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3 U 133/09 BSchRh - Oberlandesgericht (Rheinschiffahrtsobergericht)
Entscheidungsdatum: 10.07.2012
Aktenzeichen: 3 U 133/09 BSchRh
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Köln
Abteilung: Rheinschiffahrtsobergericht

Urteil des Oberlandesgerichts Köln

vom 10.07.2012

OBERLANDESGERICHT KÖLN
RHEINSCHIFFFAHRTSOBERGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

In dem Rechtsstreit
pp.

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln als Rheinschifffahrtsobergericht auf die mündliche Verhandlung vom 20.04.2012 durch seine Mitglieder Lampenscherf, Dr. Waters und Schneider

für Recht erkannt:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 20.07.2009 verkündete Grund- und Teilurteil des Amtsgerichts Duisburg-Ruhrort – Rheinschifffahrtsgericht – 5 C 9/08 BSch - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagten als Gesamtschuldner zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten können die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerinnen vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Gründe:

I.

Die Klägerinnen machen gegen die Beklagte zu 1. als Ausrüsterin des MS F. und den Beklagten zu 2. als verantwortlichen Schiffsführer deliktische Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Containerunfall auf dem Rhein bei Kilometer 677 am 25.03.2007 geltend.

Die Klägerin zu 1. begehrt Ersatz von Bergungs- und Reparaturkosten von fünf ihr gehörenden Containern, die bei dem Wendemanöver des Schiffes in L. in den Rhein fielen.

Die Klägerin zu 2. war vertragliche Frachtführerin für die C1 und begehrt aus abgetretenem Recht dieser Firma den Verkaufswert des in einem der Container der Klägerin zu 1. befindlichen L1 – ein Kraftstoffadditiv,  das wegen möglicher Verunreinigung mit eingetretenem Wasser aufgegeben werden musste – sowie den Ersatz von Analyse- und Umfüllkosten.

Die Container wurden in der Nacht vom 24. auf den 25.03.2007 in N. auf das Schiff geladen und sollten aufgrund Frachtvertrags der Beklagten zu 1. mit der Firma N1 nach Rotterdam transportiert werden. Eine Stabilitätsberechnung wurde nicht erstellt. Bei Rheinkilometer 677, Ortslage L., verlor das Schiff am 25.03.2007 gegen 14.00 Uhr aufgrund einer Instabilität bei einem Wendemanöver des Beklagten zu 2. von den insgesamt geladenen 103 Containern 32 Container aus der dritten und vierten Staulage, darunter die der Klägerin zu 1. gehörenden.

Die Klägerin zu 1. hat einen Schaden in Höhe von 71.512,35 € behauptet, die Klägerin zu 2. einen solchen in Höhe von 32.707,83 €. Die Klägerinnen haben geltend gemacht, die Havarie sei auf leichtfertiges Verhalten des Beklagten zu 2. zurückzuführen, das die Beklagte zu 1. sich zurechnen lassen müsse. Außerdem hafte sie auch kraft eigenen qualifizierten Organisationsverschuldens. MS F. sei nicht ordnungsgemäß beladen gewesen. Schon auf der Grundlage der Gewichtsangaben in den Ladelisten habe das Schiff keine hinreichende Stabilität aufgewiesen und sei daher fahruntüchtig gewesen. Die Gewichtsangaben der C1 hätten auf das Gramm genau gestimmt. Der Verlust der Container sei auf falsche Stauung und verfehlte Fahrmanöver zurückzuführen.

Die Klägerinnen haben beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 1. 71.512,35 € zuzüglich 4 % Zinsen seit dem 25.03.2007, jedoch Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 2. 32.707,83 € zuzüglich 4 % Zinsen seit dem 25.03.2007, jedoch Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klageschrift zu zahlen;

3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, die Klägerin zu 1. von Ansprüchen der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes auf bergerechtlicher Grundlage oder auf der Grundlage der Geschäftsführung ohne Auftrag freizuhalten.

Die Beklagten haben beantragt, 

die Klage abzuweisen,

hilfsweise

ihnen vorzubehalten, das Recht auf Beschränkung der Haftung gemäß §§ 4 bis 5 n) BinSchG geltend zu machen, wenn ein Fond nach § 5 d) BinSchG errichtet worden ist oder bei Geltendmachung des Rechts auf Beschränkung der Haftung errichtet wird.

Die Beklagten haben die sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gerügt, eine Haftungsbefreiung nach Art. 18 Abs. 1 lit. c) und f) CMNI und Art. 17 Abs. 3 CMNI geltend gemacht und behauptet, die Beschädigungen seien darauf zurückzuführen, dass die Container vereinbarungsgemäß an Deck befördert worden seien und dass die Gewichtskennzeichnung der Container unzulänglich gewesen sei, was die Stabilität des Schiffes negativ beeinflusst habe. Auch die Angaben der Gewichte in den Ladepapieren seien unrichtig. Die Beklagten haben die Verjährungseinrede sowie den Einwand der Höchsthaftung gemäß Art. 20 c) CMNI und die Einrede der beschränkbaren Haftung gemäß § 5 d) BinSchG erhoben. Sie haben behauptet, nach dem Ablegen des Schiffes die tatsächliche Stabilität mit einem positiven Ergebnis bei einem Fahrversuch durch eine Schlängelfahrt ermittelt zu haben. Eine Stabilitätsberechnung habe bereits deshalb nicht erstellt werden können, weil keine Angaben zum Rohgewicht der einzelnen Container gemacht worden seien.

Das Rheinschifffahrtsgericht hat durch Grund- und Teilurteil die Zahlungsklagen dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Feststellungsklage der Klägerin zu 1. abgewiesen. Es hat seine sachliche Zuständigkeit bejaht und die ausschließlich geltend gemachten deliktischen Ansprüche gegen die Beklagte zu 1. aus § 3 BinSchG und gegen den Beklagten zu 2. gemäß § 823 Abs. 1 BGB dem Grunde nach zuerkannt sowie für beide Beklagte qualifiziertes Verschulden angenommen, für die Beklagte zu 1. als Organisationsverschulden, für den Beklagten zu 2., weil er die Fahrt ohne notwendige Stabilitätsprüfung angetreten und in Kenntnis der Schräglage seines Schiffes fortgesetzt hat. Damit entfielen alle Haftungsbefreiungen und –beschränkungen und seien die Ansprüche nicht verjährt. Ein Mitverschulden der Klägerin zu 1. oder der C1 sei nicht festzustellen.

Mit ihrer Berufung rügen die Beklagten weiterhin die sachliche Zuständigkeit des Rheinschifffahrtsgerichts. Sie meinen ferner, das Budapester Übereinkommen über den Vertrag über die Güterbeförderung in der Binnenschifffahrt (CMNI) sei anwendbar, die Ansprüche seien verjährt, die Haftungsbefreiung wegen Decksladung und wegen fehlender Gewichtskennzeichnung und falscher Ladepapiergewichte greife, beiden Beklagten sei kein Verschulden und erst recht keine Leichtfertigkeit vorzuwerfen, ein Mitverschulden des Absenders sei anzunehmen.

Die Beklagten beantragen,

unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

den Beklagten vorzubehalten, das Recht auf Beschränkung der Haftung gemäß §§ 4 bis 5 n) BinSchG geltend zu machen, wenn ein Fond nach § 5 d) BinSchG errichtet worden ist oder bei Geltendmachung des Rechtes auf Beschränkung der Haftung errichtet wird.

Die Klägerinnen beantragen,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise:

die Forderung der Klägerin zu 1. wird in Höhe von 91.429,31 €, die Forderung der Klägerin zu 2. in Höhe von 41.784,47 € zur Tabelle im schifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahren auf Antrag der Beklagten zu 1. – Amtsgericht Mannheim, Schifffahrtsgericht, Az.: 30 SRV 1/09 BSch – festgestellt,

hilfsweise,

mit der Maßgabe, dass die Forderungen dem Grunde nach festgestellt werden.

Die Klägerinnen verteidigen das angefochtene Urteil. Sie wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Am 11.05.2010 hat das Amtsgericht Mannheim auf Antrag der Beklagten zu 1. ein binnenschifffahrtsrechtliches Verteilungsverfahren eröffnet (Bl. 358 d. A.).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätzen nebst Anlagen sowie das angefochtene Urteil Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.

Das mit der Eröffnung des binnenschifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahrens unterbrochene Verfahren wird von den Klägerinnen mit der Behauptung der unbeschränkten Haftung der Beklagten fortgesetzt (vgl. BGHZ 76, 206; BGHZ 104, 215).

Das Rheinschifffahrtsgericht hat die Schadensersatzklage zu Recht und mit zutreffender Begründung dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

1. Die Klagen sind zulässig.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat mit zutreffender Begründung seine sachliche Zuständigkeit gemäß Art. 34 Abs. 2 c) Mannheimer Akte (MA) angenommen.
Die Zuständigkeit wird nicht durch Art. 34 bis 2. Hs MA ausgeschlossen, da die Klagen ausdrücklich nicht auf einen Vertrag gestützt werden, sondern ausschließlich deliktische Ansprüche geltend gemacht werden. Im Übrigen standen weder die Klägerin zu 1. als Verleaserin der Container noch die C1, deren Ansprüche die Klägerin zu 2. verfolgt, in einem Vertragsverhältnis zu den Beklagten. Ob ein frachtvertragliches Verhältnis zwischen der Klägerin zu 2. und der Beklagten zu 1. bestand, wie die Beklagten meinen – die Beförderung der Container erfolgte nach Beklagtenvortrag aufgrund eines Frachtvertrags der Firma N1 mit der Beklagten zu 1. -, ist unerheblich, da die Klägerin zu 2. keine eigenen Ansprüche geltend macht. Um der Zuständigkeit des Rheinschifffahrtsgerichts entzogene schiffsinterne vertragliche Ansprüche aus Frachtvertrag handelt es sich auch dann nicht, wenn im Rahmen der Prüfung deliktischer Ansprüche auch frachtrechtliche Vorschriften zu berücksichtigen sind.

2. Die geltend gemachten Schadensersatzansprüche unterliegen nicht einem Haftungsausschluss nach Art. 18 i. V. m. Art. 17 und Art. 22 CMNI. Denn das Budapester Übereinkommen über den Vertrag über die Güterbeförderung in der Binnenschifffahrt (CMNI) war am Unfalltag, dem 25.03.2007, noch kein geltendes deutsches Recht. Es ist nach dem Zustimmungsgesetz vom 17.03.2007 (Bl. 301 d. A.) in Verbindung mit der Bekanntmachung im Bundesgesetzblatt vom 03.08.2007 (Bl. 192 d. A.) nach seinem Art. 34 Abs. 2 für die Bundesrepublik Deutschland am 01.11.2007 in Kraft getreten. Der Gesetzgeber hat in Art. 3 des Zustimmungsgesetzes ausdrücklich zwischen dem In-Kraft-Treten des Zustimmungsgesetzes (am Tag nach seiner Verkündung, also am 23.03.2007) und dem Tag, an dem das Übereinkommen für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft tritt, differenziert. Damit hat der Gesetzgeber auch der Regelung über das In-Kraft-Treten des Übereinkommens in Art. 34 zugestimmt und nicht etwa die Anwendbarkeit des Übereinkommens auf den Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Zustimmungsgesetzes vorverlegt. Im Zustimmungsgesetz findet sich kein Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber es für das In-Kraft-Treten des Übereinkommens in der Bundesrepublik Deutschland nicht bei der Regelung des Art. 34 CMNI belassen, sondern eine vorgezogene innerstaatliche In-Kraft-Setzung wollte.

