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Leitsatz:
Zur Kollision von Berg- und Talfahrern bei Nacht. Schuldabwägung bei mißachteter Kursweisung gegenüber unterlassenem akustischen Signal.
Urteil des Oberlandesgerichts - Rheinschiffahrtsobergerichts in Köln
vom 18. November 1983
3 U 108/83
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Zwischen dem zu Berg fahrenden, der Klägerin gehörenden MTS B und dem zu Tal fahrenden, der Beklagten zu 1) gehörenden, vom Beklagten zu 2) (Steuermann E.) geführten MTS E kam es am 29. November 1980 nachts gegen 1.20 Uhr bei klarer Sicht auf dem Rhein bei km 726 am linken Ufer zur Kollision, durch die beide leerfahrenden Schiffe erheblich beschädigt wurden. Das Ruder des MTS B wurde vom Matrosen K. bedient. Schiffsführer L. hielt sich im Steuerhaus dieses Schiffes auf und überwachte die Ruderführung.
Die Klägerin verlangt Schadensersatz in Höhe von fast 190000,- hfl. Sie behauptet, MTS B sei zunächst mit Blinklicht rechtsrheinisch gefahren und habe nach Überholung des Schubverbandes „DR. MEYER" an dessen Backbordseite und nach Löschung des Blinklichts den Übergang nach linksrheinisch gemacht. Der Kurs des sich zu Tal nähernden MTS E sei zunächst normal gewesen. Trotzdem habe sich MTS B mit: „MTS B unterhalb Stürzelberg in der Bergfahrt, für die Talfahrt Backbord an Backbord" gemeldet. MTS E sei jedoch nach Annäherung auf 200 bis 300 m immer mehr nach Backbord hinübergekommen. Schiffsführer L. habe die Fahrt reduziert und über Kanal 10 gefragt, was die Talfahrt vorhabe, aber keine Antwort erhalten. Wegen des weiteren Kollisionskurses von MTS E habe MTS B vollan zurückgeschlagen und vorübergehend nach Steuerbord gehalten.
Die Beklagten behaupten, MTS E sei linksrheinisch gefahren, um der Bergfahrt Steuerbord an Steuerbord zu begegnen. Bei einem Abstand beider Schiffe auf etwa 300 m sei MTSB plötzlich nach Steuerbord hinübergekommen.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Auf Berufung des Beklagten hat das Rheinschiffahrtsobergericht die Klage dem Grunde nach nur zu drei Viertel für gerechtfertigt erklärt.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Die Klage ist gemäß §§ 3, 4, 92c, 111 BSchG, 823, 249, 254 BGB dem Grunde nach zu drei Viertel gerechtfertigt. In Höhe von einem Viertel muß sich die Klägerin ein Verschulden ihrer Schiffsbesatzung schadensmindernd anrechnen lassen.
Seine Überzeugung stützt der Senat im einzelnen auf folgende Erwägungen:
1. Verschulden von MTS E
Zur Unfallzeit hat Steuermann E. das MTS E verantwortlich geführt. Dabei hat er gegen die sich aus § 6.04 RhSchPVO folgende Verpflichtung verstoßen, seinen Kurs rechtzeitig nach Steuerbord zu richten, um dem linksrheinisch etwa 25 m aus dem linken Ufer zu Berg fahrenden MTS B zur Strommitte hin auszuweichen und mit diesem Fahrzeug, wie gefordert, Backbord an Backbord zu begegnen. Statt dessen hat er nach seinen eigenen Angaben im Verklarungsverfahren in der letzten Phase der Geschehnisse noch seinen Kurs noch weiter nach Backbord und zum Ufer hin gerichtet, so daß die Tankmotorschiffe nahezu Kopf auf Kopf zusammenstießen, wobei die Schiffe einen Winkel von etwa 30 Grad bildeten.
Diese Feststellungen sind in Übereinstimmung mit der zutreffenden Beweiswürdigung in dem angefochtenen. Urteil dem Ergebnis des Verklarungsverfahrens - 5 II 16/80 Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort - zu entnehmen.
