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Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
Urteil
250 Z - 2/92
vom 23. April 1992
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Mannheim vom 16. Oktober 1990 - C 101/90 RhSch -)
Tatbestand:
Am 07.04.1989 fuhr MS A (65,55 m lang; 7,98 m breit; 750 t; 375 PS) mit einer Ladung von 120 t Betonrippenstahl und 525 t Walzdraht auf dem Rhein zu Tal. Nach 5 Uhr - es war noch dunkel, aber die Sicht klar,- begegnete ihm in der Ortslage Eltville das zu Berg kommende MS N (80 m lang; 9,25 m breit; 750 PS; Ladung: 1.025 t Eisenschrott). Während der Vorbeifahrt stiessen die Schiffe zusammen. Dabei riss MS N mit dem vorderen Backbordanker die Aussenhaut des MS A backbords im hinteren Teil des Schiffes auf eine Länge von 8,2 m und in einer Höhe von etwa 0,65 m auf. Durch starken Wassereinbruch sank MS A in kurzer Zeit und kam bei Strom-km 511,7 etwa 28 m vom rechtsrheinischen Fahrwasserrand entfernt zum Liegen auf der Sohle des Stroms.
Die Klägerin ist Versicherer der Ladung des MS A. Sie nimmt - aus übergangenem Recht - den Beklagten als Eigner und Schiffer des MS N am Unfalltag auf Ersatz des Schadens der Ladungsinteressenten in Anspruch. Sie hat behauptet, MS A habe sich wegen der für den Unfallbereich vorgeschriebenen geregelten Begegnung rechtsrheinisch in einem Abstand von etwa 30 m vom roten Tonnenstrich entfernt gehalten. Zu der Kollision sei es gekommen, weil das zunächst linksrheinisch fahrende MS N plötzlich vor der Vorbeifahrt nach Backbord ausgeschert und in den Kurs des MS A gelaufen sei. Grund hierfür sei, dass MS N fehlerhaft bemannt und deshalb seine Besatzung übermüdet gewesen sei.
Die Klägerin und ihr Streithelfer haben beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 314.199 DM nebst Zinsen zu zahlen, und zwar sowohl unbeschränkt persönlich als auch mit MS N haftend.
Nach Ansicht des Beklagten ist die Klage unbegründet. Im Verklarungsverfahren sei offen geblieben, welches von den beiden Schiffen in den Kurs des anderen Fahrzeugs geraten sei. Auch die Lage des MS A nach dessen Sinken lasse keinen sicheren Rückschluss auf das Kursverhalten der beiden Havaristen vor der Kollision zu. Im übrigen sei unrichtig, dass MS N unterbemannt oder die Besatzung zum Unfallzeitpunkt übermüdet gewesen sei. Eine unbeschränkte persönliche Haftung des Beklagten komme deshalb keineswegs in Betracht.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat - nach Beiziehung der Verklarungsakten sowie der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten gegen den Beklagten - den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt "mit der Massgabe, dass der Beklagte (nur) persönlich beschränkt im Rahmen des § 114 BSchG und dinglich mit MS N haftet". Die weitergehende Klage auf Verurteilung des Beklagten zur unbeschränkten Haftung hat es abgewiesen. Das Rheinschiffahrtsgericht ist auf Grund der Beweisaufnahme im Verklarungsverfahren überzeugt, dass der Beklagte bei der Annäherung der beiden Schiffe den Kurs seines Fahrzeugs in die rechtsrheinische Hälfte des Fahrwassers verlegt und dadurch die Kollision verschuldet habe. Hingegen hält es eine Übermüdung des Beklagten nicht für bewiesen. Es hat deshalb offen gelassen, ob ein Schiffseigner, der sein Fahrzeug selbst führt und infolge Übermüdung eine falsche Kursänderung vornimmt, für den dadurch einem Dritten zugefügten Schaden unbeschränkt oder auch dann nur mit Schiff und Fracht sowie im Rahmen des § 114 Abs. 1 BinSchG beschränkt persönlich haftet.
Der Beklagte beantragt mit der Berufung, das angefochtene Urteil abzuändern, soweit es zu seinem Nachteil erkannt hat, und die Klage in vollem Umfang abzuweisen. Mit der Berufung der Klägerin verfolgen sie und ihr Streithelfer in erster Linie den vor dem Rheinschiffahrtsgericht gestellten Antrag weiter.
Entscheidungsgründe:
I. Die form- und fristgerechte Berufung des Beklagten ist unbegründet.
Zwischen den Parteien ist unbestritten, dass die Kurse des MS A und des MS N in der 120 m breiten Fahrrinne zunächst so verlaufen sind, dass die Schiffe ohne Gefahr aneinander hätten vorbeifahren können. Streit besteht hingegen zwischen ihnen darüber, welches der beiden Fahrzeuge den Kurs nach Backbord geändert hat, so dass es zur Kollision gekommen ist.
Zu diesem Punkt hat der Beklagte im Verklarungsverfahren ausgesagt, er habe mit MS N die grüne Tonne an der Ausfahrt der kleinen Gies in einem Abstand von maximal 10 m passiert, als MS A etwa aus der Mitte des Fahrwassers mit dem Kopf nach linksrheinisch gefahren und auf sein Fahrzeug zugekommen sei. Darauf habe er versucht, nach linksrheinisch auszuweichen, während MS A versucht habe, nach rechtsrheinisch auszuweichen. Es habe aber nicht mehr gelangt. Vielmehr sei das Backbordhinterschiff des MS A gegen das Backbordvorschiff von MS N geraten.
Demgegenüber hat der Streithelfer der Klägerin im Verklarungsverfahren bekundet, mit MS A wegen des im Unfallbereich vorgeschriebenen Rechtsverkehrs im rechtsrheinischen Fahrwasser mit einem Seitenabstand von ca. 30 m zu der roten Tonnenlinie zu Tal gefahren zu sein. Ihm seien zwei Einzelfahrer entgegengekommen, von denen der vordere (MS N) sich mehr in der Mitte des Fahrwassers gehalten habe und der hintere (MS B) mehr an der grünen Tonnenlinie gefahren sei. Von diesen Fahrzeugen habe MS N unmittelbar vor der Begegnung überraschend den Kurs nach Backbord geändert und sei sodann im spitzen Winkel kurz vor dem Steuerhaus in den letzten Laderaum des gestreckt auf seinem Kurs liegenden MS A hineingefahren. Danach sei das Fahrzeug innerhalb kürzester Zeit gesunken und habe bereits nach maximal 100 - 150 m unterhalb der Kollisionsstelle gestreckt auf dem Grund festgelegen. Nahezu übereinstimmend mit diesen Angaben des Streithelfers der Klägerin hat sich auch dessen Sohn geäussert, der sich als weiteres Besatzungsmitglied an Bord des MS A befunden hat.
Im Gegensatz zu der Unfalldarstellung des Beklagten hält die Berufungskammer die Aussagen des Streithelfers der Klägerin und seines Sohnes für glaubhaft:
Nach der Unfallschilderung des Zeugen van den Broek im Verklarungsverfahren ist dieser mit seinem MS B etwa 300 m hinter MS N zu Berg gefahren. Er hat, wie er weiter bezeugt hat, einen Seitenabstand zu der linksrheinischen Fahrwasserbegrenzung (grüne Tonnen) von etwa 30 m eingehalten, während MS N "weiter links, mehr zum rechtsrheinischen Ufer hin, einen etwas komischen Kurs" zu Berg gefahren sei. Von dort habe sich MS A mit einem seitlichen Abstand von 30 m zu den rechtsrheinischen (roten) Tonnen genähert. Als MS N noch etwa 150 - 200 m von MS A entfernt gewesen sei, sei der Bergfahrer nach rechtsrheinisch abgegangen. Danach habe er im Radarbild gesehen, dass dort die Echos der beiden Schiffe zu einem Echo zusammengegangen seien.
Diese Aussage stimmt in den wesentlichen Punkten mit den Angaben der Besatzung des MS A überein. An ihrer Richtigkeit zu zweifeln, hat die Berufungskammer trotz der von der Berufung des Beklagten vorgebrachten Bedenken keinen Anlass. Anhaltspunkte dafür, dass der an dem Unfallgeschehen unbeteiligte Zeuge van den Broek an dem Ausgang des Rechtsstreits in der einen oder anderen Richtung interessiert ist, gibt es nicht. Ferner hatte er eine gute Sicht auf die sich vor ihm abspielenden Vorgänge. Zu deren Beobachtung hat er zeitweilig auch das Radargerät benutzt. Dass die Strömung des Wassers im Unfallbereich ein Schiff nach linksrheinisch versetzen konnte, lässt allein noch keinen Zweifel an der klaren Bekundung des Zeugen zu, dass der ihm vorauslaufende Bergfahrer den Kurs vor dem herankommenden Talfahrer nach Backbord geändert habe, zumal ein Schiffsführer erfahrungsgemäss zwischen der Kursänderung eines Fahrzeugs und dem strömungsbedingten Versetzen eines Schiffes unterscheiden kann. Auch wäre bei einem Versetzen des MS A durch die Strömung nach linksrheinisch nicht begreiflich, dass es in der Nähe der rechten Fahrwassergrenze auf der Stromsohle zum Liegen gekommen ist, und zwar mit einer Abweichung von ca. 12° nach Steuerbord in Stromrichtung. Davon abgesehen, ist dem Gutachten, das der Sachverständige Karger in dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Mainz gegen den Beklagten erstattet hat, zu entnehmen, dass die Schäden an den beiden Schiffen für die Richtigkeit der Unfallschilderung seitens des Streithelfers der Klägerin, seines Sohnes und des Zeugen van den Broek sprechen, wogegen danach der von dem Beklagten dargestellte Unfallverlauf nicht möglich gewesen sein kann. Ausserdem ist Karger auch im Hinblick auf das Sinken des MS A in knapp einer Minute nach der Kollision und dessen Lage nach dem Untergang des Schiffes zu dem Ergebnis gekommen, dass sich der Zusammenstoss nahe des rechten Fahrwasserrandes ereignet haben muss. Hinzu kommt, dass der Beklagte, wie in anderem Zusammenhang noch näher auszuführen sein wird, mit MS N vor der Kollision rund 38 Stunden ohne Unterbrechung gefahren ist und sich mit Rücksicht darauf der Unfall zwanglos damit erklären lässt, dass der Beklagte infolge Übermüdung einen Steuerfehler begangen hat und innerhalb der im Unfallbereich nahezu gerade verlaufenden Fahrrinne aus seinem linksrheinischen Kurs in das rechtsrheinische Fahrwasser der Talfahrt geraten ist.
Nach alledem geht die Berufungskammer, wie schon das Rheinschiffahrtsgericht, davon aus, dass der Beklagte durch einen Steuerfehler die Kollision zwischen seinem Fahrzeug und MS A verschuldet hat. Er ist deshalb den Ladungsinteressenten dieses Schiffes zum Ersatz ihres Unfallschadens verpflichtet (§ 6.03 Nr. 3, § 9.02 Nr. 1 und 2 RheinSchPV, § 823 BGB).
Diese Ersatzpflicht mindert sich nicht, wie die Berufung des Beklagten meint, teilweise dadurch, dass der Streithelfer der Klägerin kein Achtungsignal gegeben hat und deshalb die Kollision zumindest mitverschuldet habe. Richtig ist allerdings, dass bei einem solchen Mitverschulden der Streithelfer der Klägerin und der Beklagte den Ladungsinteressenten des MS A für deren Schaden nicht als Gesamtschuldner zu haften hätten, sondern lediglich quotenmässig "nach dem Verhältnis der Schwere des auf jeder Seite obwaltenden Verschuldens" (§ 92 c Abs. 1 BinSchG; vgl. auch Vortisch/Bemm, Binnenschiffahrtsrecht 4. Aufl. § 92 c Rn. 6). Jedoch ist ein schadensursächliches Mitverschulden des Streithelfers der Klägerin an dem Schiffszusammenstoss nicht feststellbar. Entgegen der Ansicht des Beklagten, der ein schadensursächliches Mitverschulden des Streithelfers der Klägerin behauptet, obliegt es nämlich ihm zu beweisen, dass die Kollision durch Abgabe eines Achtungsignals seitens des MS A verhindert worden wäre. Das lässt sich aber nicht feststellen. Nach der Aussage des Zeugen van den Broek ist im Hinblick auf die Beweislast des Beklagten für den Höhenabstand der beiden Fahrzeuge im Zeitpunkt einer notwendigen Abgabe eines Achtungsignals zu Gunsten der Klägerin davon auszugehen, dass die beiden Schiffe nur noch 150 m voneinander entfernt waren, als die Backbordkursänderung des MS N erkennbar und damit ein Achtungsignal geboten war. Zeitlich war das aber nur noch 25 Sekunden vor der Kollision. Das ergibt sich aus der Annäherungsgeschwindigkeit der beiden Schiffe von 22 km/st (= 367 m/min), wie sie das Rheinschiffahrtsgericht in dem Parallelrechtsstreit zwischen dem Versicherer des MS A und dem Beklagten zutreffend errechnet hat. Bedenkt man weiter, dass die Kursänderung des MS N für den Streithelfer der Klägerin überraschend sein musste und ihm deshalb einige Sekunden zur Überlegung und Reaktion zuzubilligen sind, so kam die Abgabe eines Achtungsignals allenfalls etwa 20 Sekunden vor dem Zusammenstoss in Betracht. Es fehlt aber jeder Anhaltspunkt dafür, dass es dem - überdies übermüdeten - Beklagten dann noch möglich gewesen wäre, sein Fahrzeug wieder auf einen Kurs zu bringen, mit dem die Kollision hätte vermieden werden können.
II. Die Berufung der Klägerin hat Erfolg.
1. Vorweg ist zu bemerken :
a) Die Forderung der Klägerin gegen den Beklagten auf Zahlung von 314.199 DM ist zwischen den Parteien nach Grund und Betrag streitig. Deshalb konnte das Rheinschiffahrtsgericht über den Grund gemäss § 304 Abs. 1 ZPO vorab entscheiden. Dazu gehörte entgegen der Ansicht der Klägerin auch die Entscheidung über die Frage, ob die Haftung des Beklagten beschränkt oder unbeschränkt ist. Es ist im deutschen Recht ganz überwiegend anerkannt, dass im Grundverfahren auch darüber zu entscheiden ist, ob die verklagte Partei für die Schuld nur mit bestimmten Gegenständen oder bis zu einer bestimmten Höhe haftet (vgl. Stein-Jonas, Zivilprozessordnung 20. Aufl. § 304 Rn. 30 m.w.N.). Die Frage betrifft zumindest teilweise auch den Grund der geltend gemachten Forderung.
b) Absatz 1 des Hauptantrages der Berufung der Klägerin lautet: "Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 314.199 DM (nebst Zinsen) zu zahlen". Nach dieser Formulierung könnte die Klägerin übersehen haben, dass das Betragsverfahren noch beim Rheinschiffahrtsgericht anhängig ist, das nur über den Grund der Forderung entschieden hat. Allerdings hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 26.11.1990 erklärt, dass "die Berufung das Ziel der Verurteilung des Beklagten zur unbeschränkten Haftung hat". Berücksichtigt man ausserdem den Absatz 2 des Hauptantrags der Klägerin im Berufungsrechtszug ("Wegen dieser Forderung haftet der Beklagte persönlich und mit dem ihm gehörenden MS N und der Fracht"), so ist der Hauptantrag insgesamt dahin zu verstehen, dass die teilweise Abweisung der Klage durch das Rheinschiffahrtsgericht aufgehoben und die unbeschränkte persönliche Haftung des Beklagten für den Unfallschaden der Ladungsinteressenten des MS A - neben der bereits vom Rheinschiffahrtsgericht ausgesprochenen dinglichen Haftung des Beklagten mit seinem MS N - festgestellt wird.
2.a) Der Schiffseigner haftet für sein eigenes Verschulden grundsätzlich unbeschränkt persönlich (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 1 BinSchG). Führt er sein Schiff jedoch selbst (sog. Schiffseigner-Schiffer), so haftet er nach § 4 Abs. 2 Satz 2 BinSchG "für einen durch fehlerhafte Führung des Schiffes entstandenen Schaden ausschliesslich mit Schiff und Fracht, es sei denn, dass ihm eine bösliche Handlungsweise zur Last fällt". Die Vorschrift bezweckt, den Schiffseigner, der sein eigenes Schiff führt, für nautisches Verschulden bei der Führung des Schiffes nicht strenger haften zu lassen, als den Schiffseigner, der die Führung einem fremden Schiffer anvertraut (Vortisch/Zschucke, Binnenschiffahrts- und Flössereirecht 3. Aufl. § 4 Anm. 9 a). Demgemäss verstehen im deutschen Recht Rechtsprechung und Schrifttum unter dem Begriff "fehlerhafte Führung" ein nautisches Versehen (RGZ 68, 180, 181; 82, 146, 147 f.; Mittelstein, Deutsches Binnenschiffahrtsrecht 2. Aufl. § 4 Anm. 7; Lindeck, Das Binnenschiffahrtsrecht S. 167; Hintze, Eine Darstellung der Entstehung des Binnenschiffahrtsgesetzes und ... S. 118), nämlich alle bei oder während der Verwendung des Schiffes zur Schiffahrt von dem Schiffer zu beschliessenden und selbst oder durch die auf dem Schiff angestellten Personen auszuführenden Massnahmen (Vortisch/Zschucke, a.a.O. Anm. 9 f. m.w.N.). Ferner haben Rechtsprechung und Schrifttum den Ausdruck "bösliche Handlungsweise", der sich auch noch in § 74 Abs. 2 und § 75 BinSchG findet, dahin ausgelegt, dass er neben dem Vorsatz nicht allgemein die grobe Fahrlässigkeit umfasse, sondern nur denjenigen "Frevelmut, welcher sich der rechtswidrigen Folgen seines Verhaltens bewusst ist" (RGZ 1, 22; Mittelstein a.a.O.; Lindeck a.a.O. S. 168/169; Korioth im Handbuch der Beweislast im Privatrecht Bd. 4 BinSchG §§ 73 - 75 Rn. 5). Neuerdings hat Bemm (Vortisch/Bemm, Binnenschiffahrtsrecht 4. Aufl. § 4 Rn. 26) den Begriff "bösliche Handlungsweise" dahin umschrieben, dass dieser ein Unterfall des § 826 BGB sei.
Wörtlich führt er weiter aus : "Hier wie dort und in den Fällen der §§ 74,75 ist unter böslicher Handlungsweise ein vorsätzliches sittenwidriges Verhalten zu verstehen, durch das einem Dritten Schaden zugefügt wird. Die Handlung muss vorsätzlich, zumindest bedingt vorsätzlich erfolgen. Fahrlässigkeit, selbst bewusste Fahrlässigkeit, reicht nicht aus." Dem wird man für den Fall bewusster grober Fahrlässigkeit nicht folgen können. Der aus heutiger Sicht veraltete Begriff einer böslichen Handlungsweise will offenbar ein Verhalten des Schuldners umschreiben, hinsichtlich dessen eine ihm allgemein zugebilligte Haftungsbeschränkung für den Gläubiger nicht hinnehmbar ist. Dazu gehört aber nicht nur der Vorsatz, sondern auch die bewusste grobe Fahrlässigkeit (nahezu ebenso Art. 4 des Strassburger Übereinkommens von 1988 über die Beschränkung der Haftung in der Binnenschiffahrt - CLNI -, wonach "ein Haftpflichtiger seine Haftung nicht beschränken darf, wenn nachgewiesen wird, dass der Schaden auf eine Handlung oder Unterlassung zurückzuführen ist, die von ihm selbst in der Absicht, einen solchen Schaden herbeizuführen, oder leichtfertig in dem Bewusstsein begangen wurde, dass ein solcher Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde."; vgl. ferner die damit identische Regelung in § 4a BinSchG, der durch das Zweite Seerechtsänderungsgesetz vom 25.07.1986 in dieses Gesetz neu eingefügt worden ist und nach dessen Abs. 1 Satz 4 die Beschränkung der Haftung des Schiffseigners für Ansprüche auf Ersatz des Schadens aus der Tötung oder Verletzung von Reisenden wegfällt, wenn auf seiner Seite das vorbeschriebene Verhalten gegeben ist).
b) Nach Ansicht des Rheinschiffahrtsgerichts hat die Klägerin nicht bewiesen, dass vorliegend die Voraussetzungen für eine unbeschränkte persönliche Haftung des Beklagten gegeben sind. Es lasse sich nicht feststellen, dass er zum Unfallzeitpunkt übermüdet am Steuer seines Schiffes gestanden habe. Zwar habe MS N die Unfallreise am 05.04.1989 um 15.30 Uhr in Gelsenkirchen angetreten und sei bis zum Unfallzeitpunkt am 07.04.1989 gegen 5.30 Uhr ununterbrochen gefahren. Jedoch könne nicht festgestellt werden, dass der Beklagte die gesamte Fahrstrecke selbst am Steuer gestanden habe. Nach seinen Behauptungen habe sich neben dem Matrosen Bingenheimer an Bord des - für die Betriebsform A 1 zugelassenen - MS N von Meiderich bis St. Goar auch der Schiffsführer Gugel aufgehalten, mit dem er sich in regelmässigen Abständen am Ruder abgelöst und sodann jeweils ausgeruht habe. Diesen Vortrag hätten Bingenheimer im Verklarungsverfahren und Gugel sowie dessen Sohn im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten bestätigt.
c) Demgegenüber kann nunmehr kein Zweifel daran bestehen, dass sich nur der Beklagte und der Matrose Bingenheimer während der Unfallreise an Bord des MS N befunden haben. Nach den vom Streithelfer der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegten Protokollen über die am 08. bzw. 09.04.1991 erfolgte richterliche Vernehmung in den gegen Bingenheimer (wegen Meineids), Schiffsführer Gugel (wegen uneidlicher Falschaussage) und den Beklagten (wegen Anstiftung zum Meineid) geführten Strafverfahren haben diese jeweils eingestanden, bei ihren früheren Vernehmungen auf Veranlassung des Beklagten falsche Angaben zu der von diesem ursprünglich behaupteten Anwesenheit des Schiffsführer G und dessen Sohnes (Matrose G) an Bord des MS N zwischen Meiderich und St. Goar gemacht zu haben; diese hätten sich während der Schadensreise nicht auf dem Schiff aufgehalten.
d) Für das in der Betriebsform A 1 fahrende, 80 m lange MS N war als Mindestbesatzung ein Schiffsführer und ein Matrose vorgeschrieben (§ 14.09 RheinSchUO). Diese war während der Unfallreise mit dem Beklagten und dem Matrosen B vorhanden. Dem Beklagten kann deshalb nicht das Fahren mit einem unterbemannten Schiff vorgeworfen werden. Hingegen hat er keine der vorgeschriebenen Ruhezeiten eingehalten. Da sein Schiff - unstreitig - nicht mit einem Fahrtenschreiber ausgerüstet gewesen ist, hätte er die Fahrt ununterbrochen zwischen 22 und 6 Uhr einstellen müssen (§ 14.05 RheinSchUO). Das hat er sowohl in der Nacht vom 05. auf 06.04.1989 als auch in der nächsten Nacht unterlassen, und zwar offensichtlich deshalb, weil er - nach seinen Angaben vor der Wasserschutzpolizei - bereits am 07.04.1989 einen Löschtermin in Kehl gehabt hatte. Ferner hat er sich über die Mindestruhezeitregelung des § 14.06 Nr. 1 Abs. 1 RheinSchUO hinweggesetzt, wonach in der Betriebsform A 1 jedes Besatzungsmitglied Anspruch auf eine ununterbrochene Ruhezeit von 8 Stunden ausserhalb der Fahrt und dies innerhalb von jeweils 24 Stunden hat, die mit dem Ende der Ruhezeit von 8 Stunden zu laufen beginnen. Dies ergibt sich aus der insoweit von keiner Seite bezweifelten Aussage des Matrosen B vor dem Amtsgericht Mainz am 17.04.1989 in dem Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten, dass die Maschine des MS N alle 2 1/2 Stunden habe abgeschmiert werden müssen, was jeweils 15 - 20 Minuten gedauert habe. Da während der Zeit, innerhalb der die Maschine (im Maschinenraum) abgeschmiert worden ist, zwangsläufig das zweite Besatzungsmitglied das Ruder des Schiffes (im Steuerhaus) zu bedienen hatte, konnte zu keiner Zeit während der rund 38 stündigen ununterbrochenen Fahrt für beide Besatzungsmitglieder eine ununterbrochene Ruhezeit von 8 Stunden möglich gewesen sein. Im übrigen ist von der Aussage des Matrosen B weiter bemerkenswert, dass er erklärt hat, "Ich hatte vor dem Unfall beim (Beklagten) noch nicht selbst das Schiff geführt. Auf anderen Schiffen hatte ich allerdings vorher schon öfters das Ruder übernommen". Berücksichtigt man hierzu, dass der Beklagte selbst anlässlich seiner Vernehmung im Verklarungsverfahren angegeben hat : "Herr B wurde von mir nicht als Rudergänger eingesetzt. Er hält höchstens mal das Ruder, wenn ich auf die Toilette muss. Er kennt sich da unten nicht aus", so ist anzunehmen, dass er MS N während der Unfallreise nahezu oder jedenfalls ganz überwiegend selbst gefahren hat und deshalb zum Unfallzeitpunkt stark übermüdet gewesen sein muss.
Danach können nicht die geringsten Zweifel an der böslichen Handlungsweise des Beklagten bestehen. Er hat vorsätzlich während einer ununterbrochenen Fahrt von mehr als 1 1/2 Tagen die Ruhezeiten nicht eingehalten, die zur Sicherheit des Schiffsverkehrs vorgeschrieben sind, um Übermüdungen der Schiffsbesatzungen zu vermeiden, die erfahrungsgemäss zur Unaufmerksamkeit mit der Gefahr daraus entstehender Schiffsunfälle führen. Auch gibt es keinen Anhalt dafür, dass diese Folgen dem Beklagten, einem erfahrenen Schiffsführer, bei seinem grob pflichtwidrigen Verhalten nicht bewusst gewesen sind. Zwar mag er sie nicht gewollt und die überaus leichtfertige Fahrt in der vagen Hoffnung durchgeführt haben, dass sie, was dann erwartungsgemäss nicht der Fall gewesen ist, gut gehen werde. Das kann seinem Verhalten jedoch nicht den Charakter einer böslichen Handlungsweise nehmen. Infolgedessen hat der Beklagte für den Schaden der Ladungsinteressenten des MS A unbeschränkt persönlich zu haften.
III. Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Mannheim vom 16.10.1990 wird zurückgewiesen.
Auf die Berufung der Klägerin wird das genannte Urteil aufgehoben, soweit es die Klage abgewiesen hat. Es wird festgestellt, dass der Beklagte für den vom Rheinschiffahrtsgericht dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärten Zahlungsanspruch - neben der bereits vom Rheinschiffahrtsgericht zuerkannten dinglichen Haftung mit MS N - unbeschränkt persönlich haftet.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschliesslich der Kosten des Streithelfers der Klägerin.
Deren Festsetzung gemäss Artikel 39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht Mannheim.