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251 Z - 3/92 - Berufungskammer der Zentralkommission (Rheinschiffahrtsgericht)
Entscheidungsdatum: 23.04.1992
Aktenzeichen: 251 Z - 3/92
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Rheinschiffahrtsgericht

Leitsätze:

1) Im Grundverfahren ist auch über die Frage zu entscheiden, ob eine Haftung beschränkt oder unbeschränkt ist.
2) Der Begriff „fehlerhafte Führung" eines Schiffes (§ 4 Abs. 2 Satz 2 BinSchG) bedeutet nautisches Versehen; „bösliche Handlungsweise" umfaßt nicht nur den Vorsatz, sondern auch die bewußte grobe Fahrlässigkeit.
3) „Bösliche Handlungsweise" liegt vor, wenn die zur Sicherheit des Schiffsverkehrs vorgeschriebenen Ruhezeiten nicht eingehalten werden; sie führt zur unbeschränkt persönlichen Haftung.

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 23.4. 1992

251 Z - 3/92

(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim)

Zum Tatbestand:

 

Am 7. 4. 1989 fuhr MS „Adi" auf dem Rhein zu Tal. Nach 5 Uhr — es war noch dunkel, aber die Sicht klar — begegnete ihm in der Ortslage Eltville das zu Berg kommende MS „Nicole". Während der Vorbeifahrt stießen die Schiffe zusammen. Dabei riß MS „Nicole" mit dem vorderen Backbordanker die Außenhaut des MS „Adi" backbords im hinteren Teil des Schiffes auf einer Länge von 8,2m und in einer Höhe von 0,65m auf. Durch starken Wassereinbruch sank MS „Adi" in kurzer Zeit bei Strom-km 511,7 etwa 28 m vom rechtsrheinischen Fahrwasserrand entfernt.

Der Kläger ist Versicherer des MS „Adi". Er nimmt aus übergegangenem Recht den Beklagten als Eigner und Schiffer des MS „Nicole" am Unfalltag auf Ersatz des Schadens der Interessenten des MS „Adi" in Anspruch. Er hat behauptet, MS „Adi" habe sich wegen der im Unfallbereich geltenden geregelten Begegnung rechtsrheinisch in einem Abstand von etwa 30 m vom roten Tonnenstrich entfernt gehalten. Zu der Kollision sei es gekommen, weil das zunächst linksrheinisch fahrende MS „Nicole" plötzlich vor der Vorbeifahrt nach Backbord ausgeschert und in den Kurs des MS „Adi" gelaufen sei. Grund hierfür sei, daß MS „Nicole" fehlerhaft bemannt und deshalb seine Besatzung übermüdet gewesen sei. Der Kläger hat beantragt, den Beklagten zur Zahlung von 419 045,20 DM nebst Zinsen zu verurteilen.

Nach Ansicht des Beklagten ist die Klage unbegründet. Im Verklarungsverfahren sei offengeblieben, welches von den beiden Schiffen in den Kurs des anderen Fahrzeugs geraten sei. Auch die Lage des MS „Adi" nach dessen Sinken lasse keinen sicheren Rückschluß auf das Kursverhalten der beiden Havaristen vor der Kollision zu. Im übrigen sei unrichtig, daß MS „Nicole" unterbemannt oder die Besatzung zum Unfallzeitpunkt übermüdet gewesen sei. Eine unbeschränkte persönliche Haftung des Beklagten komme deshalb entgegen der Ansicht des Klägers nicht in Betracht.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt „mit der Maßgabe, daß der Beklagte (nur) persönlich beschränkt im Rahmen des § 114 BinSchG und dinglich mit MS ,Nicole' haftet". Die weitergehende Klage auf Verurteilung des Beklagten zur unbeschränkten Haftung hat es abgewiesen. Das Rheinschiffahrtsgericht ist aufgrund der Beweisaufnahme im Verklarungsverfahren überzeugt, daß der Beklagte bei der Annäherung der beiden Schiffe den Kurs seines Fahrzeugs in die rechtsrheinische Hälfte des Fahrwassers verlegt und dadurch die Kollision verschuldet habe. Hingegen hält es nicht für bewiesen, daß der Beklagte übermüdet am Steuer seines Fahrzeugs gestanden habe. Es hat deshalb offengelassen, ob ein Schiffseigner, der sein Schiff selbst führt und infolge Übermüdung eine falsche Kursänderung vornimmt, für den dadurch einem Dritten zugefügten Schaden unbeschränkt oder auch dann nur mit Schiff und Fracht sowie im Rahmen des § 114 Abs. 1 BinSchG beschränkt persönlich haftet.

