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Leitsatz:
Frage der Haftung der verantwortlichen Hafenverwaltung für Ölverschmutzungsschäden an den im Hafen löschenden Schiffen.
Urteil des Landgerichts Aurich
vom 18. Dezember 1974
Zum Tatbestand:
Bei der am 13. 9. 1973 ab 10.00 Uhr erfolgenden Löschung eines Schiffes des Klägers am Nordkai im Emder Hafen wurde die Bordwand des immer mehr aus dem Wasser herauskommenden Fahrzeugs von dem Ö1 einer an dieser Stelle befindlichen Öllache überzogen. Der Kläger meldete der zuständigen Dienststelle der beklagten Behörde die Ölverschmutzung im Hafen gegen 14 oder 15 Uhr und verlangte vergeblich die Säuberung des beschmutzten Schiffes.
Der Kläger verlangt nunmehr mit einer Klage 1250,- DM Ersatz für die Reinigungskosten, die durch die Beauftragung einer Reinigungsfirma entstanden sind. Die Beklagte habe als Störer gemäß § 1004 BGB wegen Nichtreinigung des Hafens den Schaden verursacht und gleichzeitig ihre Verkehrssicherungspflicht nach § 823 BGB verletzt.
Die Beklagte bestreitet die Zahlungsverpflichtung, weil sie nicht der für die Ölverschmutzung verantwortliche Verursacher gewesen sei. Sie habe alles Erforderliche getan. Bei der Überprüfung des Hafenzustandes zwischen 8.30 Uhr und 10.30 Uhr des 13. 9. 1973 habe der Hafenkontrolleur zwar ältere Ölspuren festgestellt, die jedoch von einer Ölverschmutzung am 3. 9. 1973 durch das MS „X" hätten herrühren können. Zur Beseitigung dieser Ölverschmutzung sei eine Spezialfirma eingesetzt gewesen. Durch etwa verbliebene Reste sei die Verschmutzung des Schiffs der Klägerin jedoch nicht verursacht worden. Die Klägerin treffe wenigstens ein Mitverschulden wegen verspäteter Meldung nach Beendigung der Löschung.
Das Amtsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgege¬ben, das Landgericht hat sie - rechtskräftig - abgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
Fraglich ist allein, ob die Beklagte neben demjenigen, der die Ölverschmutzung herbeigeführt hat, als so genannter Zustandsstörer für Beeinträchtigungen verantwortlich ist. Nach überwiegender Auffassung ist nicht schlechthin der Eigentümer als solcher für den störenden Zustand der Sache nach § 1004 BGB verantwortlich (Soergel-Siebert-Mühl, 10. Auflage, Rdn. 25 zu § 1004; Palandt-Degenhardt, 33. Aufl., Anm. 4 zu § 1004 BGB, Staudinger, Rdn. 24 zu § 1004 BGB). Vielmehr muss der störende Zustand auf einer Willensbetätigung des Eigentümers beruhen (Staudinger, 11. Aufl., Rdn. 24 zu § 1004 BGB; Soergel-Siebert-Mühl, Rdn. 25 zu § 1004; BGB, Palandt-Degenhardt, Anm. 2 a bb zu § 1004 BGB) sei es, dass er eine Vorbedingung für das Einwirken fremder Kräfte geschaffen hat oder dass er den störenden Zustand aufrecht erhält (anders die Vertreter der so genannten Eigentumstheorie, Nachw. bei Palandt-Degenhardt, Anm. 2 a bb zu § 1004 BGB). Da die Beklagte für die Ölverschmutzung, die für sie unerwartet kam, keine Vorbedingung gesetzt hat, könnte sie Störer allenfalls sein, falls sie den störenden Zustand durch eine Willensbetätigung aufrecht erhalten hat. Voraussetzung hierfür ist nach herrschender Meinung eine Rechtspflicht, die störenden Einwirkungen zu verhindern.
Nach Soergel-Siebert-Mühl, Rdn. 35 zu § 1004 BGB unter Berufung auf RGZ 134, 231 genügt die bloße Untätigkeit eines Eigentümers nicht, und zwar auch nicht, wenn er einen Verkehr eröffnet hat. Im Bereich des Abwehranspruchs des § 1004 BGB soll der von der Rechtsprechung bei der Deliktshaftung entwickelte Grundsatz der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht keine Anwendung finden, weil dies im Rahmen des § 1004 BGB, der kein Verschulden voraussetzt, zu einer Gefährdungshaftung führe, welche die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Eigentümers überspannen würde. Eine Ausnahme sei nur bei „billiger nachbarlicher Rücksichtnahme" im Rahmen eines nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses zu machen.
Selbst wenn man entgegen dieser Auffassung im Rahmen des § 1004 BGB den Gedanken der Verkehrssicherungspflicht einfließen lässt, und damit zu einem sehr weiten Begriff des „Störers" gelangt, ist doch die weitere Frage zu stellen, ob nicht zumindest Kenntnis des störenden Zustandes oder Kennenmüssen vorausgesetzt werden muss (Palandt-Degenhardt, Anm. 4 b zu § 1004 BGB; BGH NJW 1966, 1361). Diese Voraussetzungen sind, wie noch ausgeführt werden wird, hier jedenfalls nicht gegeben. Insgesamt ist hiernach jedenfalls festzustellen, dass die Beklagte als Störer allenfalls bei einer sehr weitgehenden Ausdehnung dieses Begriffs betrachtet werden könnte. Es spricht vieles dafür, den Begriff des „Störers" enger zu fassen, damit eine uferlose Ausdehnung des § 1004 BGB vermieden wird. Die Frage, ob die Beklagte Störer ist, kann aber offen bleiben. Denn wenn man auf der Tatbestandsseite so geringe Anforderungen für eine Haftung nach § 1004 BGB aufstellt, müsste wenigstens eine entsprechende Begrenzung der Rechtsfolgen eintreten, indem der Begriff „Beeinträchtigung" eng gefasst wird. Nach § 1004 BGB kann nur Beseitigung der „Beeinträchtigung der Störung", nicht aber Schadenersatz verlangt werden. Im Einzelnen ist die Abgrenzung schwierig.
Schadenersatz gern. § 823 BGB kann der Kläger indessen nicht verlangen, weil ein Verschulden der Beklagten nicht festzustellen ist. Ungeklärt ist nämlich, wann die Öllache, die zu der Verschmutzung des Schiffes führte, aufgetreten ist. Der Kläger vermutet, dass es sich um Reste der durch das MS „X" verursachten Ölverschmutzung handelte. Die Beklagte hat aber im Einzelnen dargelegt, welche Maßnahmen sie zur Beseitigung der Störung getroffen hat. Sie hat eine Reinigungsfirma mehrere Tage zur Bekämpfung der Verschmutzung eingesetzt. Ferner führte sie am 13. 9. 1973 unstreitig Kontrollfahrten durch. Dafür, dass die Kontrollfahrten unzureichend ausgeführt wurden, bestehen keine konkreten Anhaltspunkte. dass möglicherweise nicht sämtliche Ölrückstände entdeckt werden könnten, ist erklärlich. Im Übrigen ist aber auch ungeklärt, ob die Verschmutzung des Schiffes überhaupt durch das 01 der MS „X" verursacht wurde. Die Beklagte behauptet, dass altes Öl nicht für die Verschmutzung des Schiffes ursächlich gewesen sein könne. Der Kläger hat für seine gegenteilige Behauptung keinen Beweis angetreten. Da es sich demnach um frisches 01 gehandelt haben kann, das zu einem ungewissen Zeitpunkt aufgetreten ist, steht auch deswegen ein Verschulden der Beklagten nicht fest. Es ist nicht nachgewiesen, dass sie gegebenenfalls eine frische Ölverschmutzung kannte oder vorher hätte entdecken können, zumal diese ja auch dem Kläger nicht aufgefallen ist. Die Beklagte hat, als ihr die Verschmutzung bekannt gegeben wurde, sofort gehandelt, indem sie eine Reinigungsfirma beauftragte.
