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Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
257 Z - 6/92
vom 18. Juni 1992
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Mannheim vom 30. April 1991 - C 107/90 RhSch -)
Tatbestand:
Am 10.11.1989 fuhr das der Klägerin gehörende MTS E (106 m lang; 10,50 m breit; 2.485 t; 1.200 PS) leer auf dem Rhein zu Tal. Gegen 01.20 Uhr kollidierte das Fahrzeug in der Ortslage Geisenheim mit dem zu Berg kommenden MS S (80 m lang; 9 m breit; 1.349 t; Ladung: 1.100 t Schlackensand; 588 KW) nahe der grünen (linksrheinischen) Tonnen zur Bezeichnung der Fahrrinne. Eignerin dieses Schiffes ist die Beklagte zu 1. Am Steuer des Schiffes hat der Beklagte zu 2 gestanden.
Die Klägerin verlangt von den Beklagten Ersatz ihres Unfallschadens. Sie hat vorgetragen:
Wegen der am Unfalltag infolge Nebels geringen Sichtweite von maximal 50 bis 80 m sei Schiffsführer Uhrig von MTS E ausschliesslich nach Radar gefahren. Er habe sich oberhalb der Ortslage Geisenheim über Sprechfunk als "Talfahrer oberhalb Geisenheim" gemeldet, jedoch keine Antwort erhalten. Bei der Annäherung an die Rüdesheimer Aue habe er auf dem Radarbild rechtsrheinisch, ca. 100 m oberhalb der Trennungstonne auf dem dortigen Liegeplatz ein sich zunächst nicht bewegendes Echo bemerkt, das von MS S gestammt habe. Darauf habe er sich erneut über Sprechfunk als Talfahrer gemeldet, aber wiederum keine Antwort bekommen. Er habe die Fahrt im Talweg, in der Mitte des Fahrwassers, fortgesetzt, zumal ein Bergfahrer wegen der im Unfallbereich vorgeschriebenen geregelten Begegnung linksrheinisch entlang der grünen Tonnen hätte fahren müssen. Im weiteren Verlauf der Annäherung habe sich das Radarecho des "Stilliegers" zu Berg bewegt, und zwar hart rechtsrheinisch, so dass keinerlei Kollisionsgefahr bestanden habe. Jedoch habe dieser bei einem Höhenabstand der beiden Fahrzeuge von nur noch ca. 300 m einen linksrheinischen Kurs eingeschlagen und sich plötzlich "als Bergfahrer in Geisenheim" gemeldet. Zu diesem Zeitpunkt sei MTS E, das in das (linksrheinische) Kemptener Fahrwasser habe einfahren wollen, schon im linksrheinischen Teil der Fahrrinne gewesen. Um einen Zusammenstoss mit MS S zu vermeiden, sei Schiffsführer Uhrig nach Backbord bis nahe an die grünen Tonnen ausgewichen. Kurz danach sei MS S auf Grund des fehlerhaften Kurses des Schiffes mit dem Steuerbordvorschiff in die Steuerbordseite des MTS E in Höhe von Raum 5/6 hineingelaufen.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner, die Beklagte zu 1 ausser dinglich auch persönlich mit dem MS S haftend, zu verurteilen, an die Klägerin 59.779 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 30.07.1989 zu zahlen.
Die Beklagten haben Klagabweisung beantragt. Nach ihrer Ansicht hat nicht der Beklagte zu 2, sondern Schiffsführer U den Schiffszusammenstoss verschuldet. MS S habe im Kemptener Fahrwasser einen Abstand von etwa 10 m zu den grünen Tonnen eingehalten. Bei für die Bergfahrt guten Sichtverhältnissen sei der Beklagte zu 2 nach optischer Sicht gefahren. Ausserdem sei, wie üblich, das Radargerät eingeschaltet gewesen. Kurz vor dem Unfall sei in Höhe von Rhein-km 524 eine dichte Nebelwand zu Tal gekommen. Der Beklagte zu 2 habe nunmehr im Radarbild einen Talfahrer bemerkt. Er habe sich über Sprechfunk "als Bergfahrer im Kemptener Fahrwasser" gemeldet und die Antwort "Talfahrer in Höhe Geisenheim" erhalten. Es habe nach einer normalen Backbordbegegnung ausgesehen. Plötzlich sei aber der Talfahrer mit Backbordkurs nach linksrheinisch gefahren. Einen erneuten Anruf über Sprechfunk durch den Beklagten zu 2 habe dessen Führung nicht beantwortet, sondern den falschen Kurs beibehalten. Nunmehr habe der Beklagte zu 2 versucht, durch Umsteuern der Maschine des MS S auf voll rückwärts die Kollision noch zu vermeiden. Das sei aber nicht mehr gelungen.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat - nach Vernehmung von Zeugen und nach Beiziehung der Bussgeldakten gegen den Beklagten zu 2 - die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen seines Urteils hat es ausgeführt, weder habe die Klägerin beweisen können, dass der Beklagte zu 2 im Zusammenhang mit der Begegnung den Kurs des (von ihm gesteuerten) MS S in gefährlicher Weise geändert habe, noch stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass er dem Talfahrer keinen geeigneten Weg für eine Begegnung gewiesen habe. Allerdings sei nach den Angaben, die der Beklagte zu 2 in dem Parallelverfahren C 109/90 RhSch als Zeuge gemacht habe, davon auszugehen, dass er auf dem Radarbild das MTS E nicht mit der gehörigen Aufmerksamkeit beobachtet habe. Jedoch habe sich nicht klären lassen, ob diese Säumnis unfallursächlich geworden sei.
