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12 U 18/69 - Kammergericht (Schiffahrtsobergericht)
Entscheidungsdatum: 22.05.1969
Aktenzeichen: 12 U 18/69
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Kammergericht Berlin
Abteilung: Schiffahrtsobergericht

Leitsätze:

1) Ein wegen seiner Abhängigkeit von den Windverhältnissen schwerer zu manövrierendes Wasserfahrzeug, wie z. B. ein Segelboot, muß seinen Kurs stets so einrichten, daß ein Zusammenstoß mit anderen Wasserfahrzeugen auch dann nicht möglich ist, wenn diese entgegen seiner Erwartung ihren Kurs nicht ändern.

2) Insassen von Ruderbooten, die nicht in ihre Fahrtrichtung blicken können, verhalten sich nicht verständig, wenn sie in einem eng umgrenzten, mit Anlegeplätzen für Segelboote versehenen Gebiet eine Strecke von 40 m zurücklegen, ohne sich umzuschauen oder andere Sicherungsvorkehrungen zur Vermeidung von Kollisionen mit anderen Fahrzeugen zu treffen.

Urteil des Kammergerichts - Schiffahrtsobergericht

vom 22. Mai 1969

12 U 18/69

(Schiffahrtsgericht Charlottenburg)

Zum Tatbestand:

Ein bei der Klägerin versichertes Ruderboot (Riemenzweier ohne Steuermann) war auf seiner Trainingsstrecke im Gebiet der Scharfen Lanke bei Berlin mit einem den Beklagten gehörenden und von ihnen geführten Segelboot zusammengestoßen und zum Sinken gebracht worden.
Die Klägerin verlangt Ersatz des von ihr erstatteten Schadens in Höhe von etwa DM 2500,- und behauptet, daß die Beklagten die im Verkehr erforderliche Sorgfalt bei dem Wenden des Segelbootes hätten vermissen lassen. Sie hätten nicht in den Kurs des Ruderbootes hineinfahren dürfen.
Die Beklagten meinen, daß die Insassen des Ruderbootes den Unfall allein verschuldet hätten, weil es ihre Pflicht gewesen sei, sich rechtzeitig durch Umschauen zu vergewissern, ob die Trainingsstrecke frei sei.
Das Schiffahrtsgericht hat der Klage in vollem Umfange stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten ist der Klageanspruch vom Kammergericht als Schiffahrtsobergericht nur zur Hälfte zuerkannt und die Klage im übrigen abgewiesen worden.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Beklagten haben gegen die ihnen obliegenden Sorgfaltspflichten verstoßen, weil sie den Bootsverkehr in dem räumlich abgegrenzten Gebiet der Scharfen Lanke entweder nicht hinreichend beobachtet oder ihr späteres Fahrverhalten hierauf nicht, wie erforderlich, eingerichtet haben. Gerade weil ein Segelboot wegen seiner Abhängigkeit von den Windverhältnissen schwerer zu manövrieren ist als ein durch mechanische Kraft angetriebenes Wasserfahrzeug, muß ein Segler von vornherein darauf bedacht sein, seinen Kurs so einzurichten, daß ein Zusammenstoß mit anderen Wasserfahrzeugen auch dann nicht möglich ist, wenn diese entgegen seiner Erwartung ihren Kurs nicht ändern. Das gilt insbesondere gegenüber einem Ruderboot ohne Steuermann, bei dem die Insassen naturgemäß keinen oder jedenfalls keinen guten Überblick in ihrer Fahrtrichtung haben. Es mag sein, daß es für die Beklagten zu spät war, ein schnelles Ausweichmanöver vorzunehmen, als sie merkten, daß die Ruderer keine Anstalten trafen, ihren Kurs zu ändern. Das Verschulden der Beklagten liegt aber darin, daß sie ihr Fahrverhalten so eingerichtet hatten, daß nur noch durch eine Kursänderung der Ruderer ein Zusammenstoß vermieden werden konnte. Die Beklagten hätten vielmehr ihren Kurs so einrichten müssen, daß es zu dieser Lage nicht erst gekommen wäre. Entweder hätten sie überhaupt eine andere Fahrtrichtung einschlagen und die Nähe des Ruderbootes vermeiden oder das Wendemanöver schon durchführen sollen, bevor sie den Kurs der Ruderer das erste Mal kreuzten.
Die Schadensersatzpflicht der Beklagten, die gemäß §§ 830, 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldner haften, umfaßt jedoch nicht den gesamten Schaden, der dem Eigentümer des Ruderbootes entstanden ist. Nach § 254 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 831 BGB in entsprechender Anwendung muß der geschädigte Eigentümer den durch das zurechenbare Verhalten der Ruderer entstandenen Teil des Schadens selbst tragen, weil diese bei ihrem Rudertraining diejenige Sorgfalt außer acht gelassen haben, die ein ordentlicher und verständiger Mensch unter den gegebenen Umständen zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt.
Wenn es für ein ordnungsmäßiges Rudertraining auch erforderlich ist, längere Strecken in einem Zuge zurückzulegen, so kann das auf öffentlichen Gewässern jedoch nur dann erfolgen, wenn diese entweder so wenig befahren sind, daß die Gefahr eines Zusammenstoßes mit anderen Binnenschiffen nicht besteht oder wenn von einem Begleitboot aus für die Sicherheit der Ruderer und der anderen Binnenschiffer gesorgt wird. Wer auf einem eng umgrenzten und mit Anlegeplätzen für Segelboote versehenen Gebiet wie dem der Scharfen Lenke etwa 40 Meter zurücklegt, während weicher er nicht die Möglichkeit hat, in die Fahrtrichtung zu blicken, verhält sich nicht wie ein verständiger Mensch, der bedacht ist, Schaden von sich abzuwenden, wenn er nicht andere Sicherungsvorkehrungen trifft. Den Ruderern fällt aber auch zur Last, daß sie sich nach dem letzten Wenden nicht sorgfältig umgeschaut haben, weil sie sonst das aufgetakelte Segelboot der Beklagten hätten wahrnehmen müssen. Dann hätten sie diesem verständigerweise ihre erhöhte Aufmerksamkeit zugewandt: auch hierdurch hätte der Unfall vermieden werden können. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die Ruderer von ihrem tiefer liegenden 'Boot aus eine schlechtere Sicht haben als etwa die Beklagten als Segler; denn jede Einschränkung der Übersicht hätte sie zu besonderer Vorsicht bei der Umschau verleiten müssen. Weiterhin ist es unerheblich, ob die Ruderer oder die Beklagten oder beide nach dem Zusammenstoß erklärt haben, sie hätten nicht aufgepaßt, weil es dieses nach Lage der Dinge auf beiden Seiten zutreffenden Eingeständnisses nicht bedarf, um ein Verschulden der Beklagten und ein Mitverschulden der Ruderer festzustellen.
Sowohl die Beklagten als auch die Ruderer trifft der Vorwurf, in gleichem Maße nicht die erforderliche Aufmerksamkeit angewendet zu haben. Das rechtfertigt es, die Beklagten nur zum Ersatz der Hälfte des dem Bootseigentümer entstandenen Schadens zu verpflichten.
Ein Anspruch auf Ersatz der Kosten, die der Klägerin für den Sachverständigen H. entstanden sind, besteht nicht. Es handelt sich hier nicht um einen Schaden, den der Versicherungsnehmer der Klägerin erlitten hat, so daß ein Übergang auf die Klägerin gemäß § 67 Abs. 1 VVG ausscheidet. Es liegen vielmehr einige Aufwendungen der Klägerin vor, zu deren Ersatz die Beklagten nicht verpflichtet sind."