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Leitsätze:
1) Behauptet der Kläger, beim Auffahren auf eine Autofähre über die Mosel geschädigt worden zu sein, weil ein vorbeifahrendes Schiff Sog verursacht habe, dann ist für diesen Vorfall das Moselschiffahrtsgericht St. Goar international und funktionell zuständig.
2) Das für den Havarieort örtlich zuständige Amtsgericht (Cochem) ist weder sachlich, noch international oder funktionell zuständig. Auf Moselschifffahrtssachen findet § 281 ZPO mit Ausnahme des Absatzes 2 Satz 4 analog Anwendung.
Beschluss des Landgerichts Koblenz
vom 10. Dezember 2020
Az.: 10 O 279/19
Der Rechtsstreit wird – auf Antrag der Klägerin – an das international und funktionell zuständige Amtsgericht St. Goar – Schifffahrtsgericht – abgegeben.
Gründe:
1.
Mit der Klage nimmt die Klägerin die Beklagte auf Schadensersatz wegen eines Vorfalls vom 23.09.2019 in Anspruch, der sich an der Liegestelle Ellenz der Fähre Beilsteil-Ellenz an/auf der Mosel ereignete.
Nach den klägerischem Vortrag soll das von der Klägerin geleaste Kraftfahrzeug bei dem Versuch des Zeugen P., mit dem Fahrzeug am Fähranleger St. Josef, Ellenz, die Fähre nach Beilstein zu befahren, in die Mosel geraten sein, als die Fähre durch einen Sog zurück in die Mosel bewegt worden sein soll. Das klägerische Fahrzeug soll in der Front zusätzlich dadurch beschädigt worden sein, dass unmittelbar danach die Fähre durch eine Gegenwelle wieder ans Ufer gedrückt worden sein soll, wobei sie das klägerische Fahrzeug touchiert haben soll. Zu der Sogwirkung soll es dadurch gekommen sein, dass das Fahrgastkabinen- schiff »lnspire« der Streitverkündeten zu 1), welches auch von den Streitverkündeten zu 2) und zu 3) genutzt wird, mit überhöhter Geschwindigkeit an der Fähre vorbeigefahren sein soll. Einzelheiten des Vorfalls sind streitig.
Durch Beschluss des Landgerichts Koblenz vom 02.09.2019 hat das Landgericht Koblenz sich für sachlich und örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag der Klägerin an das Amtsgericht Cochem verwiesen. Das Amtsgericht Cochem hat mit Beschluss vom 12.09.2009 die Übernahme des Verfahrens abgelehnt. Die Beklagte hat mit Schriftsatz, eingegangen bei Gericht am 18.12.2019, der S als der Eigentümerin des Fahrastkabinenschiffs »lnspire« sowie der R und der V als angeblichen Verwendern des Fahrgastkabinenschiffs »lnspire« im Sinne des § 2 Abs. 1 BinSchG den Streit verkündet. In Folge von Verzögerungen bei Gericht ist dieser Schriftsatz der Streitverkündeten zu 1) am 02.04.2020 (Auslandszustellung), der R am 11.03.2020 (Auslandszustellung) und der V am 14.02.2020 zugestellt worden. Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 20.02.2020, sind alle Streitverkündeten dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten.
Mit Schriftsatz vom 12.02.2020, hat die Klägerin beantragt, den Rechtsstreit an das nach Art 1 MoselSchGerAbkG RP zustände Amtsgericht St. Goar zu verweisen; die Streithelferinnen haben die Zuständigkeit des Landgerichts Koblenz gerügt und dem Verweisungsantrag der Klägerin vom 12.02.2020 zugestimmt.
II.
Entsprechend dem Antrag der Klägerin vom 12.02.2020 ist der Rechtsstreit an das Amtsgericht St. Goar – Schifffahrtsgericht – abzugeben.
Eine förmliche Verweisung gemäß § 281 ZPO kommt nicht in Betracht, da vorliegend die internationale und funktionelle Zuständigkeit betroffen ist. Aus diesem Grund entfaltet auch der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Koblenz vom 02.09.2019 keine Bindungswirkung. Da das Amtsgericht Cochem unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zuständig ist, insbesondere weder eine sachliche, noch eine internationale Zuständigkeit besteht, aber auch die funktionelle Zuständigkeit nicht gegeben ist, wäre der Verweisungsbeschluss jedenfalls zu berichtigen.
Dem vorliegenden bürgerlichen Rechtsstreit liegt eine Binnenschifffahrtssache im Sinne des § 2 Abs. 1b und 1d BinSchGerG zugrunde. Gemäß Art. 14 GVG sind für Binnenschifffahrtssachen besondere Gerichte zugelassen. Gemäß § 1 BinSchGerG sind für Binnenschifffahrtssachen die Amtsgerichte zuständig, wobei nach Art. 1 MoselSchGerAbkG RP das Amtsgericht St. Goar und beim Amtsgericht St. Goar das Schifffahrtsgericht funk- tionell zuständig ist. In entsprechender Anwendung des § 281 ZPO war der vorliegende Rechtsstreit auf Antrag der Klägerin deshalb formlos an das international und funktionell zuständige Amtsgericht St. Goar – Schifffahrtsgericht – abzugeben.
Anmerkung der Redaktion:
Für Rheinschifffahrtssachen gibt es eine besondere Zuständigkeit der Rhein schiffahrtsgerichte nach Artikel 34 ff MA, für Moselschifffahrtssachen der Mosel schiffahrtsgerichte nach Artikel 34 f MA des Vertrages zwischen der Bundes republik Deutschland, der Französischen Republik und dem Großherzogtum Luxemburg über die Schiffbarmachung der Mosel (»Moselvertrag«).
Grund für die spezielle Zuständigkeit ist die besondere Erfahrung und Kompetenz der dortigen Richter. Dabei gibt es eine Reihe von prozessualen Besonderheiten. Die Verfahren sind gerichtskostenfrei, für die zweite Instanz gibt es Wahlmöglich keiten zum Rheinschiffahrtsobergericht oder Moselschiffahrtsobergericht einerseits und zur Berufungskammer der Rheinzentralkommission und zum Berufungsausschuss der Moselkommission andererseits. Es gibt eine eigene Verfahrensordnung und spezielle Vorschriften über die Berufungs(begründungs)fristen.
Deshalb ist es von besonderer Bedeutung, dass die Amtsgerichte als Rheinschiffahrtsgerichte oder Moselschiffahrtsgerichte unmissverständlich deutlich machen, dass sie in dieser Eigenschaft handeln, zum Beispiel durch die korrekte Bezeichnung des Amtsgerichts als »Rheinschiffahrtsgericht« oder »Moselschiffahrtsgericht«. In der Praxis gibt es auch die Übung, in Rheinschifffahrtssachen das Aktenzeichen mit dem Annex »Rh« zu versehen.
Rheinschifffahrtssachen und Moselschifffahrtssachen sind nicht identisch mit Binnenschifffahrtssachen im Sinne des § 1 ff BinSchVerfG, sondern definieren sich nach dem Text der Mannheimer Akte, respektive des Moselvertrages (dazu grundlegend, Jörg Hofmann, Die gerichtliche Zuständigkeit in Binnenschifffahrtssachen, Duisburg 1996, (Mannheimer Beiträge zum Binnenschifffahrtsrecht; Band 4); sowie v.Waldstein/Holland, BinSchR, 5. Auflage, Kapitel 6 bis 8).
Anders als in rein nationalen Verfahren entfaltet ein Verweisungsbeschluss nach § 281 ZPO in Rheinschifffahrtssachen und Moselschifffahrtssachen keine Bindungswirkung (dazu auch Landgericht Wiesbaden, ZfB 2017, Sammlung Seite 2467 mit Anmerkungen).
Die Zuständigkeit nach Artikel 34 Mannheimer Akte (und entsprechend nach Artikel 34 Moselvertrag) wird grundsätzlich und traditionell sehr weit ausgelegt. Es gibt eine Vielzahl von einschlägigen Entscheidungen (Rheinschiffahrtsober gericht Köln, ZfB 2012, Sammlung Seite 2201 f, Rheinschiffahrtsgericht St. Goar, ZfB 2015, Sammlung Seite 2385 ff mit Anmerkungen; Landgericht Duisburg, ZfB 2018, Sammlung Seite 2560 mit Anmerkung; Rheinschiffahrtsobergericht Köln, ZfB 2019, Sammlung Seite 2612; siehe auch Behrendt, Zukunft der Schifffahrtsgerichtsbarkeit, ZfB 2019, Sammlung Seite 2640; zur richtigen Schreibweise (»Schiffahrtsgericht«), Schiffahrtsgericht Würzburg, ZfB 2014, Sammlung Seite 2307).
Die vorstehend wiedergegebene Entscheidung des Landgerichts Koblenz liegt auf der Linie dieser Rechtsprechung und ist grundsätzlich richtig und sehr zu begrüßen. Im Tenor der Entscheidung befindet sich allerdings ein Schreibversehen, der Rechtsstreit wurde nicht an das »Schifffahrtsgericht« abgegeben, sondern an das Moselschiffahrtsgericht. Das Landgericht Koblenz hat sich in der Begründung ausdrücklich auf Artikel 1 des MoselSchGerAbk RP bezogen und auf die internationale Zuständigkeit abgestellt und deshalb mit »Schiffahrtsgericht« eindeutig »Moselschiffahrtsgericht« gemeint. Dementsprechend hat das Moselschiffahrtsgericht St. Goar am 15. Januar 2021 auch erklärt, »das Verfahren wurde durch das Moselschiffahrtsgericht übernommen«. Dogmatisch nicht ganz richtig stellt das Landgericht Kob lenz auf § 2 Absatz 1b bis 1d BinSchVerfG (im Urteil fälschlich: »BinSchGerG«) ab. Wie sich aus § 18a BinSchVerfG ergibt, gilt die Definition der Binnenschifffahrtssache für Moselschifffahrtssachen nur nachrangig nach der Definition in Artikel 34 und 35 des Moselvertrages. (Dazu Hof mann, a.a.O., Seite 161 ff).
Mit Recht räumt die deutsche Rechtsprechung dieser internationalen und funktionellen Zuständigkeit so hohen Stellenwert ein, dass die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses nach nationalem Recht für diese internationale Zuständigkeit nicht zur Anwendung kommt. Die spezielle Zuständigkeit ist nicht nur wegen der besonderen Sach kunde der zuständigen Richter, sondern auch wegen der verfahrensrechtlichen Besonderheiten und der internationalen Vereinheitlichung des Schifffahrts rechtes durch eine supranationale Berufungsinstanz (Straßburg und Trier) geboten. Die Entscheidung des Landgerichts Koblenz ist daher uneingeschränkt zu begrüßen.
Rechtsanwalt Dr. Martin Fischer, Frankfurt am Main
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2021 - Nr. 2 (Sammlung Seite 2690 f.); ZfB 2021, 2690 f.