3. Ansprüche der Klägerin zu 1. gegen den Beklagten zu 2.:

Der Beklagte zu 2. haftet gemäß § 823 Abs. 1 BGB für die Schäden, die der Klägerin zu 1. dadurch entstanden sind, dass ihre fünf Container von Bord des MS F. in den Rhein gefallen sind und nur beschädigt geborgen werden konnten.

a) Der Beklagte zu 2. hat rechtswidrig – schuldhaft das Eigentum der Klägerin zu 1. verletzt.

aa) Er hat mittelbar eine Eigentumsverletzung verursacht, da bei seinem Wendemanöver fünf Container der Klägerin zu 1. über Bord gingen und beschädigt wurden.

bb) Der Verletzungserfolg war rechtswidrig, weil der Beklagte zu 2. seine Verpflichtung als verantwortlicher Schiffsführer zur Erstellung einer Stabilitätsberechnung und damit eine besondere Sorgfaltspflicht gemäß § 8 BinSchG verletzt hat und die Eigentumsverletzung hierauf beruht.

Die Stauung der Ladung muss so bewirkt werden, dass unter Berücksichtigung aller Umstände und aller Voraussicht eine Gefahr für die Frachtgüter durch die Art der Beladung ausgeschlossen ist (vgl. von Waldstein/Holland, Binnenschifffahrtsrecht, 5. Auflage, § 8 BinSchG, Rz. 27).

Bei der vorliegenden Beladung des Schiffes mit vier Staulagen musste zwingend vor Fahrtantritt eine Stabilitätsberechnung vorgenommen werden, die nicht durch eine Schlängelfahrt ersetzt werden konnte.

§ 1.07 Nr. 3 RheinSchPV fordert im Falle einer Containerbeförderung vor Antritt der Reise eine besondere Überprüfung der Stabilität bei einer Ladung von mehr als drei Lagen. Diese kann nur durch eine Stabilitätsberechnung erfolgen, die sicherstellt, dass nur bei einer positiven Stabilität die Fahrt aufgenommen wird. Die Unterlagen für die Berechnung für vier Containerlagen des Ing.-Büros G. gemäß §§ 22.01, 22.02 RheinSchUO standen dem Beklagten zu 2. zur Verfügung. Das Formblatt weist ausdrücklich darauf hin, dass nur bei positiver Differenz eine ausreichende Stabilität vorhanden ist.

Die erforderliche Stabilitätsprüfungspflicht ist nicht dadurch entfallen, dass die Container keine Gewichtskennzeichnung enthielten und die in den Ladepapieren angegebenen Gewichte jedenfalls teilweise fehlerhaft waren, wie der Beklagte zu 2. auch wusste. Eine Berechnung hätte dennoch zumindest auf der Grundlage der Ladelisten stattfinden müssen. Wenn bereits hiernach eine positive Differenz nicht festzustellen war, war die Stabilität nicht ausreichend und durfte die Fahrt mit der vorhandenen Art der Beladung nicht angetreten werden.

Ein vom Beklagten zu 2. bei Fahrtantritt ausgeführter zweimaliger Schlängelversuch – auch unter starkem Maschinen- und Rudereinsatz – mit positivem Ergebnis entbindet ebenfalls nicht von der Verpflichtung zur Durchführung der Stabilitätsberechnung. Denn solche Schlängelversuche sind untauglich, um eine Stabilität des Schiffes festzustellen. Falls sie negativ ausfallen, können bereits bei den Versuchen Container über Bord gehen und erhebliche Schäden verursachen.

Die Eigentumsverletzung beruht auf der Pflichtverletzung des Beklagten zu 2.. Denn bereits bei einer korrekten Stabilitätsberechnung auf der Grundlage der Ladepapiere wäre er zu einem negativen Ergebnis gelangt und hätte die Fahrt ohne Änderung der Stauung nicht antreten dürfen. Nach dem im Auftrag der Staatsanwaltschaft Duisburg erstellten schriftlichen Gutachten des Sachverständigen C2 vom 18.08.2007 ergab sich eine negative Differenz von 0,831 m (Bl. 109 d. A.) und war damit die Stabilität nicht ausreichend. Um eine positive Stabilität zu erreichen, hätte nicht eine andere Stauung genügt, sondern hätten weniger Container an Bord genommen werden dürfen. Hätte der Beklagte zu 2. aufgrund der Berechnung pflichtgemäß die Fahrt nicht wie geschehen angetreten, so wäre es nicht zu der Havarie gekommen. Daher ist für die Kausalitätsfrage unerheblich, dass weiteres pflichtwidriges Verhalten des Beklagten zu 2. – das Befüllen der Ballasttanks während der Fahrt, obwohl gemäß der Stabilitätsberechnung für das Schiff während der Fahrt kein Restwasser im Doppelboden vorhanden sein darf, - und weitere Umstände – das Drehmanöver vor der Havarie und die damit unter dem Rumpf entstehende Sogwirkung, der Winddruck, Wasser in der Vorpiek – zu einer weiteren Krängung des Schiffes und weiteren Stabilitätsminderung sowie letztlich zur Havarie geführt haben.

cc) Der Beklagte zu 2. hat schuldhaft gehandelt, indem er die Stabilitätsberechnung vorsätzlich unterlassen und dennoch die Fahrt angetreten hat. Im Übrigen spricht bei einem objektiven Pflichtverstoß und der Verletzung der „äußeren“ Sorgfalt ein Anscheinsbeweis für eine Verletzung der „inneren“ Sorgfalt und damit für ein Verschulden (vgl. BGH NJW 1986, 2757, 2758 für den Fall einer Verkehrssicherungspflichtverletzung).

b) Auf Haftungsausschlüsse oder Haftungsbeschränkungen kann sich der Beklagte zu 2. gemäß §§ 5 c) Abs. 1 Nr. 3, 5 b) Abs. 1 BinSchG, §§ 26 BinSchG in Verbindung mit 436 HGB nicht berufen, da er leichtfertig und in dem Bewusstsein gehandelt hat, dass der Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde.

Leichtfertigkeit im Sinne von § 5 b) BinSchG, § 436 HGB setzt einen besonders schweren Pflichtverstoß voraus, bei dem sich der Handelnde in krasser Weise über die Sicherheitsinteressen Dritter hinweg setzt.

Das Unterlassen der Stabilitätsberechnung vor Fahrtantritt in N. und das Abfahren trotz fehlender Stabilitätsberechnung stellt einen so groben Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften und die Sorgfaltspflichten des Schiffsführers dar, dass es als leichtfertig gewertet wird. Ohne Feststellung einer errechneten positiven Stabilität bestand ein erhebliches Risiko für die Besatzung, das Schiff und die Ladung.
Den Beklagten zu 2. entlastet nicht, dass er die Stabilitätsberechnung unterlassen hat, weil er davon ausging, dass in den Ladepapieren unzutreffende Gewichte – im Zweifel zu niedrige Gewichte – angegeben waren. In diesem Fall war eine negative Stabilität noch wahrscheinlicher als eine auf der Grundlage der Gewichte in den Ladepapieren erstellte Stabilitätsberechnung, so dass erst recht eine erhöhte Havariegefahr bestand.
Auch die Schlängelfahrt nach der Beladung entlastet den Beklagten zu 2. nicht, zumal sie ihm Veranlassung gab, in den hinteren Backbordtanks  Ballastwasser aufzunehmen, um die vorhandene Schräglage auszugleichen – obwohl eine Befüllung der Ballasttanks während der Fahrt gemäß der Stabilitätsberechnung für MS F. des Ingenieurbüros G. nicht erlaubt ist.
Hinzu kommt, dass der Beklagte zu 2. nach Beendigung seiner Ruhepause und Ablösung des Schiffsführers C. oberhalb Königswinter die Fahrt unverzüglich hätte einstellen müssen, weil die Instabilität nunmehr auch für ihn unübersehbar war. Zu diesem Zeitpunkt bestand eine komplette Vorschiffs-Schräglage, die den Beklagten zu 2. veranlasste, wiederum – unerlaubt – Ballastwasser zu pumpen. Das Schiff neigte sich immer mehr nach Steuerbord, das Gangbord war unter Wasser. Spätestens zu diesem Zeitpunkt musste sich dem Beklagten zu 2. aufdrängen, dass eine Stabilitätsberechnung nicht zu einem positiven Ergebnis geführt hätte und dass er die Fahrt deshalb nicht fortsetzen durfte. Dabei kann dahinstehen, ob der Schiffsführer C. den Beklagten zu 2. bei der Ablösung über die schon vorher vorhandene Schräglage des Schiffes, auf die bereits andere Schiffe ihn aufmerksam gemacht hatten und die ihn selbst zur Erstellung einer Stabilitätsberechnung veranlasst hatte, hingewiesen hat. Denn der Beklagte zu 2. konnte die Situation, die der Matrose C3 gegenüber der Wasserschutzpolizei am 31.03.2007 als „Selbstmordkommando“ bezeichnete, unmittelbar nach der Ablösung selbst einschätzen.
Der Beklagte zu  2. hat sich zunächst mit der Fortsetzung der Fahrt bis L. über die sich aufdrängenden Bedenken hinweggesetzt und auch insoweit leichtfertig gehandelt.

Dies erfolgte in dem Bewusstsein, dass der Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde. In Kenntnis des hohen Risikos für Besatzung, Schiff und Ladung, das mit dem Fahrtantritt trotz fehlender Stabilitätsberechnung verbunden war, hat sich der Beklagte zu 2. zumindest der Einsicht bewusst verschlossen, dass MS F. nicht die notwendige Stabilität aufwies, um ohne Gefährdung der geladenen Container in den oberen Staulagen nach Rotterdam zu gelangen.

Der Umstand, dass durch zwei Wasserschutzpolizei-Stationen keine Beanstandungen erfolgt sind, entlastet den Beklagten zu 2. nicht. Die Schräglage des Schiffes war so auffallend, dass sich Stabilitätsbedenken aufdrängen mussten – insbesondere in Kenntnis der fehlenden Stabilitätsberechnung. Ansonsten wäre der Schiffsführer C. nicht auf die Idee gekommen, während der Fahrt eine Stabilitätsberechnung nachzuholen, und hätte der Beklagte zu 2. nicht entgegen den Vorschriften während der Fahrt Ballastwasser pumpen lassen.

c) Unabhängig davon, dass der Beklagte zu 2. sich somit nicht auf einen Haftungsausschluss berufen kann, liegen die Voraussetzungen der §§ 436, 427 Abs. 1 Nr. 1 und 5 HGB nicht vor.
Entgegen dem Vortrag der Beklagten ist die Beschädigung der Container nicht, wie von § 427 Abs. 1 Nr. 1 HGB vorausgesetzt, auf die Decksverladung zurückzuführen. Diese ist als solche im Containerverkehr nicht gefahrenträchtig. Schadensursächlich waren vielmehr allein die falsche Verstauung und das Fehlen einer Stabilitätsberechnung, die zu einer Umladung bzw. teilweisen Abladung vor Fahrtantritt hätte führen müssen.

Ebenso wenig besteht ein Haftungsausschluss gemäß §§ 436, 427 Abs. 1 Nr. 5 HGB wegen ungenügender Kennzeichnung der Frachtstücke durch den Absender. Denn die unzulängliche Kennzeichnung war nicht schadensursächlich. Hierdurch ist keine Gefahrerhöhung eingetreten. Gewichtsangaben auf den Containern werden unstreitig bei der Beladung nicht beachtet. Die Beladung ist auch unstreitig nicht auf der Grundlage der – teilweise falschen - Gewichtsangaben in den Ladepapieren erfolgt und nicht überprüft worden.

d) Ein die Haftung des Beklagten zu 2. einschränkendes Mitverschulden der Klägerin zu 1. (§ 254 BGB) liegt nicht vor. Ihr sind keine fehlerhaften Gewichtsangaben anzulasten, da sie als Verleaser der Container weder Angaben zum Gewicht gemacht hat noch dazu verpflichtet war. Falsche Angaben Dritter muss sie sich nicht zurechnen lassen, da weder das Transportunternehmen, an das sie die Container verleast hatte, noch die von diesem eingeschalteten Frachtführer noch die C1, für die der Transport durchgeführt wurde, Erfüllungsgehilfen der Klägerin zu 1. waren.

e) Der Anspruch der Klägerin zu 1. ist nicht verjährt.
Bei Klageerhebung war weder die dreijährige Frist des § 195 BGB noch die mit Jahresschluss des Jahres 2007 beginnende Jahresfrist des § 117 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2 BinSchG abgelaufen. Auf die Jahresfrist des § 439 Abs. 1 S. 1 HGB kann sich der Beklagte zu 2. gemäß § 436 HGB wegen des qualifizierten Verschuldens nicht berufen.

f)
Das Rheinschifffahrtsgericht hat zu Recht zu Gunsten der Klägerin zu 1. ein Grundurteil erlassen, da die geltend gemachten Bergungskosten sowie die Reparaturkosten für den geborgenen Tankcontainer bestritten sind.

4. Ansprüche der Klägerin zu 2. gegen den Beklagten zu 2.:

Der Beklagte zu 2. ist der Klägerin zu 2. gemäß §§ 823 Abs. 1, 398 BGB zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der der C4 (früher C1) im Zusammenhang mit der Beschädigung des in einem über Bord gegangenen Tankcontainer befindlichen L1 entstanden ist.

Das Rheinschifffahrtsgericht hat auch insoweit der Klage dem Grunde nach zu Recht stattgegeben.

Der Beklagte zu 2. hat rechtswidrig – schuldhaft das Eigentum der C4 verletzt.

a) Er hat mittelbar eine Eigentumsverletzung verursacht. Denn das in einem der bei seinem Wendemanöver über Bord gegangenen Container befindliche L1 musste nach der Bergung wegen möglicher Verunreinigung mit eingetretenem Wasser aufgegeben werden.

b) Der Beklagte zu 2. handelte rechtswidrig und mit qualifiziertem Verschulden, so dass eine unbeschränkte Haftung besteht. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.

c) Nachdem die Klägerin zu 2. die Identität der früheren C1 mit der C4 und die Abtretung durch die C4 substantiiert vorgetragen hat und dem nicht widersprochen wurde, ist von der Aktivlegitimation der Klägerin zu 2. auszugehen.
Der Schadensmeldung der C1 vom 26.07.2007 an die Klägerin zu 2. als ihren Frachtführer (Bl. 214 d. A.) ist entgegen dem Beklagtenvortrag nicht zu entnehmen, dass die C5 Ltd. Eigentümerin des Produkts L1 war. Sie sollte vielmehr Empfängerin der Ware sein und das Eigentum erst erwerben. Eigentümerin war die C1 als Absenderin der Ware. Da die Beklagten keine Berichtigung der entsprechenden Tatbestandsfeststellungen im angefochtenen Urteil beantragt und auch in der Berufungsbegründung das Eigentum der C1 nicht ausdrücklich bestritten haben, bestand insoweit kein Anlass zu weiterer Aufklärung.

d) Ein haftungseinschränkendes eigenes Mitverschulden oder Mitverschulden der C1 wegen falscher Gewichtsangaben muss die Klägerin zu 2. sich nicht zurechnen lassen. Selbst wenn entsprechend dem Vortrag der Beklagten die in der Ladeliste angegebenen Gewichte um ca. 6.000 kg unter den tatsächlichen Gewichten lagen und die Falschangaben von der Klägerin zu 2. oder der C1 zu vertreten oder ihnen zuzurechnen sein sollten, ist diese Gewichtsdifferenz im Verhältnis zum Gewicht der gesamten Ladung des Schiffes (ca. 2.344,07 t, vgl. Bl. 111 d. A.) derart gering, dass von einer Mitverursachung des Schadens nicht ausgegangen werden kann (vgl. OLG Stuttgart, Transportrecht 2009, 309 für eine Gewichtsdifferenz von 4.326 kg nach Befragung des Sachverständigen C2). Die Beklagten haben zur Kausalität auch weder substantiiert vorgetragen noch Beweis angeboten.

e)  Der Schadensersatzanspruch der Klägerin zu 2. ist nicht verjährt. Auch hier war bei Klageerhebung weder die Dreijahresfrist des § 195 BGB noch die mit Schluss des Jahres 2007 beginnende Jahresfrist des § 117 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2 BinSchG abgelaufen und kann sich der Beklagte zu 2. aus den oben genannten Gründen nicht auf die Jahresfrist des § 439 Abs. 1 S. 1 HGB berufen.

f) Das Amtsgericht hat auch zu Recht zu Gunsten der Klägerin zu 2. ein Grundurteil erlassen, da der Haftungsumfang streitig und ungeklärt ist.

5. Ansprüche der Klägerinnen zu 1. und 2. gegen die Beklagte zu 1.:

Die Beklagte zu 1. haftet den Klägerinnen gemäß § 823 Abs. 1 BGB im selben Umfang wie der Beklagte zu 2., weil sie ihre Organisationspflichten als Ausrüsterin rechtswidrig – schuldhaft verletzt und dadurch die Verletzung des Eigentums der Klägerin zu 1. und der C4 mit verursacht hat.

a)
Als Ausrüsterin von MS F. hatte die Beklagte zu 1. durch geeignete Vorkehrungen dafür zu sorgen, dass vom Schiffsführer im Rahmen seiner Tätigkeit an Bord genommenes Frachtgut vor Verlust und Beschädigung geschützt wurde. Dazu gehörte auch die Verpflichtung, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass der Schiffsführer vorgeschriebene Stabilitätsberechnungen anstellte und die Fahrt nicht ohne Änderung der Ladung antrat,  wenn eine positive Stabilität nicht festgestellt werden konnte. Dies hätte durch Anweisungen und Überwachungsmaßnahmen geschehen müssen.

Nach dem unbestrittenen Klagevortrag hat die Beklagte zu 1. diese Pflicht verletzt, da sie den bei ihr angestellten Beklagten zu 2. weder zur Erstellung von notwendigen Stabilitätsberechnungen angehalten noch die Anfertigung überwacht oder die Richtigkeit solcher Berechnungen überprüft hat. Es reicht nicht aus, dass sie der Schiffsführung ein modernes, stabilitätsberechnetes attestiertes und überobligatorisch ausgerüstetes Schiff einschließlich der Formblätter zur mathematisch-theoretischen Stabilitätsberechnung zur Verfügung gestellt hat. Vielmehr überließ es die Beklagte zu 1. nach ihrem eigenen Vortrag dem Schiffsführer, auf welche Weise er bei einer Fahrt mit Containern in vier Staulagen die Stabilität überprüfte, und hält den Schlängelversuch jedenfalls für eine geeignete „zusätzliche“ Maßnahme. Damit hat die Beklagte zu 1. in keiner Weise auf eine ordnungsgemäße Stabilitätskontrolle durch eine notwendige Stabilitätsberechnung hingewirkt. Im Gegenteil hat sie nach dem nicht bestrittenen Klagevortrag auf eine äußerste Ausnutzung der Tragfähigkeit des Schiffes gedrungen, weil eine zuvor geplante Abfahrt ausgefallen war.

Hätte die Beklagte zu 1. eine ordnungsgemäße Stabilitätsberechnung sichergestellt, wäre die Fahrt nicht wie geschehen durchgeführt worden und keine Eigentumsverletzung eingetreten.

b)
Den Pflichtenverstoß, bei dem sich die Beklagte zu 1. in krasser Weise über die Sicherheitsinteressen der Ladungseigentümer hinweggesetzt hat, hält der Senat für besonders schwerwiegend und das Verhalten für leichtfertig. Aus dem leichtfertigen Verhalten drängte sich der Beklagten zu 1. auch die Erkenntnis der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts auf.

c)
Damit entfallen für die Beklagte zu 1. gemäß § 5 b) i. V. m. § 5 c) Abs. 1 Nr. 1 BinSchG die Haftungsbeschränkungen dieses Gesetzes und kann sie sich nach § 435 HGB nicht gemäß § 434 Abs. 2 HGB auf die Haftungsbefreiungen und Haftungsbegrenzungen im Frachtrecht berufen.

d)
Bezüglich des Mitverschuldens, der Verjährung sowie der Zulässigkeit des Grundurteils gelten die obigen Ausführungen entsprechend.

Daher war die Berufung der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergehen nach §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2012 - Nr.10 (Sammlung Seite 2201 ff.); ZfB 2012, 2201 ff.