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Oberlandesgericht Köln
Urteil
vom 28. April 2009
Aus den Gründen:
I.
Die Klägerin macht aus übergegangenem bzw. abgetretenem Recht Schadensersatzansprüche aus einer Begegnungskollision auf dem Rhein bei etwa Kilometer 668,8 (Höhe X) geltend. Sie ist Versicherer des leer auf Talfahrt von C nach S fahrenden TMS T. VII (im Folgenden: T.) (109,92 m lang, 10,51 m breit, 2.999,516 TS, Maschinenleistung 1.103 kw).
Am 28.09.2005 näherte sich T., geführt von dem Schiffsführer N., gegen 6.00 Uhr morgens bei Dunkelheit, ansonsten aber klarer Sicht mit 20 km/h der späteren Unfallstelle. Entgegen kam in der Bergfahrt das halbbeladene MS B. (im Folgenden: B.) (110 m lang, 9,5 m breit, 2.191,4 t, 919 kw Maschinenleistung), geführt zunächst von der Schiffsführerin U, sodann von dem Beklagten zu 2). Eignerin ist die Beklagte zu 1). Bei einer Bug-zu-Bug-Entfernung von ca. 1.500 m sah Schiffsführer N., dass B. das Funkellicht eingeschaltet und die blaue Tafel gesetzt hatte. Er erwiderte die Kursweisung, indem er seinerseits die blaue Tafel und das Funkellicht setzte. In der Folgezeit fuhren beide Schiffe Richtung rechtsrheinisches Ufer und stießen am Rand der rechtsrheinischen Fahrrinne in der Weise zusammen, dass B. mit dem Backbordvorschiff gegen die Backbordmitte von T. stieß. Beide Schiffe hatten keinen Funkkontakt aufgenommen.
Die Klägerin hat behauptet, der Schiffsführer von T. habe im Verlauf der weiteren Annäherung festgestellt, dass B. für die Begegnung Steuerbord an Steuerbord zu weit linksrheinisch gefahren sei. Er habe deshalb das Funkellicht ausgeschaltet und den Kurs zum rechtsrheinischen Ufer hin verlegt. Weil B. seinen Kurs beibehalten habe, sei der Schiffsführer von T. von einer Begegnung Backbord an Backbord ausgegangen. Kurz vor der Begegnung habe B. seinen Kurs aber ebenfalls in Richtung des rechtsrheinischen Ufers verlegt. Der an T. entstandene Schaden belaufe sich auf 73.846,57 €.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie 73.846,57 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, von 73.013,50 € seit dem 10.02.2006 und von weiteren 833,07 € seit dem 27.01.2007 zuzüglich 952,00 € zu zahlen.
Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt und behauptet, B. sei hart rechtsrheinisch gefahren. Einer Begegnung Steuerbord an Steuerbord habe nichts entgegen gestanden. In einem kurzen Abstand von wenigen 100 Metern habe T. sodann unerwartet Kurs in Richtung auf das rechtsrheinische Ufer genommen. B. habe noch seinen Scheinwerfer eingeschaltet und als Maßnahme des letzten Augenblicks Steuerbordruder gegeben.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat nach Vernehmung von Zeugen und Anhörung der Schiffsführer durch Grund- und Teilurteil den Klageanspruch in Höhe von 20 % für gerechtfertigt erachtet und die Klage im Übrigen abgewiesen.
Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt, mit der sie jeweils die Haftung des Gegners in vollem Umfang erstreben.
Die Klägerin rügt eine unzutreffende Beweiswürdigung und rechtliche Würdigung. Sie behauptet, bei einer Entfernung von ca. 1.000 m habe B. seinen Kurs geändert, indem es sich vom rechtsrheinischen Ufer weit entfernt habe und zeitweise über die Fahrrinnenmitte in den linksrheinischen Bereich gefahren sei. Diese Phase sei auf den von den Beklagten vorgelegten GPS-Aufzeichnungen dokumentiert, die allerdings ungenau seien. Diese ungewöhnlich breite Fahrweise von B. in Verbindung mit linksrheinisch abgelegten Stillliegern habe die Schiffsführung von T. befürchten lassen, dass es an der Steuerbordseite von B. zu eng werde. Daher habe Schiffsführer N. entschieden, das Funkellicht auszuschalten und die blaue Tafel wieder einzu-klappen, um sich auf eine Backbord an Backbord-Begegnung vorzubereiten, für die ausreichend Raum vorhanden gewesen sei und die auch den schifffahrtsüblichen Kursen in diesem Bereich entspreche. Gleichzeitig habe er seinen bis dahin in Fahrrinnenmitte führenden Kurs nach Steuerbord bis dicht ans rechtsrheinische Ufer verlegt. Da B. hierauf nicht reagiert habe, habe der Schiffsführer N. von einem Einverständnis mit seiner Fahrweise und einer Begegnung Backbord an Backbord ausgehen dürfen. Die Klägerin vertritt die Auffassung, die Schiffsführung von B. hätte reagieren müssen, wenn sie auf ihrer Kursweisung zur Begegnung Steuerbord an Steuerbord weiter habe bestehen wollen. Die geschilderte Sachlage habe sich angesichts der durchgeführten Zeugenvernehmungen und der GPS-Ausdrucke beider Schiffe herausgestellt. Hiernach treffe die Schiffsführung von B. die alleinige, zumindest jedoch die weit überwiegende Schuld an der Kollision. Aus dem Kursweisungsrecht des Bergfahrers folge seine besondere Verpflichtung, eine Klarstellung der Kurse hinsichtlich der zu erfolgenden Begegnung herbeizuführen, sobald er bemerke, dass der Talfahrer seiner Kursweisung nicht folge und seine Fahrweise stattdessen deutlich erkennbar auf eine andere Art der Begegnung einrichte. Reagiere der Bergfahrer hingegen nicht auf die Kursänderung des Talfahrers und auch nicht auf das Ausschalten des Funkellichts und das Wegklappen der blauen Tafel, so gebe er hierdurch zu erkennen, dass er mit der Fahrweise des Talfahrers einverstanden sei und nicht weiter auf Einhaltung seiner Kursweisung bestehe.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils entsprechend den in erster Instanz gestellten Schlussanträgen zu erkennen und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagten beantragen,
unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Sie sind der Ansicht, die Schiffsführung von B. habe ihre nautischen Pflichten nicht verletzt. Das Schifffahrtsgericht habe den Anwendungsbereich des § 6.04 Rheinschifffahrtspolizeiverordnung nicht richtig gesehen und die Vorschrift nicht richtig angewandt. Die Schiffsführung von B. habe nicht die Befürchtung haben müssen, ihre Kursweisung sei vom Talfahrer nicht verstanden worden. Ihr könne auch nicht vorgeworfen werden, vor der Kollision die Geschwindigkeit nicht stark genug zurückgenommen zu haben und das Schiff nicht ständig gemacht zu haben. Es sei richtig gewesen, die Maschinenleistung nur zurückzunehmen, um so die Beweglichkeit des Schiffes für ein Manöver des letzten Augenblicks zu erhalten. Selbst wenn die Schiffsführung von B. etwa 200 m vor der Kollision die Maschinenleistung voll zurückgenommen und ggfls. auf rückwärts gemacht hätte, um das Schiff ständig zu machen, wäre die Kollision nicht zu vermeiden gewesen. Die Schiffe seien etwa noch 200 – 250 m voneinander entfernt gewesen, als durch die Kursänderung des Talfahrers immer weiter nach rechtsrheinisch klar geworden sei, dass eine Kollision Kopf auf Kopf bevorgestanden habe. Damit habe die Schiffsführung von B. nicht einmal mehr 30 Sekunden Zeit gehabt zu reagieren.
Die Beklagten haben eine Auswertung der von den Parteien vorgelegten GPS-Aufzeichnungen beider Schiffe durch das Entwicklungszentrum für Schiffstechnik und Transportsysteme e.V. – Dipl.-Ing. D – zur Akte gereicht (Bl. 221 ff d. A.).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das angefochtene Urteil Bezug genommen.
II.
Die zulässigen Berufungen beider Parteien haben in der Sache keinen Erfolg.