Daß MTS B bei der Annäherung des zu Tal fahrenden MTS E kein Funkellicht zu einer Kursweisung gezeigt hat, ist den insoweit übereinstimmenden Angaben von Schiffsführer L. und seines Matrosen K. zu entnehmen. Beide haben ausgesagt, das Blinklicht ihres Fahrzeugs sei nicht in Betrieb gewesen.
Die Angaben der Zeugen L. und K. zur Kursweisung des MTS B erachtet der Senat als richtig.
...
MTS B fuhr nach dem Übergang hart linksrheinisch und entlang des Ufers. Bei einem solchen Kurs bestand keine Veranlassung, den Talfahrer Steuerbord an Steuerbord passieren zu lassen und das bereits nach dem Übergang gelöschte Funkellicht erneut zu zeigen.
Daß MTS B den Talfahrer Backbord an Backbord passieren lassen wollte, zeigen die beiden Ansagen dieses Schiffes über Kanal 10.
Matrose K. hat sich seinen Angaben zufolge auf 700-1000 m Abstand der Schiffe zueinander über Kanal 10 gemeldet und eine Begegnung Backbord an Backbord von dem Talfahrer verlangt, ohne aber eine Antwort zu erhalten.
Von einer Ansage seines Matrosen über Kanal 10 hat allerdings Schiffsführer L. bei seiner Vernehmung im Verklarungsverfahren nichts erwähnt. L. hat vielmehr bekundet, er selbst habe, als MTS E in der letzten Phase der Geschehnisse den Kurs nach linksrheinisch gerichtet habe, über Kanal 10 gefragt, was die Talfahrt vorhabe.
Daß nicht nur eine, sondern zwei verschiedene Ansagen über Kanal 10 seitens des Bergfahrers erfolgt sind, entnimmt der Senat den Aussagen des Zeugen J. im Verklarungsverfahren. Nach seiner dortigen Angabe hat der neutrale Zeuge J. von MS „J. F. KENNEDY" beide Ansagen gehört. An der Richtigkeit seiner Angaben zu zweifeln, sieht der Senat keine Veranlassung.
...
Der Kurs des Talfahrers nach linksrheinisch hin steht zwar in Übereinstimmung mit dem Schadensbild an den unfallbeteiligten Schiffen und den Angaben der Besatzung des Bergfahrers. Kein anderer Zeuge außer E. aber hat gesehen, daß auf E zu irgendeiner Zeit das Funkellicht gebrannt hat. Nicht einmal Schiffsführer B. von MTS E hat nach dem Unfall auf seinem Schiff ein in Tätigkeit befindliches Funkellicht festgestellt. Hätte tatsächlich E zu irgendeiner Zeit bei der Annäherung der Schiffe das Funkellicht gezeigt, hätte das insbesondere dem Zeugen B. von „DR. F.W. MEYER" auffallen müssen, weil dieser Zeuge nach seinen Angaben hierauf geachtet hat und auf die Erwiderung seines eigenen Funkellichts wartete.
...
Bei dieser Sachlage kann der Zusammenstoß der Tankmotorschiffe nur darauf zurückgeführt werden, daß Steuermann E. den Bergfahrer zu spät wahrgenommen oder dessen Kursweisung mißachtet hat. Da E. selbst den Bergfahrer auf größere Entfernung gesehen haben will, muß der Unfall auf eine Mißachtung der Kursweisung zurückgeführt werden.
Bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte E. bereits auf größere Entfernung wahrnehmen können, daß das zu Berg fahrende MTS B eine Begegnung Backbord an Backbord wünschte. Seinen Kurs hätte er ohne Schwierigkeiten entsprechend einrichten können, um den Bergfahrer gefahrlos zu passieren, zumal er nicht durch sonstige Schiffahrt im Revier behindert war, der Kursweisung zu folgen.
Der Senat ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles der Überzeugung, daß Steuermann E. fahrlässig gegen § 6.04 Nr. 5 RhSchPVO verstoßen hat.
