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Leitsatz:
Stoßen Fahrzeuge im Bereich der geregelten Begegnung (§ 9,02 Nr. 1 a RheinSchPVO) eindeutig im Fahrwasser der Bergfahrt zusammen, spricht das nach allgemeinen Erfahrungsregeln für einen falschen Kurs des Talfahrers.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
256 Z - 5/92
vom 18. Juni 1992
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Mannheim vom 30. April 1991- C 109/89 RhSch -)
Tatbestand:
Am 10.11.1989 fuhr das von der Klägerin versicherte MS S (80 m lang; 9 m breit; 1.349 t; 588 KW) mit einer Ladung von 1.100 t Schlackensand auf dem Rhein zu Berg. Gegen 01.20 Uhr kollidierte das Fahrzeug mit dem leer zu Tal kommenden MTS E (106 m lang; 10,50 m breit; 2.485 t; 1.200 PS) in der Ortslage Geisenheim nahe der grünen (linksrheinischen) Tonnen zur Bezeichnung der Fahrrinne. Eignerin dieses Schiffes ist die Beklagte zu 1. Der Beklagte zu 2 hat das Schiff zur Unfallzeit verantwortlich geführt.
Die Klägerin verlangt aus abgetretenem Recht von den Beklagten den Unfallschaden der Interessenten des MS S ersetzt. Sie hat vorgetragen:
MS S habe das Kemptener Fahrwasser benutzt und einen Abstand von etwa 10 m zu den grünen Tonnen eingehalten. Bei für die Bergfahrt guten Sichtverhältnissen sei Steuermann B nach optischer Sicht gefahren. Ausserdem sei, wie üblich, das Radargerät eingeschaltet gewesen. Kurz vor dem Unfall sei in Höhe von Rhein-km 524 eine dichte Nebelwand zu Tal gekommen. B habe nunmehr im Radarbild einen Talfahrer bemerkt. Er habe sich über Sprechfunk "als Bergfahrer im Kemptener Fahrwasser" gemeldet und die Antwort "Talfahrer in Höhe Geisenheim" erhalten. Es habe nach einer normalen Backbordbegegnung ausgesehen. Plötzlich sei aber der Talfahrer mit Backbordkurs nach linksrheinisch gefahren. Einen erneuten Anruf über Sprechfunk durch Steuermann B habe dessen Führung nicht beantwortet, sondern den falschen Kurs beibehalten. Nunmehr habe B versucht, durch Umsteuern der Maschine des MS S auf voll rückwärts die Kollision noch zu vermeiden. Das sei aber nicht mehr möglich gewesen.
Die Klägerin hat folgenden Antrag gestellt:
1. Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin 7.513 DM nebst 5 % Zinsen seit Klageerhebung zu zahlen.
2. Wegen dieser Forderung haftet die Beklagte zu 1 nicht nur dinglich mit MTS E, sondern im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes auch persönlich.
Die Beklagten haben Klagabweisung beantragt. Sie sind der Ansicht, dass nicht der Beklagte zu 2, sondern Steuermann Bohnenstengel den Unfall verschuldet habe. Ihre Meinung haben sie wie folgt begründet:
Wegen der am Unfalltag infolge Nebels geringen Sichtweite von maximal 50 bis 80 m sei der Beklagte zu 2 ausschliesslich nach Radar gefahren. Er habe sich oberhalb der Ortslage Geisenheim über Sprechfunk als "Talfahrer oberhalb Geisenheim" gemeldet, jedoch keine Antwort erhalten. Bei der Annäherung an die Rüdesheimer Aue habe er auf dem Radarbild rechtsrheinisch, ca. 100 m oberhalb der Trennungstonne auf dem dortigen Liegeplatz ein sich zunächst nicht bewegendes Echo bemerkt, das von MS S gestammt habe. Darauf habe er sich erneut über Sprechfunk als Talfahrer gemeldet, aber wiederum keine Antwort bekommen. Er habe die Fahrt im Talweg, in der Mitte des Fahrwassers, fortgesetzt, zumal ein Bergfahrer wegen der im Unfallbereich vorgeschriebenen geregelten Begegnung linksrheinisch entlang der grünen Tonnen hätte fahren müssen. Im weiteren Verlauf der Annäherung habe sich das Radarecho des "Stilliegers" zu Berg bewegt, und zwar hart rechtsrheinisch, so dass keinerlei Kollisionsgefahr bestanden habe. Jedoch habe dieser bei einem Höhenabstand der beiden Fahrzeuge von nur noch ca. 300 m einen linksrheinischen Kurs eingeschlagen und sich plötzlich "als Bergfahrer in Geisenheim" gemeldet. Zu diesem Zeitpunkt sei MTS E, das in das (linksrheinische) Kemptener Fahrwasser habe einfahren wollen, schon im linksrheinischen Teil der Fahrrinne gewesen. Um einen Zusammenstoss mit dem Bergfahrer zu vermeiden, sei der Beklagte zu 2 mit seinem Fahrzeug nach Backbord bis nahe an die grünen Tonnen ausgewichen. Kurz danach sei MS S auf Grund seines falschen Kurses mit dem Steuerbordvorschiff in die Steuerbordseite des MTS E in Höhe von Raum 5/6 hineingelaufen.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat - nach Vernehmung von Zeugen und nach Beiziehung der Bussgeldakten gegen Steuermann B - die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Im einzelnen hat es ausgeführt:
Nach § 9.02 Nr. 1 a und Nr. 2 RheinSchPV hätte MTS E als Talfahrer der Bergfahrt (hier: MS S) Backbord an Backbord begegnen müssen. Den hierzu erforderlichen Kurs habe MTS E nicht eingeschlagen. Vielmehr sei es in unmittelbarer Nähe der grünen Tonnen mit MS S zusammengestossen. Deshalb müsse der Talfahrer zu seiner Entlastung beweisen, dass ihm der Bergfahrer keinen geeigneten Begegnungsweg gewiesen oder während der Begegnung den Kurs geändert, insbesondere den des Talfahrers gekreuzt habe. Letzteres hätten die Beklagten zwar behauptet. Eine Querfahrt von MS S habe das Beweisergebnis jedoch nicht ergeben. Diesem lasse sich nur entnehmen, dass Steuermann B bei der Einfahrt in die Nebelwand das Radarbild nicht mit gehöriger Aufmerksamkeit beobachtet habe. Indes sei ungeklärt geblieben, ob dieser Fehler unfallursächlich geworden sei.
Die Beklagten beantragen mit der Berufung, das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung hat keinen Erfolg. Der Beklagte zu 2 hat durch einen falschen Kurs die Kollision zwischen seinem Fahrzeug und dem MS S verschuldet. Hingegen ist Steuermann B ein Verschulden an dem Schiffsunfall nicht nachzuweisen.
Die Kollision hat sich auf Höhe der Ilmenaue (Rhein-km 524 bis 524,70) etwas oberhalb der bergwärts vor der Rüdesheimer Aue (Rhein-km 524,70 bis 527,30) ausgelegten Trennungstonne nahe der linken Fahrrinengrenze ereignet. Durch die Rüdesheimer Aue wird das Fahrwasser in das linksrheinische Kemptener Fahrwasser und das rechtsrheinische Rüdesheimer Fahrwasser gespalten.
Für den gesamten Bereich ist geregelte Begegnung vorgeschrieben (§ 9.02 Nr. 1 a RheinSchPV). Demgemäss müssen die Bergfahrer und die Talfahrer beim Begegnen ihren Kurs abweichend von § 6.04 RheinSchPV so weit nach Steuerbord richten, dass die Vorbeifahrt ohne Gefahr Backbord an Backbord stattfinden kann (§ 9.02 Nr. 2 RheinSchPV). Hier sind die beiden Fahrzeuge mit ihren Steuerbordseiten nahe der linksrheinischen Fahrrinnenbezeichnung (grüne Tonnen - vgl. Anlage 8 Nr. II 2 RheinSchPV) zusammengestossen, also eindeutig im Fahrwasser der Bergfahrt. Das spricht nach allgemeinen Erfahrungsregeln für einen falschen Kurs des Talfahrers.
Die Beklagten suchen das mit folgendem Vortrag auszuräumen: Steuermann B von MS S, der zur Unfallzeit allein im Steuerhaus dieses Schiffes war, habe nach dem Passieren des Kemptener Fahrwassers wegen Übermüdung völlig die Orientierung verloren gehabt; infolgedessen sei er nach rechtsrheinisch auf den dort befindlichen Liegeplatz geraten, habe plötzlich wieder die Fahrt auf das linksrheinische Ufer zu aufgenommen und im Verlauf seiner Querfahrt das nunmehr nach Backbord ausweichende MTS E an seiner Steuerbordseite gerammt. Das hat, was die behauptete Fahrweise des MS S angeht, der Beklagte zu 2 als Zeuge bei seiner Vernehmung durch das Rheinschiffahrtsgericht in dem Parallelverfahren C 107/90 RhSch bestätigt. Demgegenüber hat Steuermann B bekundet, dass er bei klarer Sicht in gemässigter Fahrt mit MS S durch das Kemptener Fahrwasser gefahren und sodann in Nähe der ersten grünen Tonne an der Ilmenaue etwas mehr zur Strommitte abgegangen sei bis auf einen Abstand von etwa 70 m zu dieser Tonne, um die nächste grüne Tonne an der Ilmenaue zu umfahren; sodann sei er unterhalb der Trennungstonne vor der Rüdesheimer Aue wieder etwas nach Steuerbord gegangen; plötzlich sei ihm ungefähr in Höhe der Trennungstonne eine Nebelwand entgegengekommen; er habe sich über Sprechfunk "zu Berg" gemeldet, nachdem sich zuvor "jemand zu Tal in Höhe von Geisenheim" gemeldet gehabt habe; in der Folge sei plötzlich MTS E vor ihm "rübergeschossen" gekommen; darauf habe er die Maschine des MS S auf volle Kraft rückwärts umgesteuert; das Schiff sei dadurch nach Backbord verfallen und von dem Talfahrer an der Steuerbordseite gerammt worden.