Die Entscheidung des Schifffahrtsgerichts, der Klägerin 20 % des infolge der Schiffskollision vom 28.09.2005 entstandenen Schadens gemäß §§ 3, 92, 92 b, 92 c Binnenschifffahrtsgesetz, 823 BGB zuzusprechen, ist nicht zu beanstanden.
Der Zusammenstoss der beiden Schiffe ist ganz überwiegend auf das Verschulden des Schiffsführers von T. zurückzuführen. Er hat entgegen § 6.04 Rheinschifffahrtspolizeiverordnung nicht den vom Bergfahrer gewiesenen Weg genommen.
Der Schiffsführer von T. hat pflichtwidrig die rechtzeitige und eindeutige Kursweisung des Bergfahrers gemäß § 6.04 Nr. 3 Rheinschifffahrtspolizeiverordnung nicht befolgt, obwohl er auf eine Entfernung von etwa 1.500 m am Funkellicht erkannt hatte, das B. eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord angewiesen hatte. Diese Weisung durfte der Talfahrer nur dann missachten, wenn der Bergfahrer ihm keinen geeigneten Weg freigelassen oder seine Kursweisung geändert hat und er die Kursweisung des Bergfahrers nicht befolgen konnte. Den Beweis dafür hat der Talfahrer zu erbringen (vgl. BGH, Urteil vom 28.11.1988 – II ZR 28/88; Urteil des Senats vom 27.01.2003 – 3 U 88/03 BSchMo). Die Klägerin hat diesen Beweis nicht geführt.
Die Aussage des Schiffsführers N. von T. reicht zum Beweis nicht aus. Dem Zeugen kam es nach seinen Angaben von Anfang so vor, als sei B. zu dicht an den grünen Tonnen linksrheinisch gefahren. Ihm erschien deshalb die Begegnung Steuerbord an Steuerbord zu knapp. Er schätzte, dass sehr wenig Platz für eine solche Begegnung war. Deshalb habe er seinen Blinker wieder ausgeschaltet und den Kurs mehr nach rechtsrheinisch gehalten; er habe eine Backbord-Backbord-Begegnung gewollt. Diese Bekundungen stehen im Widerspruch zu der Aussage der völlig unbeteiligten Zeugin E-F, die Schiffsführerin auf dem hinter B. fahrenden MS P war, und bekundet hat, mit Blinklicht und blauer Tafel rechtsrheinisch den gleichen Kurs wie B. mit etwa der selben Geschwindigkeit gefahren zu sein, als sie den Talfahrer wahrnahm, zu diesem Zeitpunkt aber noch kein Blinklicht an T. sah. Ihre Angaben stimmen mit der Auswertung der GPS-Aufzeichnung von B. durch den Gutachter Dipl.-Ing. D vom 08.10.2008 (Bl. 221 ff d. A.) überein. Hiernach hielt B. jedenfalls ab einer Entfernung von 1.500 m einen deutlichen Kurs nach Backbord zum rechten Ufer (vgl. Abbildungen 2, 3, 5) und fuhr bei 1.000 m noch weiter zum rechten Ufer (Abbildungen 6, 7), so dass der Abstand von der Steuerbordseite zum linken Fahrrinnenrand 96 m betrug. B. änderte diesen Kurs nicht, so dass eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord ohne Einschränkung durchgeführt werden konnte. Zu den tatsächlichen Feststellungen des Gutachters bezüglich der vorgenannten Abbildungen werden auch von der Klägerin keine Einwendungen erhoben. Damit ist nicht bewiesen, dass B. ab einer Entfernung von 1.500 m über die Fahrrinnenmitte in den linksrheinischen Bereich gefahren ist und eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord deshalb unmöglich oder problematisch wurde. Der Senat hat keine Bedenken, den Ausführungen des Gutachters zu folgen, die durch die Aussage der neutralen Zeugin E-F gestützt werden.
Die Schiffsführung von T. war auch nicht etwa zur Missachtung der Kursweisung des Bergfahrers berechtigt, weil dieser seine Kursweisung aufgegeben hätte. Denn das war nicht der Fall. Hierzu reichte nicht aus, dass nach dem – bestrittenen – Vortrag der Klägerin der Talfahrer das Blinklicht bei 1.000 m Entfernung wieder ausgeschaltet hat. Der Schiffsführer des Talfahrers hatte keinen begründeten Anlass zu der Annahme, der Bergfahrer gebe seine Kursweisung auf, obwohl er weiterhin mit Blinklicht und blauer Tafel und auch nach der Aussage des Zeugen N. weiter Richtung rechtsrheinisches Ufer fuhr, sich also gerade nicht für eine Begegnung Backbord an Backbord linksrheinisch hielt. Auch nach seiner Aussage hatte der Zeuge N. alle Veranlassung, den Begegnungskurs über Funk zu klären, wenn er von einer Aufgabe der Kursweisung durch den Bergfahrer ausgehen wollte und meinte, die ursprüngliche Kursweisung nicht befolgen zu können. Die allgemeine Sorgfaltspflicht (§ 1.04 Rheinschifffahrtspolizeiverordnung) gebietet es, dass Schiffsführer auf dem Rhein die an Bord vorhandenen technischen Einrichtungen (z. B. Sprechfunkgeräte) auch ohne ausdrückliche gesetzliche Verpflichtung benutzen müssen, wenn damit die Gefährdung von Menschenleben, das Entstehen von Sachschäden oder die Behinderung der Schifffahrt vermieden werden können (vgl. BGH VersR 1993, 249). Darüber hinaus hätte der Talfahrer die Geschwindigkeit reduzieren müssen und durfte nicht ungebremst den Kollisionskurs weiterfahren, als er sah, dass der Bergfahrer seine Fahrt am rechtsrheinischen Ufer fortsetzte.
Demgegenüber trifft die Schiffsführung von B. ein leichtes Mitverschulden an dem Zusammenstoß der Schiffe. Auch sie hat die allgemeine Sorgfaltspflicht verletzt, indem sie es unterließ, Funkkontakt zum Talfahrer zu suchen, als beide Schiffe Kopf auf Kopf fuhren. Ab einer Entfernung von ca. 1.000 m musste auch die Schiffsführerin U von B. nach ihrer eigenen Aussage vor dem Schifffahrtsgericht zweifeln, ob eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord gelingen würde. Jedenfalls konnte sie nicht sicher damit rechnen, dass der Talfahrer die Begegnungsanweisung noch befolgen würde. Das gilt erst recht für den Schiffsführer V, der die Schiffsführung wenig später übernommen hat. Durch einen klärenden und warnenden Funkspruch mit Hinweis auf die Gefahrenlage hätte die Kollision vermieden werden können.
Ein Verstoß der Schiffsführung von B. gegen § 6.04 Nr. 4 Rheinschifffahrtspolizeiverordnung lag nicht vor, da nicht zu befürchten war, dass der Talfahrer die Kursweisung nicht verstanden hat. Wer – wie T. – das Blinklicht einschaltet und die blaue Tafel zeigt, gibt zu erkennen, dass er verstanden hat, dass der Bergfahrer den Talfahrer an Steuerbord vorbeifahren lassen will.
Nicht anzulasten ist der Schiffsführung von B., dass sie das Schiff nicht noch stärker zurückgenommen oder nicht ständig gemacht hat. Sie hat die Maschinenleistung nur so weit zurückgenommen (von 10 km/h auf ca. 9 km/h), dass die Beweglichkeit des Schiffs erhalten blieb und für ein Manöver des letzten Augenblicks genügend Fahrt im Schiff war. Das ist nicht zu beanstanden.
Schließlich hat die Klägerin nicht den ihr obliegenden Beweis geführt, B. habe seine Kursweisung mit Gewalt durchsetzen wollen. Hierzu wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil, die sich auf die Aussage der neutralen Zeugin E-F stützen, Bezug genommen.
Das Schifffahrtsgericht hat zutreffend das Verschulden der Schiffsführung von T., die eine Hauptursache für die Kollision gesetzt hat, als deutlich schwerer gewertet als dasjenige der Schiffsführung von B.. Die vom Schifffahrtsgericht vorgenommene Haftungsverteilung von 80 % zu Lasten der Klägerin und 20 % zu Lasten der Beklagten ist unter Berücksichtigung aller vorgenannter Umstände nicht zu beanstanden.
Daher waren beide Berufungen mit der Kostenfolge aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 73.846,57 €