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224 Z - 4/89 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 20.03.1989
Aktenzeichen: 224 Z - 4/89
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Zur Würdigung von Aussagen bei Begegnungskollisionen im Bereich der vorgeschriebenen geregelten Begegnung

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 20. März 1989

224 Z - 4/89

(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)

Zum Tatbestand:

Das bei der Klägerin versicherte Motorschiff „T" stieß auf der Talfahrt bei Götterswickerhamm mit dem entgegenkommenden Koppelverband der Beklagten, bestehend aus dem MS „G" und dem vorgespannten Leichter „E", bei nebligem Wetter und entsprechend schlechter Sicht zusammen. Jede Partei wirft der anderen vor, ihr Schiff habe seinen Kurs in den des anderen hinein verlegt und dadurch den Unfall herbeigeführt. Jede Partei behauptet weiter, ihr Schiff habe über Sprechfunk auf sich und seinen Kurs aufmerksam gemacht und sich erfolglos bemüht, dem entgegenkommendenden Schiff auszuweichen. Die Klägerin hat den auf MS „T" entstandenen Schaden ersetzt und verlangt nun Ersatz von der Beklagten, die ihren Verband nach dem Unfall auf neue Reisen geschickt hat.
Das Rheinschiffahrtsgericht sah die Aussagen der Besatzung des Schiffes der Klägerin über die Ursache des Unfalles in dem wesentlichen Punkt durch die Aussagen neutraler Zeugen bestätigt, daß sich das Schiff der Klägerin vor dem Zusammenstoß wiederholt über Sprechfunk gemeldet und das Schiff der Beklagten aufgefordert habe, Steuerbordkurs zu halten, weil man selbst mit Rücksicht auf die Fahrwasserbegrenzungstonnen nicht weiter nach Steuerbord habe ausweichen können. Dagegen habe sich das Schiff der Beklagten nicht über Sprechfunk gemeldet. Diese Bestätigung gebe den Aussagen der Besatzung des Schiffes der Klägerin über die Ursache des Unfalles so viel Gewicht, daß das Gericht sie zur Grundlage seiner Entscheidung mache.
Die Klage wurde dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Von der Berufungskammer wurde das Urteil bestätigt.

Aus den Entscheidungsgründen:

Im Einzelnen hat die Berufungskammer erwogen:

„1. Die Ereignisse, die zum umstrittenen Unfall geführt haben, sind im Verklarungsverfahren nur von Mitgliedern der Besatzungen der beteiligten Schiffe geschildert worden. Weitere Personen haben sie nicht gesehen. Die Aussagen der Besatzungsmitglieder sind miteinander unvereinbar. Jede Besatzung schildert die Ereignisse wie folgt. Das andere Schiff oder der andere Schiffsverband habe seinen Kurs in den des eigenen Schiffes bzw. Verbandes verlegt. Die Aussagen weichen nur insoweit von einander ab, als nach den Bekundungen der Besatzung von MS ,T' die Kursverlegung der Schubeinheit über einen gewissen Zeitraum hinweg erfolgt sein soll, während deren Besatzung von einer plötzlichen Kursverlegung des MS ,T' gesprochen hat. Unvereinbar sind auch die Aussagen über den Funkverkehr vor dem Unfall. Jede Einheit will sich über Sprechfunk gemeldet, ihre Position und ihren Kurs genannt haben. Auf MS ,T' hat man solche Durchsagen der Schubeinheit nicht gehört. Deren Schiffsführer hat nur gleichzeitig mit der von ihm behaupteten plötzlichen Kursänderung von MS ,T' dessen Durchsage gehört: ,Ich bin ein Talfahrer, Backbord an Backbord'.
2. In sich enthalten diesen Aussagen keine zureichenden Elemente, die es rechtfertigten, einer Gruppe von ihnen vor der andern den Vorzug zu geben.
Eine solche Folgerung kann aber aus den Aussagen einer ganzen Gruppe von Zeugen gezogen werden, die den Sprechfunkverkehr vor dem Unfall betreffen. Alle diese Zeugen sind Besatzungsmitglieder von am Unfall nicht beteiligten Schiffen. Sie sind deshalb neutral, so daß von ihnen Aussagen erwartet werden können, die objektiv und subjektiv richtig sind. Für die objektive Richtigkeit spricht insbesondere, daß die Aussagen völlig übereinstimmen, wenn man Formulierungsunterschiede außer Betracht läßt. Ihr Inhalt läßt sich wie folgt zusammenfassen. Die zu Berg fahrende Schubeinheit hat sich überhaupt nicht über Sprechfunk gemeldet. Das MS ,T' dagegen hat wiederholt darauf hingewiesen, es könne dem Bergfahrer nicht weiter nach Steuerbord ausweichen, weil es schon in der Nähe der roten Fahrwasserbegrenzungstonnen fahre. Der Bergfahrer müsse Kurs nach Steuerbord nehmen. Aus alle diese Durchsagen hat die Besatzung der Schubeinheit nicht geantwortet, obwohl sie nach den Aussagen der genannten Zeugen teilweise ,in Panik' erfolgten.
3. Sind diese Aussagen richtig, woran die Berufungskammer aus den unter Ziffer 2 dargelegten Gründen nicht zweifelt, geben sie die Ereignisse vor dem Unfall so wieder, daß dieser nur dem Bergfahrer zur Last gelegt werden kann. Es steht dann fest, daß das zu Tal fahrende MS ,T' die Fahrwasserbegrenzungstonnen des rechtsrheinischen Ufers hart anhielt, und zwar bis zur Kollision. In diesen Kurs muß die zu Berg fahrende Schubeinheit gefahren sein. Die Beklagte versucht vergebens, eine solche Schlußfolgerung durch den Hinweis darauf unmöglich zu machen, die Zeugen hätten nur die Sprechfunkdurchsagen als solche bestätigt. Sie könnten aber nicht bestätigen, daß die Angaben des Talfahrers über seinen Kurs und seine Positionen auch richtig gewesen seien, da sie die Ereignisse nicht gesehen hätten. Die Annahme, der Talfahrer habe seinen Kurs und seine Positionen über Sprechfunk bewußt falsch angegeben. wäre widersinnig, denn für sie fehlt jeder Anhalt. Hätte der Schiffsführer von MS ,T' gelogen, so hätte er sich nach den Zeugenaussagen bis zur Vortäuschung einer Panik verstellt, eine Annahme, die fernliegt. Außerdem war es der Sinn der Kursdurchsage, den Entgegenkommer zu veranlassen, seinen eigenen Kurs darauf abzustellen. Dieses Ziel wäre durch eine falsche Kursdurchsage verfehlt worden. Die Annahme, der Betroffene habe durch eine falsche Kursangabe seine von ihm vorausgesehene Schuld an einer kommenden Kollision verdecken wollen, ist so fernliegend, um nicht zu sagen unmöglich, daß sie nur zurückgewiesen werden kann. Für die weitere Ansicht der Beklagten, das Schiff der Klägerin wäre, wenn die Sprechfunkdurchsage über seinen Kurs richtig gewesen wäre, unter der Wucht des Zusammenstoßes mit seiner ganzen Länge auf die rechtsrheinische Uferböschung gedrückt worden und nicht aus eigener Kraft wieder freigekommen, spricht nichts.
4. Eine Mitschuld des Schiffes der Klägerin an dem Unfall ist nicht zu sehen. Sie liegt vor allem nicht darin, daß das Schiff seinen Kurs unverändert beibehalten hat, obschon derjenige des Bergfahrers auf ihn zuführte. Die Führung des Schiffes der Klägerin durfte bis zum letzten Augenblick darauf vertrauen, die Einheit der Beklagten werde es sehen, seine Durchsagen hören und dann ihren Kurs entsprechend korrigieren. Dieses Vertrauen verbot sogar die Verlegung des eigenen Kurses nach Backbord, da das Schiff der Klägerin auch dann in den Kurs der Einheit der Beklagten, wenn dieser wie notwendig nach Steuerbord verlegt wurde, hineingefahren wäre."

Anmerkung der Redaktion:

Zwischen Rhein-km 769,00 und Rhein-km 857,68 besteht nach § 9.02 RheinSchPV das Gebot der geregelten Begegnung. Das heißt, daß die Begegnung Backbord an Backbord zu erfolgen hatte. Mithin kann dem Urteil auch in Anbetracht der nicht ausdrücklich gewürdigten Rechtslage voll zugestimmt werden.

 

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1990 - Nr.5 (Sammlung Seite 1296 f.); ZfB 1990, 1296 f.