Würdigt man diese - einander widersprechenden - Aussagen, berücksichtigt man ferner die allerdings nur wenig ergiebigen Bekundungen der von dem Rheinschiffahrtsgericht in dem Parallelverfahren C 107/90 RhSch weiter vernommenen Zeugen Steuermann P (MTS E) und Schiffsführer S (MS S), die sich jeweils bis kurz vor bzw. nach der Kollision unter Deck aufgehalten haben, und zieht man ausserdem die besonderen Gegebenheiten des Falles in Betracht, so lässt sich die von den Beklagten behauptete Fahrweise des Bergfahrers nicht feststellen.
Zunächst bestehen für eine Übermüdung von Steuermann B keine Anhaltspunkte. Die Bussgeldakten OWi-Nr. 1492/89 geben für diese von den Beklagten erstmals im Berufungsrechtszug aufgestellte Behauptung nichts her. Das gilt ebenso für die Aussagen der vom Rheinschiffahrtsgericht vernommenen Zeugen. Allerdings hat Schiffsführer S bekundet, dass er zum Unfallzeitpunkt die zulässige Fahrzeit um etwa eine Stunde überschritten gehabt habe und deshalb mit einem Bussgeld belegt worden sei. Allein damit lässt sich aber eine Übermüdung seines Steuermanns nicht nachweisen, zumal die Beklagten nicht haben vortragen können, dass B vor dem Unfall keine ausreichende Ruhezeit gehabt habe. Zu diesem Punkte ergibt sich auch nichts aus den von den Beklagten zuletzt noch vorgelegten Auskünften der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung darüber, zu welchen Zeitpunkten MS S auf der Schadensreise einzelne Moselschleusen jeweils passiert hat. Damit entbehrt auch die Annahme der Beklagten der Grundlage, Steuermann B habe wegen Übermüdung die Orientierung völlig verloren gehabt.
Entgegen der Ansicht der Beklagten lässt sich eine Desorientierung des Steuermanns B über Lage und Kurs des von ihm gesteuerten MS S auch nicht aus den Sichtverhältnissen zur Unfallzeit im Unfallbereich herleiten. B hat bei seiner Vernehmung bekundet, dass es bis zu der Nebelwand, die ihm ungefähr in Höhe der Trennungstonne entgegengekommen sei, bei Vollmond "glockenhell" gewesen sei. Schiffsführer S, der unmittelbar nach der Kollision an Deck gekommen ist, hat ausgesagt, MS S sei bei dem Zusammenstoss schon in der Nebelwand gewesen, hinten sei es aber noch ziemlich hell gewesen; er habe die Lichter von Bingen noch sehen können. Beide Aussagen haben die Beklagten nicht näher bezweifeln können. Demnach ist anzunehmen, dass B bis unmittelbar vor der Kollision ausreichende optische Sicht hatte, so dass schon deshalb kein genügender Anhalt dafür besteht, dass er infolge Nebels die Orientierung verloren gehabt habe und auf den rechtsrheinischen Liegeplatz geraten sei.
Hatte Steuermann B aber beim Verlassen des Kemptener Fahrwassers noch hinreichende optische Sicht, so spricht nichts dafür, dass er als Bergfahrer den vorgeschriebenen linksrheinischen Kurs völlig verlassen haben und quer über den Rhein zu dem dort befindlichen Liegeplatz gefahren sein soll, ferner nach einem kurzen Verweilen wieder in Richtung linkes Ufer gefahren und in Nähe der linken Fahrrinnenbezeichnung MTS E gerammt haben soll.
Hingegen werfen die Beklagten Steuermann B mit Recht vor, dass er bei der Annäherung an die Nebelwand den Bildschirm des Radargeräts nicht gehörig beobachtet hat. Das folgt aus seiner Angabe, den Talfahrer auf dem Bildschirm des auf 1.200 m voraus eingestellten Radargeräts erstmals bemerkt zu haben, als er "vielleicht noch 50 m von mir entfernt war". Dabei hätte B den Bildschirm um so mehr mit besonderer Sorgfalt beobachten müssen, weil sich über Sprechfunk ein Talfahrer gemeldet hatte. Indessen lässt sich, wie das Rheinschiffahrtsgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht feststellen, dass der aufgezeigte Fehler des Steuermanns B für den Unfallschaden ursächlich gewesen ist. Das könnte nur dann angenommen werden, wenn sich anhand der Kurse, der Geschwindigkeiten und der jeweiligen Entfernungen der beiden Schiffe feststellen liesse, dass B bei gehöriger Beobachtung des Radargeräts und den danach gebotenen Massnahmen den Zusammenstoss hätte verhindern können oder dieser zu einem geringeren Schaden geführt hätte. Eine solche Feststellung kann hier aber nicht getroffen werden. Denn weder aus dem Inhalt der Prozess- noch aus dem der Beiakten lassen sich genaue Angaben zu den von den Schiffen jeweils eingehaltenen Kursen und Geschwindigkeiten sowie hinsichtlich ihrer jeweiligen Höhen- und Seitenabstände entnehmen.
Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Mannheim vom 30.04.1991 wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.
3. Die Festsetzung dieser Kosten gemäss Artikel 39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht Mannheim.