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Leitsatz:
Zum richtigen Verhalten einer querfahrenden Rheinfähre gegenüber der durchgehenden Schiffahrt und umgekehrt.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 3. November 1981
(Auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 13.3.1981 - 5 C 31/80 BSch -)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin ist die Eignerin des TMS "E". Dieses Schiff, das sich leer auf der Bergfahrt befand, ist 82 m lang, 8,20 m breit, fasst 634 t und hat eine 750 PS starke Maschine. Die Beklagte unterhält die Rheinfähre "WO" und ist die Eignerin des Fährschiffs "G". Es ist etwa 30 m lang, 9,5 m breit und wird von 3 je 80 PS starken Motoren angetrieben die auf Voith-Schneider-Propeiler wirken. Das Fährschiff ist am 5.7.1978 zwischen 12.30 und 12.40 Uhr bei einer Querfahrt mit dem TMS "E" zusammengestossen. Dabei wurden beide Schiffe beschädigt. Auf demjenigen der Klägerin entstand ein Schaden von DM 3.006,-, dessen Ersatz im vorliegenden Rechtsstreit verlangt wird. Die Klägerin trägt vor: Der Steuermann S., der ihr Schiff zur Unfallzeit geführt habe, habe darauf vertraut, die Fähre werde angesichts der Berg- und Talfahrt im Revier ihre Querfahrt in Etappen durchführen und sich immer wieder aufstrecken, um Schiffe in durchgehender Fahrt passieren zu lassen. Als er in einer Entfernung von etwa 50 m von der Fähre festgestellt habe, dass diese ohne Rücksicht auf den Kurs seines Schiffes ihre Querfahrt fortsetzte, habe er die Fahrt verlangsamt und zu diesem Zweck die Maschine sogar rückwärts laufen lassen. Der Zusammenstoss sei aber nicht mehr vermeidbar gewesen. Die Klägerin hat bestritten, dass die Führung ihres Schiffes dessen Kurs in denjenigen, der Fähre verlegt habe.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie DM 3.006,- nebst 4 % Zinsen von DM 2.031,- seit dem 25.7.78 und von DM 975,- seit dem 5.4.79 zu bezahlen und auszusprechen dass die Beklagte dinglich mit dem Fährschiff "G" und persönlich im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes hafte.
Die Beklagte hat beantragt,
Die Klage abzuweisen, hilfsweise ihr nachzulassen, die vorläufige Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung abzuwenden.
Sie ist bereit, die Hälfte des Schadens der Klägerin zu tragen, rechnet aber gegen deren Forderung mit einer Gegenforderung auf, die sie aus dem an ihrem Fährschiff entstandenen Schaden von DM 68.012,16 ableitet, der ihrer Ansicht nach mindestens zur Hälfte von der Klägerin zu ersetzen ist. Deren Schiff sei, so hat die Beklagte behauptet, angesichts der Querfahrt der Fähre und der mit ihr erkennbar verbundenen Gefahr mit unverminderter Geschwindigkeit weitergefahren und habe sogar noch seinen Kurs nach Backbord in denjenigen des Fährschiffs verlegt. Ausserdem habe es weder durch Schallzeichen noch über Sprechfunk auf sich aufmerksam gemacht.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat Zeugen gehört und die Akten 5 OWi 24/79 des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort beigezogen. Diese betreffen ein Bussgeldverfahren, dass aus Anlass der umstrittenen Havarie gegen den Führer des Fährschiffs K. eingeleitet worden ist. Gegen ihn ist ein Bussgeld von DM 80,- verhängt worden.
Nach Durchführung der Beweisaufnahme hat das Rheinschiffahrtsgericht den Klageanspruch zu 2/3 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die weitergehende Klage abgewiesen. Es ist der Ansicht, in der Querfahrt der Fähre liege ein Verstoss gegen die §§ 6.16, 6.23 RSchPVO. Er wiege doppelt so schwer wie derjenige der Führung von "E" gegen § 1.04 RSchPVO, der darin zu sehen sei, dass das Schiff angesichts der Querfahrt und der mit ihr erkennbar verbundenen Gefahr seine Fahrt mit unverminderter Geschwindigkeit zunächst fortgesetzt und nicht durch Schallzeichen auf sich aufmerksam gemacht habe.
Die Klägerin hat gegen das Urteil Berufung eingelegt.
Vor der Berufungskammer wiederholen die Parteien ihren Vortrag und ihre Argumentation aus dem ersten Rechtszug.
Es beantragen:
Die Klägerin,
die Klage im vollen Umfange dem Grunde nach für gerechtfertigt zu erklären.
Die Beklagte,
die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist formell nicht zu beanstanden. In der Sache hat sie aus den folgenden Gründen keinen Erfolg.
Die Berufungskammer schliesst sich im volles Umfange der Bewertung des Verhaltens der am der Havarie beteiligten Schiffsführer durch das Rheinschiffahrtsgericht an.
