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17 Z - 3/73 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 14.06.1973
Aktenzeichen: 17 Z - 3/73
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

Zur schuldhaften Nichtbeachtung von Begegnungsregeln, wie z.B. Beachtung der Kursweisung des Bergfahrers durch den Talfahrer und Verpflichtung des Bergfahrers, bei der Kursweisung dem Talfahrer einen geeigneten Weg frei zu lassen.

Berufungskammer der Zentrallkommission

Urteil

vom 14. Juni 1973

Zum Tatbestand:

An einem Januartage gegen 21.30 Uhr stieß der der Klägerin gehörende backbords angekoppelte leere Leichter L des zu Tal fahrenden, ebenfalls der Klägerin gehörenden, leeren Schubmotorschiffes H einige hundert Meter oberhalb der Baerler Brücke bei guter Sicht mit dem zu Berg kommenden, beladenen und der Beklagten zu 1 gehörenden, vom Beklagten zu 2 geführten Kümo M zusammen, wobei beide Fahrzeuge nicht unerheblich beschädigt wurden. Vor der Begegnung dieser Fahrzeuge war das Revier wie folgt belegt: Im Brückenbereich bewegte sich im linken Fahrwasser bergwärts der Schleppzug F mit Kahn He. Dieser Schleppzug wurde auf seiner Backbordseite von dem Kümo M überholt. Oberhalb des F-Schleppzuges fuhr ebenfalls auf der linken Fahrwasserseite das Schubboot B mit einem Leichter zu Berg und vor diesem Schubverband, aber an der rechten Fahrwassergrenze, ein einzelnes Motorschiff bergwärts. Vor dem zu Tal kommenden Schubverband der Klägerin fuhr ein einzelnes Schubboot zu Tal, das noch oberhalb des zu Berg kommenden B-Schubverbandes über Backbord aufdrehte. Schubverband H begegnete dem rechtsrheinisch zu Berg kommenden einzelnen Motorschiff Steuerbord an Steuerbord, wobei auf beiden Fahrzeugen das Funkellicht eingeschaltet war. Die Parteien streiten vor allem über den Kurs ihrer Schiffe und über den Zeitpunkt, in welchem auf KMS M das Funkellicht eingeschaltet worden ist. Die Klägerin verlangt Ersatz des Schadens in Höhe von rd. 12000,- DM. Das Rheinschiffahrtsgericht hat der Klage in Höhe von zwei Fünftel dem Grunde nach stattgegeben. Beide Parteien haben Berufung eingelegt, wobei die Beklagten sich bereit erklärt haben, ein Mitverschulden von einem Viertel anzuerkennen. Die Berufungskammer der Rheinzentralkommission hat den Klageanspruch unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils zur Hälfte für gerechtfertigt erklärt.

Aus den Entscheidungsgründen:

„...

1. In Übereinstimmung mit dem erstinstanzlichen Rheinschifffahrtsgericht sieht es auch die Berufungskammer aufgrund der Aussagen der völlig unbeteiligten Zeugen 0. von SB B und B. von SK He als erwiesen an, dass KMS M die Baerler Brücke durch die linksrheinische Brückenöffnung, und zwar in deren Mitte passierte, danach allmählich etwas nach backbord abging, ohne aber seinen Kurs wesentlich zu ändern, bis es einige hundert Meter oberhalb der Brücke etwa in Strommitte zur Kollision mit dem talfahrenden Schubverband des MS H kam. Mit diesem aufgrund neutraler Zeugenaussagen festgestellten Kurs bewegte sich das KMS M immer etwa in der Mitte des Fahrwassers, das im Bereich der Baerler Brücke linksrheinisch verläuft und sich oberhalb dieser soweit nach rechtsrheinisch ausweitet, dass sich schon ca. 500 m oberhalb der Brücke Strommitte und Fahrwassermitte decken. Für die Beurteilung des Kursverhaltens des bergfahrenden KMS M erscheint die ausdrückliche Bekundung des als Zeugen gehörten Schiffsführers 0. des Schubbootes B von wesentlicher Bedeutung, daß KMS M zwar oberhalb der Brücke etwas Backbordkurs genommen habe, jedoch nicht so weit, wie es nach rechtsrheinisch hin hätte beigehen können. Auch der Zeugenerklärung des Maschinisten M. von KMS M kann entnommen werden, daß dieses Schiff nicht über die Strommitte nach rechtsrheinisch hinauskam.
...
Andererseits fanden die Angaben der Schiffsführer N. und H. von MS H, dass KMS M hart linksrheinisch zu Berg gekommen sei, in den Aussagen der unbeteiligten Zeugen keine Bestätigung, ebensowenig wie ihre Bekundung, das KMS M habe bei dichterer Annäherung jeweils unter Ein- und Ausschalten des Funkellichtes mehrfach seinen Kurs geändert. Ein solch unverständliches und gegenüber dem Üblichen auffälliges Kursverhalten hätte dem unbeteiligten Zeugen B. von SK He, der das KMS M nach dessen Überholung ständig in seinem Gesichtsfeld hatte, auch dann auffallen müssen, wenn er auf den Bergfahrer nicht mehr näher geachtet hat. Zumindest hat er den Vorgängen weiter oberhalb doch noch soviel Aufmerksamkeit geschenkt, daß er angeben konnte, das KMS M sei die ganze Zeit über weiterhin Mitte Fahrwasser gefahren.

2. Bezüglich des Zeitpunktes, in dem auf KMS M zur Kursweisung das Funkellicht eingeschaltet worden ist, gehen die Aussagen der Zeugen nicht unerheblich auseinander. Während die Besatzungsmitglieder des KMS M angaben, dass auf ihrem Schiff sofort bei Insichtkommen des talfahrenden Schubverbandes auf eine Entfernung von ca. 1000 m das Funkellicht eingeschaltet worden sei, bekundeten die beiden Schiffsführer des MS H eine wesentlich kürzere Entfernung für den Beginn des Funkellichtes auf KMS M. Beide sprachen von einer Distanz von 400 m, wobei der Schiffsführer N. die Möglichkeit einräumte, dass der Abstand bei Einschalten des Funkellichtes auf KMS M auch 50 bis 100 m größer, also insgesamt 450 m bis 500 m, gewesen sein könne. Da keiner der beiden Zeugengruppen eine größere Glaubwürdigkeit beigelegt werden kann, andererseits über die Entfernung zwischen Berg und Talfahrt bei Beginn des Funkellichtes keine Aussage unbeteiligter Dritter vorliegen, kann nur festgestellt werden, dass auf eine Distanz von 400 bis 500 m auf dem KMS M Funkellicht gegeben wurde, während für die davorliegende Zeitspanne offen bleiben muß, ob das Funkellicht auf KMS M schon eingeschaltet war.

3. Diese in der Beweisaufnahme festgestellte Mindestentfernung zwischen Berg- und Talfahrt von 400 bis 500 m bei Einschalten des Funkellichtes kann, wie das erstinstanzliche Gericht zutreffend ausführte, als zwar späte, aber gerade noch rechtzeitige Ausübung des Kursweisungsrechts nach § 38 Absatz 3 RhSchPVO 1954 angesehen werden mit der Folge, dass der talfahrende Schubverband des MS H nach § 39 Absatz 1 RhSchPVO verpflichtet war, dem zu Berg kommenden KMS M steuerbord über steuerbord zu begegnen und dementsprechend seinen Kurs nach Backbord zu richten. Dass es trotz dieser in noch ausreichender Entfernung gegebenen Kursweisung des Bergfahrers und obwohl für den Talfahrer nach linksrheinisch Raum zur Verfügung stand, in Strommitte zur Kollision kam, wobei sogar noch nicht einmal das MS H selbst, sondern der auf seiner Backbordseite angekoppelte Leichter gegen den Bergfahrer anstieß, läßt mit Deutlichkeit erkennen, dass auf dem Talfahrer die Kursweisung nicht genügend befolgt und nicht sofort und nachhaltig Backbordkurs genommen wurde.
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Andererseits war die Führung des KMS M sowohl unter dem Gesichtspunkt der ihr nach § 4 RhSchPVO aufgegebenen allgemeinen Sorgfaltspflicht wie auch entsprechend ihrer Obliegenheit gemäß § 38 Absatz 1 RhSchPVO, bei der Kursweisung dem Talfahrer unter Berücksichtigung der gegebenen Umstände einen geeigneten Weg frei zu lassen verpflichtet, schneller und weiter über die Strommitte hinaus nach backbord an die rechte Fahrwassergrenze zu gehen. Daß dies sowohl angesichts des Tiefganges des KMS M wie bei dem Pegelstand am Unfalltage möglich gewesen wäre, hat das erstinstanzliche Gericht bereits dargelegt. Zu dieser Kurskorrektur weiter nach backbord war die Führung des KMS M um so mehr verpflichtet, als an den Topplichtern der Talfahrt erkennbar war, dass ihr ein Schubverband entgegenkam, dem zur Vermeidung von Schwierigkeiten ein möglichst breiter Begegnungsraum eingeräumt werden musste.

4. Ein Verstoß gegen die Bestimmung des § 37 Absatz 2 RhSchPVO liegt von seiten der Führung des KMS M, wie das Rheinschiffahrtsgericht in seinem Urteil zutreffend ausführte, nicht vor. Nach dieser Vorschrift dürfen Fahrzeuge, deren Kurse jede Gefahr eines Zusammenstoßes ausschließen, ihren Kurs nicht in einer Weise ändern, die die Gefahr eines Zusammenstoßes herbeiführen könnte. Die ursprünglichen Annäherungskurse des KMS M wie auch des Schubverbandes H, die bedingt durch die vorgängige Überholung des KMS M (gegenüber dem F-Schleppzug) einerseits und die Begegnungen des Schubverbandes H (mit rechtsrheinischem Einzelfahrer und linksrheinischem B-Schubverband) anderseits, in das mittlere Fahrwasserdrittel orientiert waren, können aber keineswegs als Kurse bezeichnet werden, die jede Gefahr eines Zusammenstoßes ausschlossen.
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5. Auch die Meinung der Partei des MS H, die Führung des KMS M habe gegen das Kursänderungsverbot des § 37 Abs. 3 RhSchPVO verstoßen und dadurch in erster Linie den Unfall verursacht, geht fehl. Nach § 37 Abs. 3 RhSchPVO dürfen Fahrzeuge ihren Kurs nicht mehr ändern, nachdem dieser gemäß §§ 38 ff RhSchPVO festgelegt ist. Die Partei des MS H will darin, dass das weisungsberechtigte KMS M bis auf eine Entfernung von 400 m vor der Talfahrt noch kein Funkellicht in Tätigkeit gesetzt gehabt habe, eine Festlegung des Kurses für eine Backbordbegegnung erblicken, die der Bergfahrer durch späteres Einschalten des Funkellichtes und Abgehen nach Backbord nicht mehr habe ändern dürfen. Nach Meinung der Berufungskammer tritt eine solche endgültige und unabänderliche Kursbindung im Sinne des § 37 Abs. 3 RhSchPVO für Backbordbegegnungen, die im Gegensatz zu Steuerbordbegegnungen ohne irgendwelche Zeichenangabe (Seitenflagge oder Funkellicht) erfolgen, aber erst dann ein, wenn diejenige Entfernung zwischen beiden Schiffen unterschritten wird, in der der kursweisungsberechtigte Bergfahrer noch rechtzeitig im Sinne des § 38 Abs. 3 RhSchPVO eine Steuerbordbegegnung verlangen darf. Wie oben bereits dargelegt wurde, hält die Berufungskammer in Übereinstimmung mit dem erstinstanzlichen Gericht den in der Beweisaufnahme festgestellten Mindestabstand von 400 bis 500 m bei Beginn des Funkellichtes des KMS M als für die gegebene Lage beider Fahrzeuge (Annäherung im mittleren Stromdrittel) noch ausreichend. Im übrigen darf nicht außer Betracht bleiben, daß in der Beweisaufnahme ungeklärt geblieben ist, ob nicht von KMS M schon auf eine größere Entfernung als 400 bis 500 m mit dem Funkellicht begonnen wurde.

6. Abschließend ist noch festzustellen, dass der Führung des KMS M, wie von dieser Partei selbst eingeräumt wird, das Unterlassen eines akustischen Kurssignals nach § 38 Absatz 4 RhSchPVO zur Last fällt. Durch Abgabe eines solchen Backbordkurssignals hätte sie die offenbar bestehenden Unklarheiten bei der Führung des MS H über die Begegnungskurse ausräumen und diese zu rechtzeitigem Backbordkurs veranlassen können, wodurch die Kollision zu vermeiden gewesen wäre. In Abweichung von dem erstinstanzlichen Urteil hält dagegen die Berufungskammer das Unterlassen eines Achtungssignals durch MS H nicht für unfallursächlich, da nicht ersichtlich ist, in welcher Weise und mit welchem Erfolg ein solches Signal des Talfahrers das Verhalten der Führung des KMS M hätte beeinflussen können.
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7. Nachdem beiderseits schuldhaftes Verhalten der Schiffsführer vorliegt, und zwar auf Seiten der Führung des Schubverbandes des MS H Nichtbeachten der Kursweisung des Bergfahrers (§ 39 RhSchPVO), seiten der Führung des KMS M nicht genügendes Beigehen zur rechten Fahrwassergrenze (§§ 4, 38 Absatz 1 RhSchPVO) und Unterlassen eines Kurssignals (§ 38 Absatz 4 RhSchPVO), bestimmt sich die Haftung der Schiffseigner gemäß §§ 92 Binnenschiffahrtsgesetz, 736, 738 Handelsgesetzbuch nach der Schwere des auf jeder Seite obwaltenden Verschuldens. In gleicher Weise bemißt sich auch die Haftung der mitbeklagten Schiffsführer (§§ 823, 254 Bürgerliches Gesetzbuch). Unter Abwägung aller Umstände hält die Berufungskammer in Abweichung von der erstinstanzlichen Entscheidung das Verschulden beider Schiffsführer für gleich schwer.
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Auch wenn man ein gewisses Überwiegen des Verschuldens des Talfahrers infolge der Nichtbefolgung einer Kursweisung annimmt, so wird dies durch das Unterlassen eines akustischen Kurssignals durch die Führung des KMS M kompensiert.
...“