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225 Z - 5/89 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 20.03.1989
Aktenzeichen: 225 Z - 5/89
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Zur Würdigung von Aussagen bei Begegnungskollisionen im Bereich der vorgeschriebenen geregelten Begegnung.

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 20. März 1989

- 225 Z - 5/89 -

(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)

Zum Tatbestand:

Die Klägerin ist Eignerin des Motorschiffs „G", das sich mit dem vorgespannten Schubleichter „E" auf der Bergfahrt befand. Das von dem Beklagten selbst geführte Motorschiff „T" fuhr zu Tal. Wegen starken Nebels herrschte schlechte Sicht. Schubverband und Motorschiff fuhren daher nach Radar, wofür die persönlichen und technischen Voraussetzungen beiderseits gegeben waren. Bei der Begegnung kam es im Bereich von Rhein-km 798, wo der Strom — zu Tal gesehen — in einer Linkskurve verläuft, zu einer Kollision, bei der der Leichter „E" und das MS „T" beschädigt wurden. Die Klägerin verlangt aus abgetretenem Recht Ersatz des am Leichter „E" entstandenen Schadens.
Das Rheinschiffahrtsgericht ist zu der Überzeugung gelangt, daß der Unfall auf einem nautischen Fehlverhalten des Schiffsführers des Schubverbandes beruhe, während es für ein Mitverschulden des Beklagten keine hinreichenden Anhaltspunkte gebe. Die Berufung der Klägerin hätte keinen Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:


