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Leitsatz:
Beiderseitiges Verschulden der Schiffsführungen, wenn zwei sich begegnende Schiffe bei unsichtigem Wetter des Nachts nahe der Strommitte gefahren sind und ihre Kollision auf einer mangelhaften Beobachtung der gegenseitigen Kurse und Verhaltensweisen durch beide Schiffsführer beruht.
Urteil des Oberlandesgerichts - Rheinschiffahrtsobergericht in Köln
vom 23. Januar 1987
3 U 163/86
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Am 6.1.1985 gegen 3.50 Uhr kollidierten zwischen km 917 und 918 der Waal das zu Berg fahrende, von der Klägerin versicherte, TMS B und das der Beklagten zu 1 gehörende KMS G, dessen Kapitän - Beklagter zu 2 - sich zur Unfallzeit auf der Brücke aufhielt. Wegen Nebels fuhren beide Schiffe nach Radar.
Die Klägerin verlangt als Rechtsnachfolgerin Zahlung von fast 38 900,- DM, wobei auch der Beklagte zu 2 als Beobachter des Radargeräts für den Unfall mitverantwortlich sei. TMS B sei im linken Fahrwasser 40 - 50 m aus den dortigen Kribben zu Berg gefahren. Der Schiffsführer P. habe vor einigen in gleicher Linie liegenden Stilliegern etwas Backbordkurs genommen. Bei der Annäherung an das erste der von ihm als Stillieger angesehenen Schiffe habe er erkannt, daß es sich um einen Talfahrer handelte. Obwohl er noch versucht habe, nach Steuerbord auszuweichen, sei die Kollision im linken Fahrwasser der Waal unvermeidlich gewesen. Die Beklagten behaupten, KMS G sei mit halber Kraft und mit etwa 17 - 17,5 km/h auf der rechten Seite der Waal mit einem Abstand von rd. 50 m zu den dortigen Kribben zu Tal gefahren. Der Lotse B. habe in rd. 1700 m Entfernung einen Bergfahrer ausgemacht, der auf der linken Fahrwasserseite mit leichter Schräglage, offenbar einen Stillieger umfahrend, gefahren sei, dann aber bei einer Entfernung von nur noch etwa 120 m hart nach Backbord in der Art eines Hauers gekommen und in starker Schräglage in den Kurs von KMS G geraten sei. Der Beklagte hafte nicht, da er nicht verantwortlicher Schiffsführer gewesen sei. Außerdem sei nicht Binnenschiffahrtsrecht, sondern nur Seerecht für das Seeschiff KMS G anwendbar. Das Rheinschiffahrtsgericht hat der Klage gegen den Beklagten zu 1 zu 2/3 dem Grunde nach stattgegeben, die Klage im übrigen, auch gegen den Beklagten zu 2, abgewiesen. Auf Berufung und Anschlußberufung wurde die Klage gegen die Beklagte zu 1 zur Hälfte dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, im übrigen wurde die Klage abgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Auf den Schiffsunfall ist deutsches Recht anzuwenden, weil es sich um eine Kollision deutscher Schiffe auf die Waal, die zum Rheinstrom zählt (vgl. Art. 1 Abs. 3 der revidierten Rheinschiffahrtsakte vom 17. Oktober 1868) handelt (vgl. § 1 der Rechtsanwendungsverordnung sowie BGHZ 34, 222; Prüßmann-Rabe, Seehandelsrecht, 2. Aufl. vor § 734 111 2 c). Die Beklagte zu 1) hat für ein Verschulden des Schiffslotsen B, einzustehen und haftet daher gem. §§ 735 ff, 739, 485 ff HGB, 823 BGB. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vermag der Senat nicht festzustellen, ob sich die Schiffskollision auf der linken oder rechten Seite des Waalstromes ereignet hat. Die Aussagen der beteiligten Schiffsbesatzungen sowie der übrigen Zeugen widersprechen einander. Es besteht keine Veranlassung, den Wahrheitsgehalt der Aussagen unterschiedlich einzustufen.
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TMS B ist bei der Bergfahrt im Unfallbereich nicht weit in der linken Seite der Waal gefahren, wie der Zeuge R. bei seiner Vernehmung im Verklarungsverfahren angegeben hat, sondern in der Nähe der Mitte des Stromes oder nicht allzuweit von ihr entfernt. Dies folgt aus den Angaben des Zeugen R. im polizeilichen Ermittlungsverfahren in Holland, die noch unter dem relativ frischen Eindruck des Geschehens gemacht worden sind. Damals hat der Zeuge ausgesagt, daß er mit dem Tankschiff R dem TMS B gefolgt sei und daß der Kurs 40 m aus der Kribbenlinie vom linken Ufergelegen habe. Der Zeuge O. hat dies noch deutlicher ausgedrückt. Er hat im Verklarungsverfahren angegeben, R sei mit Kurs 50 bis 60 m von den auf der linken Waalseite liegenden Stilliegern gefahren, wobei der Zeuge die Breite des Stromes in diesem Bereich auf etwa 300 m geschätzt hat.
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Werden diese Angaben der Zeugen mit der Skizze des Unfallbereichs verglichen, die als Ablichtung aus den holländischen Ermittlungsakten sich bei den Verklarungsakten befindet, so wird deutlich, daß TMS B nicht weit von der Stommitte zu Berg gefahren sein muß. Diese Fahrweise war bei unsichtigem Wetter nicht ungefährlich, weil auch die Talfahrt einen gehörigen Seitenabstand zu den Kribben auf der rechten Seite der Waal halten mußte und von daher die Gefahr einer Kollision bestand. Es war daher unbedingt erforderlich, das Radar sorgfältig und ständig zu beobachten, um ggf. eine Kurskorrektur vornehmen oder einen
Kurswechsel mit dem Talfahrer absprechen zu können. Gegen diese Verpflichtung hat der Schiffsführer von B verstoßen. Er hat das eingeschaltete Radar nicht hinreichend beobachtet und daher den Talfahrer KMS G zunächst mit einem Stillieger verwechselt und danach den Kurs des Schiffes zu spät erkannt. KMS G fuhr mit einer nicht unerheblichen Geschwindigkeit von mindestens 17 km/h stromab - und war daher als in Bewegung befindliches Objekt auf dem Radarschirm gut auszumachen.
Hätte der Schiffsführer von TMS B seiner Beobachtungspflicht genügt, wäre es zu einer Kursabsprache oder Kursänderung gekommen, die eine gefahrlose Backbord an Backbord Begegnung ermöglicht hätte. Die Kollision wäre jedenfalls dann vermieden worden. So aber hat er sich durch die eigene Unaufmerksamkeit in eine Lage gebracht, in der er dann entweder aus der Überraschung heraus falsch reagiert hat (Backbordkurs gegeben hat, um KMS G zu umfahren) oder in der er nach der zuvor versehentlich eingeschlagenen Kursänderung nach Backbord nicht mehr anders reagieren und den Unfall vermeiden konnte.
Aber auch die Schiffsführung des Talfahrers trägt Schuld am Zustandekommen des Unfalls. Das KMS G hat ebenfalls einen Kurs gesteuert, der mehr zur Strommitte als zum Ufer hin verlief. Der Zeuge S. hat im Verklarungsverfahren erklärt, daß KMS G etwa 50 m aus dem rechten Ufer heraus und rund 30 m von den Kribben entfernt, gefahren sei. Diese Angaben erscheinen dem Senat weniger glaubhaft als seine Aussage, die er noch unter dem frischen Eindruck des Geschehens bei der Polizei in den Niederlanden gemacht hat. Dort hat er ausgeführt, daß das Schiff etwa 50 m aus der Kribbenlinie war. Diese Bekundung wird auch vom Zeugen B. bestätigt, so daß hiervon auszugehen ist. Diese nicht sehr weit von der Strommitte aber noch im rechten Teil der Waal verlaufende Kurslinie war im Hinblick auf das unsichtige Wetter schon deshalb nicht ungefährlich, weil auch die Bergfahrt wegen der Kribben und der Stillieger auf der linken Seite der Waal den Kurs unweit der Strommitte und in mehr oder weniger großen Abstand zu ihr halten mußte. Da nun der Verlauf des Fahrwassers - durch die unterschiedliche Länge der Kribben und die Gestalt des Stromes bedingt - nicht gradlinig ist, bestand eine nicht unerhebliche Kollisionsgefahr, die eine ständige Beobachtung des Radars und ggf. Kursabsprachen und Kurskorrekturen erforderlich machte. Der Lotse B. ist nach seinen eigenen Angaben dieser Verpflichtung nicht nachgekommen. Er hat das TMS B zwar in Schräglage gesehen und angenommen, das Schiff wolle einen Stillieger umfahren, hat aber dann nicht weiter „auf dieses Schiff im Radar geachtet", mit der Folge, daß er TMS B erst wieder wahrnahm, als das Toplicht des Bergfahrers 50 m voraus sichtbar wurde. In diesem Augenblick war es für ein Ausweichmanöver zu spät. Wäre der Bergfahrer vom Lotsen hinreichend im Radar beobachtet worden, so wäre eine Kursabsprache und ggf. eine Kursänderung erfolgt, durch die die Kollision vermieden worden wäre.
Soweit das Rheinschiffahrtsgericht darauf abgestellt hat, die Kollision sei dadurch eingetreten, - daß der Bergfahrer sein Schiff nicht aufgestreckt hat und in Backbordkurs auf den Talfahrer zugefahren sei und ferner dadurch, daß der Talfahrer unmittelbar vor der Kollision einen Hauer nach Backbord gemacht habe, kann nach Ansicht des Senats dies dahingestellt bleiben, denn beide Fehlreaktionen und jede für sich beruhen auf einer vorausgegangenen Vernachlässigung der Radarbeobachtung. In diesem Pflichtverstoß liegt der eigentliche Unfallbeitrag, den beide Schiffsführer zu verantworten haben.
Soweit geltend gemacht worden ist, die Aussagen der Zeugen B. und O. könnten nach ihren Angaben über die Entfernung der Schiffe im Revier und über die vorhandene Radareinstellung des eigenen Schiffes nicht auf eigener Wahrnehmung der Zeugen beruhen, ist dieser Einwand nicht schlüssig. Die Zeugen haben Einzelumstände bekundet, die sich objektivieren lassen. Ihre Schilderung zum Unfallhergang deckt sich mit wesentlichen Angaben der übrigen Beteiligten und Zeugen.
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Unter Abwägung der beiderseitigen Unfallbeiträge erscheint eine hälftige Quotierung sachgerecht und angemessen, weil beide Schiffe nahe der Strommitte gefahren sind und die Kollision auf eine mangelhafte Beobachtung des Radars bei unsichtigem Wetter durch beide Schiffsführer zurückzuführen ist.
...“.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1988 - Nr.5 (Sammlung Seite 1238 f.); ZfB 1988, 1238 f.