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Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 22. November 1984
(Auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts St.Goar vom 11. Januar 1984 - 4 C 1/83 BSchRh-)
Tatbestand:
Ein Koppelverband, der aus dem Motorschiff "GK" und dem hinter ihm hängenden Leichter "S" bestand, soll am 30.1.1982 abends gegen 19 Uhr eine bei Stromkilometer 562,6 ausgelegte schwarze Fahrwasserbegrenzungstonne abgefahren und so schwer beschädigt haben, dass sie unbrauchbar wurde. Dadurch soll der Klägerin, der Eigentümerin der Tonne, ein Schaden in Höhe von DM 1.570,88 entstanden sein.
Die Beklagte, die Eignerin der den Koppelverband bildenden Schiffe, bestreitet den von der Klägerin behaupteten Vorgang. Sie trägt vor, ihr Verband sei korrekten Talkurs in der Nähe der Linie der roten Fahrwasserbegrenzungstonnen gefahren und habe deshalb eine schwarze Tonne nicht berühren können. Von einer solchen Berührung habe die Besatzung auch nichts gespürt. Die Beklagte bestreitet außerdem die Höhe des behaupteten Schadens mit der Behauptung, ihr sei keine Gelegenheit gegeben worden, die angeblich beschädigte Tonne zu prüfen, bevor diese verschrottet worden sei.
Es haben beantragt:
Die Klägerin,
a) die Beklagte zu verurteilen, an sie 1570,88 DM, nebst 9,75 % Zinsen für die Zeit vom 19.3. bis 15.4.82 und 9 % Zinsen seit dem 16.4.84 zu bezahlen,
b) wegen dieser Schiffsgläubigerforderung nebst Verfahrenskosten die Zwangsvollstreckung in den Koppelverband "Gerhard Küchen-Stinnes" zu dulden;
Die Beklagte,
die Klage abzuweisen.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat Zeugen vernommen und sodann die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Begründung der Entscheidung folgt dem Vortrag der Klägerin und den Aussagen von 3 von ihr benannten Zeugen, die auf dem Motorboot "R" in der hier in Betracht kommenden Zeit bei Km 562.6 'Wahrschaudienst gemacht hatten.
Die Beklagte hat Berufung eingelegt. Sie widerspricht der Ansicht des Rheinschifffahrtsgerichtes, der Vortrag der Klägerin sei bewiesen, und meint, die Beweisaufnahme habe keine Klärung gebracht. Das Rheinschifffahrtsgericht habe die Regeln der Beweislast verkannt. Die Klägerin widerspricht dieser Ansicht.
Es beantragen:
Die Beklagte,
die Klage abzuweisen.
Die Klägerin,
die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist formell nicht zu beanstanden.
In der Sache hat sie aus den folgenden Gründen keinen Erfolg.
1) Die Stelle des Rheins, an der sich das umstrittene Geschehen zugetragen hat, war damals eine Baustelle, deren Passage schwierig war. Die zuständige Wasser- und Schifffahrtsdirektion unterhielt deshalb dort einen ständigen Wahrschaudienst, der von einem Boote aus arbeitete. Seine Aufgabe war es u.a., die Talfahrt auf die Baustelle hinzuweisen und sie aufzufordern, die roten Fahrwasserbegrenzungstonnen so hart wie möglich anzuhalten. Diesen Dienst versahen in der hier kritischen Zeit die Zeugen B., K. und H. vom Motorboote "R" aus. Sie hatten jeden Talfahrer über Sprechfunk anzurufen und seinen Kurs zu beobachten. Von solchen Zeugen, deren spezielle Aufgabe die Beobachtung des Reviers und von Veränderungen in demselben durch Talfahrer war, können zuverlässige Wahrnehmungen erwartet werden, denn ihre Beobachtungen erfolgen gezielt und sind nicht zufälliger Art. Alle genannten Zeugen haben dem Rheinschifffahrtsgericht erklärt, sie hätten die umstrittene schwarze Tonne vor der Vorbeifahrt des Koppelverbandes der Beklagten gesehen, während sie unmittelbar danach nicht mehr sichtbar gewesen sei. Ist diese Behauptung richtig, so gibt es für das Verschwinden der Tonne nur eine vernünftige Erklärung, nämlich ihre Anfahrung durch den Verband. Die Aussagen rechtfertigen deshalb eine entsprechende Feststellung. Regeln der Beweislast, deren Anwendung voraussagt, dass eine beweisbedürftige Behauptung unbewiesen geblieben ist, sind nicht anwendbar.