„Für die Entscheidung dieses Rechtsstreits kann es dahinstehen, ob das Ergebnis der Beweisaufnahme — wie das Rheinschiffahrtsgericht meint — die Feststellung rechtfertigt, daß die hier streitige Kollision durch ein nautisches Fehlverhalten der Führung des Schubverbandes verursacht worden ist, denn jedenfalls hat die Klägerin den ihr obliegenden Beweis für ein unfallursächliches Verschulden des Beklagten nicht zu erbringen vermocht.
1. Im Unfallrevier ist die geregelte Begegnung vorgeschrieben (§ 9.02 Nr. 1b RheinSchPV). Danach müssen die Berg- und Talfahrer beim Begegnen ihren Kurs so weit nach Steuerbord richten, daß die Vorbeifahrt ohne Gefahr Backbord an Backbord stattfinden kann (§ 9.02 Nr. 2 RheinSchPV).
2. Die Darstellung der Klägerin, nach der der Beklagte unter Verstoß gegen diese Vorschrift und die Vorschrift der §§ 6.03 Nr.3 und 1.04 RheinSchPV linksrheinisch zu Tal gefahren ist und erst etwa 300 m vor dem entgegenkommenden Schubverband seinen Kurs plötzlich nach Steuerbord gerichtet und gleichzeitig über Kanal 10 eine Begegnung Backbord an Backbord verlangt hat, so daß die Führung des in einem seitlichen Abstand von etwa 40 m zu den linksrheinisch befindlichen Wahrschaupontons zu Berg fahrenden Schubverbandes ungeachtet einer Steuerbordausweichbewegung die Kollision nicht mehr habe vermeiden können, wird allerdings von der im Verklarungsverfahren vernommenen Besatzung des MS ,G' dem Schiffsführer und' dem Matrosen übereinstimmend bestätigt.
Beide Zeugen haben ferner ausgesagt, daß sich der Schiffsführer jeweils unter Positionsangabe über Kanal 10 als zu Berg fahrender Verband gemeldet habe, ohne auf diese Durchsagen und von MS ,G' abgegebene akustische Signale eine Antwort zu erhalten.
3. Dieser Darstellung des Unfallhergangs durch die Besatzung des Schubverbandes stehen jedoch die Bekundungen der Besatzungsangehörigen des MS ,T' unvereinbar gegenüber.
So hat der im Verklarungsverfahren als Zeuge vernommene Beklagte eine detaillierte Darstellung des Unfallhergangs gegeben, die seinem Vorbringen im vorliegenden Verfahren entspricht.
Die Unfallbeschreibung des Beklagte ist von seinem Matrosen — soweit er zu dem Unfallablauf befragt worden ist — bestätigt worden.
Auch dieser Zeuge hat im Verklarungsverfahren bekundet, daß der Beklagte über Kanal 10 wiederholt eine Begegnung Backbord an Backbord verlangt und den Bergfahrer aufgefordert habe, nach Steuerbord zu halten. Gleichwohl sei der .Schubverband — wie auch die im Steuerhaus sitzende Ehefrau des Zeugen bestätigt hat — in Schräglage auf MS ,T' zugekommen, das sich im Zeitpunkt der Kollision etwa 10 m seitlich der rechtsrheinisch liegenden roten Tonne befunden habe.
4. Schließen somit die von den Besatzungsangehörigen der an der Kollision beteiligten Fahrzeuge gegebenen Darstellungen des Unfallgeschehens einander aus und sind keine unbeteiligten Zeugen vorhanden, welche die Schiffsbewegungen vor und nach der Kollision aus eigener Anschauung beobachten konnten, so ist das Rheinschiffahrtsgericht zu Recht der Frage nachgegangen, ob und inwieweit aus den Aussagen einer Reihe von Zeugen über die von ihnen gehörten Durchsagen im Sprechfunkverkehr eine Bestätigung der Unfalldarstellung der einen oder anderen Partei gefunden werden kann.
5. Insoweit hat die Beweisaufnahme ergeben, daß die Behauptung des Beklagten über die von ihm über Kanal 10 gemachten Durchsagen in ihrem wesentlichen Kern von allen unbeteiligten Zeugen bestätigt worden ist, während eine Durchsage des Schubverbandes von keinem dieser Zeugen gehört worden ist.
So hat Schiffsführer K, von dem im Hafen Walsum-Süd liegenden MS ,V' bekundet, daß sich das MS ,T' mit der Ortsangabe ,Götterswickerhamm' als Talfahrer gemeldet und für die Bergfahrt eine Begegnung Backbord an Backbord verlangt habe. Diese Durchsage sei ein- bis zweimal wiederholt worden, ohne daß eine Antwort gekommen sei. Sodann habe sich der Talfahrer wiederum gemeldet und vom Bergfahrer verlangt, daß er seinen Steuerbordwall anhalte; er — der Talfahrer — sei schon ganz nahe an den roten Tonnen und könne nicht weiter nach Steuerbord beigehen.
Diese Aussage entspricht in ihren wesentlichen Punkten auch den Bekundungen der im Steuerhaus von MS ,V' befindlichen Ehefrau des Zeugen sowie des Schiffsführers T. vom MS ,C', der die Durchsagen des Beklagten während des Verholens seines Schiffes im Südhafen gehört hat.
Der Schiffsführer van V. vom in Walsum liegenden MS ,M', der die Durchsagen von MS ,T' dem ihm bekannten Beklagten zuordnen konnte, weil er ihn an seiner Stimmen erkannt hat, hat ebenfalls gehört, daß der Beklagte sich mit der Ortsangabe ,Götterswickerhamm' gemeldet, von der Bergfahrt eine Begegnung Backbord an Backbord verlangt und dann wiederholt darauf hingewiesen hat, daß er schon ganz nahe an den roten Tonnen sei und nicht weiter nach Steuerbord ausweichen könne.
