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Leitsatz:
In einem Strafurteil, dem eine einheitliche Tat mit der Anschuldigung einer Transportgefährdung und einer Zuwiderhandlung gegen Vorschriften der Rheinschifffahrtpolizeiverordnung zugrunde liegt, müssen alle tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte gleichzeitig untersucht und beurteilt werden. Die Beurteilung der polizeirechtlichen Zuwiderhandlung kann nicht einer besonderen oder späteren Entscheidung eines anderen Gerichts vorbehalten bleiben.
Beschluß des Bundesgerichtshofes
vom 15. Mai 1963
2 ARs 66/63
Zum Sachverhalt:
Ein Schiffsführer war wegen Transportgefährdung in Tateinheit mit Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften der Rheinschiffahrtpolizeiverordnung vor dem Schöffengericht in Wiesbaden angeklagt. In der Hauptverhandlung wurde das Verfahren wegen der Transportgefährdung durch Beschlug eingestellt und hinsichtlich etwaiger Zuwiderhandlungen gegen die Rheinschifffahrtpolizeiverordnung zwecks weiterer Verhandlung und Entscheidung an das Rheinschiffahrtsgericht in St. Goar abgegeben. Da letzteres Gericht die Übernahme ablehnte, da das zunächst befragte Gericht den Sachverhalt nach allen rechtlichen Gesichtspunkten, auch bezüglich der Zuwiderhandlungen gegen die Rheinschiffahrtpolizeiverordnung, prüfen müsse, ist der Bundesgerichtshof zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit angerufen worden.
Aus den Gründen:
In dem Beschlug wird zunächst festgestellt, dag die Vorlage des Kompetenzkonfliktes zulässig sei, weil die Vorschriften für den örtlichen Kompetenzkonflikt (§§ 14, 19 StPO) auf den Fall eines negativen sachlichen Konfliktes entsprechend anwendbar seien. Dennoch sei für eine Entscheidung kein Raum, da in Wirklichkeit kein Kompetenzkonflikt vorliege.
Hierzu wird ausgeführt:
Das Schöffengericht Wiesbaden hat seine in öffentlicher Verhandlung verkündete Entscheidung zwar als Beschlug bezeichnet; tatsächlich ist sie jedoch als Urteil anzusehen, weil sich der Sinn einer gerichtlichen Entscheidung nicht nach ihrer Bezeichnung, sondern nach ihrem sachlichen Inhalt bestimmt.
Das Schöffengericht hat die Hauptverhandlung durchgeführt und nach eingehender Beweisaufnahme und Beweiswürdigung ausgesprochen, daß die Feststellungen eine Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger Transportgefährdung nicht rechtfertigen, ihn also dieses Vergehens durch eine seiner Ansicht nach abschließende Entscheidung für nicht schuldig befunden. Auch in der Verweisung des weiteren Verfahrens an das Rheinschiffahrtsgericht St. Goar zur Prüfung, ob der Angeklagte Zuwiderhandlungen gegen die Rheinschiffahrtspolizeiverordnung begangen habe, kommt deutlich zum Ausdruck, daß das Schöffengericht das Verfahren über das Vergehen der Transportgefährdung und den Prozeß bei sich für beendet erklärt hat. Hieraus ergibt sich, daß die Entscheidung des Schöffengerichts der Sache nach kein Beschlug, sondern ein Urteil ist, und zwar ein freisprechendes Urteil, weil für eine Einstellung jeder sachliche Grund fehlte. Gegen die lediglich unrichtig bezeichnete, in Wahrheit ein Urteil darstellende Entscheidung hätte daher die Staatsanwaltschaft Berufung oder Revision einlegen müssen, falls sie eine Prüfung der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat in vollem Umfange erreichen wollte, also auch hinsichtlich des Vorwurfs, er habe sich gegen die Rheinschiffahrtspolizeiverordnung verfehlt; denn wie im neueren Schrifttum und in der Rechtsprechung anerkannt ist, kommt es für die Wahl des Rechtsmittels nicht auf die äußere Form, sondern auf den sachlichen Gehalt der Entscheidung an (Eb. Schmidt Lehrk S. 847; KM 4. Auf 1.Vorbem. 11 zu § 296 StPO; Löwe-R 21.Auf1. Vorbem. zu § 33 StPO Anm. 3 b; RGSt 63, 246; 65, 397; BGHSt 8, 383).
Da die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel eingelegt hat, ist die Entscheidung rechtskräftig geworden. Dies hat zur Folge, daß jeder weiteren Verfolgung und Aburteilung, auch hinsichtlich etwaiger Zuwiderhandlungen gegen die Rheinschiffahrtspolizeiverordnung, der Einwand der rechtskräftig entschiedenen Sache entgegensteht.
Das Schöffengericht hat unter Verkennung der Bedeutung des § 264 StPO über die einheitliche Tat rechtlich fehlerhaft nur in einer tatsächlichen Richtung und nach einem rechtlichen Gesichtspunkt durch Urteil" entschieden und gleichzeitig die Erledigung im übrigen einem späteren Verfahren vorbehalten. Ein derartiger Vorbehalt ist unzulässig und unwirksam. Das Urteil hat daher, da es unangefochten blieb, Rechtskraft erlangt mit der Wirkung, daß die Strafklage verbraucht und jedes weitere Verfahren gegen den Angeklagten hinsichtlich der ihm vorgeworfenen Tat ausgeschlossen ist (Eb. Schmidt Lehrk. S. 739; RGSt 15, 133; 61, 225)."