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Leitsätze:
1) Nach § 6.04 Nr. 1 RheinSchPVO braucht ein Bergfahrer weder den günstigsten noch einen günstigen Weg freizulassen; er muß aber einen Weg freilassen, der vom Talfahrer risikolos befahren werden kann, und zwar auch im Hinblick darauf, daß er ohne Gefahr an Fahrzeugen vorbeikommt, die er erst nach dem Begegnen passieren muß.
2) Auch muß der weisungsberechtigte Bergfahrer in Rechnung stellen, daß das Auflösungsvermögen der Radarortung eines Talfahrers einen Abstand vom Uferverlangt, bei dem das Echo des Schiffs nicht mit dem des Ufers verschmilzt.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rhelnschiffahrt
vom 2. September 1992
258 Z - 7/92
(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin ist Schiffsversicherer und verlangt aus übergangenem Recht von den Beklagten Schadensersatz aus Anlaß eines Schiffszusammenstoßes, der sich am 8.2.1989 auf dem Rheinstrom oberhalb des Kaiserwörthhafens in Ludwigshafen bei km 421,2 ereignet hat.
Am 8.2.1989 gegen 21.00 Uhr fuhr der Schubverband „Gebr. G", bestehend aus dem Schubboot „G 2" der Beklagten zu 1) und den hintereinander vorgespannten Schubleichtern „Gebr. G 14" und „H 8" bei Dunkelheit und unrichtigem Wetter auf dem Rheinstrom unterhalb des Kaiserwörthhafens in Ludwigshafen zu Berg. Dem Schubverband kam MS „A", an dessen Ruder der Lotse D. stand, entgegen. Wegen des unsichtigen Wetters und einer Sichtweite von allenfalls 200 m war auf beiden Schiffen das Radargerät in Betrieb. Auf MS „A" wurden das Radargerät und der Funk von dem Lotsen D. bedient. Der Schiffsführer des Schubverbandes, der Beklagte zu 2), der nach Radar fuhr, gab laufend über Kanal 10 seine Position durch. Als sich auf seine Durchsage MS „A" als Talfahrer meldete, wurde zwischen den Schiffsführungen eine Begegnung Steuerbord/ Steuerbord vereinbart.
Bei der Begegnung der Fahrzeuge stieß MS „A" mit seinem Steuerbordvorschiff gegen die Steuerbordseite des Schubkopfes von SL „H 8". MS „A" rutschte dann mit fast seiner gesamten Länge bis zur Höhe des Steuerhauses am Kopf des Schubleichters entlang. Aufgrund der inzwischen eingetretenen Rückwärtsfahrt des Schubverbandes trennten sich dann die Havaristen. MS „A" trieb nunmehr ohne eigene Maschinenkraft in Backbordschräglage zu Tal und streifte mit seinem Kopf das bei Rhein-km 421,2 linksrheinisch stilliegende MS „EL". Durch Die Kollision wurden MS „A" und SL „H 8" beschädigt.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Schadensersatzklage abgewiesen. Die Berufung hatte Erfolg.
Aus den Entscheldungsgründen:
„Auf die Berufung mußte das angefochtene Urteil abgeändert und die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt werden (§§ 3, 4, 92, 92 b BinSchG; § 6.04 Abs. 1 RheinSchPV; §§ 823, 249 BGB; § 304 Abs. 1 ZPO). Denn die Kollision des Schubverbandes „Gebr. Grieshaber" mit dem MS „A" beruht auf einem Verschulden des Beklagten zu 2), der als Schiffsführer des zu Berg fahrenden Schubverbandes „Gebr. G" von dem zu Tal entgegenkommenden MS „A" eine Begegnung Steuerbord auf Steuerbord verlangt, dem Talfahrer aber keinen geeigneten Weg für die Begegnung freigelassen hat. Hingegen trägt die Besatzung des MS „A" kein Verschulden. Diese Überzeugung stützt die Berufungskammer auf folgende Erwägungen:
1. Zur Unfallzeit am 8.2.1989 gegen 21.00 Uhr war es dunkel. Es herrschte Nebel mit einer Sichtweite von allenfalls 200 m. Der Maxauer Pegel stand auf 3,63 m, der Mannheimer Pegel auf 1,74 m. Der Wasserstand war also gering. Nach dem in den Bußgeldakten befindlichen Aktenvermerk des Wasserschutzpolizeiamtes Rheinland-Pfalz, Station Ludwigshafen, vom 12.2.1989 betrug die Strombreite 160 m in dem Unfallrevier von Rhein-km 422 bis Rhein-km 420. Die fahrbare Breite des Stromes war jedoch erheblich geringer. Etwa ab km 418,5 beschreibt der Rhein eine starke Rechtskrümmung, die etwa bei Rhein-km 422 in eine Linkskrümmung übergeht. Dem rechten Ufer des Stroms ist der ausgedehnte Schnepfengrund vorgelagert. Nach einem ebenfalls in den Bußgeldakten befindlichen Bericht des Wasserschutzpolizeiamts Rheinland Pfalz, Station Ludwigshafen, vom 15. 8. 1989 mußte der Schubverband bei einem gemittelten Tiefgang von 1,70-1,72 m zum rechten Ufer wegen des Schnepfengrundes einen Abstand von etwa 80 m einhalten. Ein notwendiger Abstand von etwa 80 m ergibt sich auch aus dem im Verklarungsverfahren eingeholten „Tiefen- linienplan aus Querprofilen" des Wasserund Schiffahrtsamts Mannheim.
