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169 B - 8/84 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 22.11.1984
Aktenzeichen: 169 B - 8/84
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

Urteil

vom 22. November 1984

(Auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts St. Goar vom 6. Juli 1983 - 109 Js (a) 62033/82-4 OW BSchRh -)

In der Bußgeldsache

Tatbestand:

Gegen den Betroffenen, der am 5. Juli 1982 mit dem von ihm verantwortlich geführten Motorgüterschiff "J" (Heimatort: Nijmegen) bei Trechtingshausen (Rhein-km 536,00) den Rhein befuhr, wurde durch Bußgeldbescheid der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Mainz am 13.7.1982 eine Geldbusse von DM 150,- verhängt, weil die Besatzung seines Schiffes wegen Fehlens eines Matrosen nicht vollständig gewesen sei. Die an Bord anwesende Ehefrau des Schiffsführers haben in die Besatzung nicht eingerechnet werden können, da sie zwei an Bord befindliche Kinder im Alter von vier und sechs Jahren zu versorgen gehabt habe.
 
Gegen diesen Bußgeldbescheid legte der Betroffene fristgerecht Einspruch ein mit der Begründung, die Besatzung seines Schiffes sei vollständig gewesen, da die beiden Kinder nur vorübergehend während der Ferienzeit an Bord gewesen seien und somit seine Ehefrau diese nicht ständig habe betreuen müssen.
Nach mündlicher Verhandlung am 6.7.1983, die trotz ordnungsgemäßer Ladung in Abwesenheit des Betroffenen stattfand, verhängte das Rheinschifffahrtsgericht St. Goar gegen den Betroffenen wegen Führens eines unvorschriftsmäßig bemannten Fahrzeugs eine Geldbusse von DM 150,- und legte ihm die Kosten des Verfahrens auf.

In der Begründung seines Urteils führte das Rheinschifffahrtsgericht aus, dass die Ehefrau des Betroffenen wegen der an Bord anwesenden beiden Kinder im Alter von vier und sechs Jahren die Funktion eines Matrosen nicht habe ausüben können, so dass das Fahrzeug nicht vollständig besetzt gewesen sei.
Dieses Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts wurde dem Betroffenen durch die Wasserschutzpolizei Heilbronn am 10.8.1983 zugestellt. Dem Urteil war folgende Rechtsmittelbelehrung beigefügt:
"Da es sich hier um eine Rheinschifffahrtssache handelt, steht Ihnen als weiteres Rechtsmittel die Berufung an die Zentralkommission für die Rheinschifffahrt in Strassburg zu.
Nach Artikel 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte muss in diesem Fall innerhalb von 30 Tagen nach Zustellung des Urteils die Berufung bei dem hiesigen Rheinschifffahrtsgericht angemeldet werden mit dem ausdrücklichen Bemerken, dass die Entscheidung der Zentralkommission verlangt werde. Innerhalb von vier Wochen nach erfolgter Anmeldung ist die Berufung schriftlich bei dem Rheinschifffahrtsgericht zu begründen.
Es wird darauf hingewiesen, dass die Fristen nur gewahrt sind, wenn die betreffenden Schriftstücke innerhalb der Fristen bei dem Rheinschifffahrtsgericht eingegangen sind. Aufgabe  zur Post genügt nicht zur Fristbewahrung."
Unter dem Datum des 14.8.1983 richtete der Betroffene ein Schreiben an die Zentralkommission für die Rheinschifffahrt in Strassburg, das dort am 23.8.1983 eintraf. In diesem Schreiben erklärte er, "dass er gegen dieses Urteil in Berufung gehe" und begründete im Weiteren auch zugleich seine Berufung.
Da der Betroffene in seinem Berufungsschreiben nur die Aktennummer der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Mainz (OWi Nr. 922/82) angab, nicht aber das Gericht bezeichnete, gegen dessen Urteil er Berufung einlegte, konnte die Kanzlei der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt sein Schreiben nicht unterbringen und übersandte es deshalb an das Rheinschifffahrtsgericht in Mannheim, offenbar weil das Berufungsschreiben des Betroffenen in Mannheim datiert war. Beim Rheinschifffahrtsgericht in Mannheim ging dieses Schreiben am 10.9.1983 ein und wurde von dort -offenbar nach Zwischenermittlungen- am 12.9.1983 an das zuständige Rheinschifffahrtsgericht St. Goar weitergeleitet, wo es ausweislich des Eingangsstempels am 14.9.1983 eintraf. Mit Beschluss vom 8.12.1983 hat das Rheinschifffahrtsgericht St. Goar das Rechtsmittel des Betroffenen als unzulässig verworfen, da es verspätet beim Rheinschifffahrtsgericht eingekommen ist.
Gegen diesen Beschluss des Rheinschifffahrtsgerichts St. Goar, der dem Betroffenen am 15.2.1984 durch die Wasserschutzpolizei Würzburg zugestellt wurde, legte im Auftrag und in Vollmacht des Betroffenen dessen Rechtsschutzversicherung ("Het Anker") in Groningen mit Schreiben vom 15.2.1984, das bei dem Amtsgericht St. Goar am 17.2.1984 eintraf, vorsorglich Einspruch ein. Nach Akteneinsicht durch die von dem Betroffenen bevollmächtigten Verteidiger stellten diese mit Schriftsatz vom 27.2.1984 Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist und wiederholten die vom Betroffenen bereits selbst eingelegte Berufung unter gleichzeitiger Begründung des Wiedereinsetzungsantrags und der Berufung. Zur. Begründung des Wiedereinsetzungsantrags wurde vorgebracht, dass der Betroffene die deutsche Sprache nicht beherrsche und allein den ersten Absatz der Rechtsmittelbelehrung habe verstehen können, nicht aber die weiteren Belehrungen über die Art und Weise der Berufungseinlegung.