Allerdings kann Steuermann E. nicht zusätzlich vorgeworfen werden, seinen Kurs in einer Weise geändert zu haben, daß hierdurch die Gefahr eines Zusammenstoßes herbeigeführt wurde (§ 6.03 Nr. 3 RhSchPVO).
Seine Kursänderung unmittelbar vor dem Unfall, als sich die Schiffe auf etwa 200 m genähert hatten, beruhte entweder darauf, daß er die Kursweisung des MTS B nicht wahrgenommen oder - gleichviel aus welchen Gründen auch immer - mißdeutet hat.
2. Verschulden von MTS B
Der Senat ist der Uberzeugung, daß Schiffsführer L. auch zur Zeit des Unfallgeschehens verantwortlicher Schiffsführer des MTS B gewesen ist, wenn auch der Matrose K. am Ruder gestanden hat, als sich die Schiffe annäherten. Denn L. hielt sich im Steuerstuhl seines Schiffes auf und hatte K. lediglich zu Übungszwecken das Ruder überlassen. L. konnte jederzeit eingreifen, wenn ihm das notwendig dünkte und wie das auch seinen Angaben zufolge tatsächlich auch geschehen ist. L. hat vor dem Zusammenstoß der Schiffe noch das Ruder von MTS B selbst übernommen und vergeblich versucht, den Unfall abzuwenden.
Entgegen der vom Rheinschiffahrtsgericht vertretenen Auffassung muß auch Schiffsführer L. von MTS B ein schadensursächliches Verschulden gemäß § 823 BGB vorgeworfen werden, für das die Interessenten des TMS B nach den §§ 3, 4,114 BSchG einzustehen haben.
MTS B hat bei der Annäherung des zu Tal kommenden TMS E über Kanal 10 seine Kursweisung mitgeteilt, ohne aber eine Antwort zu erhalten. Mangels einer Verständigung über die durchzuführende Begegnung mußte Schiffsführer L. den mit 25 km/h, also mit erheblicher Geschwindigkeit zu Tal fahrenden Entgegenkommer im Auge behalten und insbesondere darauf achten, daß die Begegnung unter Berücksichtigung der beiderseitigen Kurse gefahrlos erfolgen konnte. Dabei mußte er in Rechnung stellen, daß in einer Stromkrümmung - wie hier bei Stürzelberg - es zur Nachtzeit erfahrungsgemäß schwierig ist, zu beurteilen, ob ein Talfahrer seinen Kurs einer Kursweisung entsprechend anlegt. Auch wenn ein Bergfahrer bei der Annäherung eines Talfahrers auf die Befolgung seiner Kursweisung vertrauen darf, und der Talfahrer seinen Kurs noch der Kursweisung entsprechend einrichten kann, muß darauf geachtet werden, daß kein Kollisionskurs gesteuert wird. Wird bei Nacht der Passierabstand zu gering, muß gleich einem Kollisionskurs eine Gefahrenlage besorgt werden, die es erfordert, das Schallsignal nach § 6.04 Ziffer 4 RhSchPVO abzugeben. Jedenfalls sind die Voraussetzungen für die Abgabe zusätzlicher Schallsignale dann gegeben, wenn der Talfahrer in einer solchen Situation auf eine Entfernung von 200 m auch noch seinen Kurs ändert und der Passierabstand sich weiter verringert.
Hier war es nun so, daß der Matrose K. bei der Annäherung der Schiffe seinen Angaben zufolge davon ausging, die Begegnung würde mit einem Seitenabstand von etwa 20 m durchgeführt. Erst auf 100-200 m Abstand soll nach seinen weiteren Aussagen der Talfahrer Steuerbordkurs genommen und in seinen Kurs hineingefahren sein.
Auch Schiffsführer L. hat selbst bei der Annäherung der Fahrzeuge zunächst keine Gefahr vermutet. Erst als der Abstand der Schiffe 200 bis 300 m betragen habe, sei ihm, so hat er im Verklarungsverfahren ausgesagt, der Kurs des MTS E aufgefallen. E sei ihm immer mehr in den Kurs gekommen. Das sei für ihn Veranlassung gewesen, langsam zu machen und über Kanal 10 zu fragen, was der Talfahrer bei Stürzelberg vorhabe, ohne aber eine Antwort erhalten zu haben. Da E ihren Kollisionskurs beibehalten habe, habe er zunächst abgestoppt und dann zurückgeschlagen.
Aus beiden Aussagen folgt, daß die Besatzung des MTS B zunächst keine Gefahrenlage erkannt hatte. Wegen des geringen Passierabstandes von etwa 20 m hätte Schiffsführer L. wegen der herrschenden Dunkelheit besorgen müssen, daß der Talfahrer seine Kursweisung nicht verstanden hatte. Schiffsführer L. hätte deshalb das Schallsignal nach § 6.04 Ziffer 4 RhSchPVO abgeben müssen. Jedenfalls war er dazu verpflichtet, als er auf 200 bis 300 m Abstand feststellte, daß E Kurs nach Steuerbord nahm und so den Passierabstand weiter verringerte und Kollisionskurs nahm. Es genügte in dieser Situation nicht, abzustoppen, den Talfahrer über Kanal 10 anzurufen und mangels einer Antwort und der sich zuspitzenden Gefahrenlage zurückzuschlagen. Vielmehr wären bei den ersten Anzeichen für eine Gefahrenlage, der Feststellung des geringen Passierabstandes, die in § 6.04 Nr. 4 RhSchPVO vorgeschriebenen akustischen Signale abzugeben gewesen. Derartige Signale hätte Schiffsführer L. richtigerweise anstelle des Anrufs über Kanal abgeben müssen.
Die unterlassenen Schallsignale waren nach Lage der Situation vor dem Unfall auch für die Kollision der Schiffe ursächlich. Wären die akustischen Signale, die zusätzlich mit einem optischen Signal verbunden sind, gegeben worden, wäre Steuermann E. von MTS E auf die Kursweisung des Bergfahrers aufmerksam gemacht worden und hätte noch seinen Kurs nach Steuerbord richten können, um entsprechend der Kursweisung Backbord an Backbord zu passieren. Auch noch bei einem Abstand in einer Größenordnung von 200 bis 300 m hätten akustische Signale dazu führen können, den Talfahrer zu einer Kursänderung zu veranlassen.
Schiffsführer L. kann sich nicht damit entschuldigen, daß er Maschinenmanöver ausgeführt und dann abgestoppt hat. Er hätte gleichzeitig mit seinen Maschinenmanövern akustische Signale geben können. Wären zugleich mit den Maschinenmanövern des Bergfahrers Signale erfolgt, hätte E auch noch während der letzten Phase der Geschehnisse die Möglichkeit gehabt, eine Kursänderung und/oder Maschinenmanöver zur Abwendung der Kollision vorzunehmen, auch wenn E leer war. Auch wenn E in diesem Teil des Reviers einen Hang durchfuhr, hatte sie ausreichende Steuerkraft, den Bergfahrer freizufahren.
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3. Schuldabwägung
Da der Schaden durch gemeinsames Verschulden der Besatzungen der beteiligten Schiffe herbeigeführt worden ist, so sind die Eigner dieser Schiffe nach § 92c BSchG zum Ersatz des Schadens, der den Schiffen zugefügt worden ist, nach dem Verhältnis der Schwere des auf jeder Seite obwaltenden Verschuldens verpflichtet.
Unter den hier gegebenen Umständen mußte eine mißachtete Kursweisung gegen ein unterlassenes akustisches Signal abgewogen werden. Dabei konnte der Senat nicht übersehen, daß die primären und entscheidenden Unfallursachen von Steuermann E. verschuldet worden sind, Schiffsführer L. von MTS B hingegen nur vorgeworfen werden kann, in einer von ihm selbst nicht verschuldeten Gefahrenlage nicht richtig gehandelt zu haben. Sein Verschulden muß daher wesentlich geringer als das von Steuermann E. von MTS E eingeschätzt werden. Unter Abwägung aller Umstände hält der Senat eine Schadensverteilung von drei Viertel zu einem Viertel zu Lasten der Interessenten des MTS E für schuldentsprechend.
...“