2. Zur Unfallzeit lag bei Rhein-km 421,2 das MS „EL" am linken Ufer etwa 2-3 m vom Land ab vor Anker. Sein Backbordanker war etwa 10 m seitlich vom Schiff gesetzt. Ebenfalls linksrheinisch befindet sich bei Rhein-km 421,5 die Einfahrt zum Kaiserwörthhafen.
3. Die Kollision zwischen dem zu Berg fahrenden Schubverband „Gebr. G" und dem zu Tal kommenden MS „A" hat sich, was unbestritten ist, oberhalb von „E L" ereignet.
Der Zusammenstoß ist etwa 40 bis 50 m aus dem linken Ufer erfolgt. Das ergibt sich aus dem Ergebnis des Verklarungsverfahrens und den Aussagen der Beteiligten sowie der Zeugen in dem Bußgeldverfahren:
Im Verklarungsverfahren hat der Beklagte zu 2) angegeben, er sei mit seinem Schubverband „während der ganzen Zeit" in einem Abstand von ca. 70 m zur Pfälzer Seite, also zum linken Ufer, gefahren. Den Talfahrer habe er zunächst wegen der starken Krümmung des Stromes im Radarbild nicht sehen können. Auf 400 m Abstand habe er MS „A" gerufen und erklärt, daß ihm der Talfahrer auf den Kopf fahre. Er habe keine Antwort erhalten und seine Durchsage nochmals wiederholt. MS „A" habe den Kurs stur weiter auf den Kopf des Schubverbandes gehalten. Der Schubverband sei fast gerade gefahren.
Hingegen hat der Zeuge M., der zur Unfallzeit als Matrose an Bord des Schubbootes „Grieshaber 2" gewesen ist, im Bußgeldverfahren angegeben, der Schubverband sei etwa 60-70 m vom linken Ufer entfernt gewesen. Diese Darstellung hat der Zeuge M. im Verklarungsverfahren wiederholt und hinzugefügt, vom rechtsrheinischen Ufer sei der Abstand etwa genauso groß gewesen. Man habe sich fast an der Grenze des Fahrweges des Schubverbandes bewegt. Wäre der Schubverband noch weiter nach rechtsrheinisch beigefahren, wäre man auf den Grund gekommen. Man sei ungefähr parallel zum Ufer gefahren.
Im Bußgeldverfahren hat der Zeuge M. außerdem zur Fahrweise des Talfahrers angegeben, MS „A" sei etwa in Strommitte zu Tal gefahren. Der Talfahrer habe dann seinen Kurs noch weiter nach Steuerbord gerichtet und sei direkt itf den Schubverband zugefahren. Im Verklarungsverfahren hat der Zeuge M. dazu bemerkt, der Kurs des Talfahrers habe am Anfang noch ganz gut ausgesehen. Im weiteren Verlauf der Fahrt sei er immer näher an den Grund heran- und die letzten 300 m sei er dicht am Grund entlanggefahren.
Hingegen soll MS „A" nach den Bekundungen von Schiffsführer L. im Bußgeldverfahren 30-40 m und nach seinen weiteren Angaben im Verklarungsverfahren etwa 30 m aus dem linken Ufer gefahren sein, wobei er im Verklarungsverfahren erläuternd hinzugefügt hat, genau könne man das aber nicht sagen.