Die Berufung des Beklagten wurde zurückgewiesen. Auf die Berufung des Klägers wurde das Urteil aufgehoben, soweit es die Klage abgewiesen hat. Festgestellt wurde, daß der Beklagte für den vom Rheinschifffahrtsgericht dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärten Zahlungsanspruch — neben der vom Rheinschiffahrtsgericht zuerkannten dinglichen Haftung mit MS „Nicole" — unbeschränkt haftet.

Aus den Entscheidungsgründen:

„I. Die form- und fristgerechte Berufung des Beklagten ist unbegründet. 
Zwischen den Parteien ist unbestritten, daß die Kurse des MS „Adi" und des MS „Nicole" in der 120 m breiten Fahrrinne zunächst so verlaufen sind, daß die Schiffe ohne Gefahr aneinander hätten vorbeifahren können. Streit besteht hingegen zwischen ihnen darüber, welches der Fahrzeuge den Kurs nach Backbord geändert hat, so daß es zur Kollision gekommen ist.

Zu diesem Punkt hat der Beklagte im Verklarungsverfahren ausgesagt, er habe mit MS „Nicole" die grüne Tonne an der Ausfahrt der kleinen Gies in einem Abstand von maximal 10 m passiert, als MS „Adi" etwa aus der Mitte des Fahrwassers mit dem Kopf nach linksrheinisch gefahren und auf sein Fahrzeug zugekommen sei. Er habe versucht, nach linksrheinisch auszuweichen, während MS „Adi" versucht habe, nach rechtsrheinisch auszuweichen. Es habe aber nicht mehr gelangt. Vielmehr sei das Backbordhinterschiff des MS „Adi" gegen das Backbordvorschiff des MS „Nicole" geraten.

Demgegenüber hat der Schiffsführer R. des MS „Adi" im Verklarungsverfahren bekundet, mit seinem Schiff wegen des im Unfallbereich vorgeschriebenen Rechtsverkehrs im rechtsrheinischen Fahrwasser mit einem Seitenabstand von ca. 30 m zu der roten Tonnenlinie zu Tal gefahren zu sein. Ihm seien zwei Einzelfahrer entgegengekommen, von denen der vordere (MS „Nicole") sich mehr in der Mitte des Fahrwassers gehalten habe und der hintere (MS „Bilancia") mehr an der grünen Tonnenlinie gefahren sei. Von diesen Fahrzeugen habe MS „Nicole" unmittelbar vor der Begegnung überraschend den Kurs nach Backbord geändert und sei sodann im spitzen Winkel kurz vor dem Steuerhaus in den letzten Laderaum des gestreckt auf seinem Kurs liegenden MS „Adi" hineingefahren. Danach sei das Fahrzeug innerhalb kürzester Frist gesunken und habe bereits nach maximal 100-150 m unterhalb der Kollisionsstelle gestreckt auf dem Grund gelegen. Nahezu übereinstimmend mit diesen Angaben des Schiffsführers R. hat sich auch dessen Sohn geäußert, der sich als weiteres Besatzungsmitglied an Bord des MS „Adi" befunden hat.

Im Gegensatz zu der Unfalldarstellung des Beklagten hält die Berufungskammer die Aussagen des Schiffsführers R. und seines Sohnes zum Unfallverlauf für glaubhaft: Nach der Unfallschilderung des Zeugen B. im Verklarungsverfahren ist dieser mit seinem MS „Bilancia" etwa 300 m hinter MS „Nicole" zu Berg gefahren. Er hat, wie er weiter bezeugt hat, einen Seitenabstand zu der linksrheinischen Fahrwasserbegrenzung (grüne Tonnen) von etwa 30 m eingehalten, während MS „Nicole" „weiter links, mehr zum rechtsrheinischen Ufer hin, einen etwas komischen Kurs" zu Berg gefahren sei. Von dort habe sich MS „Adi" mit einem seitlichen Abstand von 30 m zu den rechtsrheinischen (roten) Tonnen genähert. Als MS „Nicole" noch etwa 150-200 m entfernt gewesen sei, sei der Bergfahrer nach rechtsrheinisch abgegangen. Danach habe er im Radarbild gesehen, daß dort die Echos der beiden Schiffe zu einem Echo zusammengegangen seien.

Diese Aussage stimmt in den wesentlichen Punkten mit den Angaben der Besatzung des MS „Adi" überein. An ihrer Richtigkeit zu zweifeln, hat die Berufungskammer entgegen den von der Berufung des Beklagten vorgebrachten Bedenken keinen Anlaß . . .

Nach alledem geht auch die Berufungskam- mer davon aus, daß der Beklagte durch einen Steuerfehler die Kollision zwischen seinem Fahrzeug und dem MS „Adi" verschuldet hat. Er ist deshalb den Interessenten dieses Schiffes zum Ersatz ihres Unfallschadens verpflichtet (§ 6.03 Nr. 3, § 9.02 Nr. 1 und 2 RheinSchPV, § 823 BGB).

Diese Ersatzpflicht mindert sich nicht, wie die Berufung des Beklagten meint, teilweise dadurch, daß der Schiffsführer R., dem das MS „Adi" auch gehört, kein Achtungsignal gegeben hat und deshalb die Kollision zumindest mitverschuldet habe. Nach Ansicht der Berufungskammer ist ein schadensursächliches Mitverschulden von R. an dem Schiffszusammenstoß nicht feststellbar...

II. Die Berufung des Klägers hat Erfolg.

1. Vorweg ist zu bemerken:

a) Die Forderung des Klägers gegen den Beklagten auf Zahlung von 419 045,20 DM ist zwischen den Parteien nach Grund und Betrag streitig. Deshalb konnte das Rheinschiffahrtsgericht, was übrigens auch dem Wunsch der Parteien entsprach, über den Grund gemäß § 304 Abs. 1 ZPO vorab entscheiden. Dazu gehörte entgegen der Ansicht des Klägers auch die Entscheidung über die Frage, ob die Haftung des Beklagten beschränkt oder unbeschränkt ist. Es ist im deutschen Recht ganz überwiegend anerkannt, daß im Grundverfahren auch darüber zu entscheiden ist, ob die verklagte Partei für die Schuld nur mit bestimmten Gegenständen oder bis zu einer bestimmten Höhe haftet (vgl. Stein-Jonas, Zivilprozeßordnung 20. Aufl. § 304 Rn. 30 m.w.N.). Die Frage betrifft zumindest teilweise auch den Grund der geltend gemachten Forderung.

b) Absatz 1 des Hauptantrages der Berufung des Klägers lautet: „Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 419 045,20 DM (nebst Zinsen) zu zahlen." Nach dieser Formulierung könnte der Kläger übersehen haben, daß das Betragsverfahren noch beim Rheinschiffahrtsgericht anhängig ist, das nur über den Grund der Forderung entschieden hat. Allerdings hat der Kläger in der Berufungsbegründung erklärt, daß „die Berufung das Ziel der Verurteilung des Beklagten zur unbeschränkten Haftung hat". Infolgedessen ist der Hauptantrag (dessen Absatz 2 beinhaltet lediglich einen Kostenantrag) des Klägers dahin zu verstehen, daß er mit der Berufung erreichen will, daß die teilweise Abweisung der Klage durch das Rheinschiffahrtsgericht aufgehoben und die unbeschränkte persönliche Haftung des Beklagten für den Unfallschaden der Interessenten des MS „Adi" — neben der vom Rheinschiffahrtsgericht außerdem ausgesprochenen dinglichen Haftung des Beklagten mit seinem MS „Nicole" — festgestellt wird.

