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161 Z - 2/84 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 22.03.1984
Aktenzeichen: 161 Z - 2/84
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt

vom 22. März 1984

(Auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 11.1.1983 - 5 C 23/82 BSch -)

Tatbestand:

Am 20.12.1979 gegen 15.30 Uhr fuhren auf dem Niederrhein etwa bei Km 830 die folgenden Schiffe hintereinander zu Tal: das Motorschiff "V", das Motortankschiff "KO" und das Motorschiff "R". Das MS "V" fuhr unstreitig voraus. Umstritten ist dagegen, welches Schiff hinter ihm in der zweiten Position lag. Jedes der beiden anderen nimmt diese für sich in Anspruch. Das Wetter war nebelig wobei die Sichtverhältnisse ständig wechselten. Alle genannten Schiffe hatten deshalb ihre Fahrt schon wiederholt unterbrochen, aber jede vorübergehende Sichtbesserung zur Fortsetzung der Reise ausgenützt. Bei Km 830 zwang der Nebel wieder zur Unterbrechung. Die dazu notwendigen Manöver mussten im engen Revier durchgeführt werden. An beiden Ufern lagen Schiffe still. Es kam weiter Bergfahrt, u.a. das Motortankschiff "Dordrecht 28", das den Schubverband "EWT 101" überholte. Die weiteren Ereignisse verliefen wie folgt. Das MS "V" begann über Steuerbord aufzudrehen, ohne vorher ein entsprechendes Schallsignal gegeben zu haben. Das MTS "KO" und das MS "R" berührten sich leicht, als eines von ihnen den Versuch machte, das andere zu überholen. Das MTS "KO" geriet infolge dieser Berührung nach Backbord und Kollidierte mit dem zu Berg fahrenden MTS "D", wobei an beiden Schiffen Schaden entstand.
Der Kläger ist der Versicherer des MTS "KO". Er hat den dort entstandenen Schaden ersetzt und außerdem die Interessenten des MTS "D" mit 18.900 Gulden abgefunden. Er verlangt Erstattung seiner Zahlungen von den Beklagten, und zwar zu 60 % vom Beklagten zu 1), dem Eigner und Führer des MS "R" und zu 40 % vom Beklagten zu 2),dem Eigner und Führer des MS "V".
 
Dem Beklagten zu 1) wirft er vor, sein Schiff überholt zu haben, obschon er ihm über Sprechfunk auf Anfrage erklärt habe, er wolle bald aufdrehen und darauf die Antwort erhalten habe, der Beklagte zu 1) habe dasselbe Manöver vor.
Dem Beklagten zu 2) hält der Kläger vor, ein nicht angekündigtes Aufdrehmanöver ausgeführt zu haben. Dieser habe über Sprechfunk lediglich angekündigt, zurückschlagen zu wollen.
In beiden Maßnahmen sieht der Kläger die Unfallursachen. Der Beklagte zu 1) bestreitet, das Schiff des Klägers überholt zu haben. Er behauptet, dieses Schiff habe vielmehr das seinige überholt und sei dadurch in einen Kurs geraten, der zur Kollision mit dem MTS "D" geführt habe.
Der Beklagte zu 2) behauptet, sein Aufdrehmanöver über Sprechfunk angekündigt zu haben. Die Führer anderer Schiffe hätten ihm bestätigt, die Ankündigung verstanden zu haben. Das Aufdrehmanöver sei unaufschiebbar gewesen, da ein vor ihm fahrender Talfahrer dasselbe Manöver ohne Ankündigung begonnen habe.
Beide Beklagte sehen die Schuld an der Havarie auch bei der Führung des MTS "D". Sie habe eine Überholung durchgeführt, die angesichts des Nebels und der ankommenden Talfahrt gefährlich gewesen sei. Außerdem sei sie nach Radar gefahren, ohne ein entsprechendes Patent zu besitzen.

