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142 Z - 1/82 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 24.03.1982
Aktenzeichen: 142 Z - 1/82
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 24. März 1982

(Auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 6. März 1981 - 5 C 32/80 BSch -)

Tatbestand:

Am 23.5.1979 befand sich das Landungsboot "F" der Klägerin auf einer Dienstfahrt auf dem Rhein in Höhe von Benrath. Die Fahrt hatte in Kiel begonnen und sollte bis Bonn führen, wo das Boot aus Anlass der Bundesgartenschau festmachen sollte. "F" ist 40,04 m lang, 8,90 m breit, verdrängt 217 BRT Wasser und hat zwei Motoren von je 500 PS. Das Boot fuhr in einem Abstand von mehreren 100 m hinter dem Schiff gleichen Typs "FE" her. Beiden voraus fuhren in einem Abstand von mindestens 1 km zwei Minensuchboote der Bundesmarine. Alle diese Schiffe hatten das Ziel Bonn. "F" war im Begriff, das in der linksrheinischen Stromhälfte zu Berg fahrende MS "M" zu überholen und hatte deshalb die blaue Überholflagge gesetzt, die an einem Flaggenstock auf dem Vorschiff angebracht war, der nicht mittschiffs, sondern mehr nach steuerbord stand.
In dieser Situation kam das MS "N" der Beklagten zu Tal, das der Beklagte G. führte. Er nahm an, die Führung von "F" verlange eine Steuerbordbegegnung und richtete den Kurs seines Schiffes auf eine Fahrt im Stromstück zwischen "F" und "M". Auf dem Schiff der Klägerin wollte man aber eine Backbordbegegnung. Bei dem Versuch, aneinander vorbeizukommen, wechselten beide Einheiten - teils mehrfach - ihren Kurs und stießen schließlich zusammen, wobei beide erheblich beschädigt wurden.
Die Klägerin hat behauptet: Der Seitenabstand zwischen "F" und "M" habe etwa 25 m betragen. Ihr Schiff habe keine blaue Seitenflagge gezeigt, also eine Backbordbegegnung mit "N" verlangt. Die Führung dieses Schiffes habe aber dessen Kurs plötzlich nach Backbord verlegt, so dass es genau auf "F" zugefahren sei. Dort habe man zunächst versucht, nach Steuerbord auszuweichen und schließlich im letzten Augenblick Kurs nach Backbord genommen. Weiter habe man beide Schrauben auf Rückwärtsfahrt gestellt. Der Schaden auf "F" erreiche den Betrag von DM 39.274,-.
 
Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagten zu verurteilen, an sie DM 39.274,- nebst 9,5 % Zinsen seit dem 25.1.1980 zu bezahlen und auszu¬sprechen, dass die Beklagten dinglich mit dem MS "N" und persönlich im Rahmen des Binnenschifffahrtsgesetzes hafteten.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen, hilfsweise Vollstreckungsnachlass zu gewähren.

Sie haben behauptet: Auf "F" sei die blaue Seitenflagge gezeigt, also eine Steuerbordbegegnung mit "N" verlangt worden. Ihr Schiff sei einen dieser Kursweisung entsprechenden Kurs gefahren. Der Unfall sei allein darauf zurückzuführen, dass "F" entgegen der gegebenen Kursweisung nach Steuerbord gefahren sei und diesen Kurs zu spät nach Backbord hin korrigiert habe. Auf "N" habe man eine Kollision dadurch zu verhindern versucht, dass man langsam gefahren sei und schließlich die Maschine auf Rückwärtsgang gestellt habe.

Die Beklagten haben weiter dargelegt, die auf "F" gesetzte Überholflagge sei wegen ihrer Anbringung an einem Steuerbords stehenden Mast mit der blauen Seitenflagge verwechselungsfähig gewesen. Sollte diese also nicht gesetzt worden sein, sei der Beklagte G. das Opfer einer Verwechselung geworden, für welche die Führung von "F" verantwortlich sei.
Der Schiffsunfall hat zu dem Verklarungsverfahren 5 II 14/79 des AG Duisburg-Ruhrort geführt. Das Rheinschifffahrtsgericht hat diese Akten beigezogen und sodann die Klage zu 1/3 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die weitergehende Klage ist abgewiesen worden. Das Rheinschifffahrtsgericht führt aus:

