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3 U 100/80 - Oberlandesgericht (Rheinschiffahrtsobergericht)
Entscheidungsdatum: 27.02.1981
Aktenzeichen: 3 U 100/80
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Köln
Abteilung: Rheinschiffahrtsobergericht

Leitsätze:

1) Mit Radar ausgerüstete, nicht aber mit Inhabern eines Radarschifferzeugnisses besetzte Binnenschiffe sind als Nichtradarfahrer zu behandeln, für die im Falle von dichtem Nebel die üblichen Regeln bei optischer Sicht gelten.

2) Eine Strecke von 100 bzw. 200 m reicht in der Rheinschiffahrt nicht aus, um zwei beladene, auf Kollisionskurs liegende Fahrzeuge noch rechtzeitig anzuhalten.

Urteil des Oberlandesgerichts - Rheinschiffahrtsobergerichts in Köln

vom 27. Februar 1981

3 U 100/80

(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)

Zum Tatbestand:

Bei Rhein-km 841 erfolgte bei dichtem Nebel mit Sichtweite von 100 bis 150 m ein Schiffsunfall zwischen dem der Klägerin gehörenden, zu Tal fahrenden Koppelverband (bestehend aus dem MS G und dem auf Backbordseite längsseits gekoppelten Schubleichter H) und dem Beklagten gehörenden und von ihm selbst zu Berg geführten MS O. Sämtliche Schiffe waren beladen. Auf MS G und MS O. Bei dem Zusammenstoß schob sich der Bug des Schubleichters über das Vorschiff von MS O. Sämtliche 3 Schiffe wurden beschädigt.
Die Klägerin verlangte Ersatz ihres Schadens von ca. 83800 hfl an MS G und Schubleichter H sowie anteilige Havarie-grosse-Kosten MS O. Sie behauptet u. a., daß die Besatzung von MS G in einer Entfernung von ca. 1000 m das Echo von MS O auf dem Radarschirm bemerkt, aber auf die Meldung über Kanal 10 keine Antwort von MS O erhalten habe. Bei einem Abstand von 500 bis 600 m habe G einen langen Ton gegeben und auf nochmalige Anfrage über Kanal 10 wiederum keine Antwort erhalten.

Andererseits sei MS O immer mehr nach rechtsrheinisch gekommen. Der Koppelverband sei deshalb noch weiter nach rechtsrheinisch beigegangen und habe mit beiden Maschinen voll zurückgeschlagen, als MS O nur noch 200 bis 250 m entfernt gewesen sei. Die Kollision sei aber nicht zu vermeiden gewesen.
Der Beklagte bestreitet, daß er sich über Kanal 10 nicht gemeldet habe. Als der Koppelverband in sein Radarbild gekommen sei, habe er seinen Kurs immer mehr nach linksrheinisch verlagert. Als der Abstand nur noch 200 m betragen habe, sei MS O weiterhin nach Steuerbord ausgewichen, ohne den Unfall vermeiden zu können.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat den Klageanspruch dem Grunde nach zu zwei Drittel für gerechtfertigt erklärt.
Das Rheinschiffahrtsobergericht hat der Klage zur Hälfte stattgegeben.

Aus den Entscheidungsgründen:

„...
Der Klageanspruch ist dem Grunde nach nur zur Hälfte gerechtfertigt, weil beide Schiffsbesatzungen den Unfall verschuldet haben, und das beiderseitige Verschulden nicht nur gleich schwer wiegt, sondern sich auch gleichermaßen unfallursächlich ausgewirkt hat.
Dem Rheinschiffahrtsgericht ist darin beizupflichten, daß nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden kann, auf welcher Stromseite sich der Unfall ereignet hat.
...
Allerdings sprechen einige Indizien dafür, daß der Zusammenstoß rechtsrheinisch erfolgte.
...
Wenn danach auch nicht feststellbar ist, welches der beiden Fahrzeuge dem anderen in den Kurs gefahren ist, so ist andererseits doch erwiesen, daß beide Schiffsbesatzungen durch pflichtwidriges Verhalten den Unfall verschuldet haben.
Unstreitig besaß kein Mitglied der beiden Besatzungen ein Radarschifferzeugnis. Damit waren sowohl bei der Besatzung des Koppelverbandes als auch bei der Besatzung von MS O die persönlichen Voraussetzungen für eine Radarfahrt bei unsichtigem Wetter nicht gegeben (§ 6.33 Nr. 4 RhSchPVO). Rechtlich sind deshalb beide Fahrzeuge wie ein Nichtradarfahrer zu behandeln. Ein solcher muß aber - und das gilt auch für ein Fahrzeug, das für eine Fahrt mit Radar nicht vorschriftsmäßig ausgerüstet ist oder deren Führung kein Radarschifferzeugnis besitzt (BGH, VersR 1974, 1341) -, die Geschwindigkeit herabsetzen oder die Fahrt einstellen, wenn dies nach der optischen Sicht geboten ist.
Gegen diese Verpflichtung, die sich aus § 6.30 Nr. 2 RhSchPVO ergibt, haben beide Schiffsführungen verstoßen. Denn bei der damaligen Sichtweite von nur 100 bis 150 m war die Fortsetzung der Reise für einen Nichtradarfahrer unzulässig.
Dieses Fehlverhalten hat sich auch schadensursächlich ausgewirkt. Wäre nämlich MS O in Grieth, wo es übernachtet hatte, liegen geblieben, und hätte der Koppelverband spätestens in Rees angehalten, wo nach den Angaben seines eigenen Schiffsführers die Sicht nur noch etwa 150 m betragen hatte, wäre es nicht zu dem Unfall gekommen.
Wegen des unsichtigen Wetters hätte außerdem auf beiden Fahrzeugen ein Ausguck aufgestellt werden müssen (§ 6.30 Nr. 1 RhSchPVO). Auch das ist von beiden Besatzungen versäumt worden. Allerdings hat sich das nicht schadensursächlich ausgewirkt. Ein auf dem Vorschiff aufgestellter Ausguck hätte bei den damaligen Sichtverhältnissen ein entgegenkommendes Fahrzeug frühestens in einer Entfernung von 150 m wahrgenommen. Diese Entfernung hätte aber erfahrungsgemäß zur Vermeidung des Unfalls nicht ausgereicht, weil zumindest der beladene Koppelverband selbst bei einer sofortigen Umsteuerung der Maschinen auf zurück nicht auf
Beiden Schiffsführungen ist ferner vorzuwerfen, daß sie nicht in regelmäßigen Abständen Schallsignale gegeben haben. Allerdings ergab sich für sie diese Verpflichtung nicht aus § 6.35 Nr. 3 RhSchPVO, - wie das Rheinschiffahrtsgericht meint -, sondern aus § 6.31 RhSchPVO, weil die Vorschrift des § 6.35 RhSchPVO nur für Radarfahrer gilt und sowohl der Koppelverband als auch MS O als Nichtradarfahrer zu behandeln sind.
Nach § 6.31 RhSchPVO war MS O verpflichtet, in Abständen von längstens 1 Minute als Nebelzeichen „einen langen Ton" zu geben, während der Koppelverband im selben Zeitabstand „zwei lange Töne" hätte abgeben müssen.
Das Unterlassen dieser Schallsignale hat sich aber ebenfalls nicht schadensursächlich ausgewirkt. Auf beiden Schiffen war nämlich das andere Fahrzeug schon auf größere Entfernung auf dem Radarschirm ausgemacht worden.
...
Seitens des Koppelverbandes bedurfte es keines Nebelsignals mehr, um MS O auf den sich nähernden Talfahrer aufmerksam zu machen. Dasselbe gilt umgekehrt für den Koppelverband. Dessen Besatzung hatte das Echo von MS O schon in einer Entfernung von etwa 1 km auf dem Radarschirm bemerkt und hat dann auch die weitere Annäherung des Bergfahrers mit Hilfe des Radargerätes ständig beobachtet.
Beide Schiffsführungen müssen sich schließlich noch den Vorwurf gefallen lassen, daß sie auf die drohende Kollision zu spät reagiert haben.
Obwohl nämlich der Schiffsführer des Koppelverbandes bereits auf eine Entfernung von 500 bis 600 m auf dem Radarbild erkannt haben will, daß MS O angeblich immer mehr nach rechtsrheinisch hielt, hat der Koppelverband seine Geschwindigkeit zunächst nicht vermindert, sondern erst mit beiden Maschinen voll an zurückgeschlagen, als der Abstand zu dem Bergfahrer nach dem Radarbild nur noch etwa 200 m betrug, was einer tatsächlichen Entfernung von ca. 100 m entsprach. Richtigerweise hätte er aber schon zurückgeschlagen werden müssen, als die drohende Kollision auf eine Entfernung von 500 bis 600 m erkennbar wurde. Das gebot die allgemeine Sorgfaltspflicht (§ 1.04 RhSchPVO).
Dasselbe Fehlverhalten hat die Besatzung von MS O gezeigt. Dort hat der Zeuge J. das Radarbild beobachtet. Dieser hatte das Echo des Koppelverbandes erstmals auf dem Radarschirm bemerkt, als sich MS O gerade oberhalb des Kraftwerkes von Kalkar befand. Schon zu diesem Zeitpunkt will der Zeuge festgestellt haben, daß der Koppelverband einen Kurs steuerte, der langsam von rechts- nach linksrheinisch auf MS O zuführte. Dennoch hat der Zeuge zunächst nichts unternommen. Erst als die echte Entfernung zu dem Koppelverband nur noch 200 m betrug, hat der Zeuge seinen Vater veranlaßt, nach Steuerbord zu halten bzw. hat dazu selbst ins Ruder gegriffen.
Daß unter diesen Umständen die Kollision nicht mehr zu vermeiden war, liegt auf der Hand. Denn eine Strecke von 100 bzw. 200 m reicht nicht aus, um zwei beladene, auf Kollisionskurs liegende Fahrzeuge noch rechtzeitig anzuhalten.
Aus vorstehenden Ausführungen ergibt sich, daß der Unfall von beiden Schiffsbesatzungen gleichermaßen verschuldet worden ist. In erster Linie ist ihnen vorzuwerfen, daß sie die Reise wegen des dichten Nebels, der nur eine Sicht von 100 bis 150 m ermöglichte, nicht hätten fortsetzen dürfen. Dies war der entscheidende Fehler, den beide Besatzungen gemacht haben.
...
Bei dieser Sachlage ist es gerechtfertigt, die beiderseitige Haftungsquote für den Unfall und seine Folgen gleich hoch zu bemessen. Denn das beiderseitige Fehlverhalten ist identisch, wiegt gleich schwer und hat sich gleichermaßen unfallursächlich ausgewirkt.
...“