An der Richtigkeit der genannten Zeugenaussagen kann nicht gezweifelt werden. Die Wahrnehmungen, welche sie wiedergeben, erfolgten zwar bei Dunkelheit, aber unter Benutzung eines Radargerätes. Die Aussagen stimmen überein und lassen keine Unsicherheit der Zeugen erkennen. Eine solche liegt entgegen der Ansicht der Berufungsbegründung nicht in der Erklärung des Zeugen B., er könne nicht den genauen Zeitpunkt nennen, an dem er vor der Vorbeifahrt des Verbandes die umstrittene schwarze Tonne zuletzt gesehen habe. Der Zeuge hat nämlich hinzugefügt, er habe sie vor dieser Vorbeifahrt gesehen. Die Aussage des Zeugen K., man könne "das im Radarbild ja nicht so hundertprozentig genau beurteilen" bezieht sich auf den Kurs des Koppelverbandes und nicht auf die schwarze Tonne. Die betreffende Zeugenaussage ist präcise. Für die Richtigkeit der Beobachtungen der Zeugen spricht auch, dass sie ihren Wahrnehmungen entsprechend gehandelt und den Koppelverband auf das Verschwinden der Tonne angesprochen haben.
2) Die Beklagte macht den Versuch, durch den Hinweis auf den Kurs ihres Verbandes die Feststellung unmöglich zu machen, er habe die umstrittene Tonne angefahren. Dazu ist zu sagen: Die bereits genannten Zeugen haben erklärt, der Kurs des Verbandes sei nicht zu beanstanden gewesen. Die
roten Fahrwasserbegrenzungstonnen seien hart genug angehalten worden.
Damit ist aber nicht gesagt, der Verband könne keine schwarze Tonne angefahren haben. Er war 165 m lang. Das Fahrwasser war nur 60 m breit und lag in einer Stromkrümmung. Unter solchen Umständen konnte der Verband, auch wenn er die roten Tonnen anhielt, eine schwarze Tonne anfahren. Wie das im einzelnen geschehen konnte, muss hier nicht dargelegt werden. Es genügt vielmehr die Feststellung, der Kurs schließe eine Anfahrung nicht aus, da deren Feststellung auf anderen Grundlagen beruht.
3) Die Aussagen der Besatzung des Koppelverbandes konnten zur Klärung des Sachverhaltes nichts beitragen. Kein Mitglied der Besatzung hat Wahrnehmungen gemacht, die auf eine Anfahrung schließen lassen.
Das schließt aber eine solche nicht aus.
Aus den dargelegten Gründen sieht auch die Berufungskammer den von der Klägerin vorgetragenen Sachverhalt als bewiesen an.
Das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts entspricht deshalb den §§ 823 BGB, 3, 4, 114 BSchGes, 304 ZPO. Dabei spricht für das Verschulden der Führung des Verbandes der Beklagten ein Beweis des ersten Anscheins, weil er einen an erlaubter Stelle liegenden, verankerten Gegenstand angefahren hat. Weitere Darlegungen sind hierzu nicht notwendig. Die Beklagte hat den gegen sie sprechenden Anscheinsbeweis aus den dargelegten Gründen nicht auszuräumen vermocht.
Es wird mithin für Recht erkannt:
1) Die Berufung der Beklagten gegen das am 11.1.1984 verkündete Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts St.Goar wird zurückgewiesen.
Das genannte Urteil wird bestätigt.
2) Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
3) Die Festsetzung dieser Kosten erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht St. Goar unter Berücksichtigung des Art. 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte.
Der Stellvertretende Gerichtskanzler: Der Vorsitzende:
(gez.) A. Bour (gez.) Stückelberger