Die letztere Durchsage hat auch die Ehefrau des Zeugen ihren Bekundungen zufolge vom Bett aus mitgehört und den Eindruck gewonnen, daß diese Durchsage ,ziemlich panisch' geklungen habe.
Schließlich hat auch Schiffsführer St. vom unterhalb Götterswikkerhamm linksrheinisch vor Anker liegenden MS ,L' bekundet, daß sich MS ,T' zuvor aus dem Hafen Walsum kommend gemeldet habe; später habe er dann gehört, wie sich MS ,T' erneut mit dem Ruf gemeldet habe ,Buurmann (Nachbar), Du siehst doch, daß ich längs den roten Tonnen zu Tal fahre'. Diese Durchsage, die mit sehr ähnlichem Wortlaut auch in einem wenige Tage nach dem Unfall, nämlich am 8. 10. 1986 in niederländischer Sprache abgefaßten Havariebericht des Zeugen T. erwähnt wird, sei dann nochmals in Panik wiederholt worden. Vom Schubverband hat auch dieser Zeuge keine Durchsagen gehört.
6. Spricht demnach alles dafür, daß der Beklagte — soweit der Sprechfunkverkehr in Frage steht — eine zutreffende Schilderung der Vorgänge gegeben hat, während die von der Klägerin behaupteten -Durchsagen des Schubverbandes von keinem der unbeteiligten Zeugen gehört worden sind, so ist jedenfalls die Feststellung gerechtfertigt, daß auch hinsichtlich der Darstellung des Unfallgeschehens in seiner Gesamtheit, den Angaben der Beatzungsangehörigen des Schubverbandes keinesfalls der Vorzug gebenüber den Aussagen des Beklagten und seines Matrosen gegeben werden kann.
Dies gilt umso mehr, als die Möglichkeit, daß der zunächst in einer — sei es auch leichten — Backbordschräglage und mit reduzierter Geschwindigkeit die Stromkrümmung durchfahrende Schubverband von der Strömung zum rechten Ufer hin abgedrängt worden ist, näher liegt, als daß der Beklagte entgegen der geltenden Verkehrsregelung linksrheinisch zu Tal gefahren ist, um dann unmittelbar vor der Begegnung mit der Bergfahrt das Ufer zu wechseln.
7. Die Versuche der Berufung, die Glaubwürdigkeit des Beklagten und die Zuverlässigkeit seiner Angaben in Frage zu stellen, sowie aufzuzeigen, daß der Unfall sich so, wie es die Besatzung von MS ,T' geschildert habe, nicht zugetragen haben könne, vermögen die Berufungskammer nicht zu überzeugen.
a) Zwar ist es richtig, daß die Fahrweise des MS ,T' nicht notwendig den Durchsagen über Kanal 10 entsprochen haben muß, dafür, daß der Beklagte bei seinen Durchsagen, insbesondere aber bei seinen wiederholten eindringlichen Aufforderungen an die Bergfahrt, nach Steuerbord zu halten, weil er sich selbst bereits in unmittelbarer Nähe der roten Tonnen befinde, einen von MS ,T' in Wirklichkeit nicht eingehaltenen Kurs vorgetäuscht hat, fehlt es jedoch an jeglichem Anhaltspunkt.
b) Entgegen der Auffassung der Klägerin vermag die Berufungskammer der vom Beklagten über Kanal 10 übermittelten Ortsangabe ,Götterswickerhamm' nicht zu entnehmen, daß er offenbar die Orientierung verloren und nicht gewußt habe, wo er sich befinde. Zwar ist es richtig, daß die Ortsangabe ,Stapp' (km 797,6) genauer gewesen wäre, indessen folgt aus der an die weiter unterhalb befindliche Bergfahrt gerichtete, im Groben zutreffenden Ortsangabe ,Götterswickerhamm' (km 800,2) nicht, daß der Beklagte sich über seinen Standort nicht im. Klaren gewesen ist.
c) Die Angaben des Beklagten, nach denen sich hinter ihm 2 Spitze befunden hätten, die bereits in Orsoy aufgedreht haben sollen, steht nicht in notwendigem Widerspruch zu den Bekundungen der Zeugen von MS ,G', denen zufolge zwei französische Spitze sich vor MS ,T' befunden und direkt vor dem Schubverband aufgedreht hätten, da die Identität der vom Beklagten und von der Besatzung des Schubverbandes genannten Fahrzeuge nicht feststeht.
d) Auch die Tatsache, daß sich zwischen den Stromkilometern 797 und 798 keine roten Tonnen befinden, stellt die Richtigkeit der Durchsage des Beklagten, er befinde sich in unmittelbarer Nähe der roten Tonnen, nicht in Frage. Insoweit wird nämlich in der Berufungserwiderung mit Recht darauf hingewiesen, daß der Beklagte, der im Zeitpunkt der Kollision die rote Tonne bei km 798 an seiner Steuerbordseite hatte, nur die von den in üblichem Abstand ausgelegten Tonnen gebildete Strichlinie gemeint haben kann.
e) Die Schlüsse, welche die Klägerin aus den Schadenbildern zieht, erscheinen — wie das Rheinschiffahrtsgericht zutreffend hervorhebt — spekulativ.
Das Schadenbild mag zwar geeignet sein, den Aufprallwinkel der kollidierten Fahrzeuge exakt festzustellen, sagt aber naturgemäß nichts darüber aus, welchen Kurs sie vor der Anfahrung eingehalten haben.
Die von der Klägerin durch Sachverständigengutachten zu Beweis gestellte Behauptung, MS ,T' wäre, wenn es sich im Unfallzeitpunkt dicht an den roten Tonnen befunden hätte, vom Schubverband auf die rechtsrheinische Uferböschung gedrückt worden und von dort nicht mehr aus eigener Kraft freigekommen, überzeugt nicht, denn MS ,T' ist nach den eigenen Angaben des Schiffsführers von MS ,G' ,nicht praktisch in der Querlage, sondern mit einer leichten Steuerbordlage' des Schubverbandes ,erwischt' worden, weil dessen Schiffsführer sein Ruder vor dem Zusammenprall nach Steuerbord gelegt hatte, wie dies auch vom Matrosen von MS ,G' bestätigt wird.
So ist es auch zu erklären, daß der Schubverband nicht ins rechte Ufer gelaufen ist und MS ,T' — wie der Matrose weiter bekundet hat, praktisch bis hinten hin' — also offenbar streifend — aufgerissen wurde.
Im übrigen ist nach den Feststellungen in der Schadentaxe ungeachtet des von dem Experten der Klägerin gemachten Vorbehalts, zumindest nicht auszuschließen, daß MS ,T' infolge der Kollision an seinem Steuerbordschiff Grundberührung erlitten hat.
f) Soweit die Klägerin aus den Schiffsbewegungen nach der Kollision, insbesondere aus der Tatsache, daß MS ,T' mit seinem Achterschiff nach Backbord herumgefallen ist, ohne sich am rechten Ufer festzufahren und ohne mit seinem Achterschiff an der Backbordseite des Schubverbandes ,entlangzufegen' folgert, daß die Kollision sich nicht rechtsrheinisch zugetragen haben kann, vermögen ihre Darlegungen ebenfalls nicht zu überzeugen. Dem Beklagten ist nicht zu widerlegen, daß er — wie er im Verklarungsverfahren bekundet hat — nach der Kollision zunächst voll zurückgeschlagen hat. Wenn er beim Herumfallen die Führung des bereits linksrheinisch liegenden Schubverbandes aufgefordert hat, vollan voranzumachen, um eine Anfahrung mit dem Achterschiff zu vermeiden, so ist dies kein schlüssiges Indiz dafür, daß MS ,T' seine Drehbewegung nicht vom rechten Ufer aus begonnen hat, sondern kann auch daran liegen, daß der Schubverband — wie der Beklagte behauptet — noch nicht vollends zwischen den am linken Ufer befindlichen Wahrschaupontons gelegen hat. Das könnte u. U. auch der Formulierung in der Aussage des Schiffsführers von MS ,G' entnommen werden, nach der er mit seinem Verband ,praktisch' zwischen die Wahrschaupontons gegangen sei.
8. Soweit die Klägerin schließlich hilfsweise unter Zugrundeleung einer Sachdarstellung des Beklagten zumindest eine Mitschuld der Führung von MS ,T' für erwiesen hält, vermag die Berufungskammer ihr ebenfalls nicht zu folgen.
Nachdem der entgegenkommende ,ziemlich breit fahrende' Schubverband in einer Entfernung von etwa 1400 m auf dem Radarschirm des Beklagten aufgetaucht war, konnte er zunächst darauf vertrauen, daß dieser der im Unfallrevier geltenden Verkehrsregelung entsprechend nach Steuerbord beigehen werden. Sobald die Lage bedrohlicher wurde, hat der Beklagte - wie es auch die unbeteiligten Zeugen bestätigt haben - im Einklang mit der Übung in der Radarfahrt - den Bergfahrer über Kanal 10 eindringlich aufgefordert, nach Steuerbord beizugehen. Daß er selbst nicht weiter nach Steuerbord beigehen konnte, ist ihm nicht zu widerlegen.
Unter diesen Umständen kann dem Beklagten weder angelastet werden, daß er bei seiner Talfahrt in unmittelbarer Nähe der Tonnenstrichlinie seine Geschwindigkeit nicht drastisch reduziert, noch das Risiko eines Anhaltens Bug zu Tal (§ 6.32 Nr. 4b RheinSchPV) auf sich genommen hat, um nicht rechtsrheinisch auf Grund zu laufen oder beim Zurückschlagen gegen den Schubverband zu verfallen.
Im übrigen ergibt die Aussage des Beklagten im Verklarungsverfahren, daß er jedenfalls in der letzten Unfallphase mit herabgesetzter Geschwindigkeit gefahren ist. Die Unterlassung der Abgabe eines Dreitonzeichens (§ 6.32 Nr. 4a RheinSchPV) hat sich vorliegend nicht unfallursächlich auswirken können, nachdem die Führung des Schubverbandes das entgegenkommende MS ,T' - wie der Matrose von MS ,G' bestätigt hat - in einer Entfernung von etwa 1100 m auf dem Radarschirm erkannt hatte und imstande war, die Bewegungen und Durchsagen des Talfahrers laufend zu verfolgen.
9. Ist nach alledem eine fehlerhafte Navigation der Führung von MS ,T' nicht erwiesen und fehlt es auch an hinreichend sicheren Anhaltspunkten für die Feststellung, daß der Beklagte ihm zumutbare und geeignete Maßnahmen zur Abwendung der Kollision schuldhaft unterlassen hat, so ist die Klage vom Rheinschiffahrtsgericht zu Recht abgewiesen worden."

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1990 - Nr.5 (Sammlung Seite 1297 ff.); ZfB 1990, 1297 ff.