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Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt
vom 22.03.1984
Tatbestand:
Der Klägerin sind Schadensersatzansprüche des Eigentümers einer Ladung von 580 Tonnen Sojabohnen abgetreten worden, die am 6.10.1980 dadurch zu Schaden kam, dass das sie befördernde Motorschiff "H" im Revier des Geisenrückens auf ein Unterwasserhindernis auffuhr und leck wurde. Die abgetretenen Ansprüche werden im vorliegenden Rechtsstreit gegen die Eignerin des Motortankschiffs "M" geltend gemacht, dessen auf der Rheinsohle liegende Anker die Schadensursache gewesen sein soll. Im Einzelnen ist folgendes vorgefallen. Das MTS "M" hatte Ende März 1980 auf eine Fahrt von Neuwied nach Karlsruhe den Steuerbordanker mit der ganzen Kette verloren, ohne dass die Besatzung den Verlust bemerkt hatte. Er wurde durch Zufall in Karlsruhe festgestellt und der zuständigen Behörde gemeldet, ohne dass die Verluststelle angegeben werden konnte. Anker und Kette sind am 10.12.1980 bei einer Suche unter Einsatz des Taucherschachtes "K" bei Km. 551.970 (Geisenrücken-Raum Loreley) gefunden worden. Diese Suche war aus den folgenden Gründen veranlasst worden. Am 6.10.1980 hatte das MS "H" auf der Bergfahrt im Raume Geisenrücken durch Kollision mit einem unter Wasser liegenden Hindernis Leckage erlitten. Man suchte dieses Hindernis zunächst vergeblich mit Hilfe eines Peilrahmens. Als dann am 13.11.80 ein weiteres Schiff (MTS "C") im gleichen Raume gegen ein Unterwasserhindernis stieß und ebenfalls leck wurde, wurde die Suche mit Hilfe des Taucherschachtes fortgesetzt. Sie war sofort erfolgreich, da Anker und Kette des MTS "M" gefunden wurden.
Die Klägerin hat behauptet, dass MS "H" sei auf diesen Anker aufgefahren. Dabei sei an der Ladung Sojabohnen ein Schaden von 184.440 US-Dollar und 15.898,50 DM entstanden, der durch den Erlös des Verkaufs der geschädigten Ladung um DM 48.500 vermindert worden sei. Es drohe weiterer Schaden, da die Ladung aus dem Gesichtspunkt der "Havarie-grosse" in Anspruch genommen werden könne.
Die Beklagte hat bestritten, dass das MS "H" auf den Anker des MTS "M" aufgefahren sei. Nach ihrer Behauptung ist das Schiff auf einen Felsen gefahren. Außerdem hat die Beklagte die Ansicht vertreten, die Besatzung des MTS "M" sei für den Verlust des Ankers mit Kette nicht verantwortlich.
Es haben beantragt:
Die Klägerin,
1) die Beklagte zu verurteilen, an sie 184.440 US-Dollar und 15.898,50 DM - 48.500 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 7.4.1981 zu bezahlen und auszusprechen, dass die Beklagte dinglich mit dem MTS "M" und persönlich im Rahmen des Binnenschifffahrtsgesetzes hafte.
2) Festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin allen weiteren Schaden aus dem Schiffsunfall vom 6.10.1980 zu ersetzen.
Die Beklagte, die Klage abzuweisen.
Das Rheinschifffahrtsgericht St. Goar hat die Verklärungsakten 4 II 5/80 BSch des Amtsgerichts - Rheinschifffahrtsgericht St. Goar und die Akten OWi-Nr. 1869/80 der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Südwest in Mainz beigezogen. Sie sind im Zusammenhang mit der Havarie entstanden, die Gegenstand dieses Rechtsstreites ist. Nach dieser Vorbereitung hat das Rheinschifffahrtsgericht die Zahlungsklage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Feststellungsklage abgewiesen. Es hat dargelegt, dass das MS "H" auf den vom MTS. "M" verlorenen Anker aufgefahren ist, und dass die Ladung Sojabohnen dabei den Schaden erlitten hat, der vorliegend geltend gemacht wird. Es ist der Ansicht, dass Führung und Besatzung des MTS "M" für den Ankerverlust verantwortlich sind. Die Führung des MS "H" hält das Rheinschifffahrtsgericht für mitverantwortlich für die Havarie, da das Schiff zu tief abgeladen gewesen sei. Diese Mitverantwortung braucht sich nach seiner weiteren Ansicht die Ladung nicht zurechnen zu lassen. Die Feststellungsklage hält das Rheinschifffahrtsgericht für unzulässig, da seit 1981 eine Dispache vorliege und nicht ersichtlich sei, dass weitere nicht bezifferbare Schäden entstehen könnten.
Der Beklagte hat Berufung eingelegt.
Die Parteien wiederholen ihren Vortrag aus dem ersten Rechtszuge und nehmen zu den Ausführungen des Rheinschifffahrtsgerichtes Stellung.
Es beantragen:
Die Beklagte, die Klägerin mit der Klage im vollen Umfange abzuweisen.
Die Klägerin, die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist Formell nicht zu beanstanden. Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Die Berufungskammer hat im Einzelnen erwogen:
1. In Übereinstimmung mit dem Rheinschifffahrtsgericht wird festgestellt, dass das MS "H" auf den Anker aufgefahren ist, den das MTS "M" verloren hatte. Zur Begründung wird folgendes ausgeführt:
a) Von besondere Bedeutung sind die Aussagen des Schiffsexperten „J“ im Verklarungsverfahren 4 II 5/80 BSch des Amtsgerichts - Schifffahrtsgerichts St. Goar und sein dabei verwertetes Gutachten aus August 1981. Er hat das MS "H" besichtigt, als es auf einer Werft in Bolnes auf Helling lag. Er hat dabei einen langen Riss festgestellt, der ohne Spuren vorherigen Einkratzens begann und scharf wie von einem Messer geschnitten war. Der Riss, habe wie ein solcher ausgesehen, der bei der Öffnung einer Konservendose entstehe. Der Experte ist der Ansicht, dass ein solcher Riss nur durch einen Anker oder einen sonstigen Gegenstand aus Metall verursacht werden könne. Dabei hat er sich auf seine Erfahrung als Schiffsexperte berufen. Er hat weiter darauf hingewiesen, dass er keine Spuren von Fels oder Kies gefunden habe. Die Berufungsbegründung macht den Versuch, diese letzte Feststellung dadurch zu entwerten, dass sie geltend macht, diese Spuren könnten bei der Reise des Schiffes zur Werft weggespült worden sein. Von dieser Reise wusste aber auch der Sachverständige. Wenn er trotzdem nach Spuren von Fels und Kies suchte, so spricht daraus seine durch Berufserfahrung gewonnene Ansicht, dass solche Spuren bei der Verbringung des Schiffes zur Werft nicht restlos weggespült werden konnten. Der erwähnte Hinweis auf die Reise zur Werft wiederlegt also das Gutachten nicht.
b) Der Schiffssachverständige Dipl. Ing. „K“ hat allerdings bei seiner Anhörung im Verklarungsverfahren eine andere Ansicht vertreten. Er hat den Anker des MTS "M" untersucht. Dessen Beschädigungen und Deformierungen, die er fotografiert hat, erklärt er zum größten Teil damit, dass der Anker eine Zeit lang über den Grund mitgeschleift worden sei. Ein geringerer Teil der Schäden kann nach seiner Ansicht durch Gewalteinwirkung des eigenen Fahrzeuges entstanden sein. Dazu ist zu sagen: hätte das MTS "M" den
eigenen Anker eine Zeit lang so über den Grund geschleppt, dass er dabei erheblich beschädigt und deformiert wurde, so hätte die Besatzung dies bemerken müssen. Das gleiche gilt von einer sonstigen Gewalteinwirkung des Schiffes auf den Anker. Solche Beobachtungen der Besatzung sind aber nicht vorgetragen worden, insbesondere nicht für die Reise, auf welcher der Anker verloren wurde. Der Verlust blieb im Gegenteil zunächst unbemerkt, ein Beweis dafür, dass ihm Gewalteinwirkungen auf den Anker nicht voraufgingen. Beschädigungen des Ankers aus früherer Zeit sind ebenfalls nicht vorgetragen worden.
Der Anker muss also die Festgestellten Beschädigungen und Deformierungen erhalten haben, nachdem sein Schiff ihn verloren hatte. Die anders lautenden Feststellungen des Sachverständigen „K“ haben keine hinreichende Grundlage. Die Berufungskammer vermag sie nicht zu übernehmen.
c) Aus der Lage des Ankers und seiner Kette auf der Sohle des Rheines kann nicht gefolgert werden, das MS "H" könne nicht auf ihn aufgefahren sein. Eine solche Auffahrt muss nicht dazu führen, dass der Anker seine Lage wesentlich verändert, z.B. neben seine Kette geschleppt wird, während er vorher hinter ihr lag. Die Lage des Ankers hinter seiner Kette bei der Auffindung spricht also nicht gegen die Festgestellte Havarie. Das gleiche gilt von dem Verhältnis der Fundstelle zu dem Punkt, wo nach dem Vortrag der Klägerin die Havarie sich ereignet hat. Das Rheinschifffahrtsgericht hat auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die der genauen Feststellung einer Auffahrtstelle entgegenstehen. Die Berufungskammer schließt sich dem an. Die Tatsache, dass der Anker von MS "M" in 4,5 Meter Tiefe gefunden worden ist, spricht nicht dafür, dass es als Havarieursache ausscheidet. Allerdings konnte er in der genannten Tiefe keinem Schiff gefährlich werden. Die genannte Fundstelle spricht aber nicht zwingend dafür, dass der Anker dort immer gelegen hat. Er kann dorthin auch nach dem Unfall vom fließenden Wasser transportiert worden sein, nachdem zwei Schiffe auf ihn aufgefahren waren. Im Revier der Unfallstelle sind die Wassertiefen sehr unterschiedlich, wobei die unterschiedlichen Tiefen dicht beieinander liegen können. Eine nur geringfügige Verlagerung des Ankers von seiner ursprünglichen Liegestelle kann ihn deshalb an einen Punkt gebracht haben, wo 4,50 Meter Wasser über ihm waren.