2.a) Der Schiffseigner haftet für sein eigenes Verschulden grundsätzlich unbeschränkt persönlich (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 1 BinSchG). Führt er sein Schiff jedoch selbst (sog. Schiffseigner-Schiffer), so haftet er nach § 4 Abs. 2 Satz 2 BinSchG „für einen durch fehlerhafte Führung des Schiffes entstandenen Schaden ausschließlich mit Schiff und Fracht, es sei denn, daß ihm eine bösliche Handlungsweise zur Last fällt". Die Vorschrift bezweckt, den Schiffseigner, der sein eigenes Schiff führt, für nautisches Verschulden bei der Führung des Schiffes nicht strenger haften zu lassen, als den Schiffseigner, der die Führung einem fremden Schiffer anvertraut (Vortisch/Zschucke, Binnenschiffahrts- und Flößereirecht 3. Aufl. § 4 Anm. 9a). Demgemäß verstehen im deutschen Recht Rechtsprechung und Schrifttum unter dem Begriff „fehlerhafte Führung" ein nautisches Versehen (RGZ, 68, 180, 181; 82, 146, 147 f.; Mittelstein, Deutsches Binnenschiffahrtsrecht 2. Aufl. § 4 Anm. 7; Lindeck, Das Binnenschiffahrtsrecht S. 167; Hintze, Eine Darstellung der Entstehungsgeschichte des Binnenschifffahrtsgesetzes und . . . S. 118), nämlich alle bei oder während der Verwendung des Schiffes zur Schiffahrt von dem Schiffer zu beschließenden und selbst oder durch die auf dem Schiff angestellten Personen auszuführenden Maßnahmen (Vortisch/Zschucke a.a.O. Anm. 9 f. m.w.N.). Ferner haben Rechtsprechung und Schrifttum den Ausdruck „bösliche Handlungsweise", der sich auch noch in § 74 Abs. 2 und § 75 BinSchG findet, dahin ausgelegt, daß er neben dem Vorsatz nicht allgemein die grobe Fahrlässigkeit umfasse, sondern nur denjenigen „Frevelmut, welcher sich der rechtswidrigen Folgen seines Verhaltens bewußt ist" (RGZ 1, 22; Mittelstein a.a.O.; Lindeck a.a.O. S. 168/169; Korioth im Handbuch der Beweislast im Privatrecht Band 4 BinSchG §§ 73-75 Rn. 5). Neuerdings hat Bemm (Vortisch/Bemm, Binnenschiffahrtsrecht 4. Aufl. § 4 Rn. 26) den Begriff der „böslichen Handlungsweise" dahin umschrieben, daß dieser ein Unterfall des § 826 BGB sei. Wörtlich führt er weiter aus: „Hier wie dort und in den Fällen der §§ 74, 75 ist unter böslicher Handlungsweise ein vorsätzliches sittenwidriges Verhalten zu verstehen, durch das einem Dritten Schaden zugefügt wird. Die Handlung muß vorsätzlich, zumindest bedingt vorsätzlich erfolgen. Fahrlässigkeit, selbst bewußte Fahrlässigkeit, reicht nicht aus." Dem wird man für den Fall bewußter grober Fahrlässigkeit nicht folgen können. Der aus heutiger Sicht veraltete Begriff einer böslichen Handlungsweise will offenbar ein Verhalten des Schuldners umschreiben, hinsichtlicht dessen eine ihm allgemein zugebilligte Haftungsbeschränkung für den Gläubiger nicht hinnehmbar ist. Dazu gehört aber nicht nur der Vorsatz, sondern auch die bewußte grobe Fahrlässigkeit (vgl. auch Art. 4 des Straßburger Übereinkommens von 1988 über die Beschränkung der Haftung in der Binnenschiffahrt — CLNI — , wonach „ein Haftpflichtiger seine Haftung nicht beschränken darf, wenn nachgewiesen wird, daß der Schaden auf eine Handlung oder Unterlassung zurückzuführen ist, die von ihm selbst in der Absicht, einen solchen Schaden herbeizuführen, oder leichtfertig in dem Bewußtsein begangen wurde, daß ein solcher Schaden wahrscheinlich eintreten werde"; vgl. ferner die damit identische Regelung in § 4a BinSchG, der durch das Zweite Seerechtsänderungsgesetz vom 25. 7. 1986 in dieses Gesetz neu eingefügt worden ist und nach dessen Abs. 1 Satz 4 die Beschränkung der Haftung des Schiffseigners für Ansprüche auf Ersatz des Schadens aus der Tötung oder Verletzung von Reisenden wegfällt, wenn auf seiner Seite das vorbeschriebene Verhalten gegeben ist).

b) Nach Ansicht des Rheinschiffahrtsgerichts hat der Kläger nicht bewiesen, daß vorliegend die Voraussetzungen für eine unbeschränkte persönliche Haftung des Beklagten gegeben sind. Es lasse sich nicht feststellen, daß er zum Unfallzeitpunkt übermüdet am Steuer seines Schiffes gestanden habe. Zwar habe MS „Nicole" die Unfallreise am 5.4. 1989 um 15.30 Uhr in Gelsenkirchen angetreten und sei bis zum Unfallzeitpunkt am 7. 4. 1989 gegen 5.30 Uhr ununterbrochen gefahren. Jedoch könne nicht festgestellt werden, daß der Beklagte die gesamte Fahrstrecke selbst am Steuer gestanden habe. Nach seiner Behauptung habe sich neben dem Matrosen B. an Bord des — für die Betriebsform A 1 zugelassenen — MS „Nicole" von Meiderich bis St. Goar auch der Schiffsführer G. aufgehalten, mit dem er sich in regelmäßigen Abständen am Ruder abgelöst und sodann jeweils ausgeruht habe. Diesen Vortrag hätten B. im Verklarungsverfahren und G. sowie dessen Sohn im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten bestätigt.

c) Demgegenüber kann nunmehr kein Zweifel daran bestehen, daß sich nur der Beklagte und der Matrose B. während der gesamten Unfallreise an Bord des MS „Nicole" befunden haben. Nach den vom Kläger im Berufungsverfahren vorgelegten Protokollen über die am 8. bzw. 9. 4. 1991 erfolgte richterliche Vernehmung in den gegen B. (wegen Meineids), Schiffsführer G. (wegen uneidlicher Falschaussage) und den Beklagten (wegen Anstiftung zum Meineid) geführten Strafverfahren haben diese jeweils eingestanden, bei ihren früheren Vernehmungen auf Veranlassung des Beklagten falsche Angaben zu der von diesem ursprünglich behaupteten Anwesenheit des Schiffsführers G. und dessen Sohnes an Bord des MS „Nicole" zwischen Meiderich und St. Goar gemacht zu haben; diese hätten sich während der Schadensreise nicht auf dem Schiff aufgehalten.

d) Für das in Betriebsform A 1 fahrende, 80 m lange MS „Nicole" war als Mindestbesatzung ein Schiffsführer und ein Matrose vorgeschrieben (§ 14.09 RheinSchUO). Diese war während der Unfallreise mit dem Beklagten und dem Matrosen B. vorhanden. Dem Beklagten kann deshalb nicht das Fahren mit einem unterbemannten Schiff vorgeworfen werden. Hingegen hat er keine der vorgeschriebenen Ruhezeiten eingehalten. Da sein Schiff — unstreitig — nicht mit einem Fahrtenschreiber ausgerüstet gewesen ist, hätte er die Fahrt ununterbrochen zwischen 22 und 6 Uhr einstellen müssen (§ 14.05 RheinSchUO). Das hat er sowohl in der Nacht vom 5. auf den 6. 4. 1989 als auch in der nächsten Nacht unterlassen, und zwar offensichtlich deshalb, weil er — nach seinen Angaben vor der Wasserschutzpolizei — bereits am 7. 4. 1989 einen Löschtermin in Kehl gehabt hatte. Ferner hat er sich über die Mindestruhezeitregelung des § 14.06 Nr. 1 Abs. 1 RheinSchUO hinweggesetzt, wonach in der Betriebsform A 1 jedes Besatzungsmitglied Anspruch auf eine ununterbrochene Ruhezeit von 8 Stunden außerhalb der Fahrt und dies innerhalb von 24 Stunden hat, die mit dem Ende der Ruhezeit von 8 Stunden zu laufen beginnen. Dies ergibt sich aus der insoweit von keiner Seite bezweifelten Aussage des Matrosen B. vor dem Amtsgericht Mainz am 17. 4. 1989 in dem Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten, daß die Maschine des MS „Nicole" alle 21/2 Stunden habe abgeschmiert werden müssen, was jeweils 15-20 Minuten gedau gedauert habe. Da während der Zeit, innerhalb der die Maschine (im Maschinenraum) abgeschmiert worden ist, zwangsläufig das zweite Besatzungsmitglied das Ruder des Schiffes (im Steuerhaus) zu bedienen hatte, konnte zu keiner Zeit während der rund 38stündigen ununterbrochenen Fahrt für beide Besatzungsmitglieder eine ununterbrochene Ruhezeit von 8 Stunden möglich gewesen sein. Im übrigen ist hinsichtlich der Aussage des Matrosen B. weiter bemerkenswert, daß er wörtlich erklärt hat: „Ich hatte vor dem Unfall beim (Beklagten) noch nicht selbst das Schiff geführt. Auf anderen Schiffen hatte ich allerdings vorher schon öfters das Ruder übernommen." Berücksichtigt man hierzu, daß der Beklagte selbst anläßlich seiner Vernehmung im Verklarungsverfahren angegeben hat: „Herr B. wurde von mir nicht als Rudergänger eingesetzt, er hält höchstens mal das Ruder, wenn ich auf die Toilette muß. Er kennt sich da unten nicht aus", so ist anzunehmen, daß er MS „Nicole" während der Unfallreise praktisch nahezu oder jedenfalls überwiegend selbst gefahren hat und deshalb zum Unfallzeitpunkt stark übermüdet gewesen sein muß. Danach können nicht die geringsten Zweifel an der böslichen Handlungsweise des Beklagten bestehen. Er hat vorsätzlich während einer ununterbrochenen Fahrt von länger als 11/2 Tagen die Ruhezeiten nicht eingehalten, die zur Sicherheit des Schiffsverkehrs vorgeschrieben sind, um Übermüdungen der Schiffsbesatzungen zu vermeiden, die erfahrungsgemäß zur Unaufmerksamkeit mit der Gefahr daraus entstehender Schiffsunfälle führen. Auch gibt es keinen Anhalt dafür, daß die Folgen dem Beklagten, einem erfahrenen Schiffsführer, bei seinem grob pflichtwidrigen Verhalten nicht bewußt gewesen sind. Zwar mag er sie nicht gewollt und die überaus leichtfertige Fahrt in der vagen Hoffnung durchgeführt haben, daß sie, was dann erwartungsgemäß nicht der Fall gewesen ist, gutgehen werde. Das kann seinem Verhalten jedoch nicht den Charakter einer böslichen Handlungsweise nehmen. Infolgedessen hat der Beklagte für den Schaden der Interessenten des MS „Adi" unbeschränkt persönlich zu haften . . .


Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1993- Nr.10 (Sammlung Seite 1420 ff.); ZfB 1993, 1420 ff.