Auch der Lotse D. hat seinen Angaben im Verklarungsverfahren zufolge den Abstand des Talfahrers vor dem Unfall mit etwa 30 m aus dem linken Ufer geschätzt.
Wenn die Berufungskammer meinte, den Angaben der Besatzung des MS „A" den Vorzug vor denen der Besatzungsmitglieder des Schubverbandes geben zu können, so waren dafür die Angaben des Zeugen St. entscheidend, der die Angaben der Besatzung des MS „A" in der Kernfrage, welchen Weg der Schubverband dem Talfahrer freigelassen hatte, im wesentlichen bestätigt hat. Dieser Zeuge, der Schiffsführer des stilliegenden MS „E L" gewesen ist und am Unfall unbeteiligt war, hatte von seinen nachbeschriebenen Standorten aus einen guten Überblick und hat sein Augenmerk den Havaristen zugewandt. Zudem erscheinen seine Angaben frei von Übertreibungen und wohlüberlegt. Der Zeuge St. hat seinen Angaben im Verklarungsverfahren zufolge die unfallbeteiligten Schiffe und ihre Kurse vor dem Unfall nicht wahrgenommen. Er hat in seiner Kajüte ein Krachen gehört und ist erst hierdurch aufmerksam geworden. Seinen weiteren Angaben zufolge hat er aus dem Fenster seiner Kajüte gesehen, wie ein Schuber langsam zurückzog. Hierauf ist er aus seiner Kajüte an Deck getreten, um sich „das anzusehen". Zu Berg hat er dann einen Schatten gesehen, den er als Umriß eines Schiffes erkannt hat. Dieses Schiff, so hat er weiter angegeben, sei etwa 100 m voraus gewesen, habe schräg im Strom gelegen und sei auf ihn zugekommen. Da dieses Schiff auf ihn zugeschossen sei und er habe vermeiden wollen, daß MS „A" nicht ihn, d. h. nicht sein Schiff, mit dem Bug direkt treffe, habe er die Ankerketten gefiert. wodurch „E L" noch 2-3 m zum Land beigegangen sei. MS „A" habe dann „E L" mit dem Steven etwa 10 m von der Vorderkante entfernt angefahren, sei an diesem Schiff entlanggerutscht und habe es an Land gedrückt.
Zu den Abständen der Havaristen hat der Zeuge St. angegeben, der Schuber sei etwa 30 bis 40 m von ihm ab gewesen, als der Schuber zurückgezogen habe. Damit meine er den Zeitpunkt, als er ihn zum ersten Mal gesehen habe. Er könne nicht sagen, ob der Schuber im Zeitpunkt dieser Beobachtung gestreckt gelegen habe. So wie das ausgesehen habe, sei der Schuber in seiner Lage ziemlich stabil geblieben, worüber er sich noch gewundert habe.
Im Bußgeldverfahren hatte der Zeuge St. zuvor angegeben, er habe in seiner Kajüte zunächst ein Krachen und dann Maschinengeräusche und an deren Art gehört, daß ein Fahrzeug volle Kraft zurückmache. Sein Schiff habe begonnen zu schaukeln. Er habe sich darauf auf das Achterdeck seines Schiffes begeben und gesehen, daß es sich um einen Schubverband gehandelt habe. Er sei dann nach vorne auf den Bug seines Schiffes gegangen und habe „A" auf sich zutreiben gesehen. Zu dieser Zeit sei der Schubverband bereits in Höhe des Kaiserwörthhafens gewesen. Er habe Angst gehabt, „A" würde sein Schiff rammen und habe deshalb beide Anker gefiert. Hätte er die Anker nicht gefiert, wäre ihm „A" direkt in den Bug gefahren. Er habe beide Anker 3-4 m gefiert. So habe ihn „A" vom Bug bis zum Achterschiff gestreift und sein Schiff auf Land gesetzt. Die Bergplatte von „E L" sei zerkratzt worden. „A" sei dann quer zum Strom zu Tal getrieben und habe einen Anker gesetzt.
Es steht bei dieser Sachlage außer Zweifel, daß der Zeuge St. zunächst Beobachtungen aus seinem Kajütenfenster und, nachdem er seine Wohnung verlassen hatte, vom Achterdeck seines Schiffes aus gemacht hat. Von seinem Achterdeck aus hat St., wie er im Verklarungsverfahren ausdrücklich ausgesagt hat, den Schuber 30 bis 40 m neben seinem Schiff gestreckt im Strom liegen sehen. Zu dieser Zeit muß das Heck des Schubverbandes bereits geringfügig talwärts gelegen haben; denn St. hat das Heck des Schubers bereits in Höhe des Hecks seines Schiffes gesehen, als er zum erstenmal aufgrund der Unfall- und Maschinengeräusche aus der Kajüte herausschaute.
