Rechtsprechungsdatenbank

12 W 204/16 - Oberlandesgericht (-)
Entscheidungsdatum: 05.07.2016
Aktenzeichen: 12 W 204/16
Entscheidungsart: Beschluss
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Abteilung: -

Leitsätze:

Während eines laufenden Prozesses sind Kosten für Privatgutachten grundsätzlich nicht erstattungsfähig, da in diesem Stadium das Gericht die erforderlichen Gutachten selbst einholt. Privatgutachten dienen nicht dazu, dem Sachvortrag Glaubwürdigkeit zu verleihen, sondern dazu, diesen zu substantiieren. Nur in Fällen unabweisbarer Notwendigkeit können Kosten eines Privatgutachtens erstattungsfähig sein, zum Beispiel, wenn einer Partei besondere technische, mathematische oder fachliche Kenntnisse der Gegenpartei fehlen.

Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg

vom 5. Juli 2016

Az.: 12 W 204/16

(Landgericht Regensburg, Az.: I HK O 2306/14)

Beschluss:
Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Landgerichts Regensburg vom 08.12.2015, Az. 1 HK O 2306/14, wird zurückgewiesen…

Gründe:
I. Der Kläger wendet sich gegen die unterbliebene Festsetzung der Kosten eines während des Prozesses eingeholten Privatgutachtens im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens.
Der Kläger hat die Beklagte im zugrunde liegenden Rechtsstreit auf Zahlung eines Entgelts für Reparaturarbeiten an einem Schiffsmotor in Anspruch genommen. Die Beklagte hat in der Klageerwiderung vom 02.03.2015 u.a. eingewendet, dass die Klägerin keine ordnungsgemäß rekonditionierten Bauteile eingebaut habe und sich zur Substantiierung dieses Einwands auf einen als Anlage vorgelegten, zehnseitigen „Feststellungsbericht“ eines Sachverständigenbüros P. berufen. 
Im Kostenfestsetzungsantrag vom 21.08.2015 hat der Klägervertreter Gutachterkosten in Höhe von insgesamt 6.620,00 € netto für zwei Bescheinigung des Privatsachverständigen Dipl.-Ing. K. vom 12.03.2015 und vom 29.04.2015 geltend gemacht und ausgeführt, dass die Kosten für die Gutachten als Substantiierungsgutachten aus Gründen der Waffengleichheit nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO erstattungsfähig seien. Die Kosten seien zur sachgerechten Interessenwahrnehmung erforderlich gewesen. Hinsichtlich der erforderlichen Material- und Ölanalyse habe die Klägerin keinen hinreichendenden eigenen Sachverstand, die einschlägigen Wartungsvorschriften des Herstellers hätten der Klägerin nicht vorgelegen. 
Mit Schriftsatz vom 21.08.2015 hat der Klägervertreter weiter vorgetragen, die Klägerin sei auf die Privatgutachten zur Schaffung einer mit dem Beklagtenvortrag gleichwertigen Glaubwürdigkeit angewiesen gewesen, nachdem sie als Handwerkbetrieb weder sprachlich noch wissenschaftlich in der Lage gewesen sei, die sehr subtilen und spezifizierten Einwände der Beklagten in technisch-wissenschaftlicher Sicht zu entkräften. 
Mit Schriftsatz vom 05.11.2015 hat der Klägervertreter sodann noch ausgeführt, das von der Beklagten vorgelegte Privatgutachten habe vorrangig den Zweck verfolgt, den Mangelvorwurf zu untermauern und die Richtigkeit des Vorwurfs möglichst objektiv belegen zu lassen. Aus Gründen der Waffengleichheit müsse daher der Beklagten die Möglichkeit offen stehen, ihren eigenen Vortrag durch einen objektiven Privatgutachter zu verstärken und näher technisch begründen zu lassen. 
Im angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 08.12.2015 hat das Landgericht die Gutachterkosten nicht festgesetzt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die für eine Festsetzung erforderliche unabweisbare Notwendigkeit für die Einholung der Privatgutachten wegen der ausreichenden Sachkunde der Klägerin nicht vorliege. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 04.01.2016. Zur Begründung weist der Klägerin darauf hin, dass die Kosten für die Einholung von Privatgutachten auch dann erstattungsfähig sind, wenn es gelte, ein vorliegendes privates oder gerichtliches Sachverständigengutachten zu überprüfen, zu widerlegen und zu erschüttern (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 2. Februar 2009 – 22 W 1/09 BSch ZfB 2009, Sammlung Seite 2019 ff). Dies ergebe sich auch daraus, dass durch die Qualifizierung des gegnerischen Sachvortrags erhöhte Anforderungen an die Substantiierung des eigenen Sachvortrag der Partei gestellt werden, und aus der Möglichkeit, dass das Gericht allein dem Privatgutachten der Gegenseite folgen könnte. Die unmittelbare Prozessbezogenheit der Gutachten sei gegeben. Zudem verweist die Klägerin auf Entscheidungen des OLG Köln (Beschluss vom 21. September 2015 – I-17 W 64/15) und des OLG Koblenz (Beschluss vom 1. Dezember 1988 – 14 W 706/88).
I. Die – zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte – Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Zutreffend hat das Landgericht die Erstattungsfähigkeit der Kosten für die Privatgutachten des Sachverständigen Dipl.Ing. K. verneint.

Einfügung – Gründe erster Instanz 
Angesichts der Pflicht der Parteien, die Prozesskosten gering zu halten, kann die Notwendigkeit, trotz eines laufenden Verfahrens Privatgutachten einzuholen, nur in seltenen, eng umgrenzten Ausnahmefällen bejaht werden, siehe auch Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Auflage 2013, Rn. 162 zu § 91. Es kommt hierbei auf die Exante Betrachtung einer verständigen und wirtschaftlich vernünftig denkenden Partei an. Nach Meinung des Gerichts liegt hier ein solcher Ausnahmefall aber nicht vor.
Ende Einfügung

1. Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere sind die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig waren. Kosten für ein – wie im Streitfall – prozessbegleitendes Privatgutachten sind in aller Regel jedoch nicht erstattungsfähig, da es Aufgabe des Gerichtes ist, die Beweiserhebung durch Einholung von gerichtlichen Sachverständigengutachten durchzuführen. Ausnahmen bestehen nur insoweit, als das Privatgutachten prozessbezogen ist und die Sachkunde der Partei nicht ausreicht, um ihrer Darlegungslast zu genügen, einen gebotenen Beweis anzutreten oder Angriffe des Gegners abzuwehren. Es muss als eine unabweisbarer Notwendigkeit für die Einholung des Privatgutachtens vorliegen, die beispielsweise dann anzunehmen sein kann, wenn einer Partei besondere technische, mathematische oder sonstige fachliche Kenntnisse der Gegenpartei fehlen, oder es gilt, ein vorliegendes privates oder gerichtliches Sachverständigengutachten zu überprüfen, zu widerlegen, zu erschüttern oder dem gerichtlich bestellten Sachverständigen bei seiner Erläuterung sachdienliche Vorhalte zu machen ohne dazu selbst in der Lage zu sein (OLG Karlsruhe, ZfB 2009, Sammlung Seite 2019 ff.). 
2. Die erforderliche unabweisbare Notwendigkeit der Einholung der Privatgutachten hat das Landgericht zu Recht verneint. 
a) Die Klägerin beruft sich zu Recht nicht darauf, dass ihr im Vergleich mit der Beklagten besondere technische, mathematische oder sonstige fachliche Kenntnisse fehlen würden. Vielmehr handelt es sich bei der Klägerin gegenüber der Beklagten gerade um den Fachbetrieb, bei der Beklagten um den Kunden. 
b) Die unabweisbare Notwendigkeit besteht auch nicht hinsichtlich der Überprüfung, Widerlegung oder Erschütterung des von der Beklagten vorgelegten Privatgutachtens. Insofern zitiert die Klägerin ihrerseits die Entscheidung des OLG Karlsruhe (aaO) unvollständig, als es nicht nur darauf ankommt, dass es gilt, ein gegnerisches Privatgutachten zu überprüfen, zu widerlegen oder zu erschüttern. Hinzukommen muss vielmehr noch, dass die Partei hierzu selbst nicht in der Lage ist. Dies kann im Streitfall nicht erkannt werden. 
Der Senat ist überzeugt, dass die Klägerin mit ihrem eigenen Sachverstand in der Lage war, die Ausführungen im Privatgutachten nachzuvollziehen und diesen gegebenenfalls hinreichend entgegenzutreten. Das Privatgutachten enthält weit überwiegend tatsächliche, beschreibende Feststellungen zum Zustand der betreffenden Motorbauteile. Teilweise referiert der Privatsachverständige lediglich – sachkundige – Feststellungen des Inhabers der Klägerin. Soweit der Privatsachverständige Einschätzung dazu abgibt, ob sich diese Zustände mit den angegebenen Betriebsstunden vereinbaren lassen und daraus den Schluss zieht, dass die eingebauten Ersatzteile nicht ausreichend aufbereitet gewesen sein müssen, muss es der Klägerin möglich gewesen sein, aus eigener Kenntnis dazu vorzutragen, welche Teile eingebaut worden sein sollen und wie diese aufbereitet gewesen sein sollen. Hinsichtlich des Öls beschränkt sich der Privatsachverständige auf Hinweise zu weiteren Untersuchungen und auf eine Vermutung zur Ursache des erhöhten Ölverbrauchs, die mit einem Satz abgehandelt wird. 
Das Privatgutachten enthält somit keine Ausführungen, denen die Klägerin nicht mit ihrem eigenen Sachverstand zumindest insoweit hätte – sprachlich wie sachlich – begegnen können, als sie entsprechenden substantiierten Sachvortrag hätte bringen und entsprechende Beweise – insbesondere Sachverständigenbeweis – hätte anbieten können. Es ist auch nicht einzusehen, warum die Klägerin als Fachbetrieb nicht an die Wartungsvorschriften der Hersteller gelangen können sollte. Alles weitere – etwa die Material- und Ölanalyse – war der Begutachtung durch einen gerichtlichen Sachverständigen zu überlassen gewesen. 
c) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Klägerin bemühten Grundsatz der Waffengleichheit. 
Insbesondere war die Einholung der Privatgutachten nicht deswegen erforderlich, um dem Vortrag der Klägerin eine erhöhte Glaubwürdigkeit zu verleihen. Privatgutachten dienen nicht dazu, dem Sachvortrag Glaubwürdigkeit zu verleihen, sondern dazu, diesen zu substantiierten. Ein hinreichend substantiierter Vortrag wäre der Klägerin jedoch bereits aufgrund ihres eigenen Sachverstandes möglich gewesen. 
Vielmehr dürfte es der Beklagten zugestanden haben, den Kenntnisvorsprung der Klägerin dadurch auszugleichen, dass sie sich zur Überprüfung der Werkleistung der Klägerin eines privaten Sachverständigen bediente. Damit war Waffengleichheit hergestellt, ohne dass die Klägerin ein schützenswertes Bedürfnis an der Einholung weiteren Sachverstandes gehabt hätte. 
d) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den von der Klägerin zitierten Entscheidungen. 1) Aus der zitierten Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 11. November 2014 – VI ZR 76/13 – r+s 2015, 42) folgt entgegen der Ansicht der Klägerin nicht, dass das Gericht erst dann ein gerichtliches Sachverständigengutachten einholen könnte, wenn ein von einer Seite vorgelegtes Privatgutachten durch ein gegenläufiges Privatgutachten der anderen Seite „gekontert“ wird. Vielmehr hat das Gericht unabhängig vom Vorliegen von Privatgutachten bei jedem hinreichenden Sachvortrag einen angebotenen und entscheidungserheblichen Sachverständigenbeweis einzuholen. Die zitierte Rechtsprechung sagt hingegen hierzu lediglich aus, dass das Gericht nicht ohne nachvollziehbare Gründe dem gerichtlichen Sachverständigen folgen darf, wenn erhebliche Einwände durch ein Privatgutachten vorgebracht werden. 
2) Diesen Fall der Überprüfung eines gerichtlichen Sachverständigengutachten betrifft auch die zitierte Entscheidung des OLG Koblenz (Beschluss vom 1. Dezember 1988 – 14 W 706/88). 
Im Streitfall liegt jedoch gerade kein gerichtliches Sachverständigengutachten vor, das durch ein Privatgutachten angegriffen hätte werden müssen. 
3) Die Entscheidung des OLG Köln (Beschluss vom 21. September 2015 – I-17 W 64/15) bezieht sich nicht auf ein prozessbegleitendes, sondern auf ein vorgerichtliches Privatgutachten und bringt lediglich zum Ausdruck, dass eine nicht sachverständige Partei unter Umständen zur Substantiierung ihrer Mängelrügen auf die Einholung eines Privatgutachtens angewiesen sein kann. 
4) Für den Streitfall können daraus keine weiteren Erkenntnisse gewonnen werden.


Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2016 - Nr.8 (Sammlung Seite 2442f.); ZfB 2016, 2442 f.