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15 C 37/1975 - Amtsgericht (-)
Entscheidungsdatum: 28.10.1975
Aktenzeichen: 15 C 37/1975
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Amtsgericht Bremen
Abteilung: -

Leitsatz:

Die Regelungen des Binnenschiffsverkehrsgesetzes (BSchVerkG) haben nur die freie Vereinbarung von Frachtentgelten im innerdeutschen Verkehr ausgeschlossen, nicht aber andere Bestimmungen des Binnenschifffahrtsgesetzes, wie z. B. gemäß § 35 BSchG den Anspruch auf volle Fracht bei Antritt der Reise mit unvollständiger Ladung, außer Kraft gesetzt. Aber auch in diesem Fall ist die Ausgleichsfracht unter Beachtung der verbindlich festgesetzten Frachten zu berechnen.

Urteil des Amtsgerichts Bremen

vom 28. Oktober 1975

Zum Tatbestand:

Der Beklagte hatte sich gegenüber der Firma M. vertraglich verpflichtet, mit seinem Binnenschiff 270 t Koksgrus von B. nach P. zu befördern. Es wurden jedoch nur 224 t bei der Beladung des Schiffes angedient. Auf Verlangen der Beklagten wurden aber 270 t zu der festgesetzten Fracht abgerechnet.
Die Klägerin, eine Wasser- und Schifffahrtsdirektion als Vertreterin der Bundesrepublik Deutschland, verlangt Rückzahlung eines Betrages von etwa 360,- DM für die Fehlmenge von nicht beförderten 46 t. Die Beklagte dürfe nur die tatsächlich transportierten Mengen verrechnen. Der überhöht gezahlte Betrag sei daher gemäß §§ 31 a, 31 b BSchVerkG einzuziehen. Zur Bekräftigung ihres Rechtsstandpunktes hat die Klägerin ein Urteil des OLG Schleswig vom 29. 11. 1973 - 5 U 54/72 - vorgelegt (s. Veröffentlichung in ZfB 1975, S. 45).

Der Beklagte bestreitet eine Zahlungsverpflichtung unter Hinweis auf § 35 BSchG, wonach die volle Fracht zu zahlen ist, wenn die vereinbarte Gütermenge nicht angeliefert wird. Diese Bestimmung sei durch die Festfrachtvorschriften des Binnenschiffsverkehrsgesetzes nicht außer Kraft gesetzt worden. Es liege auch keine Umgehung der Festfracht vor.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch nicht zu, weil die dem Beklagten erteilte Frachtgutschrift nicht aufgrund einer Vereinbarung beruht, die die festgesetzten Frachtbestimmungen der §§ 21 ff. BSchVG betrifft, sondern eine Ausgleichszahlung für entgangene Befrachtung im Sinne des § 35 BSchG.

Der Beklagte hat keineswegs den Betrag von 360,25 DM als Vergütung für befördertes Frachtgut erhalten. Mit diesem Betrag ist lediglich sein Anspruch gemäß § 35 BSchG erfüllt worden, wonach ihm die Fracht für die volle Ladung zusteht, wenn die vereinbarte Gütermenge nicht zur Verfügung gestellt wird. Es handelt sich also um einen gesetzlich begründeten Anspruch auf die Fracht für die volle Ladung (vgl. Vortisch-Zschucke, 3. Auf-lage Anm. 2 a zu § 35 BSchG). Der Beklagte hätte unter Umständen sogar noch weitere Forderungen aufgrund dieser Vorschrift stellen können. Die Klägerin meint zwar, dass durch die Bestimmungen des Binnenschifffahrtsverkehrsgesetzes die Geltendmachung des Anspruchs aus § 35 BSchG ausgeschlossen ist. Sie sieht in der Ausübung des Rechtes aus § 35 BSchG eine Umgehung der Regelungen des BSchVG. Dieser Ansicht kann jedoch nicht beigetreten werden. Auch das Urteil des Oberlandesgerichts Schleswig vom 29. 11. 1973, das die Klägerin vorgelegt hat, vermag diese Ansicht nicht zu stützen. Der Tatbestand, den das Oberlandesgericht Schleswig behandelt hat, ist nicht der gleiche wie der vorliegende. Jener Sachverhalt befasst sich nicht mit dem Ausgleichsanspruch des § 35 BSchG.

Die Regelungen des BSchVG haben auch nicht den Anspruch des § 35 BSchG außer Kraft gesetzt. Das BSchVG ist im Januar 1969 neu gefasst worden. In diesem Gesetz ist jedoch nicht ausdrücklich festgelegt worden, dass der Anspruch des § 35 BSchG entfällt. Nichts hätte näher gelegen, als eine solche Regelung bei der Neufassung des BSchVG zu schaffen. Die Tatsache, dass dies nicht geschehen ist, bedeutet also, dass der Anspruch des § 35 BSchG weiterbesteht. Der § 35 BSchG hat schließlich den Zweck, dass der Schiffer bei Übernahme von Ladungen richtig disponieren kann. Wird dann entgegen der getroffenen Vereinbarung nicht die volle Ladung zur Verfügung gestellt, so entsteht der Anspruch auf Ausgleich seines Ausfalls nach der Vorschrift des § 35 BSchG. Dieser Anspruch kann allerdings vertraglich abbedungen werden, was hier jedoch nicht der Fall ist. Es kann daher nur festgestellt werden, dass die Firma M. einen gesetzlich bestehenden Anspruch erfüllt hat. Der Beklagte ist deshalb nicht verpflichtet, den erhaltenen Betrag an die Klägerin abzuführen.

Anmerkung der Redaktion:

ZfB 1978 S. 53; ZfB 1978, 53

Die Regelungen des Binnenschiffsverkehrsgesetzes (BSchVerkG) haben nur die freie Vereinbarung von Frachtentgelten im innerdeutschen Verkehr ausgeschlossen, nicht aber andere Bestimmungen des Binnenschifffahrtsgesetzes, wie z. B. gemäß § 35 BSchG den Anspruch auf volle Fracht bei Antritt der Reise mit unvollständiger Ladung, außer Kraft gesetzt. Aber auch in diesem Fall ist die Ausgleichsfracht unter Beachtung der verbindlich festgesetzten Frachten zu berechnen.

Eine Stellungnahme des Bundesverbandes der deutschen Binnenschifffahrt zu diesem Fall geben wir auszugsweise, wie folgt, bekannt:

Zweifellos sind die Vorschriften des Binnenschifffahrtsgesetzes, insbesondere auch die §§ 35 ff. BSchG nicht durch die Festfrachtbestimmungen §§ 21 ff. des Binnenschiffsverkehrsgesetzes außer Kraft gesetzt worden. Lediglich die Fracht selbst für die beförderte oder mit Recht der Frachtberechnung zugrundegelegte Transportmenge unterliegt nicht der freien Vereinbarung. Insoweit sind die Ausführungen des uns bekannten Urteils des OLG Schleswig vom 29. 11. 1973 - 5 U 54/72 - nicht zu beanstanden. Der vorliegende Fall wird von der genannten Entscheidung aber überhaupt nicht berührt.

Durch kein Gesetz und keine Verordnung sind die gesetzlichen Möglichkeiten außer Kraft gesetzt worden, bei Schlecht- oder Nichterfüllung eines Transportvertrages der Binnenschifffahrt nach Maßgabe der Vorschriften des Binnenschifffahrtsgesetzes die gebührende Entschädigung zu verlangen und auch gerichtlich durchzusetzen. Wenn die objektiven Voraussetzungen für die Geltendmachung solcher Ansprüche vorliegen, kann der Berechtigte an ihrer Durchsetzung nicht gehindert werden. Er hat sich, was hier der Fall ist, nur hinsichtlich der Höhe an die Festsetzung des Frachtenausschusses zu halten. Selbstverständlich könnte nicht beanstandet werden, wenn außerdem noch sonstige Rechte gemäß § 35 Abs. 2 BSchG (z. B. zusätzliche Liegegelder und Mehrkosten infolge der Unvollständigkeit der Ladung) geltend gemacht würden.

Die Binnenschifffahrt wäre ihren Kontrahenten schutz- und rechtlos ausgeliefert, wenn sie nicht ihre gesetzlichen Ansprüche - normale Schadenersatz- und spezielle Gewährleistungsansprüche, wie z. B. aus § 35 BSchG - geltend machen könnte.