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12 Z - 4/71 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 16.06.1971
Aktenzeichen: 12 Z - 4/71
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

Urteil

vom 16. Juni 1971

(Auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 18. Dezember 1970 - 115/70 Bsch)

Zum Tatbestand:

1. Am 14 Januar 1969 drehte gegen 11.45 Uhr das sich auf Talfahrt befindliche MS "A" bei Rheinstromkilometer 861,1 bei Lobith auf und ging rechtsrheinisch auf niederländischem Gebiet vor Anker. Um 12.15 Uhr kollidierten linksrheinisch auf deutschem Gebiet MTS "M" und MS "U" mit der Folge, dass MTS "M" quer über den Strom schoss und gegen MS "A" prallte. Der Eigner und der Schiffsführer von MTS "M" (Beklagte zu 1 und 2) bestreiten nicht, dass ihr Schiff den Schaden an MS "A" verursacht hat, und haben den größten Teil dieses Schadens gedeckt. An Stelle des Eigners von MS "A" macht indessen die Klägerin, bei der das Schiff versichert war, kraft Surogation einen weiteren Schaden von DM 1.773,-- mit Klage vom 22. Oktober 1970 vor Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort geltend; die Beklagten bestreiten, diesen weiteren Betrag schuldig zu sein.

2. Die Klägerin erachtete das angerufene deutsche Rheinschifffahrtsgericht gestützt auf Art. 35, Abs. 2 in Verbindung mit Art. 35 bis, Abs. 1 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte "Mannheimer-Akte" nachstehend "MA" genannt für zuständig, da das schuldhafte Verhalten des beklagten Schiffes, zum mindesten als Teilursache, auf deutschem Gebiet begangen worden sei, Das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort habe auch im Strafverfahren gegen den Schiffsführer seine Zuständigkeit bejahte Es sei unerheblich, dass der Erfolg des schuldhaften, in deutschen Gewässern begangenen Verhaltens erst auf niederländischem Gebiet eingetreten sei.

3. Die Beklagten bestreiten die Zuständigkeit des angerufenen Rheinschifffahrtsgerichts, da sich die Kollision zwischen MTS "M" und MS "A" auf niederländischem Gebiet ereignet habe und verlangten eine Vorabentscheidung über die Frage der örtlichen Zuständigkeit des angerufenen Rheinschifffahrtsgerichts. Sie berufen sich auf Artikel 35 der "MA" sowie das Urteil der Rhein- Zentralkommission vom 11. Oktober 1956. Die Klägerin verlangte hierauf ebenfalls eine Vorabentscheidung über die Frage der örtlichen Zuständigkeit. Sie vertrat die Auffassung, das Urteil der Zentralkommission vom 11. Oktober 1956 sei durch den am 20. November 1963 in die "MA" neu aufgenommenen Artikel 35 bis überholt. Mit Zwischenurteil gemäß dt. ZPO § 275 vom 18. Dezember 1970 hat das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort die Einrede der Unzuständigkeit verworfen. Es bejahte seine Zuständigkeit u. a. mit der Begründung, dass in Artikel 35 bis,, der "MA" eine Ausnahme vom Grundsatz des Artikels 35 vorgesehen sei, wenn die schädigende Ereignisse in den Hoheitsgebieten zweier Uferstaaten eingetreten sind* Dann sei nämlich allein das zuerst angerufene Gericht zuständig, und die bisherige Rechtsprechung der Zentralkommission sei durch den im Jahre 19'63 neu aufgenommenen Artikel 35 bis hinfällig geworden. Es komme für die Zuständigkeit nach dieser Neufassung der "MA" allein darauf an, ob die schädigenden Ereignisse in den Hoheitsgebieten zweier Uferstaaten eingetreten. sind, was im zu beurteilenden Rechtstreite der Fall sei. Gegen das am 21. Dezember 1970 zugestellte Zwischenurteil haben die Beklagten am 15. Januar 1971 (eingegangen beim Gericht am 18. Januar 1971)Berufung eingelegt, Ei» Beklagten halten an ihrer Auffassung fest und erachten das angerufene Rheinschifffahrtsgericht für unzuständig. Die Klägerin beantragte Abweisung der Berufung.

Aus den Entscheidungsgründen:

1. Die Berufung ist in der vorgeschriebenen Form und rechtzeitig eingelegt worden.

2. Es stellt sich einmal die Frage, ob ein einheitliches Kollisionsereignis vorliegt, an dem MS "U", MS "A" und MTS "M" beteiligt waren, oder ob zwei getrennte Kollisionsfälle zu beurteilen sind. MTS "M" kollidierte als Folge der gleichen fehlerhaften Fahrweise, sofern ein solches Verschulden überhaupt erstellt ist, was im materiellen Prozess zu entscheiden wäre, nicht nur mit MS "A", auf niederländischen Gebiet, sondern kurz zuvor auf deutschem Gebiet mit MS "U". Die Folge der ersten Berührung mit MS "U" war, dass MTS "M" auf das andere Ufer hinüber getrieben wurde und dort mit MS "A" kollidierte. Wäre MTS "M" nicht mit MS "U" kollidiert, so hätte sich auch nicht die anschließende Kollision mit MS "A" ereignet. Die zweite Kollision war somit die kausale Folge der ersten. Im gleichen Kollisionsereignis waren folglich 3 Schiffe involviert, und für dieses, ursächlich einheitliche Kollisionsereignis ist jedoch der Schaden bezüglich MS "U" auf deutschem und bezüglich MS "A" auf niederländischem Gebiet eingetreten, also im Gebiet zweier Uferstaaten.

