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Leitsatz:
Die Regel des § 10.01 Nr. 1 RhSchPoIVO, wonach bei Hochwasserständen zwischen den Marken I und II die Talfahrt möglichst in der Mitte, die Bergfahrt im mittleren Drittel des Rheins fahren muß, schließt die Anwendung einer für normale Wasserstände geltenden Regel aus, daß die Bergfahrt das linke, die Talfahrt das rechte Ufer anzuhalten hat.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 26. Mai 1981
(Auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts St. Goar VOM 18. Juni 1980 - 109 Js (a) 56078/7,9 BSchRh -)
Zum Tatbestand:
Am 19.3.1979 fuhr der Betroffene mit dem von ihm geführten MS "M" in der Nähe des Bankecks zu Berg. Der Wasserstand des Rheines war höher als die Hochwassermarke I, die bei einem Stand des Kauber Pegels von 4,60 tu erreicht wird. Das Schiff des Betroffenen fuhr im mittleren Drittel des Rheinstroms, wie der Staatsanwalt behauptet, an dessen Grenze zum rechten Ufer. Beamte der Wasserschutzpolizei, welche die Fahrt beobachteten, sahen in ihr einen Verstoss gegen § 9.06 Nr. 1 RSCHPVO, der bestimmt, dass zwischen Lorch und St. Goar die Bergfahrt das linke, die Talfahrt das rechte Ufer (in der Fahrtrichtung gesehen) anzuhalten habe. Wegen dieses Verstosses erging gegen den Betroffenen der Bussgeldbescheid vom 19.3.1979 über DM 34,-.Seim Einspruch führte zur Festsetzung einer Geldbusse von DM 30,- durch das Rheinschiffahgericht St. Goar im Urteil vom 18.6.1980. Das Gericht beruft sich in der Begründung nicht nur auf § 9.06 Nr. 1, sondern auch auf § 10.01 Nr. 1 RSchPVO. Die letztere Norm bestimmt, dass zwischen Basel und der Spyck'schen Fähre bei Hochwasserständen zwischen den Marken I und II alle Fahrzeuge in der Talfahrt möglichst in der Mitte, in der Bergfahrt im mittleren Drittel des Stromes fahren müssen.
Aus beiden Regeln entnimmt das Rheinschiffahrtsgericht, der Betroffene habe im mittleren Stromdrittel an dessen Grenze zum linken Ufer fahren müssen und nicht, wie geschehen, an dessen Grenze zum rechten Ufer, Der Betroffene hat Berufung bei der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt eingelegt. Er ist der Ansicht, so gefahren zu sein, wie es die örtlichen Umstände geboten hätten.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist formell nicht zu beanstanden.
Insbesondere ist sie mit Rücksicht auf die Höhe des verhängten Bussgeldes, das unter der Grenze von 50 Goldfranken liegt, nicht unzulässig. Die Berufungskammer hat wiederholt erklärt, dass die Regel des Artikels 37.1 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte dahin zu verstehen ist, dass es für die Frage der Zulässigkeit der Berufung auf die im einzelnen Falle mögliche, nicht aber auf die verhängte Busse ankommt.
Das mögliche Bussgeld überschreitet aber den Betrag von 50 Goldfranken. In der Sache hat die Berufung aus rechtlichen Gründen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer fehlerhaften Anwendung mehrerer Fahrregeln für die Rheinschiffahrt. Das Rheinschiffahrtsgericht kombiniert die beiden Fahrregeln der §§ 9.06 Nr. 1 und 10.01 Nr. 1a RSchPVO und gewinnt so aus ihnen eine dritte, die es angeblich der Bergfahrt gebietet, bei Hochwasserständen zwischen der Marken I und II im mittleren Drittel des Stromes, aber an dessen Grenze zum linken Ufer zu fahren. Dabei übersieht es, dass die genannten Normen unterschiedliche Situationen jeweils abschliessend regeln und deshalb nicht kombiniert werden können. Die Regel des § 9.06 Nr. 1 gilt bei normalem Wasserstand, diejenige des § 10.01 Nr. 1a für Hochwasserstände zwischen der Marken I und II.
Beide sind abschliessend und deshalb nicht ergänzbar. Dies geht schon aus dem Wortlaut von § 10.01 Nr. 1a RSchPVO hervor. Er bestimmt z.B., dass sich die Talfahrt möglichst in der Mitte (des Rheinstromes) zu halten hat. Jede Veränderung dieses Gebotes scheitert schon an seinem Wortlaut, den eine Fahrt möglichst in Strommitte schliesst es aus, dabei ein Ufer anzuhalten, wie es § 9.06 Nr. 1 für Fahrten bei normalem Wasserstand gebietet. Eine ähnliche präzise Fahrregel gibt der § 10.01 Nr. 1a aber auch der Bergfahrt, wenn er auch deren Revier etwas weiter abstreckt als dasjenige der Talfahrt. In dem ihr zugeteilten Raum darf die Bergfahrt ihre Kurse so legen, wie es die jeweilige Situation erfordert. Der Standpunkt des Rheinschiffahrtsgerichtes führt dagegen zu einer Einschränkung des der Bergfahrt zugeteilten Fahrreviers auf denjenigen Teil davon, der in der Nähe des linken Ufers liegt. Damit wird die genannte Fahrregel aber abgeändert. Gegen den Standpunkt des Rheinschiffahrtsgerichts spricht auch § 10.0l Nr. 1 b RSchPVO. Er erlaubt es der Schiffahrt, abweichend von der Regel Nr. 1a näher an ein Ufer heranzufahren, wenn die örtlichen Verhältnisse es erfordern. Diese Moria gilt für Berg- und für Talfahrer. Beide dürfen also unter Umständen das mittlere Stromdrittel nach beiden Ufern hin verlassen. Das ist der Bergfahrt nur möglich, wenn ihr Kurs im mittleren Stromdrittel sowohl an der Grenze des linken als auch an derjenigen des rechten Ufers liegen darf.
Nun meint allerdings das Rheinschiffahrtsgericht, die Regel des § 9.06 Nr. 1 RSchPVO sei bei Hochwasserständen besonders sorgfältig einzuhalten, damit die Schiffsbegegnungen in geregelten Bahnen backbord an backbord erfolgen könnten.
Dem ist entgegenzuhalten, dass die Urheber des § 10.01 RSchPVO offenbar anderer Ansicht waren und ihre Fahrregelung bei Hochwasser für ausreichend hielten.
Es wird für Recht erkannt:
Auf die Berufung des Betroffenen wird das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts St. Goar vom 18.6.1980 aufgehoben.
Der Betroffene wird freigesprochen.
Er hat keine Verfahrenkosten zu tragen. Notwendige Auslagen für das Verfahren sind ihm zu erstatten.
Ihre Festsetzung erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht St.Goar unter Berücksichtigung von Artikel 39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte.
Der Stellvertretende Gerichtskanzler: Der Vorsitzende:
(gez.) A. BOUR (gez.) P. QUANJARD