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Leitsätze:
1) Die Anwendung der gebotenen nautischen Sorgfalt (§ 1.04 RheinSchPVO) verpflichtet, ein Radarbild richtig auszuwerten und einen Unfall durch sachgerechte Reaktion zu vermeiden.
2) Wenn ein Talfahrer in der Radarfahrt Durchsagen eines Bergfahrers über Sprechfunk (Kanal 10) nicht beachtet, selbst kein Dreitonzeichen gibt (§ 6.32 Nr. 4, 5 RheinSchPVO) und sogar akustische Signale überhaupt nicht in Betracht zieht „weil das heute keiner mehr mache", kann nicht mit Sicherheit angenommen werden, daß er im Falle eines Schallzeichens des Bergfahrers rechtzeitig zu einer zutreffenden Auswertung des Radarbildes gekommen wäre und noch einen der Kursweisung des Bergfahrers entsprechenden Kurs genommen hätte. Dann trifft den Bergfahrer nicht der Vorwurf eines schadensursächlichen Verhaltens, wenn er es unterlassen hat, das nach § 6.32 Nr. 5 RheinSchPVO vorgeschriebene Schallzeichen „einen langen Ton" zu geben und zu wiederholen.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 16.08.1993
292 Z - 15/93
(Rheinschiffahrtsgericht St. Goar)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin ist Versicherer des Koppelverbandes „Janine", bestehend aus MTS „Janine I" und TSL „Janine II", der am 16.03.1990 bei dichtem Nebel im Revier bei Hirzenach mit Radar zu Berg fuhr und mit dem zu Tal fahrenden MS „Iduna" der Beklagten zu 1 und zu 2, wovon der Beklagte zu 1 das Schiff führte, linksrheinisch bei km 562,6 zusammenstieß. MS „Iduna" geriet zunächst mit dem Steven gegen das Backbordvorschiff des Tankschubleichters „Janine II", glitt an dessen Backbordseite entlang und stieß, nachdem dieser Leichter abgerissen und zum Ufer hin verfallen war, gegen den Kopf von MTS „Janine I". An allen Fahrzeugen entstand erheblicher Sachschaden.
Die Klägerin hat behauptet, Schiffsführer F., der den Koppelverband geführt hat, habe sein Radargerät dezentriert, sodaß seine Sicht voraus 1500 m betragen habe. Bei km 567 habe er den Übergang nach linksrheinisch gemacht, nachdem er zuvor rechtsrheinisch zu Berg gefahren sei. Laufend habe er die Talfahrt über Kanal 10 gewahrschaut. In Höhe der Ortslage Kestert sei er jeweils nach vorangegangener Kursabsprache mit MS „Judith" und kurze Zeit später dem MS „La Paloma" begegnet. Den Schiffsführer des MS „La Paloma" habe er nach weiterer Talfahrt befragt und zur Antwort erhalten, daß ein beladenes Frachtschiff folge, dessen Abstand unbekannt sei. F. habe sich daraufhin, obwohl dieser Talfahrer noch nicht auf dem Radarbild zu sehen gewesen sei, unter Angabe der eigenen Position gemeldet und eine BegegnungBackbord/Backbord verlangt. Diese Meldung habe er mehrfach wiederholt, ohne Antwort zu erhalten. „La Paloma" habe ihm schließlich den Namen dieses Talfahrers genannt, der nunmehr auf dem Radarbild zu sehen gewesen sei. „Iduna" sei ziemlich linksrheinisch im Hang gefahren. Mehrfach habe F. danach über Funk ausdrücklich eine Begegnung Backbord/Backbord verlangt. Schon bei Hirzenach habe er die Maschinenleistung seines Koppelverbandes reduziert und sei mit langsamer Geschwindigkeit weitergefahren. Als „Iduna" weiter linksrheinisch geblieben sei, habe F. den Koppelverband noch weiter zum linksrheinischen Ufer gelenkt, um eher eine Grundberührung als eine Kopf-auf-Kopf-Kollision zu riskieren. Gleichwohl sei es zur Kollision gekommen.
Die Beklagten haben vorgetragen, der Beklagte zu 1 habe bei km 561,5 in der Mitte des Fahrwassers fahrend auf dem Bild seines Vorschiffsradars ein Echo bei km 563 hart rechtsrheinisch erkannt. Wie sich später herausgestellt habe, habe es sich um den Koppelverband „Janine" gehandelt. Mehrfach habe der Beklagte zu 1 über Funk versucht, den Bergfahrer anzusprechen, sei aber ohne Antwort geblieben. Dies habe man als unproblematisch angesehen, weil die beiderseitigen Kurse für die im dortigen Revier übliche Begegnung Steuerbord/ Steuerbord ideal gewesen seien. Im weiteren Verlauf der Annäherung sei der Koppelverband jedoch nicht rechtsrheinisch geblieben und entlang dem Gaulsgrung gefahren, vielmehr in der dort befindlichen Stromkrümmung weitergefahren und so schnell auf die linke Rheinseite übergewechselt. Hierdurch sei MS „Iduna" derWeg versperrt worden. Auch durch weitere Manöver habe man den Zusammenstoß nicht vermeiden können.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Schadensersatzklage dem Grunde nach zu 3/4 für gerechtfertigt erklärt und wegen des weitergehenden Klageanspruchs die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„1. Die Berufungskammer tritt der Feststellung des Rheinschiffahrtsgerichts bei, daß der Koppelverband „Janine" bereits mehrere Kilometer vor dem Erreichen des Unfallreviers den Übergang von rechtsnach linksrheinisch vorgenommen hat und sich bereits geraume Zeit linksrheinisch befunden hat, ehe die beteiligten Schiffsfüh-. rer einander auf dem Radarschirm sehen konnten. Das ergibt sich zur Überzeugung der Berufungskammer aus den Bekundungen der Zeugen, die sämtlich ausgesagt haben, der Koppelverband sei bei der Annäherung an das Unfallrevier linksrheinisch gefahren. Bis auf den Zeugen B. haben die Zeugen auch wiederholte Durchsagen des Zeugen F., im letzten Teil der Geschehnisse unter namentlichen Anruf des MS „Iduna", über die von dem Koppelverband gewünschte Begegnung mit „Iduna" Backbord/ Backbord gehört, auf die sich nach ihren weiteren Angaben „Iduna" nicht gemeldet habe....
Zwar haben die beiden Beklagten im Verklarungsverfahren als Zeugen bekundet, der Koppelverband habe sich rechtsrheinisch befunden und habe dann vor „Iduna" den Übergang nach linksrheinisch gemacht. Ihren Angaben vermochte die Berufungskammer aber ebensowenig wie denen des Zeugen R., der den Koppelverband im Revier bei Kestert rechtsrheinisch gesehen haben will, zu folgen. Denn die beiden Beklagten sind am Ausgang dieses Rechtsstreits unmittelbar interessiert und ihre Angaben werden nur von denen des Zeugen R. bestätigt. Dessen Angaben über einen rechtsrheinisch verlaufenden Kurs des Koppelverbandes bei der Annäherung an die spätere Unfallstelle hält die Berufungskammer jedoch nicht für zweifelsfrei. Denn dieser Zeuge hat weder auf dem Radarschirm den Unfallhergang gesehen, noch den Funkverkehr vor den Unfall gehört, was darauf schließen läßt, daß sein Schiff sich bereits so weit oberhalb befand, daß er weder die Unfallbeteiligten auf dem Schirm hatte, noch überhaupt den Funksprechverkehr des Koppelverbandes wahrnehmen konnte....
Ist aber festzustellen, daß der Koppelverband schon bei der Annäherung an das Unfallrevier linksrheinisch fuhr und laufend über Funk seinen Standort, seinen Namen und die Weisung, Backbord/Backbord zu begegnen, mitgeteilt hatte, hätte der Beklagte zu 1 der in dieser Durchsage liegenden Kursweisung entsprechen müssen. Weshalb der Beklagte zu 1 die Durchsagen über Kanal 10 nicht wahrgenommen hat, muß letztlich offen bleiben. Das entlastet ihn aber nicht. Denn er hat auf dem Radarschirm den zu Berg kommenden Koppelverband gesehen. Wenn es gleichwohl zur Kollision gekommen ist, so beruht das nach der Überzeugung der Berufungskammer auf einer fehlerhaften Auswertung des Radarbildes, auf dem der Beklagte zu 1 den Koppelverband rechtsrheinisch gesehen haben will und weshalb er nicht nach rechtsrheinisch hin ausgewichen ist, wo ausreichend Raum für eine gefahrlose Begegnung vorhanden war. Bei Anwendung der gebotenen nautischen Sorgfalt (§ 1.04 RheinSchPVO) hätte der Beklagte zu 1 sein Radarbild richtig auswerten und durch eine sachgerechte Reaktion den Unfall vermeiden können. Auf diesem Verstoß gegen seine nautischen Pflichten beruht der Unfall.
Danach steht fest, daß der Beklagte zu 1 den Unfallschaden zu ersetzen hat. Nicht entschieden zu werden braucht, ob seine Haftung auf Grund seiner Eigenschaft als Miteigentümer des MS „Iduna" nach § 4 Abs. 2 Satz 2 BinSchG auf Schiff und Fracht und auf den Wert des Schiffes (vgl. § 114 Abs. 1 BinSchG) beschränkt ist oder ob er für die Schäden an dem Koppelverband persönlich und unbeschränkt haftet (§ 4 Abs. 2 Satz 1 BinSchG). Denn die Klägerin macht gegen den Beklagten zu 1- wie gegen die Beklagte zu 2 - nur die nach § 4 Abs. 2 Satz 2, § 114 BinSchG dinglich und persönlich beschränkte Haftung geltend.
2. Ein Mitverschulden des Schiffsführers des Koppelverbandes, des Zeugen F., muß nach den getroffen Feststellungen verneint werden. Der Zeuge F. hat keine Zeichen zur Kursweisung gegeben und damit von dem Talfahrer eine Begegnung Backbord/ Backbord verlangt (§ 6.04 Nr. 2 RheinSchPVO). Hiermit hat er seiner Kursweisungspflicht als Bergfahrer entsprochen. Als Radarfahrer hat er weiter entsprechend seinen Pflichten aus § 6.32 Nr. 5 RheinSchPVO die gebotenen Durchsagen über Kanal 10 gemacht. Allerdings hätte er noch das dort vorgeschriebene Schallzeichen „einen langen Ton" geben und wiederholen müssen, da er wegen des linksrheinisch verlaufenden Kurses des MS „Iduna" annehmen mußte, daß dieses Schiffeine Gefahrenlage verursachen konnte. Von der Pflicht zur Abgabe dieses Schallzeichens war F. nicht etwa deshalb befreit, wenn es in der Schiffahrt unüblich geworden sein sollte, Schallzeichen zu geben. Nach der Überzeugung der Berufungskammer rechtfertigt aber das unterbliebene Schallsignal nicht den Vorwurf eines schadensursächlichen Fehlverhaltens; denn die Berufungskammer vermochte nicht mit Sicherheit festzustellen, daß der Beklagte zu 1 als Schiffsführer des MS „Iduna" einem solchen Schallzeichen überhaupt Beachtung geschenkt und seinen Kurs zur Herbeiführung einer gefahrlosen Begegnung nach rechtsrheinisch hin verlegt hätte. Diese Ansicht stützt die Berufungskammer insbesondere auf die Erwägung, daß der Beklagte zu 1 aus seiner Sicht keinen Anlaß zu haben brauchte, auf ein Schallzeichen hin seinen Kurs nach rechtsrheinisch zu richten, weil er den Koppelverband mehr rechtsrheinisch sah und erst auf einen Abstand von 150-200 m wahrgenommen haben will, daß der Koppelverband einen Übergang nach linksrheinisch vornahm, der Verband quer im Strom lag und ihm denWeg verlegte. Hierzu kommt die Nichtbeachtung der Durchsagen des Bergfahrers über Kanal 10, die unterbliebenen Dreitonzeichen des Talfahrers und die ausgebliebene Kursänderung nach Steuerbord. Im übrigen hat der Beklagte zu 1 nach seinen Bekundungen im Verklarungsverfahren akustische Signale überhaupt nicht in Betracht gezogen, „weil das heute keiner mehr mache." Bei dieser Sachlage kann nicht mit Sicherheit angenommen werden, daß der Beklagte zu 1 im Falle eines Schallzeichens rechtzeitig zu einer zutreffenden Auswertung des Radarbildes gekommen wäre und noch einen der Kursweisung des Bergfahrers entsprechenden Kurs genommen hätte.
Nach alledem ist die Berufung der Beklagten unbegründet. Auf die Berufung der Klägerin mußte die Klage dem Grunde nach in vollem Umfange für gerechtfertigt erklärt werden, § 304 ZPO. Zur weiteren Verhandlung und Entscheidung zur Höhe des Klageanspruchs war die Sache an das Rheinschiffahrtsgericht zurückzuverweisen...."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1994 - Nr.4 (Sammlung Seite 1459 f.); ZfB 1994, 1459 f.