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Leitsatz:
1) Die Besatzung eines zur Sicherung einer Strömungsmessung eingesetzten Wahrschaubootes hat die Aufgabe, den Schiffsführern die zu sichernde Stelle genau zu bezeichnen.
2) Übereinstimmende Aussagen von Mitgliedern einer Schiffsbesatzung können nicht allein als Ausdruck einer „Bordsolidarität" bewertet werden. In der Beweiswürdigung ist Insbesondere auf den Inhalt der Aussagen einzugehen.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 16.12. 1991
246 Z - 6/91
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin führte am 21.3. 1988 Strömungsmessungen im Bereich von Rheinstromkm. 778,3 durch. Dazu war von der Essenberger Autobahnbrücke von einem Meßwagen aus eine Meßbombe an einem dünnen, nicht gekennzeichneten und deshalb unsichtbaren Draht in den Strom herabgelassen worden. Außerdem hatte die Klägerin das Boot „Erft" als Sicherungsboot mit rot-weißer Flagge eingesetzt. Es befand sich gegen 9 Uhr 50 etwa 100 m unterhalb der genannten Brücke in einer Position, deren verlängerte Linie auf die Meßbombe zuführte. Diese hing von der Brücke etwa 1/3 aus dem rechtsrheinischen Ufer herab und lag in Meßposition im Strom.
Zur genannten Zeit fuhr stromabwärts der Brücke der Schubverband „L" der Beklagten zu 1), den der Beklagte zu 2) führte, im rechtsrheinischen Strombereich zu Berg. Er bestand aus dem Schubboot und Leichtern, die oberhalb der Brücke in der Nähe des rechtsrheinischen Ufers abgelegt werden sollten. Die Führung des Verbands wurde von der des Bootes „Erft" auf die Strömungsmessungen hingewiesen. Es ist umstritten, in welcher Form dieser Hinweis erfolgte. Der Schubverband fuhr an der Steuerbordseite an dem Sicherungsboot vorbei, und nahm dann entweder noch vor der Brücke oder unter derselben Kurs nach Backbord zum rechtsrheinischen Ufer hin. Dabei stieß er gegen die Meßbombe, zerriß deren Draht und beschädigte sie.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Schadensersatzklage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung hatte Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Die formell nicht zu beanstandende Berufung ist aus den folgenden Gründen erfolgreich:
1. Das Rheinschiffahrtsgericht sieht die von ihm festgestellte Schuld der Führung des Schubverbandes „L" darin, daß dieser zu früh Kurs nach Backbord genommen habe. Die in diesem Zusammenhang durchgeführte Beweiswürdigung war überflüssig, da der festgestellte Kurswechsel unstreitig ist . . . .
Seine Ansicht, der Kurswechsel des Schubverbands nach Backbord sei zu früh erfolgt, hat das Rheinschiffahrtsgericht mit einer damit verbundenen Gefahr für das Wahrschauboot begründet. Eine solche Gefahr zeigen aber die Aussagen der Besatzung dieses Bootes nicht an. Aus ihnen geht hervor, daß man dem nach Backbord gehenden Verbande ausgewichen ist, nicht aber, daß irgendeine Gefahr bestand. Gefährlich wurde der Kurswechsel nur für die von der Autobahnbrücke herabhängende Meßbombe. Die Herbeiführung dieser Gefahr rechtfer- wen die Führung des Schubverbandes auf sie hingewiesen worden wäre. Eine solche Feststellung glaubt aber das Rheinschifffahrtsgericht nichtrefen zu könen, weil in diesem Punkte die Beweisaufnahme kein klares Ergebnis gebracht habe. Die Ber ufungskamer muß deshalb feststelen, daß der Schuldvorwurf des Rheinschiffahrtsge richts in der Luft hängt und von der gegebenen Begründung nicht getragen wird.
2. Er ist auch aus den folgenden Gründen nicht gerechtfertigt:
a) Es ist unstreitig, daß der Schubverband von dem Wahrschauboot aus über Funk an gesprochen und darauf hingewiesen wurde, daß Mesungen der Strömung durchgeführt wurden. Die Besatzung des Wahrschaubootes, die Zeugen St. und K. haben ausgesagt, der Hinweis sei etwa so erfolgt: Der Schub verband könne rechtsrheinisch oder links rheinisch an dem Wahrschauboot vorbei fahren. Fahre er linksrheinisch vorbei, so soler erst oberhalb der Autobahnbrücke "reinfahren" und „dann eventuell reinsakken lassen". Um diesen Hinweis zu verstehen, muß man wissen, daß allen Beteiligten folgendes bekannt war. Der Schubverband hatte seine Leichter oberhalb der Autobahnbrücke am rechtsrheinischen Ufer abzulegen. Fuhr er am linksrheinischen Ufer an dem Wahrschaubot vorbei, so mußter also bald nach Backbord zum rechtsrheinischen Ufer wechseln, um den Liegeplatz an fahren zu können. Die Besatzung des Wahrschaubootes wies ihn also an, diesen Kurswechsel erst oberhalb der Autobahnbrücke vorzunehmen. Den bisher geschilderten Aussagen stehen diejenigen von Besatzungsmitgliedern des Schubverbandes gegenüber. Nach ihnen hat die Besatzung des Wahrschaubootes nur auf Meßarbeiten hingewiesen und um Vorsicht gebeten.
b) Das Rheinschifahrtsgericht stellt beide Aussagengruppen einfach gegenüber, er klärt sie für nicht vereinbar und äußert die Überzeugung, die übereinstimmenden Aus sagen jeder Schiffsbesatzung seien durch Bordsolidarität beeinflußt, d. h. durch das Bestreben, eigene Schuld zurückzuweisen und das andere Schiff bzw. dessen Besatzung als schuldig hinzustellen. Bei einer solchen Bewertung kommen Ausagen von Schiffsbesatzungen als Grundlage gerichtlicher Feststellungen nur in den seltenen Fällen in Betracht, in denen sich aus ihnen Schuldvorwürfe an diese Besatzung ableiten lassen. Stimmen sie in anderen Fällen überein, so macht sie gerade dies verdächtig und nicht glaubwürdig, weil die Übereinstimmung keine solche in der Wahrheit ist, sondern durch das gemeinsame Bestreben nach Selbstrechtfertigung bestimmt wird. Stimmen sie nicht überein, so nimt ihnen die Nichtübereinstimung die Qualität und macht sie ungeeignet, gerichtliche Feststellungen zu tragen. Eine solche Bewertung in nicht als ausreichend angesehen werden. Es fehlt z. B. jedes Eingehen auf den Inhalt der bewerteten Aussagen, der Hin weise auf ihre Richtigkeit geben kann. Unberücksichtigt bleibt weiter die Position der Aussagenden im Zeitpunkt der entscheidenden Ereignisse. Ihre Interessen werden auf die Bordsolidarität eingeengt. Jedes Interesse, die Wahrheit zu sagen, wird geleugnet, wenn die Bordsolidarität es nicht zuläßt.
3. a) Die Aussagen der Besatzung des Wahrschaubootes können nur richtig bewertet werden, wenn man von der dieser Besatzung gestellten Aufgabe ausgeht. Diese war der Schutz der von der Autobahnbrücke herabhängenden Meßbombe davor, von Schiffen angefahren und beschädigt zu werden. Eine solche Aufgabe konnte nur erfüllt werden, wenn die Stelle, wo die Bombe im Wasser lag, genau bezeichnet wurde. Im vorliegenden Falle konnte dies durch Hinweis auf den auf der Brücke stehenden Meßwagen geschehen, von dem die Bombe an einem Draht herabhing. Man konnte ferner auf den Liegeort der Bombe durch Hinweis auf den Raum zwischen ihr und dem nächsten Brückenpfeiler oder dem rechtsrheinischen Ufer aufmerksam machen.
b) Solche genauen Erklärungen hat die Be- vorsatzung des Wahrschaubootes nach ihren eigenen Aussagen nicht gegeben. Der Hinweis auf Meßarbeiten verbunden mit der Bemerkung, der Verband könne das Boot an beiden Seiten passieren, solle aber, wenn er linksrheinisch vorbeifahre, den dann später notwendigen Kurswechsel nach Backbord erst oberhalb der Brücke vornehmen, war unzureichend. Ein Schutzobjekt wurde nicht genannt, was als besonders schwerwiegende Unterlassung bewertet werden muß.
c) Auf die Aussagen der Besatzung des Schubverbandes kommt es nach den voraufgegangenen Darlegungen nicht mehr an. Nach ihnen waren die Hinweise der Besatzung des Wahrschaubootes noch unverbindlicher und allgemeiner als bisher angenommen. Eine Gegenüberstellung beider Aussagegruppen ist nicht notwendig. Auch die Tatsache, daß der Draht, an dem die Meßbombe hing, nicht mit Fähnchen gekennzeichnet war, ist ohne Bedeutung.
Im Ergebnis ist die Klage nicht gerechtfertigt, weil eine Schuld der Besatzung des Schubverbandes nicht festgestellt werden kann . . ."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1992- Nr.18 (Sammlung Seite 1377 ff.); ZfB 1992, 1377 ff.