Entscheidungsgründe:

I.

Obwohl die Berufungsschrift des Betroffenen fristgerecht bei der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt in Strassburg eingegangen ist, kann sie nicht als ordnungsgemäße Berufungseinlegung i. S. des Artikels 37 ff. der Revidierten Rheinschifffahrtsakte angesehen werden, denn die Anmeldung der Berufung hätte innerhalb der Berufungsfrist bei dem erstinstanzlichen Gericht -hier also bei dem Rheinschifffahrtsgericht St. Goar- erfolgen müssen. Da der betroffene Schiffsführer aber erkennbar die deutsche Sprache nicht beherrscht, sieht die Berufungskammer sein Vorbringen als glaubhaft an, dass er den ersten Absatz der dem Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrung dahin verstanden habe, dass er die Berufung auch unmittelbar an die Zentralkommission für die Rheinschifffahrt in Strassburg richten könne. Wenn der Betroffene die weiteren Hinweise über die Berufungseinlegung in Absatz 2 der Rechtsmittelbelehrung nicht richtig und vollständig verstanden hat, so kann ihm dies nicht als Verschulden zugerechnet werden, da es bei dem internationalen Verkehr auf dem Rhein eine Überspannung der Anforderungen an den einzelnen Schiffsführer darstellen würde, wenn man von ihm verlangte, dass er für eine genaue Übersetzung Sorge tragen müsse. Im übrigen ist zu vermerken, dass die Rechtsmittelbelehrung, die das Rheinschifffahrtsgericht St. Goar seinem Urteil beigefügt hat, in ihrem Absatz 2 auf eine unrichtige Gesetzesbestimmung, nämlich auf Artikel 39 und nicht richtigerweise auf Artikel 37 der Mannheimer Akte, Bezug nimmt. Die Berufungskammer ist der Auffassung, dass den Betroffenen, bei der Einlegung seiner Berufung, kein Verschulden an der Nichteinhaltung  der Formalien des Artikels 37 der Mannheimer Akte trifft. Die eingelegte Berufung ist somit als fristgerecht und zulässig zu behandeln.

II.

Auch in der Sache hat die von dem betroffenen Schiffsführer eingelegte Berufung Erfolg, denn er hat von Anfang an unwiderlegt vorgebracht, dass seine beiden Kinder im Alter von vier und sechs Jahren sich nur vorübergehend während der Ferienzeit an Bord befanden. Nach § 14.01 Ziffer 5 der Rheinschiffs-Untersuchungsordnung (RhSchUO) darf eine Person aber nur dann nicht Mitglied der Besatzung des Schiffes sein, wenn ihr die Betreuung ständig an Bord lebender Kinder unter zehn Jahren obliegt.
Nach Auffassung der Berufungskammer sind die Kinder aber erst dann als ständig an Bord lebend anzusehen, wenn sie sich hier dauernd und nicht vorübergehend während einer Ferienzeit aufhalten. Nur unter diesen Voraussetzungen kann von einem Schiffsführer verlangt werden, dass er eine längerfristige Ergänzung der Besatzung vornimmt. Da somit die Ausnahmebestimmung des § 14.01 Ziffer 5 RhSchUO nicht zutrifft, konnte die Ehefrau des Betroffenen in die Besatzung eingerechnet werden, so dass die Besatzung des MS "J" vollzählig war. Eine Zuwiderhandlung gegen die Bestimmung der RhSchUO lag somit nicht vor.

Es war deshalb für Recht zu erkennen:

Auf die Berufung des Betroffenen wird das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts St. Goar vom 6.7.1983 aufgehoben.

Der Betroffene wird freigesprochen.

Er hat keine Verfahrenskosten zu tragen.

Die Festsetzung der ihm zu erstattenden notwendigen Auslagen gemäß Artikel 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht St. Goar.

Der Stellvertretende Gerichtskanzler:              Der Vorsitzende:

(gez.) A. Bour                                                   (gez.) Stückelberger