Die Behauptung der Beklagten, das Schiff der Klägerin habe die blaue Seitenflagge gezeigt, sei widerlegt. Der Beklagte G., der sie von einem Mann gehalten gesehen haben wolle, habe sie mit der Überholflagge verwechselt. Diese Verwechselung sei erklärbar, da die Überholflagge nicht mittschiffs, sondern mehr nach Steuerbord gesetzt gewesen sei. Diese Anbringung sei deshalb ein Verstoß gegen die §§ 3-05, 6.04, 6.10 RSchPVO. Sie verstoße weiter gegen die allgemeine nautische Sorgfaltspflicht eines Schiffsführers, denn diese gebiete es, Lichter und Zeichen seines Fahrzeuges so zu setzen, dass sie deutlich sichtbar seien und eine Verwechselungsgefahr so weit wie möglich ausgeschlossen sei. Diese falsch gesetzte Überholflagge der "F" sei die Hauptunfallursache. Eine von der Führung dieses Schiffes gesetzte weitere Ursache liege darin, dass angesichts des Backbordkurses von "N" nicht das Signal "ein kurzer Ton" gegeben worden sei. Es hätte darauf hingewiesen, dass eine Backbordbegegnung verlangt werde und deshalb zur Klärung der Lage beigetragen. Den dritten Fehler, der zur Havarie geführt habe, habe der Schiffsführer G. von "N" begangen. Der Kurs von "F" habe darauf hingewiesen, dass eine Backbordbegegnung verlangt werde. Schiffsführer G. hätte dies rechtzeitig erkennen können und hätte deshalb den Kurs seines Schiffes nicht nach Backbord verlegen dürfen. Die Fehler auf beiden Seiten rechtfertigten es, der Klägerin 2/3 der Unfallfolgen anzulasten, so dass ihre Klage dem Grunde nach nur zu 1/3 Erfolg haben könne.
 
Gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichtes haben beide Parteien Berufung eingelegt und die Entscheidung der Berufungskammer der Zentralkommission verlangt. Sie wiederholen ihren Vortrag aus dem ersten Rechtszug und nehmen zu den Darlegungen des Rheinschifffahrtsgerichtes Stellung.

Jede Partei beantragt,

nach ihren im ersten Rechtszug gestellten Anträgen zu erkennen und die Berufung des Gegners zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Beide Berufungen sind formell nicht zu beanstanden. In der Sache hat diejenige der Beklagten Erfolg, während diejenige der Klägerin erfolglos ist. Im Einzelnen ist zu sagen.

1. Die Zuständigkeit der Rheinschifffahrtsgerichte ist gegeben, obschon die umstrittene Havarie bei der Ausübung hoheitlicher Tätigkeit der Klägerin und Berufungsklägerin entstanden ist. Zwar pflegen im Allgemeinen die Staaten die richterliche Überprüfung einer solchen Tätigkeit internationalen
Gerichtshöfen, wie der entscheidenden Berufungskammer, nicht zu übertragen und sich deren Urteil nicht zu unterwerfen. Von diesem Grundsatz machen sie aber Ausnahmen, und zwar einmal durch Zuständigkeitsvereinbarungen in zwischenstaatlichen Verträgen zum anderen aber auch durch solche Vereinbarungen für bestimmte Einzelfälle. Beide Möglichkeiten sind Bestandteile des Völkerrechtes (Zum Problem Hinweis auf Dahm Lehrbuch des Völkerrechtes Band I G 97 Seite 485 ff).Im vorliegenden Falle hat die klagende Bundesrepublik Deutschland in Übereinstimmung mit ihren Prozessgegnern nicht nur Klage beim Rheinschifffahrtsgericht erhoben und damit einen Rechtszug ge¬wählt, der in letzter Instanz bei einem internationalen Gericht, der entscheidenden Berufungskammer enden kann, sondern auch in der Berufungsinstanz ebenso wie ihre Gegner die Entscheidung dieser Kammer ausdrücklich verlangt. Damit ist unter den Parteien dieses Falles die Zuständigkeit der Rheinschifffahrtsgerichte vereinbart worden. Darin liegt keine unzulässige Erweiterung dieser Zuständigkeit, denn die Norm des Art. 34 II c der Revidierten Rheinschifffahrtsakte erfasst auch Havarien der vorliegenden Art, falls hoheitliches Handeln nicht entgegensteht. Das ist aber angesichts der erörterten Zuständigkeitsvereinbarung nicht der Fall.

2. Die Berufungskammer hält mit dem Rheinschifffahrtsgericht für bewiesen, dass die blaue Seitenflagge auf der "F" nicht gezeigt worden ist.
Die gegenteilige Behauptung des beklagten Schiffsführers G. ist nur von dem Soldaten H. teilweise bestätigt worden, der auf dem Landungsboot "FE" als Signäler eingesetzt war. Er will sich nach der "F" umgedreht und dabei gesehen haben, dass dort die blaue Seitenflagge "herausgesteckt" war. Diese Aussage weicht von derjenigen des Schiffsführers G. insofern ab, als H. nicht gesehen hat, dass die Seitenflagge von einem Mann gehalten wurde. Seine Erklärung, sie sei "herausgesteckt" gewesen, sagt vielmehr, dass sie nach seiner Ansicht an einer Stange befestigt war. Dieser wesentliche Unterschied zeigt die Unzuverlässigkeit beider Aussagen. Sie können schon deshalb keine Grundlage von Feststellungen sein.
 
Hinzu kommt, dass die gesamte Besatzung des Landungsbootes "F" ausgesagt hat, die blaue Seitenflagge sei nicht gezeigt worden. Hielte man diese Aussagen für falsch, So müsste man allen Besatzungsmitgliedern vorwerfen, bei ihrer Vernehmung gelogen zu haben, denn Irrtümer sind hier nicht vorstellbar. Da die Lügen aller Besatzungsmitglieder auf eine Absprache schließen Hessen, müsste der Vorwurf hinzukommen, ein Komplott mit dem Ziele geschlossen zu haben, das Gericht zu belügen. Hierfür spricht aber nichts, denn die unzuverlässigen Aussagen G. und H. sind nicht einmal ein Hinweis auf ein solches Komplott, erst recht natürlich, kein Beweis dafür. Aus den dargelegten Gründen rechtfertigen die Aussagen der Besatzungsmitglieder der "F" die Feststellung, auf diesem Schiff sei die blaue Seitenflagge nicht gezeigt worden. Damit steht aber fest, dass von "N" eine Begegnung an der Backbordseite der "F" verlangt worden ist. Der Schiffsführer G. des Schiffes der Beklagten hat demgegenüber einen Kurs eingeschlagen, der eine Begegnung an der Steuerbordseite der "F" zum Ziel hatte. Er hat also eine ihm gegebene Kursweisung nicht befolgt.

3. Die Verantwortung für diesen Fehler liegt aber aus den folgenden Gründen nicht bei ihm, sondern bei der Führung des Landungsbootes "F". Dieses war für eine Fahrt auf dem Rhein nicht hinreichend ausgerüstet. Es fehlten an Bord vor allem Einrichtungen zur Abgabe der notwendigen Signale. Die blaue Begegnungsflagge konnte z. B. nur mit der Hand gezeigt werden. Der Mast, an dem die ebenfalls blaue Überholflagge zu setzen war, stand nicht mittschiffs, wo er nach den zutreffenden Darlegungen der Rheinschifffahrtsgerichte hingehörte, sondern nach steuerbord versetzt. Außerdem war er nicht so hoch, dass die Überholflagge mindestens 4 m über Deck hing, wie es § 6.10 RSchPVO vorschreibt. Es ist unstreitig, dass sie nur 2 m über Deck gesetzt war. Diese unzulänglichen Anlagen zur Abgabe der erforderlichen Signale haben bei dem Schiffsführer G. den entschuldbaren Irrtum hervorgerufen, auf der "F" werde die blaue Seitenflagge gezeigt, sein Schiff habe ihm deshalb an der Steuerbordseite zu begegnen. Allerdings bedarf diese Ansicht einer eingehenderen Begründung, als sie vom Rheinschifffahrtsgericht gegeben worden ist. Vor allem ist darzulegen, dass diese Irrtumsthese mit der Einlassung des Schiffsführers G. vereinbar ist. Dieser hat nämlich bei seiner zweimaligen Anhörung nicht erklärt, er habe auf der "F" die blaue Seitenflagge gesehen und deshalb den Kurs seines Schiffes auf eine Steuerbordbegegnung hin angelegt, aber in einem Zeitpunkt, als es für eine Kursänderung zu spät gewesen sei, erkannt, dass er die falsch gesetzte blaue Überholflagge für die Seitenflagge gehalten habe. Er hat vielmehr ausgesagt, auf der "F" sei die blaue Seitenflagge von einem Manne mit der Hand gehalten worden. Das ist ein anderer Irrtum als derjenige, von dem das Rheinschifffahrtsgericht ausgegangen ist. Dieser vom Schiffsführer G. behauptete Irrtum muss also durch die Verhältnisse an Bord der "F" erklärbar sein, wenn er eine ent¬schuldigende Wirkung haben soll. Eine solche Erklärung ist möglich.
 
Die blaue Überholflagge war an Bord der "F" etwa in einer Höhe über Deck gesetzt, in der auch die blaue Seitenflagge gesetzt wird. Sie hing außerdem an einem Mast, der nicht mittschiffs, sondern nach steuerbord versetzt stand. An der Steuerbordseite des Schiffes wird die blaue Seitenflagge gezeigt. Beide Umstände erklären im vorliegenden Falle eine Verwechslung beider Flaggen durch den Schiffsführer G.. Sein weiterer Eindruck, die von ihm gesehene blaue Seitenflagge werde von einem Manne mit der Hand gehalten, hat nach der Ansicht der Berufungskammer als Ursache den Umstand, dass sich auf der Brücke der "F" bis zu 6 Personen befanden. Ihre Bewegungen und die falsch gesetzte Überholflagge haben bei Schiffsführer G. den Eindruck hervorgerufen, die blaue Seitenflagge der "F" werde von einem Manne gehalten gezeigt. Dabei mag der weitere Umstand mitgewirkt haben, dass auf den der "F" vorausfahrenden Schiffen der Klägerin die genannte Flagge auf diese Weise tatsächlich gezeigt worden ist. Aus den dargelegten Gründen stehen der Irrtum des Schiffsführers G. und seine Ursachen für die Berufungskammer zweifelsfrei fest. Wie dargelegt, liegen die Ursachen im Verantwortungsbereich der Führung der "F", die deshalb auch für ihre Folgen - den dargelegten Irrtum des Zeugen G. und dem hierauf beruhenden Schiffszusammenstoss - verantwortlich ist.

4. Eine Mitverantwortung des Zeugen G. für diesen Zusammenstoss besteht nicht. Die gegenteilige Ansicht des Rheinschifffahrtsgerichtes kann die Berufungskammer aus den folgenden Gründen nicht übernehmen. Das Rheinschifffahrtsgericht meint, der Schiffsführer G. habe aus dem Kurs der "F" erkennen können, an welcher Seite dieses Schiffes eine Begegnung mit dem seinigen verlangt werde. Wäre das richtig, so wäre die Annahme eines entschuldbaren Irrtums über die Kursweisung unhaltbar. In Wirklichkeit war die Sache aber so, dass gerade die Unvereinbarkeit der von dem Schiffsführer G. entschuldbar angenommenen Kursweisung mit dem gefahrenen Kurs der "F" den Schiffsführer nur unsicher machen konnte. Er musste nämlich überlegen und entscheiden, ob er nach der Weisung oder nach dem Kurs der "F" denjenigen seines eigenen Schiffes festlegen sollte. Wenn er sich dazu entschloss, nach der von ihm gesehenen Kursweisung zu fahren, so ist das nicht vorwerfbar, weil er erwarten konnte, der Kurs des Bergfahrers werde seiner Kursweisung noch angepasst.
Einzige Unfallursache ist vielmehr die auf der "F" falsch gesetzte Überholflagge und der hierauf beruhende Irrtum des Zeugen G.

Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:

1.) Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort wird zurückgewiesen.

2.) Auf die Berufung der Beklagten wird das genannte Urteil dahin abgeändert, dass die Klage im vollen Umfange abgewiesen wird.
 
3.) Die bisherigen Kosten des Rechtsstreits einschließlich derjenigen des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

4.) Die Festsetzung der Kosten erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort unter Berücksichtigung des Artikels 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte.