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3 U 106/95 - Oberlandesgericht (Schiffahrtsobergericht)
Entscheidungsdatum: 22.03.1996
Aktenzeichen: 3 U 106/95
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Köln
Abteilung: Schiffahrtsobergericht

Leitsatz:

Ist ein Verstoß gegen § 6.07 BinSchStrO nicht bewiesen und sind auch sonst keine Umstände für ein Verschulden an der Grundberührung eines Schiffes an der Stelle der Begegnung ersichtlich, spricht kein Anscheinsbeweis dafür, daß eine Leckage durch einen Verstoß gegen § 6.07 BinSchStrO herbeigeführt worden ist.

Urteil des Oberlandesgerichts (Schiffahrtsobergerichts) Köln

vom 22.3.1996

3 U 106/95 Bsch

(Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)

Zum Tatbestand:

Das mit Cyclohexan beladene TMS A der Klägerin befand sich am 21.12.1993 auf dem Rhein-Herne-Kanal in der Talfahrt von Lingen nach Ludwigshafen.
Gegen 20.15 Uhr näherte sich TMS A einer Engstelle, die von zwei Taucherschiffen gebildet wurde, die hintereinander in einem Abstand von schätzungsweise 800 m aus der Sicht von TMS A am linken Kanalufer lagen.
Nachdem TMS "Alchimist Dormagen" das erste Taucherschiff passiert hatte, bemerkte Schiffsführer B unterhalb des zweiten Taucherschiffs das dem Beklagten gehörende und von ihm geführte MS K.

Er verlangte über Funk, daß dieses unterhalb des Taucherschiffs das Passieren von TMS A abwarten solle. Die Begegnung erfolgte Steuerbord an Steuerbord, wobei sich MS "Köln" etwa eine halbe Schiffslänge unterhalb des Taucherboots befand. TMS A fuhr nach der Begegnung normal weiter. In der ca. 1 km entfernten Schleuse Herne-Ost wurde festgestellt, daß Ladung aus einem Leck austrat. Das Schiff hatte an der Steuerbordseite im Kimgang am Vorschiff im Tank 1 ein Leck von ca. 20 cm Länge und 2 cm Breite und etwa 10 m nach Achtem ein kleineres Leck im Tank 2.

Die Klägerin hat behauptet, MS K habe trotz der Aufforderung, unterhalb des zweiten Taucherschiffs die Begegnung abzuwarten, zunächst versucht, vor TMS A an dem Taucherschiff vorbeizufahren. Als der Beklagte bemerkt habe, daß dies nicht mehr gelingen könne, habe er zurückgemacht, sei dadurch in den Kurs des entgegenkommenden TMS A verfallen, das dadurch gezwungen worden sei, nach Steuerbord auszuweichen. Bei diesem Ausweichmanöver habe TMS A eine Grundberührung erlitten, die zu dem Leck im Schiffsboden geführt habe. Insgesamt sei ein Schaden von 99.436,38 DM entstanden.

Der Beklagte hat behauptet, er habe weisungsgemäß vor der Engstelle gewartet und dabei TMS A ausreichend Raum für die Begegnung gelassen. Diese sei völlig problemlos verlaufen. Die für das Leck ursächliche Grundberührung müsse an anderer Stelle stattgefunden haben.

Das Schiffahrtsgericht hat die Schadensersatzklage mit der Begründung abgewiesen, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe nicht fest, daß der Beklagte aufgrund eines Manövers rückwärts in den Kurs von TMS A verfallen und dieses hierdurch zu einem Ausweichmanöver nach Steuerbord gezwungen habe. Des weiteren sei zweifelhaft, ob sich TMS A die Leckage anläßlich der Begegnung zugezogen habe.

Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Der Klägerin kann nicht darin gefolgt werden, daß ein Anscheinsbeweis dafür spreche, daß die Leckage durch einen Verstoß des Beklagten gegen § 6.07 BinSchStrO herbeigeführt worden sei; denn bereits ein Verstoß des Beklagten gegen § 6.07 Ziff. 1 c BinSchStrO ist nicht bewiesen. Die Begegnung fand unstreitig nicht neben dem die Engstelle bildenden Taucherschiff, sondern etwa eine halbe Schiffslänge unterhalb von diesem statt. Der Beklagte hat dort auch, wie es § 6.07 Ziff. 1 c BinSchStrO vorschreibt, angehalten. Daß er beim Zurückschlagen über die Kanalmitte hinaus verfallen wäre und hierdurch den Schiffsführer von TMS A zu einem Ausweichmanöver bis an den Kanalrad hin gezwungen hätte, steht nach der Beweisaufnahme nicht mit der erforderlichen Sicherheit fest. Zwar haben dies die Zeugen B und Br von TMS A im Verklarungsverfahren bekundet. Dagegen hat der Beklagte bei der Wasserschutzpolizei und im Verklarungsverfahren ausgesagt, er sei beim Zurückmachen gestreckt geblieben und habe ungefähr 30 m vor dem Taucherschiff in einem Abstand von ca. 10 m zur Spundwand gewartet. Allerdings hat der unbeteiligte Zeuge K bekundet, der Beklagte habe etwa auf der Höhe des Tauchbootes den Kopf Backbord herausgenommen, so daß TMS A seinerseits ca. 5 bis 6 m nach Steuerbord habe ausweichen müssen. Ob MS K über die Mitte des Kanals hinausgekommen war, hat der Zeuge aber nicht sagen können. Den Aussagen der Zeugen B und Br kommt im Hinblick auf ihr erhebliches Interesse am Ausgang des Rechtsstreits - der Zeuge B mußte wegen des Verlusts gefährlicher Ladung mit Strafverfolgung rechnen - allenfalls ein geringer Beweiswert zu. Der Zeuge K hat den entscheidenden Umstand, ob der Beklagte über die Kanalmitte hinausgekommen war, gerade nicht bestätigt. Seine Aussage ist ohnehin ziemlich ungenau. Tatsächlich konnte der Zeuge auch nicht viel sehen, weil er in einem Abstand von 200 bis 300 m hinter dem 80 m langen TMS A herfuhr und es zur Zeit der Begegnung dunkel war.

Die Angabe des Zeugen, MS K habe auf Höhe des Tauchboots den Kopf nach Backbord herausgenommen, stimmt nicht; denn die Begegnung hat unstreitig ca. eine halbe Schiffslänge unterhalb des Taucherboots stattgefunden. Daß der Zeuge K MS K aus seiner Sicht rechts von dem Taucherschiff sehen konnte, ergibt sich schon daraus, daß das Taucherschiff ausweislich 8,40 m breit war und der Beklagte seinen Angaben zufolge in einem Abstand von ca. 10 m zur Spundwand ständig war. Dies bedeutet aber nicht, daß der Beklagte über die Mitte des Kanals hinausgekommen wäre und dem Zeugen B nicht genug Raum für die Begegnung freigelassen hätte. Der Kanal ist an der Begegnungsstelle unstreitig 43 m breit. Die Berechnung der Klägerin, wonach TMS A bei seinem Ausweichmanöver einen Abstand von maximal 5,54 m zum rechten Kanalufer gehabt haben soll, ist falsch, weil sie von einer Begegnung neben dem Taucherschiff ausgeht und den Abstand zwischen MS K und TMS A doppelt rechnet. Befand sich das 8,20 m breite MS K in einem Abstand von 10 m von der Spundwand, blieben für TMS A 24,80 m für die Vorbeifahrt. Selbst wenn man die Breiten des Taucherschiffs und des MS K zuzüglich eines Abstands von 5 m voneinander nimmt, blieben noch 21,40 m Platz, also nahezu die Hälfte des Kanals. Der Zeuge B hat am 22.12.1993, also am Morgen nach dem Unfall, seinen Abstand zum Kanalrand mit 10 angegeben. So hat er dies auch dem Wasser- und Schiffahrtsamt erklärt, das daraufhin die Kanalsohle nach Untiefen abgesucht hat. Die zeitnahe Schätzung des Zeugen B stimmt gut mit den obigen Abstandsberechnungen überein, wenn man die Breite von TMS A mit 9,26 m und den Abstand zu MS K mit 5 m berücksichtigt. Selbst wenn TMS A bei der Vorbeifahrt bis auf 5 m an den Kanalrand herangekommen wäre, hätte es nicht zu einer Grundberührung kommen können, da die Kanalsohle dort ausweislich der Meßergebnisse des Wasser- und Schiffahrtsamts Duisburg-Meiderich noch mindestens 3,10 m tief ist. Den Besatzungsmitgliedern von TMS A kann daher kaum abgenommen werden, daß es anläßlich der Begegnung mit MS K zu einer Grundberührung gekommen ist. Im übrigen wäre zu erwarten gewesen, daß sich der Schiffsführer B über Kanal 10 beschwert hätte, wenn es tatsächlich eine durch MS K provozierte Grundberührung gegeben hätte. Davon berichtet aber keiner der Zeugen. Auch der Umstand, daß der Ladungsverlust kurze Zeit später in der Schleuse entdeckt worden ist. besagt nicht, daß die Grundberührung gerade an der Stelle der Begegnung mit MS K hätte stattfinden müssen. TMS A kann die Leckage ebensogut anderswo erlitten haben. Der Zeuge B hat selbst bekundet, Grundberührungen kämen im Kanalbereich häufiger vor. Während der Fahrt bei Dunkelheit konnte der Ladungsverlust auch über längere Zeit unentdeckt bleiben, zumal es der Zeuge B nach Grundberührungen offenbar nicht einmal für nötig befunden hat, nach einem Leck suchen zu lassen. Der Austritt von Ladung wurde vielmehr zufällig in der Schleuse von dem Zeugen Br entdeckt....."

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1996 - Nr.9 (Sammlung Seite 1605 ff.); ZfB 1996, 1605 ff.