3. Nach Artikel 35 der MA ist in Zivilsachen dasjenige Rheinschifffahrtsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Schaden zugefügt wurde (französische Fassung: "le tribunal dans le ressort duquel le dommage aura ete cause"). Es trifft zu, dass die Zentralkommission in ihrer früheren Praxis (zitiert bei EL Walther: La jurisprudence de la Commission Centrale pour la Navigation du Rhin 1832-1939, S. 78 ff.) jeweils auf den Ort abgestellt hat, wo zwei Schiffe zusammengestoßen sind d.h. der Erfolg eingetreten ist, und nicht darauf abstellte, wo das schadensverursachende Verhalten sich zugetragen hat. Später haben die Urteile der Zentralkommission indessen auch die Frage behandelt, ob auf den Begehungsort oder auf den Erfolgsort abzustellen sei, und im Urteil vom 18 November 1936 (zitiert bei Walther 1.c. S. 82) hat die Zentralkommission u. a. erklärt : "La Convention de Mannheim considere comme etant decisif pour la Solution de la question de competence territoriale l'evenement qui est apparu seul ou ä titre prineipal comme cause directe du dommage". Auch das Rheinschifffahrtsgericht Kehl hat in seinem Urteil vom 7. Januar 1931 (zitiert bei Walther: 1. c. s. 84) entschieden:  Nach Artikel 35 der Rheinschifffahrtsakte bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit der Rheinschifffahrtsgerichte darnach, in welchem Gerichtsbezirk "der Schaden zugefügt wurde" oder nach dem für die Gesetzesauslegung als maßgebend zu Grunde zu legenden französischen Text - in welchem Gerichtsbezirk "le dommage aura ete cause. Hiernach ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Schaden "verursacht" worden ist. Wenn nun mehrere Vorgänge als Ursache der Beschädigung in Betracht kommen, so ist nicht, der erste Vorgang als der hiernach allein maßgebende "verursachende" anzusehen, sondern jeder dieser Vorgänge. Vielmehr ist der Begriff der Verursachung im Sinne dieser Gesetzesbestimmung auf jede mit der Beschädigung in rechtlich erheblichem Kausalzusammenhang stehende Handlung abzustellen. Das letzte Urteil der Zentralkommission in einer solchen Streitfrage vom 11. Oktober 1956 (Damco ca. van de Graaf) auf das sich die Beklagten berufen, führte aus: "Considerant que l'art" 35 de la Convention de Mannheim stipule que la competence appartiendra au tribunal dans le ressort duquel le dommage aura ete cause et qu' en consequence, selon la juris-prudenee constante de la COR., le tribunal competent est celui dans le ressort duquel les dommages se sont effectivement produits. Considerant que le present litige porte sur les dommages subis par le chaland "Damco 31" dans sa collision avec le chaland avalant, de sorte quen l'occurrence c'est le tribunal dans le ressort duquel s'est produite cette collision qui est competent territorialement". In diesem Verfahren war nur streitig, ob die Kollision auf diesem oder jenem Territorium eingetreten ist, jedoch nicht, wo der Begehungsort und wo der Erfolgsort sich befand, sodass die kurzen, vorstehend zitierten Urteilsmotive für diese letztere Frage keine präjudizielle Bedeutung haben.

4. Anlässlich der Revision der MA vom 20. November 1963 ist, um frühere, streitige Kompetenzfragen durch eine positive Bestimmung zu regeln, der neue Artikel 35bis eingefügt worden, dessen Absatz 1 lautet : "Sind im Falle des Artikels 34 Ziffer II, Buchstabe c die schädigenden Ereignisse in den Hoheitsgebieten zweier Ufer-Staaten eingetreten, oder ist es unmöglich festzustellen, in welchem Hoheitsgebiet sie eingetreten sind, so ist das allein oder zuerst angerufene Gericht zuständig". Die französische Fassung lautet: "Lorsque ...... les faits dommageables se sont produits ....". Mit der Anwendung dieser neuen Vorschrift hat sich die Berufungskammer bisher noch nicht befassen müssen. Es stellt sich folglich die Frage, ob und inwieweit der neue Artikel 35bis eine Ausnahme von der Regel in Artikel 35 darstellt, oder ob nur eine Ergänzung dieser Regel im Falle eines besonderen Sachverhalts vorgesehen ist.

5. Die Berufungskammer pflichtet der in früheren Urteilen der Zentralkommission vertretenen Auffassung bei, wonach sich der Wortlaut von Artikel 35 MA ("... Schaden zugefügt wurde") nicht nur auf den Ort bezieht, wo der Schaden als Folge einer unerlaubten Handlung eingetreten ist, sondern ebenfalls auf den Ort, wo der Schaden verursacht, d.h. die unerlaubte Handlung begangen worden ist. Der französische  Wortlaut der MA ("le dommage aura ete cause") lässt diese Interpretation schlechthin zu,  die jedoch auch aus allgemeinen Erwägungen als die richtige anzusehen ist. Der neue Artikel 35 bis bringt insofern eine Präzision der Begriffe, als er nicht vom Ort, wo "der Schaden zugefügt wurde" spricht, sondern von den "schädigenden Ereignissen", die im Hoheitsgebiet zweier Uferstaaten "eingetreten sind". .. ("faits dommageables produits"). Auch hieraus folgt, dass auf den Verursachungsort und nicht nur auf den Ort, wo der schädigende Erfolg eingetreten ist, abgestellt wird. Das "schädigende Ereignis" ("fait dommageable") ist die unerlaubte Handlung an sich und nicht oder nicht nur der Erfolg. Maßgeblich ist vor allem die Ursache, die zum Schaden geführt hat* Die neue Formulierung von Artikel 35bis kann nicht nur - bezwecken, die seltenen Fülle zu regeln, in denen nur der Schaden im Gebiet zweiter Staaten eingetreten ist, sondern in erster Linie sind die Fälle anvisiert, in denen im Gebiet zweier Staaten ein Schaden im Sinne des Begehungsortes verursacht worden ist« Wenn sich eine Kollision zwischen zwei oder mehreren Schiffen als hauptsächlichster Anwendungsfall von Artikel 3 Ziffer. II., Buchstabe c. der MA. an oder auf der Grenze zweiter Staaten im Strom ereignet hat, wird, zumal da eine Kollision sich meistens aus der Begegnung der beteiligten Schiffe heraus ergibt, sehr oft ein Schiff noch im Gebiet eines Staates falsch manövriert haben und ein Schiff auf dem Gebiet des andern Staates beschädigen können. Die Schädigung kann auch beginnen, während sich das beschädigte Schiff auf der Grenze befindet, in der Unfallendsituation aber nur noch im Gebiet eines Staates liegt« Allein darauf abzustellen, wo das Schiff zufälligerweise am Ende der gesamten Kollisionssituation sich befindet, konnte nicht der Sinn der neuen Vorschrift von Artikel 35bis sein, der ja auch den Fall deckt, in dem es unmöglich ist festzustellen, wo die schädigenden Ereignisse eingetreten sind. Deshalb darf der Wortlaut von Artikel 35 MA. vor allem in seiner französischen Fassung...le dommage aura ete cause") in Verbindung mit der Novelle in Artikel 35bis ("faits dommageables") dahingehend interpretiert werden, dass auf den Ort der Verursachung wie auch auf den Ort des Schadenseintritts abzustellen ist, und wenn diese Orte in verschiedenen Gerichtsbezirken liegen, der Kläger das in Artikel 35bis vorgesehene Wahlrecht hat.

6. Im Sinne der vorstehenden Erwägungen bezieht sich somit der Begriff des "Eintritts des schädigenden Ereignisses" in Artikel 35 bis der MA gleichermaßen auf den Begehungsort wie auf den Ort des Erfolgseintritts. Diese Bestimmung stellt keine Ausnahme zu Artikel 35 MA dar, sondern ergänzt und erläutert die in diesem Artikel getroffene Regelung. Im vorliegenden Falle wird den Beklagten vorgeworfen, mit MTS "M" auf dem deutschen Teil des Stromes schuldhaft reglementwidrig gefahren zu sein, sodass der Begehungsort der behaupteten unerlaubten Handlung auf deutschem Gebiet liegt. Es wird Sache des materiellen Verfahrens sein, zu beurteilen, ob eine solche unerlaubte Handlung vorliegt. Wird aber eine schuld- und fehlerhafte Fahrweise festgestellt, so ist die unerlaubte Handlung auf deutschem Gebiet begangen worden und einzig der Schaden an MS. "A" auf niederländischem Gebiet eingetreten. Die Klägerin hat allein das für den deutschen Strombereich zuständige Rheinschifffahrtsgericht angerufen, dessen örtliche Zuständigkeit gegeben ist, da die Begehung der unerlaubten Handlung als schadensverursachendes Ereignis im Bezirk dieses Gerichtes stattgefunden hat. Die Einrede der Unzuständigkeit ist demnach zu verwerfen.

Aus diesen Erwägungen wird für Recht erkannt:

1) Die Berufung der Beklagten wird als zulässig erachtet, jedoch zurückgewiesen und das Zwischenurteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 18 Dezember 1970 bestätigt.

2) Die Kosten des Berufungsverfahrens, die gemäß Artikel 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte vom Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort festzusetzen sind, gehen zu Lasten der Beklagten.

Der Gerichtskanzler:                                              Der Vorsitzende:

R. Doerflinger                                                        W. Muller