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Leitsätze:
1) Eine Blutkonzentration von 2 Promille hebt die Fähigkeit eines Schiffsführers zur sicheren, vorausschauenden Beurteilung der Lage auf dem Strom und zur Festlegung des Kurses während längerer Zeit auf.
2) § 2 Abs. 1 RhSchPVO trifft auch auf Trunkenheitsfälle zu; ein Fahrzeug hat auch dann keinen geeigneten Führer, wenn dieser wegen Trunkenheit nur vorübergehend ungeeignet ist.
3) Eine absolute Grenze der Fahrtüchtigkeit eines Schiffsführers bei Alkoholwirkung läßt sich nicht feststellen, zumal die von der Rechtsprechung für den Kraftfahrzeugverkehr insoweit entwickelten Grundsätze nicht ohne weiteres auf den Schiffsverkehr übertragbar sind. Im Schiffsverkehr gibt es nur die relative Fahruntüchtigkeit des Schiffsführers, die aus den gesamten Umständen des- einzelnen Falles zu ermitteln ist.
Urteil des Oberlandesgerichts - Rheinschiffahrtsobergericht in Köln
vom 18. November 1966
3-7/66
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Tatbestand:
Am späten Nachmittag des 17. 5. 1961 machte der Zollassistent A. die Wasserschutzpolizeistation Emmerich auf das Küstenmotorschiff „L" aufmerksam, das nach der Auskunft eines Lotsen, der sich zum Antritt der Fahrt bergwärts geweigert hatte, eine betrunkene Besatzung an Bord haben sollte und nach seinen eigenen Beobachtungen beim Ablegen vom Steiger mit solcher Wucht losgefahren war, daß das Schraubenwasser von „L" den Steiger gegen die Ufermauer warf und das Schiff am nächsten Steiger stromaufwärts nur soeben vorbeikam. Nachdem das Streifenboot „WSP 4" das Schiff erreicht hatte, gingen die Polizeibeamten B und C an Bord von „L" und stellten fest, daß der Angeklagte als Schiffsführer kein Rheinschifferpatent an Bord hatte. Es stellte sich später heraus, daß er das Patent zwar 1934 für Fahrzeuge mit und ohne eigene Triebkraft erworben, das Dokument jedoch verloren hatte. Eine Ersatzausfertigung wurde am B. 8. 1961 ausgestellt.
Die Aufforderung der Polizeibeamten, das Schiff mangels Patentes vor Anker zu legen, befolgte der Angeklagte nicht; er wurde daher mit Gewalt vom Ruder entfernt. Dieses wurde dem inzwischen ebenfalls an Bord gekommenen Polizeibeamten „D" - Inhaber des Rheinschifferpatentes - übergeben, der das Schiff zu Tal wendete und nach Emmerich zurückführte. Dort bat der Angeklagte - nach den ausdrücklichen Feststellungen des Berufungsgerichts - darum, „bei der Einfahrt in den Hafen helfen zu dürfen. Das wurde ihm zunächst in der Form gestattet, daß er die Maschine bedienen durfte, während der Zeuge „D" das Ruder führte. Schließlich wurde auch dieses dem Angeklagten übergeben, damit er das Anlegemanöver durchführen konnte. Dieses gelang einwandfrei."
Nach der Ankunft in Emmerich wurde dem Angeklagten im Hinblick auf die offensichtliche Trunkenheit des Steuermanns und des Matrosen und auf das Verhalten des Angeklagten, der u. a. gedroht hatte, er werde sein Schiff auf Land fahren, eine Blutprobe entnommen. Ihre Untersuchung ergab 1,88 Promille reduzierende Substanzen. Außerdem hatte der Angeklagte am Abend des 16. 5. 1961 „reichlich Alkohol" getrunken, hierüber jedoch keine genaueren Angaben gemacht. Am 17. 5. 1961 hat er - entweder vormittags oder nachmittags - 3 Glas Schnaps zu sich genommen.