Es haben beantragt:

Der Kläger:

1) den Beklagten zu 1) zu verurteilen, an ihn DM 36-376,30 nebst 4 % Zinsen von DM 26.146,20 seit dem 20.3-1980 und von DM 10.230,00 seit dem 20.12.1981 zu bezahlen und auszusprechen, dass der Beklagte zu 1) dinglich mit dem MS "R" und im Rahmen des Binnenschifffahrtsgesetzes persönlich hafte.

2) den Beklagten zu 2) zu verurteilen, an ihn 24.250,80 DM nebst 4 % Zinsen von DM 17.430,80 seit dem 20.3-1980 und von 6.820,00 DM seit dem 20.12.81 zu bezahlen und auszusprechen, dass der Beklagte zu 2) sowohl dinglich mit dem MS "V", als auch persönlich im Rahmen des Binnenschifffahrtsgesetzes hafte.

Die Beklagten,

die Klage abzuweisen.

Das Rheinschifffahrtsgericht hat den Zeugen H.O. vernommen. Nach seiner Vernehmung haben die Parteien auf die Vernehmung weiterer Zeugen verzichtet und sich mit der Verwertung der Aussagen im Verfahren 5 OWi 153/80 BSch einverstanden erklärt.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat die gegen den Beklagten zu 1) gerichtete Klage zu 5/6 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die gegen den Beklagten zu 2) gerichtete abgewiesen.
Die Abweisung ist wie folgt begründet worden. Der Beklagte zu 2) habe über Sprechfunk erklärt, dass er zurückschlagen werde. Diese Ankündigung habe die gleiche Warnwirkung gehabt, wie diejenige eines Aufdrehmanövers durch Sprechfunk oder Schallsignal. Unabhängig davon sei aber auch durch die Aussage des Zeugen L. bewiesen, dass über Sprechfunk auch das Aufdrehmanöver angekündigt worden sei.
Weiter hält das Rheinschifffahrtsgericht für bewiesen, dass das MS "R" das MTS "KO" zu überholen versucht habe. Das Beweisergebnis sei in diesem Punkte zwar widerspruchsvoll, die genannte Feststellung könne aber aufgrund der Aussage der Zeugen E. und M. getroffen werden. Bei der Überholung habe "R" "KO" berührt und nach Backbord gedrückt, sodass das Schiff in den Kurs von "D" geraten und mit ihm kollidiert sei. Eine Mitverantwortung hierfür trägt aber nach der weiteren Ansicht des Rheinschifffahrtsgerichtes auch die Führung von "KO", weil sie in dem nebligen Wetter nicht so vorsichtig gefahren sei, dass ihr Schiff frühzeitig habe aufdrehen oder mit Hilfe des Ankers ständig werden können.
Eine Mitverantwortung der Führung des TMS "D" für die Havarie hält das Rheinschifffahrtsgericht nicht für bewiesen.
Der Kläger und der Beklagte zu 1)haben Berufung eingelegt.
Die Parteien wiederholen ihren Vortrag aus dem ersten Rechtszuge und nehmen zu den Ausführungen des Rheinschifffahrtsgerichtes Stellung.

Es beantragen:

1) der Kläger, 

Die Klage im vollen Umfange dem Grunde nach für gerechtfertigt zu erklären und die Berufung des Beklagten zu 1) zurückzuweisen.

2) Der Beklagte zu 1),

Die Klage im vollen Umfange abzuweisen, d. h. die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

3) Der Beklagte zu 2),

die gegen ihn gerichtete Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen sind formell nicht zu beanstanden.
In der Sache hat diejenige des Beklagten zu 1) erfolg, während diejenige des Klägers erfolglos ist.
 
Nach Ansicht der Berufungskammer ist es nicht möglich, mit ausreichender Sicherheit festzustellen, wer die Verantwortung für die umstrittene Havarie trägt. In Betracht kommen die folgenden Beteiligten:

1) Die Führung des MS "V", die ein nicht ordnungsgemäß angekündigtes Aufdrehmanöver durchgeführt hat.

2) Die Führer von "KO" und "R", weil eines dieser Schiffe das andere überholt und dabei so berührt hat, dass "KO" nach Backbord in einen Kurs gedrückt wurde, der zur Kollision führte.

3) Die Führung des MTS "D", weil das Schiff im Nebel einen Schubzug überholte und dabei das Fahrwasser der Talfahrt so verengte, dass die umstrittene Kollision die Folge war.

4) Die Führung aller genannten Schiffe, weil sie trotz Nebels mit schlechter Sicht die Fahrt nicht eingestellt hatten. Keine dieser möglichen Verantwortlichkeiten kann hinreichend sicher festgestellt werden.

Zu 1) Der Schiffsführer H. des MS "V" hat erklärt, er habe seine Absicht aufzudrehen über Sprechfunk angekündigt. Diese Ankündigung ist auf "KO" gehört aber möglicherweise falsch verstanden worden. Die Eigner dieses Schiffes, die Brüder H.O. und E.O., die es auch abwechselnd geführt haben, haben nämlich erklärt "V" habe angekündigt, zurückzuschlagen. Das ist auf diesem Schiff auch nach der Aussage seines Schiffers geschehen, kann also auch angekündigt worden sein. Einer solchen Feststellung steht aber die Tatsache im Wege, dass der Zeuge E.O. auch die Ankündigung gehört haben will, "V" werde aufdrehen. Vor allem aber ist eine solche Feststellung mit der Aussage des Zeugen L., des Matrosen von "KO", unvereinbar. Er hat nur die Ankündigung von "V" gehört, man werde aufdrehen und weiter wahrgenommen, dass von "KO" aus erwidert wurde, man habe dasselbe vor, wolle aber vorher an "V" vorbeifahren. Der Zeuge hat weiter erklärt, auch von "R" sei die Ankündigung gekommen, man werde aufdrehen. Aufgrund dieser Aussagen kann nicht als bewiesen angesehen werden, es bestehe ein Ursächlicher Zusammenhang zwischen der Nichtankündigung des Aufdrehmanövers durch ein akustisches Signal gemäß § 6.13 RSchPVO und der möglicherweise ebenfalls unterbliebenen Ankündigung des Aufdrehmanövers über Kanal 10 und der Kollision. Diese Beweislücke geht zu Lasten der Klägerin. Deren Klage gegen den Beklagten zu 2); dem allein die Nichtankündigung des Aufdrehens vorgeworfen wird, hat deshalb keine Tatsachengrundlage.

Zu 2) Es kann nicht als bewiesen angesehen werden, dass das MS "R" das MTS "KO" überholt, es dabei angestoßen und auf einen Kurs gedrückt hat, der zur Kollision zwischen "KO" und "D" führte. Die Führung von "KO" hat einen solchen Geschehensablauf behauptet. Das gleiche hat der Matrose L. dieses Schiffes getan. Einen solchen Geschehensablauf haben schließlich bei Zeugen E. und M., Mitglieder der Besatzung des MTS "N", bestätigt.
 
Demgegenüber hatte der Steuermann W. von "N" den Eindruck, "KO" gehe nach Backbord, um eine Kollision mit dem aufdrehenden "MS "V" zu vermeiden. Von einer Behinderung dieses Schiffes durch das überholende MS "R" hat er nichts gesehen. Wohl hat er hinter "KO" oder möglicherweise auch seitwärts von ihm ein Schiff wahrgenommen, über dessen Bewegungen er aber nichts sagen konnte. Den gleichen Eindruck hatte der Schiffsführer von "D" B. mit dem Unterschiede, dass er zwei aufdrehende Schiffe gesehen haben will, denen "KO" auszuweichen versuchte, um dabei mit "D" zu Kollidieren. Einen Talfahrer, der "KO" zu überholen versuchte, hat der Zeuge nicht gesehen. Nach der Aussage des Schiffsführers H.N von MS "V" lag "R", also nicht "KO", hinter seinem Schiff. Es konnte also "KO" nicht überholen. Der Zeuge hat weiter das Schiff des Klägers hinter "R" gesehen und ausdrücklich eine Verwechslung beider ausgeschlossen.

Nach diesen Erklärungen bleibt offen, ob "R" "KO" überholt hat oder ob es umgekehrt war. Offen bleibt weiter, wer es verschuldet hat, dass sich bei der Überholung beide Schiffe möglicherweise berührten und dabei "KO" nach Backbord in den Kurs von "D" gedrückt wurde. Offen bleibt schließlich, ob es zu einer solchen Berührung überhaupt gekommen ist, oder ob nicht "KO" dem aufdrehenden "V" ausweichen musste und dabei mit "D" Kollidierte. Den Beklagten zu 1) belastende Feststellungen können deshalb nicht getroffen werden.

Zu 3) Unstreitig ist, dass das zu Berg fahrende MTS D" vor der Kollision mit dem MTS "KO" einen Schubzug überholte. Nicht dagegen steht fest, dass diese Überholung die Kollision beeinflusst hat. Insbesondere sprechen keine Tatsachen dafür, dass sie das Fahrwasser der Talfahrt so verengte, dass "KO" gegen die Überholer stoßen musste. Die Beklagten können in diesem Zusammenhange nur Vermutungen vortragen. Diese können keine Grundlage von Feststellungen sein.
Zu 4) Der Vorwurf, bei nebligem Wetter die Fahrt nicht eingestellt zu haben, musste, wäre es berechtigt, allen Schiffen gemacht werden, die kein Radargerät hatten, oder es nicht benutzen durften, weil kein Besatzungsmitglied das nötigen Patent hatte. Es erscheint zweifelhaft, ob dieser Vorwurf erhoben werden kann. Es herrschte kein dichter, geschlossener Nebel. Vielmehr traten Nebelwände und Schwaden auf. Die Sicht wechselte häufig. In solchen Lagen pflegen Schiffer auch vorübergehende ausreichende Sicht zur Fortsetzung der Fahrt auszunützen, was nicht verboten ist. Im vorliegenden Falle ist dieser Möglichkeit reichlicher Gebrauch gemacht worden, denn es war viel Berg- und Talfahrt im Revier. Schon diese Umstände erlauben es nicht, den erörterten pauschalen Vorwurf zu erheben. Hinzu kommt aber folgendes. Es steht nicht fest, dass es gerade die zu lange Fortsetzung der Fahrt eines oder mehrerer Schiffe im Nebel gewesen ist, welche diejenige Kette von Ereignissen ausgelöst hat, die zu der umstrittenen Kollision führten. Der Anfang dieser Kette ist vor allem nicht feststellbar. Er muss nicht einmal in einem Manöver der im vorliegenden Rechtsstreit namentlich genannten Schiffe liegen, sondern kann die Maßnahme der Führung eines ungenannten Schiffes sein. In Betracht kommt z.B. ein vor dem MS "V" fahrender Talfahrer, der gleichfalls aufgedreht haben soll. Die Führung des MS "V" hat sich darauf berufen, gezwungen gewesen zu sein, diese Maßnahme mitzuvollziehen, um einen Zusammenstoss beider Schiffe zu vermeiden. Schon der nicht feststellbare Beginn der zum Unfall führenden Ereigniskette macht die Feststellung unmöglich, die Havarie sei die Folge einer im Nebel zu lange fortgesetzten Fahrt. Hinzu kommt, dass auch die weiteren Kettenglieder nicht exakt greifbar sind, wie bereits dargelegt wurde.
Aus den Dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:

1. Die Berufung des Klägers gegen das am 11.1.1983 verkündete Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort wird zurückgewiesen.

2. Auf die Berufung des Beklagten zu 1) wird das genannte Urteil dahin abgeändert, dass die Klage im vollen Umfange abgewiesen wird.

3. Die Kosten des Rechtsstreites trägt der Kläger.

4. Die Festsetzung der Kosten unter Berücksichtigung von Artikel 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort.

Der Stellvertretende Gerichtskanzler: Der Vorsitzende:

(gez.) A. BOUR (gez.) MISCHLICH