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231 Z - 12/89 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 15.01.1990
Aktenzeichen: 231 Z - 12/89
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

Urteil

vom 15. Januar 1990

(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 7. Oktober 1988 - 5 C 23/87 BSch -)

Tatbestand:

Das bei der Klägerin versicherte Tankmotorschiff "M" ist am 22.2.1986, auf dem Rhein in Ortslage Walsum zu Tal fahrend, mit dem Schubzug des Schubbootes "H" der Beklagten, der zu Berg fuhr, bei der Begegnung beider Einheiten zusammengestoßen. Die Havarie ereignete sich bei nebligem Wetter gegen 7 Uhr 30. Die beteiligten Schiffe fuhren mit Radar. Sie wurden erheblich beschädigt.
Die Klägerin hat den an beiden Einheiten entstandenen Schaden ersetzt. Von der Beklagten verlangt sie die Erstattung eines Drittels des von ihr gezahlten Betrags von DM. 258.903,33 = DM. 86.301,11. Bei dieser Forderung geht sie davon aus, dass die Führung des bei ihr versicherten Schiffes an der Havarie mitschuldig sei und sich die Folgen zu 2/3 anlasten lassen müsse. Das restliche Drittel habe die Beklagte zu tragen, weil auch die Führung ihres Schiffes an dem Unfall mitschuldig sei. Die entscheidenden Ereignisse sind wie folgt verlaufen.
Das leere TMS "M" überholte als Talfahrer mit hoher Geschwindigkeit das beladene Motorschiff "J". Nach der Beendigung der Überholung behielt es seine Kurslinie bei. Da sein Schiffsführer V. sah, dass dadurch die Gefahr eines Zusammenstosses mit dem Schubzuge der Beklagten entstand, will er diesen erfolglos aufgefordert haben, ihm nach Steuerbord auszuweichen, was möglich gewesen sei. Die Klägerin sieht die Mitschuld der Führung des Schubzuges der Beklagten in der Unterlassung dieses Ausweichens. Weiter erhebt sie den Vorwurf, der Schubzug habe nicht rechtzeitig seine Geschwindigkeit vermindert.
Die Beklagte erwidert, die Verlegung des Kurses nach Steuerbord sei schon mit Rücksicht auf die Fahrwassertiefe und die Abladung ihrer Schubeinheit nicht möglich gewesen. Die Geschwindigkeitsverminderung sei durchgeführt worden, habe aber die Havarie nicht verhindern können.
 
Es haben beantragt:

1. Die Klägerin,

die Beklagte zu verurteilen, an sie DM. 86.301,11 nebst 4% Zinsen seit dem 23.4.1986 zu bezahlen und auszusprechen, dass die Beklagte sowohl dinglich mit dem Schubboot "H" als auch persönlich im Rahmen des Binnenschifffahrtsgesetzes hafte.

2. Die Beklagte,

die Klage abzuweisen.

Das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort hat die Klageabweisung ausgesprochen, nachdem es Zeugen vernommen und die Strafakten 5 Ds/ 16 c Js 188/86 beigezogen hatte. Diese Akten betreffen ein Strafverfahren gegen den Führer des TMS "M", in dem noch kein Urteil ergangen ist. Das Rheinschifffahrtsgericht sieht die Havarieursache darin, dass das TMS "M", nachdem es "J" überholt hatte, seinen Kurs nicht nach Steuerbord verlegt hat. Die Führung des Schubzuges habe darauf vertrauen können, dass dies geschehen werde.

Die Klägerin hat Berufung eingelegt.

Die Parteien wiederholen ihren Vortrag aus dem ersten Rechtszuge und nehmen zu den Ausführungen des Rheinschifffahrtsgerichtes Stellung.

Es beantragen:

1. Die Klägerin,

nach ihren im ersten Rechtszuge gestellten Anträgen zu erkennen.

2. Die Beklagte,

die Berufung zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist formell nicht zu beanstanden.

In der Sache hat sie aus den folgenden Gründen keinen Erfolg.

1. Die Klägerin räumt ein, dass der Führung des bei ihr versicherten TMS "M" die überwiegende Schuld an der im vorliegenden Verfahren zu beurteilenden Havarie anzulasten ist. In der Tat ist an der Schuld des Schiffsführers V. nicht zu zweifeln. Schon die von ihm unmittelbar vor der Havarie durchgeführte Überholung des MS "J" muss angesichts der herrschenden Verhältnisse als risikoreiches Manöver bezeichnet werden. Wegen Nebels war die Sicht schlecht, sodass mit Radar gefahren werden musste. Es waren eine Reihe von Berg- und Talfahrern im Revier, u. a. mehrere Schubeinheiten. Die Überholung musste mit hoher Geschwindigkeit durchgeführt werden, die Reaktionen auf eine sich verändernde Lage zumindest sehr erschwerte, wie die Aussage des Schiffsführers Venema vor dem Rheinschifffahrtsgericht zeigt. Eine härtere Bewertung des Manövers kann deshalb unterbleiben, weil es nicht zur unmittelbaren Havarieursache geworden ist.
 
Diese ist vielmehr darin zu sehen, dass "M", nachdem das Schiff "J" überholt hatte, seinen Kurs nicht zum rechtsrheinischen Ufer hin verlegt hat. Diese Möglichkeit bestand, wie die Aussagen von Schiffsführern zeigen, deren Schiffe an dem Unfall nicht beteiligt waren, die die Ereignisse aber genau beobachtet haben. Der nach Ansicht der Berufungskammer wichtigste dieser Zeugen ist der Schiffsführer Mucke des MS "J" , der den entscheidenden Vorgang aus großer Nähe beobachtet hat. Der hier interessierende Teil seiner Aussage vor dem Rheinschifffahrtsgericht hat den folgenden Wortlaut:

"Das TMS "M" sprach mich an und fragte, ob es Backbord überholen könne. Ich stimmte zu und er überholte dann in einem seitlichen Abstände von bestimmt 30 m und einer Geschwindigkeit, die etwa doppelt so schnell wie die meinige war. Das TMS hielt seinen Kurs bei, ging also nicht wieder nach Steuerbord rüber."

Der letzte Satz kann nur das Verhalten des TMS "M" nach durchgeführter Überholung betreffen, denn nur jetzt war bei einer Überholung an Backbord eine Verlegung des Kurses des überholenden Schiffes nach Steuerbord möglich. Dem Zeugen ist aufgefallen, dass sie nicht erfolgte. Folglich hielt er sie möglich und angesichts der Lage im Revier für geboten. Nur auf dieser Grundlage ist seine Aussage verständlich. Die aus ihr sprechende Ansicht des Zeugen über die gebotene Verlegung des Kurses des TMS "M" nach Steuerbord nach durchgeführter Überholung hat nach Ansicht der Berufungskammer großes Gewicht. Der Zeuge hat die Ereignisse aus der Nähe beobachtet. Er hatte zur genauen Beobachtung allen Anlass, denn sein Schiff konnte in den Vorgang so verwickelt werden, dass Schaden drohte. Der Zeuge ist als Schiffsführer, also zur Beurteilung nautischer Situationen und der aus ihnen entstehenden Notwendigkeiten befähigt. Er hat schließlich kein Interesse am Ausgange dieses Rechtsstreites, das seine Objektivität in Frage stellen könnte. Aus allen diesen Gründen hält die Berufungskammer die Lagebeurteilung des Zeugen, die mit der von ihm der Wasserschutzpolizei gegebenen übereinstimmt für verlässlich. Von Bedeutung ist in dem hier interessierenden Zusammenhange weiter die Aussage des Zeugen Heine. Er war der Führer des Schubverbandes "HIV", der vor dem Schubzug der Beklagten zu Bergfuhr und dem Schiff der Klägerin problemlos begegnet ist. Auf die der Havarie vorausgehenden Ereignisse wurde er aufmerksam, als er "aufgeregte Gespräche über Kanal 10" hörte, in deren Verlauf der Haniel-Schubverband erklärte "das gehe nicht klar." So aufmerksam geworden, hat der Zeuge sein Radargerät so eingestellt, dass er mit seiner Hilfe, die sich hinter seinem Verbände abspielenden Ereignisse sehen konnte. Diese hat der Zeuge wie folgt geschildert. Die Überholung "M-J" war abgeschlossen. "M" war in der Nähe des Schubverbandes auf einem Kurs, die auf eine kommende Kollision Kopf auf Kopf hindeutete. "M" war "ziemlich weit" vom rechtsrheinischen Ufer weg. Auch diese Aussage zeigt also, dass das bei der Klägerin versicherte Schiff nach der Überholung vom "J" nicht Kurs zum rechtsrheinischen Ufer hingenommen hat.
Die Berufungskammer hält auch diese Aussage aus den gleichen Gründen wie diejenige des Zeugen Mucke für verlässlich.
Abgerundet wird das Bild durch die Aussage des Schiffsführer V. von "M", er "hätte in der letzten Phase vor dem Unfall vielleicht noch den Versuch machen können, vor "J" mit Steuerbordkurs auf Land zuzugehen".
 
Das hätte aber dazu geführt, dass sein Schiff ins Land gelaufen wäre. Diese Aussage enthält das Zugeständnis, eine Verlegung des Kurses nach Steuerbord sei nicht ausgeschlossen gewesen. Die angeblich damit verbundene Gefahr haben die beiden anderen Zeugen nicht gesehen. Der Zeuge V. hat sie nicht in prüfbarer Weise geschildert. Die Berufungskammer kann deshalb nicht feststellen, dass sie bestanden hat. Zusammenfassend ist nur Schuld des Schiffsführers V. an der zu beurteilenden Havarie zu sehen. Sie besteht zumindest deshalb, weil der Zeuge nach der Überholung des MS "J" den Kurs seines Schiffes nicht nach Steuerbord verlegt hat, obschon er nach seiner eigenen Aussage die in der Beibehaltung seines Kurses liegende Kollisionsgefahr mit dem Schubzug der Beklagten erkannt hat. Da die Kursverlegung möglich war und die Kollision vermieden hätte, liegt in ihrer Unterlassung ein schwerer Verstoß gegen die allgemeine nautische Sorgfaltspflicht.

2. Eine Mitschuld der Führung des Schubverbandes der Beklagten an der Havarie ist nicht erkennbar.
Nach den Aussagen aller neutralen Zeugen fuhr der Verband den üblichen Kurs der Bergfahrt. Die Klägerin wirft seiner Führung in erster Linie vor, nicht weiter nach Steuerbord zum linksrheinischen Ufer hin gefahren zu sein. Dazu bestand aber nach Ansicht der Berufungskammer auch angesichts des Überholmanövers des TMS "M" kein Anlass. Wie bereits dargelegt, war dieses Manöver zwar risikoreich, führte aber dann nicht zu einer Kollision, wenn das überholende Schiff nach der Überholung Kurs nach Steuerbord nahm, was möglich war. Die Führung des Schubverbandes der Beklagten durfte darauf vertrauen, dass diese Kursverlegung rechtzeitig erfolgen werde. Es war nicht ihre Pflicht, sie dadurch unnötig zu machen, dass sie selbst den Kurs ihrer Einheit nach Steuerbord verlegte. Die Verantwortung für die Überholung als solche und für ihre richtige Durchführung lag allein bei dem überholenden Talfahrer. Hilfe von der Bergfahrt konnte nicht verlangt werden. Dieser Grundsatz gilt auch dann, wenn die Kurse aufeinander zulaufen, weil der überholende Talfahrer den seinigen bei der Überholung verändert hat. Die zur Verminderung einer Havarie notwendige Kurskorrektur hat der Talfahrer durch die Rückkehr auf seine alte Kurslinie herbeizuführen, wenn dies, wie im vorliegenden Falle, möglich ist. Erst wenn diese Möglichkeit nicht besteht, der Bergfahrer aber eine Kollision durch Verlegung seines Kurses vermeiden kann, muss sie von ihm verlangt werden. Im vorliegenden Falle fehlt die erste Voraussetzung für eine solche Forderung, wodurch sie schon unmöglich wird. Die zweite Voraussetzung hat die Klägerin nicht beweisen können. Die sichere Feststellung, eine Kursverlegung des Bergfahrers nach Steuerbord, die eine Kollision mit dem Talfahrer abgewendet haben würde, sei noch möglich gewesen als ihre Notwendigkeit erkennbar wurde, kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht getroffen werden. In diesem Zusammenhange kommt es nicht nur darauf an, ob die Fahrwassertiefe sie erlaubt hatte, sondern ob die Gesamtlage im Revier sie gestattet hätte. Für die Beantwortung dieser Frage fehlen verlässliche Unterlagen. Die Klägerin wirft der Führung des Schubzuges der Beklagten weiter vor, die Geschwindigkeit nicht rechtzeitig herabgesetzt zu haben, bzw. nicht rechtzeitig zum Stillstand gekommen zu sein.
Zur Zurückweisung dieses Vorwurfes kann auf die vorausgegangenen Darlegungen verwiesen werden.
 
Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 7.10.1988 wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

3. Die Festsetzung dieser Kosten gemäß Artikel 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort.