Rechtsprechungsdatenbank

215 B - 1/88 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 09.05.1988
Aktenzeichen: 215 B - 1/88
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Entschuldigungsgründe bei verspäteter Einreichung der Berufungsbegründung im Rheinschiffahrtsgerichtsverfahren. Zum Nachweis strafrechtlichen Verschuldens hinsichtlich Geschwindigkeit und seitlichen Abstandes bei Vorbeifahrt an stilliegenden Schiffen.

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 9. Mai 1988

215 B - 1/88

(Rheinschiffahrtsgericht Kehl)

Zum Tatbestand:

Dem Betroffenen wird vorgeworfen, während der Ausfahrt des von ihm geführten MS „N" aus der Schleuse Iffezheim den Riss des achteren Beidrahtes eines im Unterwasser stilliegenden Koppelverbandes „W 19/W 17" durch zu große Geschwindigkeit bei der Vorbeifahrt in seitlichem Abstand von 15 m verursacht zu haben. Auf seinen Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid über 150,— DM hatte das Rheinschiffahrtsgericht eine Geldbuße von 100,— DM festgesetzt. Auf Berufung des Betroffenen, der behauptet, die zur sicheren Steuerung seines Schiffes erforderliche Mindestgeschwindigkeit eingehalten und bei diesem Verhalten unmöglich den Riß des Drahtes verursacht zu haben, hat die Berufungskammer auf Freispruch erkannt.

Aus den Entscheidungsgründen:
„...
1. Zu den Formalitäten der Berufung. Hier ist festzustellen, daß die gemäß Artikel 37 Absatz 3 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte einzuhaltende Berufungsbegründungsfrist von 30 Tagen ab Anmeldung der Berufung nicht gewahrt ist. Die Berufungsschrift ist am 7.10. 1987 rechtzeitig bei Gericht eingegangen, die Berufungsbegründungsschrift dagegen erst am 16. 11. 1987, also später als 30 Tage nach dem 7.10. 1987. Entschuldigungsgründe hat der Betroffene nicht vorgetragen. Sie gehen aber aus den Akten hervor. Der Verteidiger des Betroffenen hat in der Berufungsschrift darum gebeten, ihm die Akten zur Einsichtname zu übersenden. Die Übersendung erfolgte unter dem 4. 11. 1987. Erst nach diesem Zeitpunkt war dem Verteidiger des Betroffenen, der ihn vor dem Rheinschiffahrtsgericht nicht vertreten hatte, die Anfertigung der Berufungsbegründungsschrift möglich, da sie die Kenntnis des Akteninhaltes voraussetzt. Unter diesen Umständen konnte die Berufungsbegründung nicht bis zum 7. 11. 1987 bei Gericht eingehen. Der verspätete Eingang ist also entschuldigt.
2. Die Berufungskammer stellt fest, daß einiges dafür spricht, daß der Betroffene die ihm angelastete Ordnungswidrigkeit begangen hat. Dafür spricht entgegen der Ansicht des Betroffenen der Drahtbruch während seiner Vorbeifahrt am Stilliegen Entscheidend ist ,d abei, daß ein nach achtern stehender Draht des stilliegenden Koppelverbandes gerissen ist. Dieser wird nämlich bei einer Vorbeifahrt sofort einer Belastung ausgesetzt, weil die Bugwelle des vorbeifahrenden Schiffes den Stillieger nach vorne und zur Seite schiebt und dadurch einen nach achtern stehenden Draht spannt. Erfolgt die Vorbeifahrt mit zu hoher Geschwindigkeit oder in zu geringem seitlichen Abstande — so kann die Spannung so stark werden, daß der Draht reißt, und zwar notwendigerweise während der Vorbeifahrt. Weiter spricht für die Schuld des Betroffenen die Tatsache, daß der gebrochene Draht nach den Feststellungen der Wasserschutzpolizei „relativ neu" war. Der Bruch kann also nicht auf dem schlechten Zustande des Drahtes beruhen.
Auf der anderen Seite steht aber nicht fest, ob die von dem Betroffenen gefahrene Geschwindigkeit zu hoch war. Der Betroffene und der Lotse seines Schiffes behaupten, langsam gefahren zu sein. Der Schiffsführer des Stilliegers spricht von „hoher Fahrstufe" des vorbeifahrenden Schiffes. Eine sichere Feststellung ist nicht möglich. Der Seitenabstand während der Vorbeifahrt wird mit etwa 15 m angegeben. Das erscheint ausreichend. Genaue Feststellungen über die Art der Befestigung des stilliegenden Schiffes sind nicht getroffen worden. Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, daß die Ursache des Drahtbruches in der Befestigung lag.
Bei einer Gesamtschau halten sich die für und die gegen den Betroffenen sprechenden Umstände die Waage. Es ist deshalb zweifelhaft, ob er die ihm vorgeworfene Ordnungswidrigkeit begangen hat. Dieser Zweifel gebietet den Freispruch des Betroffenen, den auch der Vertreter der Anklagebehörde beantragt hat.
...“

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1990 - Nr.1 (Sammlung Seite 1277 f.); ZfB 1990, 1277 f.