d) Die Schäden an dem MS "H" zeigen, dass sie bei der Auffahrt auf einen Gegenstand, der aus Metall bestand, entstanden sind. Die Deformierungen und Beschädigungen des Ankers des MTS "M" rechtfertigen den Schluss, dass dieser der Gegenstand gewesen ist. Dafür sprechen auch die Unfallstelle und die Fundstelle des Ankers, die nahe beieinander liegen. Dafür spricht weiter, dass in dem Revier trotz intensiver Suche kein weiterer Gegenstand aus Metall gefunden worden ist. Schließlich spricht dafür, dass nach der Bergung des Ankers sich Unfälle wie der vorliegende nicht mehr ereignet haben. Dabei betont die Berufungskammer die Wirkung der Gesamtheit dieser Umstände, die bei einer Gesamtschau einander stützen und ein vollständiges Bild ergeben.
2 . Der Verlust des Ankers ist von der Beklagten zu verantworten. Es ist nicht die Sache der Klägerin, diese Verantwortlichkeit im einzelnen darzulegen und zu beweisen. Dazu ist sie nämlich nicht in der Lage, da sie keine Vorgänge aufklären kann, die sich im Schiffsbetriebe der Beklagten ereignet haben. Nur diese kann solche Vorgänge aufklären und muss es tun, wenn sie darlegen und beweisen will, für den Ankerverlust nicht verantwortlich zu sein. Eine solche Aufklärung ist nicht erfolgt. Sie kann nicht in der Erklärung gesehen werden, man habe den Verlust von Anker und Kette in Karlsruhe durch Zufall festgestellt und dabei bemerkt, dass die Ankerkettenbremse so stark angezogen gewesen sei, dass man sie mit einer Eisenstange habe lösen müssen. Hieraus kann nicht gefolgert werden, der Anker sei unter Umständen verloren worden, die von der Beklagten nicht zu verantworten seien. Die Darlegung ist in diesem Punkte nichtssagend. Ihre Richtigkeit kann deshalb dahinstehen.
3. Eine Mitschuld von Eigner und Besatzung des MS "H" an der Havarie vermag die Berufungskammer nicht festzustellen. Das Rheinschifffahrtsgericht hat eine solche Mitschuld aus Rechtsgründen für unerheblich erklärt. Dies greift die Berufungsbegründung an. Die Berufungskammer braucht hierzu nicht Stellung zu nehmen, da diese Mitschuld nicht besteht. Es ist die Sache der Beklagten, sie darzulegen und zu beweisen. Dieser Beweis ist nicht durch den Hinweis auf eine mögliche zu tiefe Abladung des MS "H" geführt. Hinzukommen muss der Nachweis des Kausalzusammenhanges zwischen Abladung und Havarie. Dieser Nachweis ist aber nicht geführt. Es fehlt jede Grundlage für einen solchen Zusammenhang. Auch ein ordnungsgemäß abgeladenes Schiff konnte auf den Anker auffahren. Das Rheinschifffahrtsgericht hat in den beiden anderen Prozessen, welche die Folgen des Ankerverlustes zum Gegenstand haben, sogar festgestellt, dass die betroffenen Schiffe auch dann auf den Anker aufgefahren wären, wenn sie ordnungsgemäß abgeladen gewesen wären. Es hat hinzugefügt, die Folgen der Auffahrung wären dann weniger schwer gewesen. Diese Feststellung hat es aber nicht begründet. Sie ist auch nicht zu begründen, da keine Grundlagen dafür bestehen. Die dargelegte Beweislücke geht zu Lasten der Beklagten. Diese ist deshalb für die Havarie allein verantwortlich. Ihre Haftung ergibt sich aus den §§ 823 BGB, 3, 4 und 114 BSchG.
Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 2.2.1983 verkündete Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts St. Goar wird zurückgewiesen. Das genannte Urteil wird bestätigt.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
3. Zur Verhandlung und Entscheidung über die Höhe und die Kosten des Verfahrens erster Instanz wird der Rechtsstreit an das Rheinschifffahrtsgericht St. Goar zurückverwiesen.
4. Es setzt auch die Kosten des Berufungsverfahrens unter Berücksichtigung des Artikels 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte fest.