Mithin hat der Kläger den ihm voll obliegenden Beweis für ein ursächliches und schuldhaftes Verhalten der Beklagten nicht geführt. Die Grundsätze des so genannten Anscheinsbeweises finden hier keine Anwendung.
Anmerkung: Der zuständige Referent beim Regierungspräsident - Wasser- und Schifffahrtsverwaltung - in Aurich äußert sich zustimmend u. a., wie folgt:
„Dem Urteil ist insbesondere in seinem Bemühen, im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine uferlose Ausdehnung des Störerbegriffs im Sinne des § 1004 BGB zu vermeiden, voll zuzustimmen. Abzulehnen ist demgegenüber die Auffassung des in erster Instanz mit der Sache befassten AG Emden (Urt. vom 2. 4. 1974 3 C 740/73), wonach ein besonderes Verpflichtungsverhältnis des Gewässereigentümers abgesehen von der allgemeinen Sozialpflichtigkeit des Eigentums hier schon daraus herzuleiten sei, dass die Benutzung der Wasserfläche des Hafens nicht unentgeltlich erfolge, sondern gebührenpflichtig sei. Dieser Gesichtspunkt hätte allenfalls unter dem Aspekt einer quasikontraktlichen Haftung der Hafenverwaltung im Rahmen des anstaltlichen Hafenbenutzungsverhältnisses bei nachgewiesenem Verschulden von Bedeutung sein können, nicht aber im Rahmen des gesetzlichen Abwehranspruches aus § 1004 BGB, der ein Verschulden des Störers gerade nicht voraussetzt. Abzulehnen ist auch die Auffassung der Vorinstanz, wonach ein besonderes Verpflichtungsverhältnis sich darüber hinaus auch aus § 81 Abs. 1 und 3 des Niedersächsischen Wassergesetzes ergebe, wo bestimmt ist, dass zur Unterhaltung eines schiffbaren Gewässers neben Räumung, Reinigung, Freihaltung, Schutz und Unterhaltung des Gewässerbetts einschließlich seiner Ufer (Absatz 2) auch die Erhaltung der Schiffbarkeit gehört.
Dabei hat es jedoch verkannt, dass § 81 NWG keine Verpflichtung des Gewässerunterhaltungspflichtigen zur Reinhaltung der fließenden Welle beinhaltet (so auch Rehder, Niedersächsisches Wassergesetz, 4. Auflage, Anm. 1 zu § 81), weshalb auch der Hinweis auf die Sozialpflichtigkeit des Eigentums fehlgeht. Die Verpflichtung zur Erhaltung der Schiffbarkeit im Sinne des § 81 Abs. 3 NWG bedeutet etwas ganz anderes, nämlich z. B. dass das Wasser von gefährlichen Unterwasserhindernissen freigehalten wird, dass es durchgehend befahrbar ist usw. Anders wäre die Sachlage allenfalls dann zu beurteilen, wenn tatsächlich von der Öllache eine konkrete Explosions- oder Brandgefahr zu erwarten gewesen wäre, was nicht einmal der Kläger behauptet hatte und auch der Erfahrung widersprechen würde, die dahin geht, dass die gefahrbringenden Bestandteile stark flüchtig und binnen kurzem nicht mehr nachweisbar sind."
ZfB 1975 S. 211, ZfB 1975, 211
Frage der Haftung der verantwortlichen Hafenverwaltung für Ölverschmutzungsschäden an den im Hafen löschenden Schiffen.
Urteil des Landgerichts Aurich vom 18. Dezember 1974 - 3 S 94/74 - (Amtsgericht Emden).
Anmerkung der Redaktion:
Der vorstehenden Auffassung und dem Urteil kann nicht zugestimmt werden. Insbesondere fehlt die erschöpfende Auseinandersetzung mit der eindeutigen und umfassenden Judikatur zur Frage der Verkehrssicherungspflicht auf Wasserstraßen und in Häfen. Mit der summarischen Feststellung, dass im Bereich des Abwehranspruchs des § 1004 BGB der Grundsatz der Verkehrssicherungspflicht keine Anwendung finden solle, weil dies zu einer Gefährdungshaftung führen und die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht überspannen würde, kann die für den gesamten Wasserstraßenverkehr bedeutungsvolle Rechtsprechung zur Frage der Verkehrssicherungspflicht nicht vom Tisch gewischt werden.
Danach steht fest, dass derjenige, der einen Verkehr eröffnet oder zulässt, für die Sicherheit des Verkehrsweges und auch im Hafen zu sorgen und gemäß § 823 Abs. 1 BGB für Schäden einzustehen hat, die wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Nichterfüllung dieser Verpflichtung an den Schiffen entstehen. Der für den Verkehrsweg verantwortliche Unterhaltspflichtige hat für die Abwendung aller Gefahren zu sorgen. Wenn er fahrlässigerweise die Gefahrenquellen nicht kennt und aus diesem Grunde nicht abstellt, ist die Verkehrssicherungspflicht verletzt. Jedes vermeidbare Risiko der Schifffahrt soll ausgeschlossen sein. (S. hierzu zahlreiche Urteile des Bundesgerichtshofes und anderer Gerichte, so z. B. in ZfB 1962 S. 221; 1966, S. 237; 1967, S, 147; 1969, S. 20; 1971, S. 420; 1972, S. 17 und 274; 1973, S. 562.)
Nach Maßgabe dieser von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze ist die Verschuldensfrage nicht geprüft worden.
Es steht nach dem Tatbestand fest, dass am 3. 9. 1973 eine Verschmutzung im Hafen vorgekommen war; die Beklagte tagt selbst vor, dass noch Ölreste von diesem Vorfall trotz des Einssatzes einer Spezialfirma hätten vorhanden sein können und dass ihr Hafenkontrolleur am Morgen des 13. 9. 1973 Ölspuren festgestellt habe. Unter diesen Umständen ist die Feststellung unerheblich, dass es ungeklärt sei, ob das Öl von der Verschmutzung durch das Schiff „X" am 3. 9. 1973 herrühre. Vielmehr hätte die Beklagte nachweisen müssen, was sie angesichts ihrer Kenntnis vom Vorhandensein von Ölspuren getan hat, um Schäden für die im Hafen befindlichen Schiffe zu vermeiden. Dabei kann es gleichgültig sein, ob es sich um frisches oder altes Öl handelte, da beide Sorten für Schiffe gefährlich oder jedenfalls nachteilig durch die Verschmutzung der Schiffe werden können. Im Hinblick auf die Kenntnis der Beklagten von der Verölung des Hafens ist auch die angeblich verspätete Meldung der Klägerin irrelevant, da selbst eine verspätete Meldung nicht kausal war für den Schaden, der durch die Nichtbeseitigung der schon vorhandenen und der Beklagten zu diesem Zeitpunkt bekannten Ölverschmutzung des Hafens entstanden war. Mindestens hätte die Beklagte nachweisen müssen, dass sie entsprechende Vorkehrungen getroffen hätte, z. B. Anweisungen an die Klägerin zur Einnahme eines anderen Umschlags-, Liege- oder Warteplatzes bis zur Beseitigung der Öllachen. Nur wenn die Klägerin solche Anweisungen oder wenigstens einen ausdrücklichen Hinweis auf die Verschmutzung und damit auf mögliche Schäden vorher gegeben hätte, würde u. U. eine andere Entscheidung gerechtfertigt gewesen sein.
Es ist bedauerlich, dass das Urteil nicht revisibel war. Mit einiger Wahrscheinlichkeit wäre das Berufungsurteil aufgehoben worden.