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Leitsatz:
Zum strafrechtlichen Verschulden einer Kollision bei der Begegnung zweier Radarfahrer in dichtem Nebel.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 03.11.1981
(Auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 22.10.1980 - 5 OWi 67/80 -)
Tatbestand und Entscheidungsgründe:
Am 21.2.1979 führte der Betroffene J. als Lotse das Küstenmotorschiff "T" (Heimathafen Bergen in Norwegen) auf der Talfahrt von Ruhrort nach Rotterdam. Ihm entgegen kam u.a. ein vom Betroffenen A. geführter Schubverband, der aus dem Schubschiff "R" und 3 Leichtern bestand, die teils vor dem Schubschiff, teils an seiner Backbordseite befestigt waren. Es herrschte dichter Nebel. Beide Schiffsführer fuhren deshalb nach Radar, wobei der Lotse J. dadurch behindert wurde, dass sein Radargerät nicht auf Bedienung durch nur einen Mann eingerichtet war. Er übersah deshalb den ihm entgegenkommenden Schubverband, bis er, auf der Höhe von Walsum aufdrehend, um dort zur Übernahme weiterer Ladung anzulegen, mit diesem zusammenstiess. Das Aufdrehmanöver war über Sprechfunk angekündigt worden, was der Betroffene A. gehört hatte. Er sah "T" auch auf seinem Radarbild. Der Versuch, mit seiner Führung über Sprechfunk in Verbindung zu treten, misslang.
Der Betroffene A. setzte daraufhin die Geschwindigkeit seines Schubverbandes soweit herab, dass dieser fast stand. Trotzdem stiess das wendende Küstenmotorschiff gegen einen der Leichter des Verbandes. Das hinter "T" zu" Tal fahrende TMS "AS" wurde von dem Betroffenen W. geführt. Angesichts der Kollision versuchte er, zwischen "T" und dem rechten Ufer zu passieren. Dabei geriet "AS" auf eine Kribbe, verlor sein Ruder und stiess nacheinander gegen 2 Stillieger. Der mit den geschilderten Ereignissen verbundene Sachschaden war erheblich.
Im Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts wird zu Lasten der Betroffenen folgendes festgestellt:
a) Der Lotse J. habe ohne Mitwirkung eines zweiten Mannes das Küstenmotorschiff "T" nach Radar geführt, obschon dessen Einrichtung eine solche Führung nicht erlaubt habe. Er habe infolgedessen das Radarbild ungenügend ausgewertet und den ihm entgegenkommenden Schubverband vor der Kollision nicht erkannt.
Sein Verhalten grenze an Gefährdung des Schiffsverkehrs. Es sei die erste Ursache der folgernden Ereignisse gewesen.
b) Der Schiffsführer A. habe frühzeitig gewusst, dass ihm ein Talfahrer entgegenkomme, der die Absicht angekündigt habe, aufzudrehen. Dessen Kurs sei nicht eindeutig gewesen, denn er habe von linksrheinisch nach rechtsrheinisch geführt. Eine Verbindung über Sprechfunk sei mit dem Talfahrer nicht zustande gekommen. Durch das Verhalten des Talfahrers sei erkennbar eine Gefahrensituation entstanden, auf die der Betroffene A. nicht folgerichtig genug reagiert habe. Er habe zwar die Geschwindigkeit des von ihm geführten Verbandes verringert, hätte dies aber noch mehr tun und notfalls seilen Verband sogar stillegen müssen, bis klar geworden sei, dass keine Schwierigkeiten mit dem entgegenkommenden Schiff eintreten konnten. Die Schuld des Schiffsführers A. sei geringer als die des Lotsen J.
c) Der Schiffsführer W. habe sein Schiff nach Radar geführt, ohne ein entsprechendes Patent zu besitzen. Selbst wenn seine Darstellung der Bewegungen der kollidierten Schiffe nach der Havarie richtig wäre, so hätte er mit solchen nicht voll kalkulierbaren Bewegungen rechnen müssen, da sie als Folge von Schiffszusammenstössen nicht aussergewöhnlich seien. Im übrigen sei die Darstellung des Betroffenen W. durch die Beweisaufnahme nicht bestätigt worden. Ihm sei vorzuwerfen, mit erheblicher Geschwindigkeit in eine unklare Situation hineingefahren zu sein.
Gegen das ergangene Urteil hat lediglich der Betroffene A. Berufung eingelegt. Sie ist formell nicht zu beanstanden und führt aus den folgenden Gründen zum Freispruch des Betroffenen.
Bei der Feststeilung seines Verhaltens vor dem Schiffszusammenstoss muss von seiner eigenen Schilderung ausgegangen werden, da die Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit geliefert hat. Danach hat der Schiffsführer A. die Gefährlichkeit der sich angesichts des Verhaltens von "T" entwickelnden Lage erkannt und darauf wie folgt reagiert. Er ermässigte die Geschwindigkeit seines Verbandes soweit, dass dieser fast stand, als "T" vor ihm aufdrehte. Ausserdem verlegte er den Kurs des Verbandes soweit nach Steuerbord, wie dies mit Rücksicht auf stilliegende Schiffe möglich war.
Die Berufungskammer sieht in diesem Verhalten keinen Verstoss gegen § 1.04 RSchPVO. Der Schiffsführer A. durfte davon ausgehen, dass das ihm entgegenkommende Schiff nach Radar fuhr. Dafür sprachen der dichte Nebel, der eine Fahrt ohne Radar unmöglich machte, und die Tatsache, dass sich der Talfahrer über Sprechfunk gemeldet hatte. Ein solches Gerät gehört zur Radarausrüstung eines Schiffes. Es wird allerdings auch auf Schiffen ohne diese Ausrüstung benutzt. Ein wider Erwarten ohne Radarbenutzung fahrendes Schiff hätte aber angesichts des Wetters hierauf im Sprechfunkverkehr hinweisen müssen und hingewiesen. Konnte aber der Schiffsführer A. davon ausgehen, dass der ihm entgegenkommende Talfahrer nach Radar fuhr, so konnte er auch unterstellen, dass sein Verband, der besonders breit war, von ihm gesehen wurde. Es war nicht voraussehbar, dass diese Voraussetzung wegen falscher Auswertung des Radarbildes auf "T" nicht gegeben war. War der Schubverband aber erkannt, so konnte erwartet werden, dass der Talfahrer "T" sein Aufdrehmanöver nicht gerade vor dessen Kopf ausführen werde, wie es geschehen ist.
Angesichts dieser Umstände war die Herabsetzung der Geschwindigkeit des Schubverbandes bis fast zum Stillstand eine ausreichende Reaktion auf die sich ankündigende Gefahrenlage. Es waren keine Faktoren erkennbar, die es der Führung des Schubverbandes geboten, ihn stillzulegen. Die objektive Notwendigkeit einer solchen Massnahme kann allein daraus abgeleitet werden, dass man auf "T" trotz der Benutzung des Radargerätes den Schubverband nicht sah. Gerade davon konnte aber, wie bereits dargelegt, dessen Führung nicht ausgehen. Die bisherigen Darlegungen zeigen auch, dass für den Führer des Schubverbandes keine Notwendigkeit zu erkennen war, Schallzeichen zu geben, denn ein Schiff, das zu sehen ist, braucht nur unter aussergewöhnlichen Umständen durch Schallzeichen auf sich hinzuweisen. Solche Umstände waren im vorliegenden Falle weder der Nebel, der die Sichtbarkeit des Schubverbandes für Radarfahrer nicht aufhob, noch der Kurs von "T", der nicht notwendig den Zusammenstoss zur Folge haben musste. Dieser war, wie immer wieder hervorgehoben werden muss, allein eine Folge der Tatsache, dass man auf "T" den Schubverband nicht erkannt hat. Für dieses Versagen ist dessen Führung allein verantwortlich.
Aus den dargelegten Gründen wird, für Recht erkannt:
Das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 22.10.1980 wird, soweit dadurch gegen den Schiffsführer A. eine Geldbusse von DM 150,- verhängt worden ist, aufgehoben.
Der Schiffsführer A. wird freigesprochen.
Er hat keine Verfahrenkosten zu tragen. Notwendige Auslagen infolge des Verfahrens sind ihm zu ersetzen.
Die Festsetzung erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort unter Berücksichtigung von Artikel 39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte.