. Seite 18 des Gutachtens).
Nach dem Ergebnis der Gutachten der Sachverständigen B. und K. sowie der Erläuterung der Gutachten durch beide Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 11.11.2005 geht der Senat davon aus, dass Unfallursache eine den gesamten Gegebenheiten nicht angepasste Geschwindigkeit war.
Wenngleich die beiden Sachverständigen zu den physikalischen Abläufen vor dem Absinken im Einzelnen unterschiedliche Thesen vertreten haben, bestand doch Einigkeit, dass die Geschwindigkeit beim Übergang aus einem Bereich mit einer Wassertiefe von 4,18 Metern (Rheinkilometer 538, 6) in einen Bereich mit einer Wassertiefe von 3,66 Meter und minimal 3,44 Meter am Havarieort (Rheinkilometer 538) angesichts der Umstände (Schiffsaufbauten, Schiffskörper, Tiefgang - gemittelt 2,42 Meter -, maximale Abladung, Dunkelheit, die verhinderte, dass der Schiffsführer eine Änderung des Wellenbildes frühzeitig erkannte, um die Wellenleistung reduzieren zu können) zu hoch war. Die Geschwindigkeit über Grund lag bei 7,86 km/h, wobei das Vorspannboot eine Geschwindigkeitssteigerung um ca. 1,2 km/h bewirkte. Das Einfahren mit dieser Geschwindigkeit in den Bereich mit niedrigerer Wassertiefe hat jedenfalls zu einem Anwachsen der Bugwellen und einer Absenkung des Schiffskörpers geführt, die schließlich so stark war, dass Wasser über den Laderaum ins Schiff gelangen konnte und dieses zu Grund sank. Nach den Berechnungen des Sachverständigen B. wäre das Schiff bei einer konstanten Wassertiefe von 4,18 Metern nicht gesunken. Der Sachverständige sieht die Ursache für das Absinken in der Geschwindigkeitsdifferenz bei Auftreten der geringeren Wassertiefe, die nach seinem Propulsionsdiagramm 1,6 km/h beträgt. Zu Gunsten der Klägerin kann unterstellt werden, dass Konstruktion, Höhe und Ausführung der Schwanenhälse auf dem SL „ER" den Vorschriften der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung entsprachen und dass der Leichter in noch zulässiger Weise abgeladen war.
Auf der Grundlage der Feststellungen des Sachverständigen B. dessen Ausführungen allein sich die Klägerin zu eigen macht, kann ein nautisches Verschulden beim Vorspannboot nicht festgestellt werden.
Die Pflichtverteilung zwischen Vorspannboot und Schleppzug ist nicht ausdrücklich in der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung geregelt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Versicherungsrecht 1958, 760 f.), der sich der Senat anschließt, liegt die Oberleitung beim Schleppzug und nicht bei dem nur zeitweilig mitfahrenden Vorspannboot. Die Vorspannboote sind zwar verpflichtet, auf Gefahren der Fahrt aufmerksam zu machen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Hauptboot die Gefahr nicht erkennt. Der Oberbefehl des Hauptbootes wird aber hierdurch nicht in Frage gestellt. Wenn das Hauptboot mit der rein tatsächlichen Kursbestimmung des vorfahrenden Vorspannbootes nicht einverstanden ist, kann es eine abweichende Weisung erteilen, der das Vorspannboot regelmäßig Folge zu leisten hat. Das Unterlassen einer Weisung des Hauptbootes hinsichtlich des eingeschlagenen Kurses spricht nicht für die Befehlsgewalt des Vorspannbootes, sondern beweist nur, dass das Hauptboot mit den Maßnahmen des Vorspannbootes einverstanden ist und sie billigt. Auch der Umstand, dass ein Vorspannboot u.U. deutlich stärker sein kann als das Hauptboot, vermag die Befehlsgewalt des Hauptbootes nicht in Frage zu stellen. Der Führer des Vorspannbootes hat die Anordnungen des Schleppzugführers grundsätzlich zu befolgen. Aber auch die Schiffsführung des Vorspannbootes ist dem Gesetzesbefehl und dem Schifffahrtsbrauch uterworfen (§ 7 Binnenschifffahrtsgesetz) und darf dem entgegenstehende Weisungen des Schleppzugführers nicht befolgen.
Hiernach hatte der Schiffsführer des Schleppverbandes die jeweils angemessene Geschwindigkeit vorzugeben und musste prüfen, ob die von dem Vorspannboot tatsächlich vorgegebene Geschwindigkeit angemessen war. Dabei musste er die Beladung seines Schleppverbandes, eine mögliche Anströmung des Propellerstrahles des Vorbootes und die Wassertiefe berücksichtigen. Da er bei Nacht mit Radar fuhr, musste er auch berücksichtigen, dass eine mögliche Änderung des Wellenbildes nicht frühzeitig erkennbar war, um die Wellenleistung zu reduzieren, und daher von vornherein langsamer fahren als bei Tag und klarer Sicht. Auch wenn entsprechend dem Klagevortrag die Maschine des Schubverbandes nur mit halber Kraft fuhr (638 KW), das Vorspannboot hingegen mit voller Kraft (594 KW), hatte er die Verantwortung für die letztlich gefahrene Geschwindigkeit und hätte das Vorspannboot zu einer entsprechenden Reduzierung auffordern müssen. Das ist unstreitig nicht geschehen, offenbar weil sich Schiffsführer voll auf das Vorspannboot verlassen hat. Die Klägerin kann sich aber nicht mit Erfolg darauf berufen, dass Schiffsführer als Inhaber des Rheinschifferpatents nicht ebenso gute Ortskenntnisse hatte wie der Beklagte zu 2) und nicht reviererfahren war. Wenn das zutrifft, durfte er erst Recht nicht bei voller Abladung und Dunkelheit eine Geschwindigkeit wie die tatsächlich gefahrene zulassen.
Demgegenüber ist dem Beklagten zu 2) kein schuldhaftes Verhalten anzulasten. Die besondere Sachkunde und Revierkenntnis des Beklagten zu 2) begründeten allein noch nicht die Pflicht, beim Erreichen des Fahrwasserbereichs mit geringerer Wassertiefe die Leistung seiner Maschine zu reduzieren. Der Beklagte zu 2) durfte in Ermangelung anderer Anhaltspunkte davon ausgehen, dass auch dem Schiffsführer die Örtlichkeit hinreichend bekannt war. Daher genügte er seinen Pflichten, indem er - unwidersprochen - vor Fahrtbeginn nachfragte, ob alles dicht und von der Klüse her alles in Ordnung sei. Als ihm dies bestätigt und darüber hinaus gesagt wurde, der Schubverband sei schon des öfteren verschleppt worden, durfte er ohne weitere Überprüfung des Schubverbandes (Schiffsaufbauten, Schiffskörper, Tiefgang, Abladung) darauf vertrauen, dass der Schiffsführer ihn zu einer Reduzierung der Geschwindigkeit anweisen würde, falls die Situation des Schubverbandes dies erfordern würde. Wenn Schiffsführer erst seine zweite Fahrt mit dem Koppelverband machte und nur relativ selten den Rhein befuhr, so war es seine Sache, den Beklagten zu 2), der hiervon keine Kenntnis haben konnte, darauf hinzuweisen. Der Beklagte zu 2) hatte keine Anhaltspunkte dafür, dass Schiffsführer die mit dem Einfahren in den Bereich mit niedrigerer Wassertiefe verbundene Gefahr nicht kannte oder dass der von Schiffsführer mit dem Einsatz des Vorspannbootes angestrebte Geschwindigkeitsgewinn von ca. 1 km/h absolut und unter allen Umständen zu hoch war.
Schließlich ist dem Beklagten zu 2) nicht anzulasten, dass er nicht frühzeitig die Gefahr für den Leichter erkannt und hierauf reagiert hat. Denn es ist nicht ersichtlich und wird auch von der Klägerin nicht behauptet, dass er vom Vorspannboot aus gesehen hat, dass der Leichter schon vor Eintritt in den Bereich mit geringerer Wassertiefe ungewöhnlich hoch angeströmt wurde.
Soweit die Klägerin geltend macht, der Beklagte zu 2) sei völlig übernächtigt und übermüdet gewesen, ferner sei das Vorspannboot in Unterbesatzung gefahren, waren diese Umstände - ihre Richtigkeit unterstellt - nicht kausal für das Unfallereignis, da der Beklagte zu 2) seine Pflichten zur Gefahrenabwehr nicht verletzt hat.
Auf die Berufung der Beklagten war daher die Klage abzuweisen, während die Berufung der Klägerin zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung ergeht nach §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
Berufungsstreitwert: 178.488,86 € für den Zahlungsantrag + 10.000,00 € für den Feststellungsantrag