Zur Lage des MS „A" nach dem Zusammenstoß folgt aus den Angaben des Zeugen St., daß dieses Schiff zunächst eine nicht näher feststellbare Querlage hatte, als es auf den Stillieger zutrieb und durch das Ankommen an dieses Schiff und die Strömung weiter in Querlage geraten ist. Aus dem Zusammenhang der Angaben des Zeugen St. ist zu entnehmen, daß der Schubverband vor dem zu Tal treibenden MS „A" rückwärts zu Tal fuhr.
Zu der Lage des Schubverbandes im Strom ist die Berufungskammer der Überzeugung, daß eine Änderung des Abstandes des Verbandes zu beiden Ufern durch die bei der Kollision wirksam gewordenen Kräfte nicht eingetreten ist. Aus den Aussagen des Zeugen M. und denen des Beklagten zu 2) entnimmt die Berufungskammer, daß das Schubboot sich bereits in Rückwärtsfahrt befand, als der Zusammenprall erfolgte. Wenn auch MS „A" mit der Steuerbordseite seines Kopfes gegen den Steuerbordkopf des vorderen Schubleichters ankam, brauchte das nicht notwendig einen nachhaltigen Einfluß auf den rückwärts verlaufenden Kurs des Schubverbandes auszuüben; denn Schiffsführer B. zog durch seine rückwärtsdrehenden Schrauben den Verband in eine gestreckte Lage. Zudem konnte er auch durch den Einsatz seiner Flankenruder Kursabweichungen leicht korrigieren. Anhand der Vorauslinie seines Radargerätes und der Anzeige seines Wendeanzeigers konnte er auch die Lage seines Verbandes im Strom genau feststellen und notfalls entsprechend seinen Kurs korrigieren.
Zweifel daran, daß der Schubverband durch den Unfall seine Lage im Strom nicht geändert hat und mit unverändertem Abstand zu beiden Ufern zu Tal gefahren ist, sind daher unbegründet. Diese Überlegungen werden zudem durch den Zeugen St. bestätigt, der den Schubverband in gestreckter Lage im Strom gesehen hat. Daß dieser Zeuge im übrigen den Kurs des Schubverbandes nicht nur beiläufig, sondern mit dem Interesse eines fachkundigen Schiffsführers wahrgenommen hat, ergeben die Angaben des Zeugen darüber, daß er sich über diese Lage des Schubverbandes gewundert habe.
Geht man mit den Bekundungen des Zeugen St. von einem Abstand zwischen dem stilliegenden MS „E L" und dem Schubverband von 30-40 m aus, muß der Schubverband vom linksrheinischen Ufer 40-50 m entfernt gefahren sein, da MS „E L" etwa 2-3 m vom Ufer entfernt stillgelegen hat. Wenn aber der Schubverband seinen Abstand zu beiden Ufern nicht geändert hat, wie den Aussagen des Zeugen M. und denen des Beklagten zu 2) zu entnehmen ist, muß eine gleiche Lage des Schubverbandes im Strom auch für den Zeitpunkt der Kollision angenommen werden.
4. Bei der hier gegebenen Sachlage hat die Schiffsführung des Schubverbandes „Gebr. Grieshaber" unter Berücksichtigung der örtlichen Umstände und des übrigen Verkehrs dem zu Tal fahrenden MS „A" entgegen der für das Begegnen vorgeschriebenen Grundregel des ß 6.04 Nr. 1 RheinSchPV keinen geeigneten Weg freigelassen.
Obwohl ein ausreichendes Fahrwasser bis zu dem rechtsrheinisch vorspringenden Schnepfengrund bestand, ist der Beklagte zu 2) mit dem von ihm geführten Schubverband „Gebr. Grieshaber" 40-50 m vom linken Ufer entfernt zu Berg gefahren. Wenn er schon dem zu Tal kommenden MS „A" eine Kursweisung für eine Begegnung Steuerbord auf Steuerbord wies, hätte er seinen Kurs weiter zum rechten Fahrwasserrand verlegen müssen, was gefahrlos möglich gewesen wäre. Weder der Wasserstand des Rheinstroms zur Unfallzeit noch die Abladung der Schubleichter hinderten ihn, weiter zum rechten Ufer 'beäugehen, damit der Talfahrer gefahrlos passieren konnte. Innerhalb der Stromkrümmung und . wegen der Radarfahrt benötigte sein Verband zwar ebenfalls einen gewissen Raum, das 80 m breite Fahrwasser reichte aber für die gefahrlose Begegnung mit einem zu Tal fahrenden Motorschiff auch bei einer Radarfahrt ohne weiteres aus. Es haben sich bisher auch keine Vorschriften als notwendig ergeben, die Begegnung von Fahrzeugen bei unsichtigem Wetter für den Bereich des Unfallreviers abweichend von den allge- meinen Vorschriften zu regeln. Daran ändert auch nichts, daß der Beklagte zu 2) auf der Bergfahrt im Bereich von km 421,2 wegen des aus seiner Sicht in einer starken Linkskrümmung verlaufenden Stromes den Kopf seines Verbandes nach Backbord legen mußte, um der Stromkrümmung zu folgen. Er konnte den für ihn linken Rand des Fahrwassers anhalten und lediglich das Heck seines 183 m langen Verbandes lag dann zur Strommitte hin leicht heraus. Kollidierte aber, wie es hier der Fall war, sein Kopfleichter mit der Steuerbordvorderkante 40-50 m vom linken Ufer entfernt mit MS „A", so weist dieser Umstand darauf hin, daß der Schubverband einen zu weit in der Mitte des Fahrwassers verlaufenden Kurs gehabt hat. Diesen verfehlten Kurs hat der Beklagte zu 2) auch dann noch bis zur Kollision fortgesetzt, nachdem ihm der Lotse D. über Kanal 10 mitgeteilt hatte, er könne nicht weiter nach linksrheinisch und in das Land fahren.
5. Durch seine Fahrweise hat der Beklagte zu 2) die Kollison schuldhaft herbeigeführt. Zwar braucht ein Bergfahrer einem Talfahrer weder den günstigsten noch einen günstigen Weg freizulassen, der Bergfahrer muß aber einen Weg freilassen, der vom Talfahrer risikolos befahren werden kann. Es darf aber insbesondere in einer Stromkrümmung keine Gefahrenlage entstehen (BGH VersR 1963, 825; Bemm/Kortendick, Rheinschifffahrtspolizeiverordnung 1983, § 6.04 Rdn 16). Der Bergfahrer muß bei der Wahl seines Kurses und dem sich daraus ergebenden Weg, den der Talfahrer bei der Begegnung zu nehmen hat, auch berücksichtigen, daß dem Talfahrer die Möglichkeit gegeben sein mußte, auch an Fahrzeugen, die er erst nach dem Begegnen passieren muß, ohne Gefahr vorbeizukommen (BGH VersR 1968, 44; 1969, 611; Bemm/Kortendick, a.a.O., § 6.04 Rdn 17).
Ein Talfahrer kann in einer Stromkrümmung, wie sie hier im Revier bestand, schon bei guten Sichtverhältnissen nicht am äußersten Rand des linksrheinischen Fahrwassers fahren, weil das Wasser dort in den Hang fällt. Diese Fahrwasserverhältnisse zwingen einen Talfahrer, worauf auch die Parteien in ihrem Vorbringen mit Recht hingewiesen haben, den Kopf seines Schiffes nach Steuerbord zu richten, damit das Schiff dem Stromverlauf folgt. Diese Ruderlegung bewirkt, daß das Schiff eine gewisse Querlage einnehmen muß, also erheblich breiter fährt als auf einer geraden Stromstrecke.
Ein Radartalfahrer muß bei der Wahl seines Talkurses in Rechnung stellen, daß das Auflösungsvermögen der Radarortung einen weiteren Abstand vom Ufer verlangt, um ein Verschmelzen des Echos des eigenen Schiffs mit dem des Ufers zu vermeiden. Durchfährt ein Radartalfahrer eine scharfe Rechtskrümmung des Stromes, muß er deshalb einen Vorhalt nach Steuerbord machen. Auch weist die Vorauslinie seines Radargeräts nicht in Richtung auf den eingeschlagenen eingeschlagenen Kurs, sondern entsprechend dem Vorhalt des Schiffes abweichend von dem Kurs nach Steuerbord. Auch das muß der weisungsberechtigte Bergfahrer bei der Wahl seines Kurses in Rechnung stellen. Schon diese Umstände zeigen auf, daß einem Radartalfahrer, der in einer Stromkrümmung nur einen Weg von 30 bis 40 m Breite finden kann, ein nicht ungefährlicher Weg freigelassen worden ist. Diese Gefahr wurde hier dadurch verstärkt, daß 200 m unterhalb der Unfallstelle bei Rhein-km 421,2 linksrheinisch das MS „E L" stillag. Auch wenn dieses Schiff nur 2-3 m vom Land ablag, schränkte es den Weg für MS „A" nicht unerheblich ein.
Zwar bedeutete der etwa 10 m seitlich gesetzte Anker des Stilliegers keine weitere Gefahr, weil der Rheinstrom an dieser Stelle so tief ist, daß kein anderes Schiff auf dem Anker raken kann, weshalb auch die Besatzungsmitglieder des MS „A" nach dem Ergebnis ihrer Aussagen insoweit keine Gefahr gesehen haben. Die Schiffsführung des Schubverbandes hätte hier aber wegen des Stilliegers in Rechnung stellen müssen, daß der Radartalfahrer bei dessen Passieren schon deshalb einen erheblichen Abstand halten mußte, um dieses Schiff nicht bei der Vorbeifahrt abzureißen. Ferner mußte die Schiffsführung des Schubverbandes bei der Wahl des eigenen Kurses und dem für den Talfahrer freizulassenden Weg berücksichtigen, daß der Talfahrer wegen der beschränkten Nahauflösung des Radarbildes den Stillieger nicht scharf anhalten konnte und größeren Raum brauchte. Der Talfahrer mußte auch einen Sicherheitsabstand einhalten, um in der erforderlichen Schräglage dieses Fahrzeug gefahrlos zu passieren.
Zusammenfassend ist die Berufungskammer der Überzeugung, daß der Bergfahrer dem Talfahrer keinen risikolos befahrbaren Weg freigelassen hat. Bei Beachtung der gebotenen nautischen Sorgfalt hätte der Beklagte zu 2) die Situation richtig einschätzen und rechtzeitig seinen Kurs nach rechtsrheinisch rechtsrheinisch verlegen müssen, um dem Talfahrer die Möglichkeit zu einer risikolosen Begegnung zu geben. Hierdurch hätte er den Unfall vermieden. Der Unfall beruht deshalb auf seinem Verschulden.
6. Der Schiffsführung des MS „A" kann nach den vorstehenden Erörterungen kein unfallursächliches Verschulden vorgeworfen werden. Ihr ist kein geeigneter Weg für die Begegnung freigelassen worden. Auch der von MS „A" bei der Annäherung an den Kollisionsort eingehaltene Kurs gibt zu Beanstandungen keinen Anlaß.
Wenn MS „A" 40-50 m vom linken Ufer entfernt mit dem Schubverband kollidiert ist, besteht kein Grund zu der Annahme, „A" sei von rechtsrheinisch kommend dem Schubverband vor den Kopf gelaufen, da selbst die Besatzungsmitglieder des Schubverbandes keine derartigen Beobachtungen gemacht haben. Vielmehr soll nach ihren Angaben „A" sich umgekehrt von linksrheinisch kommend zum rechten Ufer bewegt haben. Daß „A" bei der Kollision den Kopf nach Backbord genommen hatte, mag auf einem letzten Versuch, dem Schubverband auszuweichen oder eine Kopf-auf-Kopf- Kollision zu vermeiden, beruhen. Denkbar ist nach dem Gesamteindruck der Angaben der Besatzungsmitglieder des MS „A" auch, daß man im letzten Teil der Geschehnisse nichts mehr unternehmen konnte und deshalb der Kopf des Talfahrers infolge der Strömung und mangels eines Vorhalts zum Hang hin abgegangen ist. Muß aber nach der ganzen Sachlage angenommen werden, daß MS „A" bei der Annäherung an den Kollisionsort mit etwa 40-50 m Abstand vom linken Ufer zu Tal gefahren ist, können mit Rücksicht auf die besonderen für die Talfahrt bestehenden Gegebenheiten (vgl. vorstehend unter Nr. 5) auch insoweit gegen die Besatzung dieses Schiffes keine Vorwürfe erhoben werden. . . ."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1992- Nr.23/24 (Sammlung Seite 1399 ff.); ZfB 1992, 1399 ff.