Zutreffend ist insbesondere die Wertung des Verhaltens des Rudergängers S. auf dem TMS "E". Er hat seine Passivität angesichts auch der von ihm erkannten Gefahr der Querfahrt der Fähre dem Rheinschiffahrtsgericht bei seinen beiden Vernehmungen vom 13.6.79 (in der Busgeldsache) und vom 5.l.8l (im vorliegenden Rechtsstreit) geschildert.
Von der Richtigkeit dieser im wesentlichen übereinstimmenden Darstellungen kann ausgegangen werden. Danach fuhr die Fähre zunächst ganz linksrheinisch zu Berg. Das MS "A" schickte sich an, sie an ihrer Backbordseite in geringem Abstand zu Überholen. "A" seinerseits wurde wieder backbords von dem TMS "E" in einem Seitenabstand von etwa 100 m überholte Beide Schiffe lagen etwa auf gleicher Höhe, als die Fähre zur Querfahrt ansetzte. Dabei kreuzte sie zunächst den Kurs des MS "A" in einem Abstand, der geringer als 100 m war. Trotzdem fuhr das TMS "E" mit der unverminderten Geschwindigkeit von 12 km/h über Grund und mit unverändertem Kurs weiter. Seine Führung ging davon aus, die Fähre werde sich zwischen "A" und dem eigenen Schiff zunächst aufstrecken, um in dieser Lage dieses Schiff und herankommende Talfahrt vorbeizulassen und erst dann die Querfahrt fortsetzen. In Wirklichkeit geschah dies ohne die erwartete Unterbrechung. Erst jetzt, in einem Abstand zur querfahrenden Fähre von etwa 50 m, setzte man auf "E" die Geschwindigkeit herab. In einer Entfernung von etwa 30 m liess man die Maschine rückwärts laufen. Beide Massnahmen konnten nicht mehr verhindern, dass das Schiff bis zum Zusammenstoss mit der Fähre Fahrt behielte. Die Führung des TMS "E" hat weder ein akustisches Signal gegeben noch versucht, über Sprechfunk mit der Fähre Verbindung aufzunehmen. Das geschilderte Verhalten ist ein Verstoss der Führung von "E" gegen § 1.04 RSchPVO. Spätestens als die Fähre den Kurs von "A" in einem Abstand von unter 100 m kreuzte, musste "E" seine hohe Geschwindigkeit von 12 km/h über Grund stark vermindern. Zwischen beiden Schiffen bestand ein Seitenabstand von etwa 100 m. Bei der Fortsetzung der Querfahrt der Fähre bestand angesichts der genannten Abstände die Gefahr eines Zusammenstosses. Zu dessen Verhinderung konnte "E" weder fühlbar nach steuerbord noch nach backbord ausweichen, denn steuerbords lag etwa auf gleicher Höhe das MS "A" und backbords kam Talfahrt. Die Herabsetzung der Geschwindigkeit war also die allein Erfolg versprechende Massnahme zur Vermeidung einer Kollision. Die Führung von "E" hatte keinen begründeten Anlass, darauf zu vertrauen, die Fähre werde sich auf strecken, um das eigene Schiff passieren zu lassen. Sie konnte nicht einmal sicher davon ausgehen, dass es von ihr gesehen worden war, denn "A" lag zwischen ihm und der Fähre. Auf dieser wurde "E" erst mit Sicherheit sichtbar, als sie vor "A" vorbeigefahren war. Es war zumindest zweifelhaft, ob ihre Führung sie zu diesem Zeitpunkt noch so schnell aufstrecken konnte, dass der spätere Zusammenstoss vermieden worden wäre, selbst wenn man diese Massnahme hätte durchführen wollen. Auf "E" konnte man auch deshalb nicht annehmen, von der Führung der Fähre gesehen worden zu sein, weil man in keiner Weise auf das Schiff aufmerksam gemacht hatte. Das war weder durch ein akustisches Signal noch über Sprechfunk geschehen, obschon das Funkgerät auf "E" in Betrieb war. Angesichts dieser Umstände konnte die Führung von "E" nicht mehr ernsthaft darauf vertrauen, dass die Fähre ihre Querfahrt unterbrechen würde. Der Verstoss der Führung des TMS "E" gegen § 1.04 RSchPVO liegt auch darin, dass angesichts der besonderen Situation, kein akustisches Signal gegeben und nicht der Versuch gemacht wurde, mit der Fähre über Sprechfunk in Verbindung zu treten. Beide Massnahmen hätten die Fähre auf den Bergfahrer und seinen Kurs hingewiesen bzw. eine Abstimmung der beiderseitigen Kurse ermöglicht. Auch so hätte ein Zusammenstoss vermieden werden können. Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Schwere des Verschuldens der Führung von "E" gegenüber demjenigen der Führung der Fähre richtig abgewogen und festgestellt, dass letzteres doppelt so schwer ist. Der in der unzulässigen Querfahrt liegende Verstoss gegen § 6.23 RSchPVO ist so gegenüber demjenigen gegen § 1.04 RSchPVO richtig eingeordnet.
Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
1) Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 13.3.1981 wird zurückgewiesen.
Das angefochtene Urteil wird bestätigt.
2) Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
3) Die Festsetzung der Kosten erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort gemäss Artikel 39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte.