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Urteil des Kammergerichts - Schiffahrtsobergericht Berlin
vom 13. November 1980
12 U 1388/80
(Schiffahrtsgericht Charlottenburg)
Zum Tatbestand:
Das der Klägerin gehörende beladene TMS „A" (76,80 m lang, 8,20 m breit, 1,74 m Tiefgang am Unfalltag) erlitt bei der Bergfahrt auf der Spree von Spandau nach Lichterfelde in Berlin Tiergarten zwischen Gotzkowsky-Brücke und Wullenwebersteig durch Grundberührung nahe des südlichen Ufers einen Schiffsschaden. An der Unfallstelle verläuft die Spree in einer starken Linkskurve zu Berg. Das südliche Ufer wird an dieser Stelle durch eine 59 m lange senkrechte Stahlspundwand, davor und dahinter durch eine leicht schrägstehende Mauer aus Steinquadern markiert. Das nördliche Ufer ist als Böschung ausgestaltet. Das Flußbett hat kein Kasten- oder U-Profil, sondern ein Trapezprofil, das unter Wasser als Böschung verläuft. Am Unfallort beträgt die gesamte Flußbreite rund 55 m, die Fahrrinne etwa 34,70 m. Zur Unfallzeit betrug die Tauchtiefe ca. 2 m, die nach Angabe des Beklagten bei einem Uferabstand von 5-6 m erreicht wird.
Die Klägerin verlangt wegen der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht Schadensersatz in Höhe von etwa 37000,- DM mit der Behauptung, daß ihr bei einer zur Manövrierfähigkeit erforderlichen Geschwindigkeit von 7 km/h etwa 100 m unterhalb des Wullenwebersteiges ein DDR-Schubverband begegnet sei, der infolge der Streckenführung mit seinem Heck immer mehr auf die Fahrwasserseite des TMS „A" geraten sei und dieses gezwungen habe, sich in der Nähe des südlichen Ufers an der Stahlspundwand zu halten. Dort habe sich plötzlich die Grundberührung ereignet, bei der das Steuerbordruder abgerissen und am nächsten Tag von dem Taucher P. 25-30 m unterhalb des Wullenwebersteigs und 4 m von der Spundwand entfernt wiedergefunden worden sei.
An der Fundstelle habe die Wassertiefe 1,50-1,60 m, an der Spundwand nur 1,0-1,10 m betragen. 10-15 m unterhalb der Fundstelle habe ein 300-mm-Peiner-Stahlträger in 2 m Entfernung von der Spundwand aus dem Geröll herausgeragt. Über seiner Oberkante habe der Wasserstand 1,30 m betragen. Der Schiffsführer von TMS „A" habe wegen der senkrecht gebauten Spundwand annehmen müssen, daß die Spree mindestens in diesem Bereich ein Kastenprofil aufweise und Schiffe bis in Ufernähe fahren könnten, um Ausweichmanöver durchzuführen. Weder ein allgemeiner Erfahrungssatz noch eine besondere Widmung noch Streckenkarten deuteten darauf hin, daß trotz senkrechter Spundwände ein Uferabstand von 5-6 Metern eingehalten werden müsse. Auch hätten Hinweiszeichen auf das vorhandene Trapezprofil gefehlt. Der beklagte Finanzsenator als Vertreter des Landes Berlin habe das Flußbett nach alledem von dem besonders umfangreichen Hindernis, durch das die Grundberührung nebst Schiffsschäden verursacht worden seien, freihalten müssen.
Der Beklagte bestreitet eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht. Der Schiffsführer der Klägerin habe als Patentinhaber über eine besondere Streckenkunde verfügen und wissen müssen, daß in einem Streckenabschnitt, in dem über der Wasserlinie Schrägböschungen und senkrechte Uferwände wechselten, im Bereich der letzteren unter der Wasserlinie kein Kastenprofil, sondern - wie im ganzen Flußverlauf - nur ein Trapezprofil anzutreffen sei. Ein Ausweichmanöver in Ufernähe sei auch deshalb nicht in Betracht gekommen, weil es sich bei dem oberhalb der senkrechten Spundwand gelegenen Wullenwebersteig um eine Bogenbrücke handele, die von Frachtschiffen nicht in Ufernähe passiert werden könne. Im übrigen werde die Höhe der Schäden bestritten, zumal der Unfall nicht gemeldet und das Schiff, ohne Gelegenheit zur Besichtigung zu geben, zwecks Reparatur nach
Westdeutschland verbracht worden sei.
Das Schiffahrtsgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben. Das Kammergericht als Schiffahrtsobergericht hat die Klage auf Berufung des Beklagten in vollem Umfang abgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Von der Passivlegitimation des beklagten Landes Berlin für den geltend gemachten Schadensersatzanspruch ist auszugehen, und zwar unabhängig davon, ob er wegen einer angeblichen Verletzung einer öffentlich-rechtlichen Wasserstraßen-Unterhaltungspflicht seine Grundlage in Art. 34 GG in Verbindung mit § 839 BGB findet oder oberwegen der behaupteten Verletzung einer privatrechtlichen Verkehrssicherungspflicht auf die Vorschrift des § 823 BGB gestützt wird. Nach § 39 des Berliner Wassergesetzes - BerIWG - vom 23. Februar 1960 (GVBI. S. 133) ist die Pflicht zur Unterhaltung der Gewässer eine öffentlich-rechtliche Verbindlichkeit. Gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 1 BerIWG obliegt diese Pflicht bei Gewässern erster Ordnung mit Ausnahme der Bundeswasserstraßen, zu denen nach der Anlage zu § 2 BerIWG die Spree gehört, dem Lande Berlin. Indessen ist das BerIWG nach seinem § 111 Abs. 1 bis zum Inkrafttreten einer bundesrechtlichen Regelung auch auf die Bundeswasserstraßen sinngemäß anwendbar. Eine derartige, nach § 11 BerIWG die Zuständigkeit des Landes Berlin für die Unterhaltung der Stadt-Spree ausschließende bundesrechtliche Regelung ist bisher wirksam nicht getroffen worden. Zwar ist nach § 7 Abs. 1 des Bundeswasserstraßengesetzes - BWStrG - vom 2. April 1968 (BGBI. 1 S. 173) die Unterhaltung der Bundeswasserstraßen Hoheitsaufgabe des Bundes. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 BWStrG sind Bundeswasserstraßen im Sinne des Gesetzes aber nur solche, die in der Anlage hierzu aufgeführt sind. Dies trifft für die Spree im Bereich von Berlin-West nicht zu. In der BK-O (68) 1 vom 27. Mai 1968 (GVBI. Bln. S. 732) zum Mantelgesetz vom 25. April 1968, mit dem das BWStrG für Berlin übernommen worden ist, hat die Alliierte Kommandantur Berlin überdies festgestellt, daß in der Anlage zu dem BWStrG keine Berliner Wasserstraßen aufgeführt seien, und daran erinnert, daß die ehemaligen Reichswasserstraßen in den Westsektoren von Berlin Vermögenswerte darstellten, über die der zuständige Sektorkommandant das Kontroll- und gesetzliche Verfügungsrecht besitze, so daß die Berliner Wasserstraßen durch die Bestimmungen des BWStrG nicht berührt würden (vgl. dazu Friesecke, BWStrG, 1971, § 58 Rdn. 1, 2; Wengeler, JR 1950, 641 697ff.1). Dieser Hinweis bezieht sich auf den Vorbehalt der Militärgouverneure im Genehmigungsschreiben vom 12. Mai 1949 zum Grundgesetz, durch den die Verwaltungs- und Rechtsetzungskompetenz von Bundesorganen für Berlin West ausgeschlossen worden ist (vgl. dazu BVerfGE 1, 70 172h. Ebenso hat das Land Berlin seine Passivlegimation nicht geleugnet, insoweit es als mit der Wahrnehmung einer privatrechtlichen Verkehrssicherungspflicht befaßter Rechtsträger nach § 823 BGB auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird.
...
Die Frage, ob und in welchem räumlichen Umfange der Schifffahrt ein hindernisfreies Gewässer zur Verfügung zu stellen ist, beantwortet sich nicht aus dessen wegerechtlicher Widmung. § 28 Abs. 1 BerIWG enthält - insoweit inhaltlich übereinstimmend mit § 5 Abs. 1 BWStrG - lediglich allgemein die - gesetzliche - wegerechtliche Widmung zum Befahren der schiffbaren Gewässer (Bundeswasserstraßen) mit Wasserfahrzeugen (vgl. Friesecke a.a.O., § 5 Rdn. 6). Der Umfang der Pflicht zur Unterhaltung der Wasserstraße und damit korrespondierend der Umfang der Verkehrssicherungspflicht ergibt sich aus der tatsächlichen, dem vorgenommenen Ausbau entsprechenden Anlage der Wasserstraße (vgl. Friesecke a.a.O., § 8 Rdn. 5).
Hier ist das Unterwasserufer in Höhe der Unfallstelle, d. h. unterhalb der Stahlspundwand, sowie oberhalb und unterhalb dessen unstreitig trapezförmig ausgebaut. Nach dem Vorbringen des Beklagten entspricht dies dem Ausbau, wie er im Bereich der Stadt-Spree überwiegend anzutreffen ist. Gemäß der Zeugenaussage des Tauchers P. sind in diesem Bereich sowohl Kasten- als auch Trapezprofile vorhanden.
Jedenfalls ergibt sich aus dieser Uferkonstruktion, daß die Spree im Bereich der Unfallstelle nicht auf ihrer ganzen Breite, sondern innerhalb einer engeren Fahrrinne schiffbar ist. Dabei wird nach den übereinstimmenden Angaben des Beklagten und des Tauchers P. die Fahrwassertiefe ab einer Entfernung von etwa 5 m vom Ufer aus gemessen. Bei Vorhandensein einer Fahrrinne beschränkt sich die Pflicht zur Erhaltung eines verkehrssicheren Zustands allerdings nicht von vornherein auf deren Bereich. Zu unterscheiden ist hierbei zwischen dem engeren Begriff der Fahrrinne und dem weiteren des Fahrwassers. Fahrrinne ist derjenige für die durchgehende Schifffahrt bestimmte Teil der Wasserstraße, innerhalb dessen durch Stromregulierung und Baggerung eine bestimmte Breite und Tiefe geschaffen und erhalten wird. Fahrwasser ist dagegen der nach dem jeweiligen Wasserstand für die durchgehende Schiffahrt bestimmte und geeignete, ggf. erweiterte Teil des Stromes (BGH VersR 1959, 662). Dieses Fahrwasser und nicht nur die Fahrrinne ist Gegenstand der Unterhaltungs- und Verkehrssicherungspflicht (BGHZ 37, 69 71 ~ = NJW 1962, 1051; Friesec~e a.a.O., § 8 Rdn. 17). Allerdings ist das Maß der Sorgfalt, die-zur Bewahrung eines verkehrssicheren Zustands anzuwenden ist, verschieden, je nachdem, ob es sich um die eigentliche Fahrrinne oder um das übrige Fahrwasser außerhalb der ausgebauten Fahrrinne handelt (BGH a.a.O.). Für den Bereich der Fahrrinne ist dafür Sorge zu tragen, daß diese die für die Schiffahrt erforderliche Breite und Tiefe besitzt, daß sie frei von Hindernissen und, soweit erforderlich, genügend gekennzeichnet ist. Hinsichtlich des übrigen Fahrwassers beschränkt sich die Unterhaltungs- und Sicherungspflicht in der Regel darauf, Hindernisse, die entstehen, seien es natürliche oder künstliche, zu kennzeichnen, sobald sie bekannt werden (BGHZ 37, 69 ,72 = NJW 1962, 1051; BGH VkBl. 1963, 429). Dieser unterschiedliche Umfang der dem allgemeinen 5orgtaltsmalistab des § 276 BGB unterliegenden Verkehrssicherungspflicht (vgl. BGH VkBI. 1956, 101) - je nachdem, ob es sich um die Fahrrinne oder den erweiterten Bereich des Fahrwassers handelt - orientiert sich daran, daß dieser Pflicht im Rahmen des Zumutbaren und Möglichen zu genügen ist (BGH VersR 1979, 437) und daß sich deshalb die besondere Kosten verursachende verstärkte Instandhaltungspflicht auf den engeren Bereich der Fahrrinne beschränkt. Jedenfalls kann die Schiffahrt durch riskante Fahrmanöver, die mit der nautischen Pflicht eines sorgfältigen schiffers nicht zu vereinbaren sind, nicht erzwingen, daß diese Verpflichtung auf die gesamte Breite des Fahrwassers oder noch darüber hinaus ausgedehnt wird (RG HRR 1933 Nr. 1844; BGHZ37, 69 [721 = NJW 1962, 1051).
Im vorliegenden Fall soll sich der Unfall im Bereich der trapezähnlich angelegten Unterwasseruferböschung unmittelbar in Nähe des Ufers ereignet haben, d. h. auf einem Teil des Stromes, der bei dem zur Unfallzeit vorhandenen Wasserstand - überdies auch nicht bei höheren Wasserständen - nicht schiffbar ist und daher nicht zum Bereich des Fahrwassers gehört. Daher bestand für diesen Teil des Stromes auch keine eingeschränkte, der Sicherheit des Schiffsverkehrs dienende Verkehrssicherungspflicht in dem gekennzeichneten Sinne. Demzufolge hat der Taucher P. - wie er als Zeuge bekundet hat - auch keine Veranlassung gesehen, von der Beschaffenheit des Unterwasserufers an der Unfallstelle „Meldung zu machen". Der Hinweis der Klägerin, die Böschung hätte wenigstens als Sandufer angelegt werden müssen, um eine gefahrlose Berührung durch den Schiffskörper bei Ausweichmanövern zu ermöglichen, geht fehl, weil ein derart angelegtes Ufer nicht geeignet wäre, die Standfestigkeit der Uferbefestigungen zu gewährleisten.
Die Klägerin beruft sich auch ohne Erfolg darauf, die an der Unfallstelle befindliche senkrechte Stahlspundwand habe den Eindruck erwecken müssen, daß das Ufer an dieser Stelle ein Kastenprofil habe. Für den Bereich eines Binnenhafens mag beim Fehlen besonderer Hinweise davon ausgegangen werden können, daß die senkrechten Spundwände bis zur Solltiefe reichen und daß die Schiffahrt die gesamte Wasserfläche bis an die Wände nutzen kann (vgl. OLG Karlsruhe VersR 1972, 345; zur Verkehrssicherungspflicht für Binnenhäfen, ferner BGH VersR 1974, 768, OLG Hamburg VersR 1972, 584). Einen derartigen Eindruck konnte die Spundwand im vorliegenden Fall schon deshalb nicht vermitteln, weil die betreffende Stelle nicht als Anlegeplatz ausgewiesen und gekennzeichnet war. Im übrigen befand sich der Bereich der Uferböschung an der Unfallstelle in einem ihrer Anlage gemäßen Zustand. Wie sich dem Bericht des Tauchers P. entnehmen läßt, ragte der in diesem Bericht erwähnte Metallträger nur geringfügig über die auf dem Grund lagernden oder ihn bildenden Mauerreste hinaus. Die Grenzen und die Beschaffenheit der Fahrrinne und des Fahrwassers sowie das Vertraut sein mit den Strömungsverhältnissen muß bei jedem Schiffsführer, der nach § 1.02 Nr. 1 Abs. 2 Satz 2 BinSchStrO ein Schifferpatent für die Fahrzeugart und die zu befahrende Strecke besitzt, vorausgesetzt werden (BGH VersR 1974, 1172; OLG Frankfurt VkBl. 1955, 223). Im übrigen ist auch nicht erkennbar, wie für den Schiffsführer des immerhin 76,9 m langen Schiffes der Klägerin die Vorstellung entstehen konnte, der Bereich der 59 m langen Spundwand weise ein Kastenprofilufer auf, um Ausweichmanöver zu ermöglichen. Bei den angegebenen Maßen hätte nämlich die durch ein Kastenprofil nur unterhalb der Spundwand hergestellte Ausbuchtung für ein solches Manöver gar nicht benutzt werden können. Denn wenn das Heck des Schiffes in diese Ausbuchtung hineingedreht worden wäre, hätte es mit dem Bug in einer für den Begegnungsverkehr gefährlichen Weise in die Strommitte hineingeragt. Da die Beschaffenheit des Ufers an der Unfallstelle nicht von dessen üblicher Anlage im Bereich der Stadt Spree abwich, bestand schließlich auch keine Verpflichtung, diese Stelle durch besondere Zeichen zu kennzeichnen.
Da Schadensersatzansprüche der Klägerin bereits aus den angeführten Gründen entfallen, kann auf sich beruhen, ob solchen Ansprüchen auch der Umstand entgegensteht, daß der Schiffer den Unfall nicht von den zuständigen Stellen hat aufnehmen lassen und das Schiff nach seiner Verbringung nach Westdeutschland hat reparieren lassen, ohne zuvor Vertretern der Beklagten Gelegenheit zur Besichtigung zu geben. Wenn die Klägerin meint, ihr überdies gegenüber dem von ihr benannten DDR-Schubverband wartepflichtiges Schiff (vgl. § 6.04 Nr. 1, § 6.07 Nr. 1 Buchstabe c BinSchStrO) sei von diesem Verband, der über die Strommitte hinausgefahren sei, an das Ufer gedrängt worden, wäre es ihr unbenommen geblieben, dieser halb Schadensersatzansprüche zu verfolgen. Schließlich kann auch dahinstehen, ob überhaupt nachgewiesen ist, daß die geltend gemachten Schäden - abgesehen von denen an der Ruderanlage - durch Unterwasserhindernisse im angegebenen Bereich der Uferböschung verursacht worden sind.
...“