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Leitsätze:
1) Bestreiten der Aktivlegitimation eines Versicherers verlangt auch den Beweis, einen Kollisionsschaden nicht ausgeglichen zu haben.
2) Zu den Pflichten eines Stilliegers, der nach kurzem Aufenthalt die Talfahrt fortsetzt.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 29. Mai 1989
223 Z - 6/89
(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin ist Versicherer des MS „R", das auf der Talfahrt unterhalb der bei Rhein-km 424,45 befindlichen Konrad- Adenauer-Brücke rechtsrheinisch kopfvor beigegangen war, um den Lotsen abzusetzen. Nachdem es wieder abgelegt hatte, kam es zu einem Zusammenstoß mit dem zu Berg fahrenden MTS „E" des Beklagten zu 1, das vom Beklagten zu 2 verantwortlich geführt wurde. Es herrschte dichter Nebel, der zeitweise nur eine Sicht bis zu 200m zuließ. Beide Schiffe fuhren mit Radar. Die Klägerin behauptet, MS „R" habe nach dem Ablegen seinen Kurs so eingerichtet, daß es dem zu Berg fahrenden MTS „E" anstandslos Steuerbord an Steuerbord hätte begegnen können. MTS „E" habe aber plötzlich und ohne jeden Grund seinen Kurs nach Steuerbord verlegt und sei damit praktisch quer vor den Steven von MS „R" gelaufen. Die Beklagten haben die Aktivlegitimation der Klägerin mit Nichtwissen bestritten und vorgetragen, MTS „E" habe zum rechtsrheinischen Ufer zunächst einen Abstand von 30-40 m eingehalten und sei dann etwas auch Steuerbord abgegangen, um durch die Brücke zu fahren. Plötzlich habe der im Radarbild hei Rhein-km 425,5 festgestellte Stillieger von der Kaimauer abgelegt, ohne sein Manöver anzuzeigen. Er sei in einem immer stärker ausbrechenden Winkel, der schließlich 45° betragen habe, auf MTS „E" zugekommen. MS „R" sei dann mit seinem Steven gegen die Backbordseite von MTS „E" gestoßen und habe das MTS hart zum linksrheinischen Ufer gedrückt, bis es schließlich gegen einen Dalben an der linksrheinischen Kaimauer geraten sei. Im Zeitpunkt der Kollision habe MTS „E" eine leichte Steuerbordlage gehabt, da man im letzten Augenblick versucht habe, nach Steuerbord auszuweichen. Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Schadensersatzklage abgewiesen. Die Berufung hatte keinen Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„1. Die Tatsache, daß die Beklagten die Aktivlegitimation der Klägerin mit Nichtwissen bestritten haben, gibt der Berufungskammer keinen Anlaß, auf diesen Punkt des näheren einzugehen. Es ist üblich, daß Versicherungsgesellschaften wie die Klägerin die an bei ihr versicherten Schiffen bei Kollisionen entstandenen Schäden ausgleichen und dann die auf sie kraft Gesetzes übergegangenen Schadensersatzansprüche ihres Versicherten gegen die Schädiger geltend machen. Die Beklagten haben keine Tatsachen vorgetragen, die den Schluß nahelegen, es sei im vorliegenden Verfahren anders vorgegangen worden. Insbesondere haben die Beklagten nicht vorgetra- gen, die Klägerin habe die an dem bei ihr versicherten MS „R" bei der im vorliegenden Rechtsstreit zur Entscheidung stehenden Kollision entstandenen Schäden nicht ausgeglichen, könne also keine auf sie übergegangenen Ersatzansprüche einklagen. Bestreitender Aktivlegitimation der Klägerin mit Nichtwissen kann den dargelegten notwendigen Vortrag, der auch zu beweisen wäre, nicht ersetzen.
2. Nach Ansicht der Berufungskammer ist die umstrittene Kollision von dem MS „R" aus den folgenden Gründen schuldhaft herbeigeführt worden.
a) Es ist unstreitig, daß sich zur Zeit vor der Kollision die im Revier fahrende Berg- und Talfahrt Steuerbord an Steuerbord begegnete . . . In diese Begegnungssituation brachte das MS „R" ein neues Element als es zum rechtsrheinischen Ufer beiging, an der dort befindlichen Lotsenstation kopfvor anlegte, um seinen Lotsen von Bord zu lassen. Als es, nachdem dies geschehen war, sofort wieder ablegte, um die Talfahrt fortzusetzen, mußte es notwendigerweise in den Kurs der Bergfahrt geraten. Dieser verlief nämlich in der Nähe des rechtsrheinischen Ufers, weil eine Begegnung von Berg- und Talfahrt Steuerbord an Steuerbord einen solchen Kurs voraussetzte. Angesichts der durch das Manöver vom MS „R" entstandenen neuen Situation mußte die Möglichkeit einer Steuerbordbegegnung mit dem MTS „E" für die Führung dieses Schiffes zumindest zweifelhaft erscheinen. Sie durfte damit rechnen, daß der eigene Kurs von der Führung des MS „R" erkannt worden war, bevor dieses Schiff an der Lotsenstation anlegte. Sie durfte weiter darauf vertrauen, daß das MS „R" sein folgendes Verhalten auf diesen Kurs abstellen werde. Dazu bestand Anlaß, weil dieses Schiff durch sein geschildertes Manöver eine neue Situation herbeigeführt hatte. Hinzu kamen die schlechte Sicht und der damit verbundene Zwang zur Fahrt mit Radar. Die Führung des MS „R" konnte bei gehöriger Sorgfalt die Lage nicht anders sehen. Sie konnte nicht davon ausgehen, daß man auf MTS „E", nachdem „R" von der Lotsenstation ablegte und die Talfahrt fortsetzte, die Möglichkeit einer Begegnung Steuerbord an Steuerbord als gesichelt ansehen und einen entsprechenden Kurs fahren werde. Es war sehr naheliegend, daß man auf MTS „E" die nach der Fortsetzung der Talfahrt durch „R" entstandene Begegnungssituation anders werten und jetzt eine Backbordbegegnung für notwendig halten werde. Dabei mußte entscheidend berücksichtigt werden, daß das Kursweisungsrecht beim Bergfahrer lag. Ihm war also Gelegenheit zu geben, davon in einer Weise Gebrauch zu machen, welche die Möglichkeit einer Kollision ausschloß. Weiter war zu berücksichtigen, daß die Kurse von „R" und „E" bevor das erstere Schiff zum rechtsrheinischen Ufer beiging jede Gefahr einer Kollision ausgeschlossen hatten, und daß „R" diese Lage durch sein geschildertes Anlegen am rechtsrheinischen Ufer grundlegend geändert hatte. Hierin lag allerdings noch kein Verstoß gegen § 6.03 Nr. 3 RSchPVO, da mit dem Anlegen am rechtsrheinischen Ufer allein nicht die Gefahr eines Zusammenstoßes verbunden war. Diese Gefahr wurde aber aktuell, als „R" wieder ablegte, um seine Talfahrt fortzusetzen.
b) Angesichts der von ihm selbst geschaffenen Lage durfte MS „R", nachdem es angelegt hatte, entweder seine Talfahrt erst fortsetzen, nachdem MTS „E" vorbeigefahren war. Wollte man solange nicht warten, so waren über Sprechfunk die Absicht der Fortsetzung der Talfahrt anzukündigen, der Kurs des eigenen Schiffes bei dieser Fortsetzung anzugeben und die Reaktion des Bergfahrers auf diese Ankündigung abzuwarten. Stimmte dieser als Kursweisungsberechtigter nicht zu, so hätte die Fortsetzung der Talfahrt zu unterbleiben bis der Bergfahrer vorbeigefahren war. Genauso hatte „R" sich zu verhalten, wenn seine Ankündigung ohne Erwiderung blieb. Als das Schiff die Talfahrt nach kurzem Anlegen einfach fortsetzte, überraschte es die Führung von MTS „E" und ließ ihr keine ausreichende Zeit, auf die neue Lage zweckmäßig zu reagieren. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob eine Begegnung beider Schiffe Steuerbord an Steuerbord auch jetzt noch möglich gewesen wäre. Es ist sehr verständlich, daß man auf „E" eine solche Möglichkeit bei der Fortsetzung des eigenen Kurses nicht sah, sondern glaubte, nach Steuerbord gehen zu müssen, um eine Backbordbegegnung durchführen zu können. Erneut ist hier darauf hinzuweisen, daß „E" das Kursweisungsrecht hatte und dieses Recht auch in der Form ausüben konnte, daß es den eigenen Kurs nach Steuerbord vorlegte, um Raum für eine Backbordbegegnung zu schaffen, wenn eine Kurs- absprache aus zeitlichen Gründen nicht mehr möglich war. Der Führung von MS „R" ist vorzuwerfen, das Kursweisungsrecht dadurch an sich gerissen zu haben, daß sie die Talfahrt nach dem Anlegen einfach fortsetzte und so den Bergfahrer zwang, den eigenen Kurs demjenigen der Talfahrt anzupassen, wobei dies auch noch aus einer Überraschung sowie in Eile zu geschehen hatte und schließlich noch bei schlechter Sicht, Elemente, die selbst eine falsche Beurteilung der Lage durch den Bergfahrer entschuldigen würden. Weiter ist der Führung von „R" vorzuwerfen mit der geschilderten Fortsetzung der Talfahrt gegen § 6.03 Nr. 3 RSchPVO verstoßen zu haben, da jetzt der eigene Kurs gegenüber demjenigen vor dem Anlegen an der Lotsenstation so verändert worden war, daß er die Gefahr eines Zusammenstoßes herbeiführen konnte.
...."
Anmerkung der Redaktion:
Würde auch oberhalb Rhein-km 428,20 das Gebot der geregelten Begegnung Backbord an Backbord gelten, wäre es wohl kaum zu der Kollision gekommen.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1990 - Nr.1/2 (Sammlung Seite 1304 f.); ZfB 1990, 1304 f.