Das Amtsgericht - Rhe;nschiffahrtgericht - hat den Angeklagten am 13. 4. 1966 - wegen Übertretung nach § 2 RhSchPVO zu 30,- DM Geldstrafe, ersatzweise 3 Tagen Haft, verurteilt, weil er nicht im Besitz eines gültigen Patentes war. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Oberlandesgericht - Rheinschifffahrtsobergericht - den Angeklagten unter Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils wegen Übertretung des § 2 Abs. 1 RhSchPVO auch deshalb bestraft, weil er ein Schiff geführt habe, obwohl er wegen Alkoholwirkung dazu nicht geeignet gewesen sei. Er wurde zu 200,- DM Geldstrafe, ersatzweise 10 Tagen Haft verurteilt.
Das Berufungsgericht geht in den Gründen unter Zugrundelegung des Gutachtens des Sachverständigen (Leiter eines Instituts für gerichtliche und soziale Medizin) davon aus, daß der Alkoholgehalt bei 3 Glas Schnaps am 17. 5. 1961 nur zu erklären sei, wenn der Angeklagte am 16. 5. 1961 30-35 Glas Bier getrunken habe. Wenn dieser die 3 Glas Schnaps am Vormittag zu sich genommen habe, führe die Zurückrechnung auf einen Blutalkoholspiegel zur Tatzeit zu einem Werte von ca. 2 Promille, bei Einnahme der 3 Gläser am Nachmittag zu einem entsprechenden Wert von 1,8 bis 1,9 Promille. Im ersteren Falle sei die Blutalkoholkonzentration von einem Rauschzustand, im letzteren Falle nicht hiervon begleitet gewesen. Es werde daher zugunsten des Angeklagten das Vorliegen des weniger gefährlichen Zustandes von 2 Promille unterstellt. In einem solchen Zustand ohne Rauschempfinden sei der Angeklagte aber nicht in der Lage gewesen, ein Schiff zu führen.
Das Berufungsgericht führt hierzu im einzelnen noch aus:
Seine (des Gutachters) Ausführungen über die Anforderungen, die der moderne Verkehr auf einer Binnenwasserstraße an einen Schiffsführer stellt, entsprechen den vom Senat bei der Entscheidung von Schadensersatzprozessen aus Schiffsunfällen gewonnenen Erkenntnissen so sehr, daß ihre Richtigkeit unzweifelhaft ist. Ein Schiffsführer muß in besonderem Maße vorausschauend fahren. Er muß das Revier ständig daraufhin beobachten, wie sich die erkennbare Situation voraussichtlich weiter entwickeln wird, denn der Kurs seines Schiffes muß frühzeitig jeder sich anbahnenden Situation angepaßt werden, wenn Unfälle vermieden werden sollen. Bei dieser Festlegung des Kurses seines Schiffes hat sich der Schiffsführer nicht nur voraus zu orientieren. Er hat auch die Ereignisse zu beobachten, die sich hinter seinem Schiff anbahnen, da sie z. B. zu Überholmanövern führen können, auf die Rücksicht genommen werden muß, und auch auf andere Weise den Kurs der sonstigen Schiffahrt beeinflussen können. Diese ständige, sorgfältige und vorausschauende Beobachtung des Reviers, die ständige Anpassung des Kurses seines Schiffes an die Lage, wird vom Schiffsführer als Dauerleistung gefordert. Es genügt nicht, daß er nur vorübergehend bei besonderer Anspannung seines Willens dazu in der Lage ist. Nach den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen X hebt eine Blufalkoholkonzentration von etwa 2 Promille ohne Rauschempfinden - erst recht eine solche von 1,8 bis 1,9 Promille mit Rauschempfinden - die Fähigkeit eines Schiffsführers zur sicheren, vorausschauenden Beurteilung der Lage auf dem Strom und zur Festlegung des Kurses seines Schiffes entsprechend dieser Lage während einer längeren Zeit auf, da sie ihre Grundlage, die Fähigkeit zur richtigen Beobachtung und zur richtigen Reaktion hierauf, beseitigt. Das schließt nicht aus, daß ein solcher Schiffsführer auch zweckmäßige Manöver richtig ausführt, wenn er unter dem Einflug irgendwelcher Impulse seinen Willen besonders anspannt. Dies geschieht aber dann mehr oder weniger zufällig und zeigt nicht an, daß der Schiffsführer sein Schiff dauernd richtig zu führen vermag. Der Sachverständige hat deshalb mit Recht dem Umstand, daß der Angeklagte bei der Einfahrt seines Schiffes in den Hafen von Emmerich nautisch einwandfrei tätig geworden ist, keine besondere Bedeutung beigemessen. Er hat weiter überzeugend darauf hingewiesen, daß sich hier eine vorübergehende Ernüchterung bemerkbar gemacht hat, die als Folge der Auseinandersetzungen des Angeklagten mit den Polizeibeamten eingetreten war. Schließlich hat „X" dargelegt, daß Schlußfolgerungen aus der Blutalkoholkonzentration ohne Berücksichtigung der Alkoholgewöhnung der betreffenden Person gezogen werden können, denn die in die Blutbahn gelangte Alkoholmenge wirkt unabhängig von dieser Gewöhnung. Letztere beeinflußt allein die Menge des ins Blut kommenden Alkohols dadurch, daß bei alkoholgewöhnten Personen die Alkoholverbrennung im Körper schneller vor sich geht, als es normal ist. Wenn sich der Senat dem Gutachten des Medizinaldirektors „X" anschließt und sich dessen Schlugfolgerungen zu eigen macht, so übersieht er nicht, daß der Sachverständige Obermedizinalrat "Y" zu anderen Ergebnissen gekommen ist. Nach seiner Ansicht fehlen deutliche Erscheinungen von Trunkenheit des Angeklagten. Bei einem Trunkenheitsgrade von 1,8 Promille sei dieser in der Lage gewesen, bei konzentrierter Aufmerksamkeit optische und akustische Signale wahrzunehmen. Es fällt zunächst auf, daß es "Y" darauf abgestellt hat, ob der Angeklagte in der Lage war, Signale wahrzunehmen. Von dieser Fähigkeit allein hängt es aber nicht ab, ob jemand imstande ist, ein Schiff sicher zu führen. Es kommt vielmehr entscheidend auf die Fähigkeiten an, die bereits dargelegt worden sind. Weiter fällt auf, daß "Y" von einer konzentrierten Aufmerksamkeit des Angeklagten ausgeht, ohne dazu Stellung zu nehmen, ob dieser überhaupt zu einer solchen Aufmerksamkeit fähig war und wie lange diese Fähigkeit anhielt. Schließlich ist nicht zu übersehen, daß der Sachverständige seinen Ausführungen eine Alkoholkonzentration zur Tatzeit von 1,8 bis 1,9 Promille zugrundegelegt hat ohne zu erklären, ob sie seiner Ansicht nach mit Rauschempfinden beim Angeklagten einherging oder nicht.
Zur rechtlichen Beurteilung der Tat des Angeklagten ist folgendes zu sagen. Er ist vom ersten Richter wegen Übertretung des § 2 RhSchPVO deshalb verurteilt worden, weil er ein Schiff geführt hat, ohne im Besitz eines gültigen Patentes zu sein. Es ist zweifelhaft, ob die genannte Norm die Verurteilung trägt. Der § 2 Abs. 1 RhSchPVO bestimmt, daß jedes Schiff einen in seiner Führung geeigneten Schiffsführer haben müsse. Nach dem weiteren Text der Bestimmung gilt die Eignung als vorhanden, wenn der Schiffsführer ein Patent für die Fahrzeugart und die zu befahrende Strecke besitzt. Damit wird nicht gesagt, daß jeder Besitzer eines solchen Patentes geeignet und jeder Nichtbesitzer ungeeignet sei. Es wird vielmehr eine widerlegbare Vermutung der Eignung aufgestellt. (Vergl. Kählitz, Verkehrsrecht auf Binnenwasserstraßen Seite 79). Der Wortlaut des § 2 RhSchPVO sagt dagegen nicht, es sei verboten, ein Schiff zu führen, ohne ein Patent bei sich zu führen. In diesem Falle kämen als Strafnorm der § 1 I der VO über die Erteilung von Rheinschifferpatenten (Bundesgesetzblatt 1956, Teil 11 S. 716) in Verbindung mit dem Artikel 8 der VO zur Einführung der VO über die Erteilung von Rheinschifferpatenten vom 15. 6. 1956 (Bundesgesetzblatt 1956 Teil 11 S. 714) in Betracht.
Aus dem Art. 32 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte hat aber das Rheinschiffahrtsgericht die gegen den Angeklagten verhängte Strafe entnommen. Sie enthält deshalb auch dann kein Unrecht, wenn sie auf einem nicht gangbaren Wege gefunden worden sein sollte, denn der aufgezeigte zweite Weg führt in jedem Falle zu dem Urteil des Rheinschiffahrtsgerichtes. Dies ist, soweit es für den Angeklagten ungünstig ist, auch nicht angegriffen worden. Vom Senat ist zu entscheiden, ob ein Schiffsführer bestraft werden kann, der ein Schiff geführt hat, obschon er wegen Alkoholwirkung zur sicheren Führung außerstande war. Der § 315 a 1 2 StGB*) kommt als Grundlage einer Bestrafung nicht in Betracht, da er nur für Fälle gilt, in denen die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt worden ist.
Angesichts des Wortlautes des § 2 1 RhSchPVO können sich Bedenken einstellen, ob diese Bestimmung Trunkenheitsfälle erfassen will und kann. Er kann den Eindruck hervorrufen, als hänge die Eignung von der generellen Tauglichkeit des Schiffsführers zur Führung eines Schiffes ab, nicht aber von seiner Eignung auf einer konkreten Reise oder in einer konkreten Situation. Dafür spricht besonders der Satz, nach dem die Eignung als vorhanden gilt, wenn der Schiffsführer ein Patent für die Fahrzeugart und für die zu befahrende Strecke besitzt. Es wurde aber bereits dargelegt und belegt, daß hier nur eine widerlegbare Vermutung ausgesprochen wird.
Seine Eignung zur Führung eines Schiffes ist - so muß aus dem Zusammenhang der Absätze 2 bis 6 mit Abs. 1 des § 2 gefolgert werden - nur dann vorhanden, wenn er in jeder Situation in der Lage ist, die ihm auferlegte Verantwortung zu tragen und die ihm auferlegten Pflichten zu erfüllen. Trunkenheit kann ihm diese Eignung vorübergehend nehmen. In diesem Falle ist das Schiff ohne geeignete Führung.
Die Frage, welcher Grad von Trunkenheit der Eignung zur Schiffsführung die Grenze setzt, kann nicht generalisierend beantwortet werden. Die Grundsätze, welche die Rechtsprechung in diesem Zusammenhang für den Kraftfahrzeugverkehr entwickelt hat, sind auf den Schiffsverkehr nicht ohne weiteres übertragbar. Umfangreiche medizinische Forschungen haben die Grundlage für die Rechtsprechung gegeben, im Kraftfahrzeugverkehr sei bei einem Blutalkoholgehalt von mindestens 1,5 Promille in jedem Falle Fahruntüchtigkeit des Fahrers gegeben. Ein Gegenbeweis sei nicht möglich. Erst bei Werten unter 1,5 Promille müsse in jedem einzelnen Falle der Nachweis der Fahruntüchtigkeit aus den Gesamtumständen des Falles geführt werden, da die Alkoholkonzentration allein sie nicht sicher beweise. Im Schiffsverkehr fehlen Erfahrungen und Erkenntnisse, die notwendig sind, um eine absolute Grenze der Fahruntüchtigkeit bestimmen zu können. Der Senat hat zum ersten Male einen Trunkenheitsfall zu entscheiden. Einschlägige Urteile anderer Gerichte sind ihm nicht bekannt. Das gleiche gilt von wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Solche kannte auch der Sachverständige „X" nicht, der sich deshalb ebenfalls außerstande sah, die absolute Grenze der Fahrtüchtigkeit eines Schiffsführers bei Alkoholwirkung zu bestimmen.
Im Schiffsverkehr gibt es deshalb nur die relative Fahruntüchtigkeit des Schiffsführers, die aus den Gesamtumständen zu ermitteln ist. Der Senat hat dies an anderer Stelle des Urteils im vorliegenden Falle getan.
Die Tatsache, daß der Angeklagte nicht nur, ohne im Besitze eines Patentes zu sein, ein Schiff geführt hat, sondern dabei auch noch unter einer so hochgradigen Alkoholwirkung stand, daß er zur Führung ungeeignet war, macht es notwendig, die Strafe für seine Tat neu festzusetzen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der vom Rheinschiffahrtsgericht nicht bestrafte Teil seines Verhaltens gerade der eigentlich gefährliche war. Wenn der Angeklagte ein Schiff führte, ohne ein Patent zu besitzen, so schuf er dadurch keine besondere Gefahr, denn seine generelle Eignung zur Schiffsführung, die er unter Beweis gestellt und die zur Erteilung eines Patentes geführt hatte, überdauerte den Verlust der Patenturkunde, an deren Stelle dann auch in der Zwischenzeit ein Ersatzdokument getreten ist."
Anmerkung der ZfB-Redaktion:
Das Urteil des Oberlandesgerichts - Rheinschiffahrtsobergerichts – gibt zu einigen Bemerkungen Anlaß:
1. Die Entscheidung läßt deutlich erkennen, daß es nur wenige Fälle von Trunkenheit am Ruder von Binnenschiffen gibt. Das Berufungsgericht stellt sogar ausdrücklich fest, daß es erstmals einen solchen Fall zu entscheiden hatte und einschlägige Urteile anderer Gerichte nicht vorliegen.
2. Es entspricht den tatsächlichen Verhältnissen in der Schiffahrt, daß sich das Rheinschiffahrtsobergericht von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Frage der absoluten Grenze der Fahrtüchtigkeit distanziert und ausdrücklich festgestellt hat, daß die Rechtsprechung bezüglich der Fahrtüchtigkeit im Kraftfahrzeugverkehr nicht ohne weiteres auf den Schiffsverkehr übertragbar ist. Allerdings hat sich das Rheinschiffahrtsobergericht nicht so deutlich wie etwa das Amtsgericht Duisburg-Ruhrort (s. oben gleichfalls veröffentlichte Urteile vom 10. 10. und 12. 10. 1966 - 2 Ds 322/65 und 2 Ds 39/66 BSchG) zu der Ansicht bekannt, daß sich die Verhältnisse in der Binnensdriffahrt bei der Beurteilung eines Trunkenheitsdeliktes nicht mit denen im Straßenverkehr vergleichen lassen. Diese Tatsache hätte übrigens dem Gesetzgeber hinreichenden Anlaß geboten, für die Straftat der Trunkenheit am Ruder in der Binnenschiffahrt eine besondere Vorschrift mit eigenen Tatbestandsmerkmalen zu schaffen, was allerdings bei der Verabschiedung des 2. Gesetzes zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 26. 11. 1964 mit den neuen §§ 315 bis 316 StGB versäumt wurde.
3. Zu begrüßen ist ferner die Feststellung, daß mit der Vorschrift des § 2 Abs. 1 RhSchPVO nicht gesagt werde, daß jeder Besitzer eines solchen Patentes geeignet und jeder Nichtbesitzer ungeeignet sei. Diese Konsequenz aus der in der genannten Bestimmung enthaltenen widerlegbaren Vermutung dürfte auch für die Anwendung sonstiger Vorschriften, wie z. B. § 17 RhSchPVO, in anderem Zusammenhang noch Bedeutung erhalten. Im übrigen muß der Auffassung zugestimmt werden, daß § 2 Abs. 1 nicht sage, es sei verboten, ein Schiff zu führen, ohne ein Patent bei sich zu führen. Das OLG lehnt daher eine Bestrafung aufgrund von § 2 Abs. 1 RhSchPVO ab, hält jedoch eine Bestrafung nach § 1 der RheinSchPatentVO in Verbindung mit Art. 8 der EinführungsVO zur PatentVO für zulässig und daher auch das amtsgerichtliche Urteil insoweit im Ergebnis für zutreffend. Diese Frage kann streitig sein. Wenn in § 2 RhSchPVO ebenso wie in Art. 8 EinfVO zur PatentVO von der Verpflichtung die Rede ist, ein Patent zu „besitzen', so bedeutet dies, wie schon das OLG sagt, sicher nicht, daß der Schiffsführer das Patent „bei sich führen müsse'. Gemeint ist vielmehr, daß er das Patent erworben haben muß. Denn sonst wäre die Sonderbestimmung des § 20 Abs. 1 b) RhSchPVO überflüssig, wonach sich das Schifferpatent des Schiffsführers an Bord befinden muh. Richtigerweise hätte also im vorliegenden Falle die letztgenannte Bestimmung zur Anwendung kommen müssen, wobei es zweifelhaft sein kann, ob autyerdem nach § 1 PatentVO in Verbdg. mit Art. 8 der EinführungsVO zu bestrafen ist, wenn der Patentinhaber, wie hier der Angeklagte, das Patent verloren hat. Er "besitzt" dann zwar das Patent-Ausweispapier nicht mehr, das er aber, wie ebenfalls im vorliegenden Fall geschehen, erneut in einer 2. Ausfertigung erhalten kann. Denn die Patentberechtigung selbst geht - außer in den in der PatentVO genannten Sonderfällen - nicht verloren.
4. Das Urteil enthält im übrigen einige bedenkliche und widersprüchliche Ausführungen, die evtl. darauf beruhen, dal7 es sich hier, wie der Senat selbst hervorhebt, um die erste Entscheidung des OLG zu diesem Fragenkomplex handelt:
a) Die Urteile 1. und 2. Instanz sind 5 Jahre nach der Tat gefällt worden, die dem Angeklagten angelastet worden ist. Dieser Umstand allein erfordert schon einen besonders sorgfältigen Nachweis des objektiven und subjektiven Straftatbestandes. Das Gericht mußte also vor allem die Unfähigkeit und Ungeeignetheit des Angeklagten zur Führung des Schiffes infolge der Trunkenheit nachweisen. Mit Recht stellt das Urteil hierzu fest, daß es in der Binnenschiffahrt nur die relative Fahruntüchtigkeit des Schiffsführers gibt, „die aus den Gesamtumständen zu ermitteln ist". Diesem Grundsatz ist das OLG aber keineswegs gefolgt. Es stützt sich vielmehr fast ausschließlich auf ein Gutachten, das in seiner Begründung anfechtbar ist, zumal das Gutachten eines anderen, mindestens so erfahrenen Sachverständigen zu gegenteiligen Feststellungen kommt. Jedenfalls kann sich der Gutachter, dem das Gericht gefolgt ist, nicht auf eine besondere Sachkunde hinsichtlich der nautisch-technischen Anforderungen an einen Schiffsführer stützen, da er hierüber mangels eigener Kenntnisse überhaupt nichts aussagen kann und sich daher auch allgemeiner Schlußfolgerungen hätte enthalten sollen. Jedenfalls hat der Gegengutachter konkretere Feststellungen getroffen, indem er den Angeklagten für durchaus fähig hielt, Signale richtig wahrzunehmen. Das Urteil läßt aut3erdem jegliche Umschreibung und genaue Bestimmung der „Tatzeit" vermissen. Zu Beginn der Tatfeststellung ist nur vom späten Nachmittag" die Rede. Die weiteren Vorgänge spielten sich zweimal „wenig später" ab. Dann erfolgte zunächst die Benachrichtigung der Wasserschutzpolizei, dann deren Streifenfahrt bis zum Erreichen des Schiffes; anschließend dürfte bei der Auseinandersetzung zwischen Angeklagtem und Beamten weitere nicht zu knappe Zeit verstrichen sein; schließlich hat das Wenden und die Fahrt bis zum Anlegeplatz im Hafen auch einige Zeit gekostet. Wie diese Zeit - es könnte inzwischen 20.00 Uhr geworden sein - besonders in bezug auf die Entwicklung des Blutalkoholgehaltes angesehen wird, geht aus dem Urteil nicht hervor. Noch viel weniger wird ausgeführt, auf welche bestimmt zu fixierende Tatzeit zurückgerechnet die entnommenen Blutproben den angeblichen Blutalkoholgehalt hatten. Es fehlen Feststellungen, wie sie in den Urteilen des Amtsgerichts (s. oben) erfreulicherweise enthalten sind.
b) Stellt man einmal die Bedenken gegen dieses Gutachten bzw. dessen Verwertung zurück, hätte aber erwartet werden können, daf7 das Gericht den Gesamtumständen mehr Gewicht beigemessen hätte. Es sagt zwar, es habe in diesem Urteil hierzu Stellung genommen. Offenbar meint es damit die sehr allgemein gehaltenen Ausführungen, in denen die Anforderungen an einen Schiffsführer und seine Reaktionsfähigkeit dargestellt werden. Eine solche Untersuchung ist von nur geringer Bedeutung, wenn sie sich in diesem Zusammenhang nicht mit dem Tun und Lassen des Angeklagten selbst befaßt. Denn die Würdigung der Gesamtumstände muß ja gerade das Verhalten des Angeklagten in den Mittelpunkt stellen. Was aber muf7 hierzu festgestellt werden? Daß ein Schiff an den Steigern in Emmerich des öfteren mit voller Kraft anfährt und Schwierigkeiten beim Ab- oder Anlegemanöver hat, zumal es sich um ein Küstenmotorschiff handelte, kann dort jeder Fachmann täglich beobachten. Daf7 sich das Gericht hier nur auf einen einzigen Augenzeugen stützen kann, einen Zollassistenten, der nicht vom Fach ist und dem aufgrund seiner kurzen Dienstzeit auch noch keine allzu großen Erfahrungen bei der Beurteilung von Schiffsmanövern zur Seite standen, dürfte kaum zu Lasten des Angeklagten ausschlagen. Fest steht ferner, daß die Beamten der Wasserschutzpolizei den Angeklagten zunächst überhaupt nicht für angetrunken hielten, sondern nur, wie es im Urteil heilt, in Emmerich Anlaß nahmen, „sich auch ihn darauf anzusehen, ob er nicht betrunken sei", obwohl es ja schon weit auf Strom zwischen ihnen und dem Angeklagten wegen seiner Weigerung, das Ruder zu räumen, zu Handgreiflichkeiten gekommen war, wobei sie gegen ihn nur wegen des Fehlens des Patentes vorgingen. Die Beamten gingen sogar soweit, ihm zur Durchführung des Anlegemanövers - das offensichtlich so schwierig war, daß es sich die Beamten mit dem nicht einfach zu lenkenden Küstenmotorschiff selbst nicht mehr zutrauten - wieder das Ruder zu überlassen, obwohl er kein Patent vorweisen konnte. Hätte er aber den Eindruck der Ungeeignetheit wegen Trunkenheit gemacht, so hätte es sich um eine grobe Pflichtwidrigkeit der Beamten gehandelt, dem Angeklagten das Ruder wieder zu überlassen. Das Gericht wird doch selbst nicht sagen wollen, daß die Beamten darauf hätten vertrauen dürfen, daß der Angeklagte mehr oder weniger zufällig" bei Durchführung des Anlegemanövers unter dem Einflut) irgendwelcher Impulse seinen Willen besonders anspannen" würde. Man kann auch nicht sagen, daß den Beamten nichts anderes übrig geblieben sei, als den Versuch zu machen, mit Hille des Angeklagten das Schiff in den Emmericher Hafen zu bringen. Denn das Schiff hätte sofort am Ort der Kontrolle vor Anker gehen können, was ja die Beamten zunächst auch verlangt hatten. Eine Gefährdung des Verkehrs, vor allem der anderen Verkehrsteilnehmer, hätte dann vermieden werden können und müssen. Nichts dergleichen kam den Beamten in den Sinn, eben weil der Angeklagte ganz offensichtlich bestens zur Führung des Schiffes geeignet war. Deshalb darf auch ohne weiteres unterstellt werden, daß er bei den bekannten schwierigen Verkehrsverhältnissen auf der Emmericher Reede alle die vom OLG genannten Voraussetzungen erfüllt hat (z. B. „Beobachtung von Ereignissen hinter seinem Schiff"; „ständige, sorgfältige und vorausschauende Beobachtung des Reviers, ständige Anpassung des Kurses" usw.).
Die gesamten Umstände sprechen also nicht gegen den Angeklagten, sondern im Gegenteil für ihn. Es ist auch bezeichnend, daß die Beamten, die hinter dem Schiff „L" hergefahren sind, nicht die geringsten konkreten Angaben über ein nautisch - technisch falsches Verhalfen weder vor ihrer Kontrolle noch gelegentlich der Führung des Schiffes durch den Angeklagten an den Anlegeplatz haben machen können. Solche konkreten Umstände, die z. B. in den beiden oben schon zitierten Urteilen mit Recht zur Grundlage der strafrechtlichen Beurteilung gemacht worden sind, liegen zum Nachweis der Nichteignung und Unfähigkeit des Angeklagten, sein Schiff zu führen, nicht vor. Es sind also keine Tatsachen ermittelt worden, die als sogenannte alkoholbedingte Ausfallerscheinungen Beweisanzeichen für die Fahrunsicherheit, geschweige denn für die Ungeeignetheit hätten sein können und nur dann als solche gelten, wenn sie sich im Einzelfall als Folge des Alkoholgenusses ausweisen.