Die Klägerin beantragt mit der Berufung, das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts aufzuheben und der Klage stattzugeben.
Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung hat keinen Erfolg. Die Klägerin hat nicht beweisen können, dass der Beklagte zu 2 durch einen falschen Kurs oder durch einen sonstigen Fehler den Zusammenstoss zwischen MTS E und MS S verschuldet hat.
1. Die Kollision hat sich auf Höhe der Ilmenaue (Rhein-km 524 bis 524,70) etwas oberhalb der bergwärts vor der Rüdesheimer Aue (Rhein-km 524,70 bis 527,30) befindlichen Trennungstonne nahe der linken Fahrrinnengrenze ereignet. Durch die Rüdesheimer Aue wird das Fahrwasser in das linksrheinische Kemptener Fahrwasser und das rechtsrheinische Rüdesheimer Fahrwasser gespalten. Für den gesamten Bereich ist geregelte Begegnung vorgeschrieben (§ 9.02 Nr. 1 a RheinSchPV). Demgemäss müssen die Bergfahrer und die Talfahrer beim Begegnen ihren Kurs abweichend von § 6.04 RheinSchPV so weit nach Steuerbord richten, dass die Vorbeifahrt ohne Gefahr Backbord an Backbord stattfinden kann (§ 9.02 Nr. 2 RheinSchPV).
2. Die Klägerin wirft dem Beklagten zu 2 vor, er habe nach dem Passieren des Kemptener Fahrwassers infolge Übermüdung völlig die Orientierung verloren; er sei dadurch nach rechtsrheinisch auf den dort befindlichen Liegeplatz geraten, habe plötzlich wieder die Fahrt auf das linksrheinische Ufer zu aufgenommen und im Verlaufe seiner Querfahrt das nunmehr nach Backbord ausweichende MTS E an seiner Steuerbordseite gerammt. Das hat, was die behauptete Fahrweise des MS S angeht, Schiffsführer U von MTS E als Zeuge vor dem Rheinschiffahrtsgericht bestätigt.
Demgegenüber hat der Beklagte zu 2 in dem Parallelverfahren C 109/90 RhSch als Zeuge bekundet, dass er bei klarer Sicht in gemässigter Fahrt mit MS S durch das Kemptener Fahrwasser gefahren und sodann in Nähe der ersten grünen Tonne an der Ilmenaue etwas mehr zur Strommitte abgegangen sei bis auf einen Abstand von etwa 70 m zu dieser Tonne, um die nächste grüne Tonne an der Ilmenaue zu umfahren; sodann sei er unterhalb der Trennungstonne vor der Rüdesheimer Aue wieder etwas mehr nach Steuerbord gegangen; plötzlich sei ihm ungefähr in Höhe der Trennungstonne eine Nebelwand entgegengekommen; er habe sich über Sprechfunk "zu Berg" gemeldet, nachdem sich zuvor "jemand zu Tal in Höhe von Geisenheim" gemeldet gehabt habe; in der Folge sei plötzlich MTS E oberhalb der Trennungstonne vor ihm "rübergeschossen" gekommen; darauf habe er die Maschine des MS S auf volle Kraft rückwärts umgesteuert; das Schiff sei dadurch nach Backbord verfallen und von dem Talfahrer an der Steuerbordseite gerammt worden.
3. Würdigt man die - widersprechenden - Aussagen von Schiffsführer U (MTS E) und dem Beklagten zu 2 (MS S), berücksichtigt man ferner die allerdings nur wenig ergiebigen Bekundungen der vom Rheinschiffahrtsgericht ebenfalls vernommenen Zeugen Steuermann P (MTS E) und Schiffsführer S (MS S), die sich jeweils bis kurz vor bzw. nach der Kollision unter Deck aufgehalten haben, und zieht man weiter die besonderen Gegebenheiten des Falles in Betracht, so ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht bewiesen, dass der Beklagte zu 2 die Kollision verschuldet hat.
a) Für eine Übermüdung des Beklagten zu 2 bestehen keine Anhaltspunkte. Die Bussgeldakten OWi-Nr. 1492/89 geben für diese von der Klägerin erstmals im Berufungsverfahren aufgestellte Behauptung nichts her. Das gilt ebenso für die Aussagen der vom Rheinschiffahrtsgericht vernommenen Zeugen. Allerdings hat Schiffsführer S bekundet, dass er zum Unfallzeitpunkt die zulässige Fahrzeit um etwa eine Stunde überschritten gehabt habe und deshalb mit einem Bussgeld belegt worden sei. Allein damit lässt sich jedoch eine Übermüdung seines Steuermanns, des Beklagten zu 2, nicht nachweisen, zumal die Klägerin nicht hat vortragen können, dass der Beklagte zu 2 vor dem Unfall keine ausreichende Ruhezeit gehabt habe. Zu diesem Punkte ergibt sich auch nichts aus den von der Klägerin zuletzt noch vorgelegten Auskünften der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung darüber, zu welchen Zeitpunkten MS S auf der Schadensreise einzelne Moselschleusen jeweils passiert hat. Damit entbehrt auch die Annahme der Klägerin der Grundlage, der Beklagte habe wegen Übermüdung die Orientierung völlig verloren gehabt.
b) Entgegen der Ansicht der Klägerin lässt sich eine Desorientierung des Beklagten zu 2 über Lage und Kurs des von ihm gesteuerten Fahrzeugs auch nicht aus den Sichtverhältnissen zur Unfallzeit im Unfallbereich herleiten. Der Beklagte zu 2 hat bei seiner Vernehmung bekundet, dass es bis zu der Nebelwand, die ihm ungefähr in Höhe der Trennungstonne entgegengekommen sei, bei Vollmond "glockenhell" gewesen sei. Schiffsführer S, der unmittelbar nach der Kollision an Deck gekommen ist, hat ausgesagt, MS S sei bei dem Zusammenstoss schon in der Nebelwand gewesen, hinten sei es aber noch ziemlich hell gewesen; er habe die Lichter von Bingen noch sehen können. Beide Aussagen hat die Klägerin nicht näher bezweifeln können. Demnach ist anzunehmen, dass der Beklagte zu 2 bis unmittelbar vor der Kollision ausreichende optische Sicht hatte, so dass schon deshalb kein genügender Anhalt dafür besteht, dass er infolge Nebels die Orientierung verloren gehabt habe und auf den rechtsrheinischen Liegeplatz geraten sei.
c) Hatte der Beklagte zu 2 aber beim Verlassen des Kemptener Fahrwassers noch hinreichende optische Sicht, so spricht nichts dafür, dass er als Bergfahrer den vorgeschriebenen linksrheinischen Kurs völlig verlassen haben und quer über den Rhein zu dem dort befindlichen Liegeplatz gefahren sein soll, ferner nach einem kurzen Verweilen wieder in Richtung linkes Ufer gefahren und in dessen Nähe MTS E gerammt haben soll.
d) Vorzuwerfen ist dem Beklagten zu 2 allerdings, dass er bei der Annäherung an die Nebelwand den Bildschirm des Radargeräts nicht gehörig beobachtet hat. Das folgt aus seiner Angabe, den Talfahrer auf dem Bildschirm des auf 1.200 m voraus eingestellten Radargeräts erstmals bemerkt zu haben, als er "vielleicht noch 50 m von mir entfernt war". Dabei hätte der Beklagte zu 2 den Bildschirm um so mehr mit besonderer Sorgfalt beobachten müssen, weil sich über Sprechfunk ein Talfahrer gemeldet hatte.
Indessen lässt sich, wie das Rheinschiffahrtsgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht feststellen, dass der aufgezeigte Fehler des Beklagten zu 2 für den Unfallschaden ursächlich gewesen ist. Das könnte nur dann angenommen werden, wenn sich anhand der Kurse, der Geschwindigkeiten und der jeweiligen Entfernungen der beiden Schiffe feststellen liesse, dass der Beklagte zu 2 bei gehöriger Beobachtung des Radargeräts und den danach gebotenen Massnahmen den Zusammenstoss hätte verhindern können oder dieser zu einem geringeren Schaden geführt hätte. Eine solche Feststellung kann hier aber nicht getroffen werden. Denn weder aus dem Inhalt der Prozess- noch aus dem der Beiakten lassen sich genaue Angaben zu den von den Schiffen jeweils gefahrenen Kursen und Geschwindigkeiten sowie hinsichtlich der jeweiligen Höhen- und Seitenabstände der beiden Havaristen entnehmen.
Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Mannheim vom 30.04.1991 wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
3. Die Festsetzung dieser Kosten gemäss Artikel 39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht Mannheim.